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BVerwG - Entscheidung vom 08.12.2009

1 WB 61.09

Normen:
WBO § 16a
VwVfG § 80 Abs. 2
VwGO § 162 Abs. 2 S. 2
MuSchG § 3 Abs. 2
MuSchG § 6 Abs. 1
SG § 28 Abs. 7 S. 1
SG § 30 Abs. 5 S. 2
EltZSoldV § 1 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
JurBüro 2010, 482

BVerwG, Beschluss vom 08.12.2009 - Aktenzeichen 1 WB 61.09

DRsp Nr. 2010/615

Beginn der Elternzeit mit der damit verbundenen Zahlung von Elterngeld erst nach Ablauf der Mutterschutzfrist; Kostenerstattung für die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Rechtsbehelfsverfahren oder vorherige telefonische Klärung bzw. eigene Beschwerde des Soldaten

1. Wird eine Beschwerde nach Abhilfe und vor Erlass eines Beschwerdebescheids zurückgenommen, so war sie bei der nach § 16a Abs. 4 WBO gebotenen sinngemäßen Anwendung von § 16a Abs. 2 WBO auch dann "erfolgreich", wenn die Abhilfe auf die Beschwerde zurückzuführen ist.2. § 16a Abs. 2 und 3 WBO soll ausweislich der Gesetzesbegründung die Rechte der Soldatinnen und Soldaten stärken, indem die im vorgerichtlichen Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen bei erfolgreicher Beschwerde "in Angleichung an das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren" erstattet werden. Nach Wortlaut und Zweck entspricht § 16a Abs. 3 WBO damit den Regelungen der § 80 Abs. 2 VwVfG und § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO , so dass sich die hierzu entwickelten Grundsätze auf die Auslegung und Anwendung von § 16a Abs. 3 WBO übertragen lassen.3. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen.4. Aus dem Begriff der "Notwendigkeit" der Zuziehung eines Rechtsanwalts folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste; der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt.5. § 16a WBO lässt sich nicht der Rechtssatz entnehmen, dass der Behörde vor Zuziehung eines Rechtsanwalts grundsätzlich zunächst ein möglichst "schonender" Weg der Selbstkontrolle zu eröffnen ist. Das vorgerichtliche Beschwerdeverfahren dient nicht nur der Selbstkontrolle der beteiligten Dienststellen und Vorgesetzten, sondern in gleichem Maße dem individuellen Rechtsschutz der Soldaten. Die durch § 16a Abs. 2 und 3 WBO eingeführte Erstattungsfähigkeit der notwendigen Aufwendungen im vorgerichtlichen Verfahren - einschließlich der Vergütung eines Rechtsanwalts, wenn die Hinzuziehung notwendig war - zielt dabei auf die Herstellung einer gewissen "Waffengleichheit" zugunsten der Soldatinnen und Soldaten.

Tenor

Der Bescheid des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 14. September 2009 wird in Nr. 2 aufgehoben.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Verfahren war notwendig.

Die der Antragstellerin im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Normenkette:

WBO § 16a; VwVfG § 80 Abs. 2 ; VwGO § 162 Abs. 2 S. 2; MuSchG § 3 Abs. 2 ; MuSchG § 6 Abs. 1 ; SG § 28 Abs. 7 S. 1; SG § 30 Abs. 5 S. 2; EltZSoldV § 1 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Wehrbeschwerdeverfahren notwendig war.

Die 1984 geborene Antragstellerin ist Soldatin auf Zeit. Ihre auf acht Jahre festgesetzte Dienstzeit endet zum 31. Dezember 2010.

Unter dem 5. Juni 2009 beantragte die Antragstellerin Elternzeit zur Betreuung ihres am 19. Mai 2009 geborenen Sohnes B. Mit Bescheid vom 6. Juli 2009 bewilligte die Stammdienststelle der Bundeswehr der Antragstellerin - abweichend von ihrem Antrag - Elternzeit für die Zeit vom 2. Juli 2009 bis 18. Mai 2010. Elternzeit dürfe erst nach Ablauf der Mutterschutzfrist (1. Juli 2009), bezogen auf den mutmaßlichen Entbindungstermin (6. Juni 2009), gewährt werden.

Unter dem 15. Juli 2009 erhielt die Antragstellerin ein Anhörungsschreiben der Wehrbereichsverwaltung Süd zu einer Überzahlung von - rückzuerstattenden - Dienstbezügen für den Monat Juli 2009 in Höhe von 1 665,07 Euro. Der Anspruch der Antragstellerin auf Dienstbezüge ende mit Ablauf des 1. Juli 2009, weil ihr ab dem 2. Juli 2009 Elternzeit bewilligt worden sei.

Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 23. Juli 2009 widersprach die Antragstellerin der Rückforderung von Dienstbezügen und legte Beschwerde gegen den Bescheid der Stammdienststelle der Bundeswehr vom 6. Juli 2009 ein. Sowohl der Rückforderung von Dienstbezügen als auch dem Bescheid der Stammdienststelle liege eine fehlerhafte Berechnung der Mutterschutzzeit zugrunde. Die Mutterschutzfrist ende, auch wenn eine vorzeitige Entbindung vorliege, erst am 1. August 2009. Während der Mutterschutzfrist habe sie, die Antragstellerin, einen Anspruch auf Fortzahlung der Dienstbezüge. Die Elternzeit mit der damit verbundenen Zahlung von Elterngeld beginne daher erst nach Ablauf der Mutterschutzfrist am 2. August 2009.

Mit Bescheid vom 17. August 2009 hob die Stammdienststelle der Bundeswehr den Bescheid vom 6. Juli 2009 auf und bewilligte der Antragstellerin nunmehr Elternzeit für die Zeit vom 2. August 2009 bis 18. Mai 2010.

Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 3. September 2009 teilte die Antragstellerin daraufhin mit, dass sie die Beschwerde vom 23. Juli 2009 zurücknehme, und beantragte gleichzeitig eine Kostenentscheidung gemäß § 16a WBO .

Mit Bescheid vom 14. September 2009 entschied der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 -, dass der Antragstellerin die ihr zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erwachsenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten seien (Nr. 1); die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei nicht notwendig (Nr. 2). Gegen die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sprächen der geringe Schwierigkeitsgrad der Sach- und Rechtslage, der mittlerweile hohe Bekanntheitsgrad des Beschwerdevorbringens in der Truppe (zunehmend höherer Frauenanteil in den Streitkräften), die leichte Zugänglichkeit der erforderlichen Rechtsquellen (z.B. über die militärische Gleichstellungsbeauftragte), der geringe Umfang des Verfahrens und die niedrige Intensität des Eingriffs in die Rechte der Antragstellerin bzw. die geringen möglichen Auswirkungen der angefochtenen Maßnahme (lediglich rückgeforderte Geldzahlungen durch die Wehrbereichsverwaltung). Auch sei zu berücksichtigen, dass der Verwaltung zunächst die Möglichkeit eingeräumt werden solle, die eigene Entscheidung im Wege der Selbstkontrolle kritisch zu hinterfragen. Ein Bevollmächtigter könne nach einer angemessenen Prüfungszeit zur Selbstkontrolle noch in einem späteren Verfahrensstadium eingeschaltet werden (z.B. vertiefende Begründung durch den Rechtsbeistand). Der Fehler bei der Berechnung des Beginns der Elternzeit hätte ohne Weiteres in einem Telefonat mit der Stammdienststelle geklärt werden können, zumal die Beschwerdefrist von zwei Wochen auf einen Monat verlängert worden sei und daher keine Zeitknappheit bestanden habe.

Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 19. Oktober 2009 beantragte die Antragstellerin hiergegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Antrag wurde vom Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 22. Oktober 2009 dem Senat vorgelegt.

Zur Begründung trägt die Antragstellerin insbesondere vor:

Es sei für sie nicht ersichtlich gewesen, dass die Rückforderung der Dienstbezüge auf eine fehlerhafte Berechnung der Mutterschutzfrist zurückzuführen sei. Das Anhörungsschreiben verweise lediglich auf den Bescheid vom 6. Juli 2009, mit dem die Elternzeit festgesetzt worden sei. Die erforderlichen Rechtsquellen seien für sie nicht zugänglich gewesen. Sie habe schon während ihrer Schwangerschaft die Erfahrung gemacht, dass ihr ihre Vorgesetzten auf Nachfragen zu Mutterschutz und Elternzeit keine Auskunft hätten geben können. So sei sie zu keinem Zeitpunkt von ihren Vorgesetzten darüber informiert worden, an welchem Tag ihre Mutterschutzfrist ende; nur durch intensive Internetrecherche habe sie dies vor der Entbindung selbst ermitteln können. Auch ob sich die Berechnung der Mutterschutzfrist ändere, weil ihr Kind vorzeitig geboren worden sei, sei ihr nicht mitgeteilt worden. Sie habe auch nicht die Möglichkeit gehabt, die Angelegenheit mit einem Telefonat zu klären. Es habe die Dienstanweisung bestanden, Beschwerden über den Dienstweg einzureichen; angesichts der kurzen Fristen habe sie diese Vorgehensweise als zu langwierig angesehen. Sie sei schließlich nicht dafür zuständig, die Selbstkontrolle der Bundeswehrstellen durchzuführen. Eine Stellungnahme im Anhörungsverfahren wäre zudem nicht ausreichend gewesen, um die Rückforderung zu verhindern, da die Festsetzung der Elternzeit Grundlage für die Rückforderung gewesen sei. Die Intensität des Eingriffs könne auch nicht als gering eingestuft werden. Immerhin handele es sich um ein volles Monatsgehalt, welches habe rückerstattet werden sollen. Die Rückzahlung eines so hohen Betrages wäre für sie eine erhebliche Belastung gewesen.

Die Antragstellerin beantragt,

festzustellen, dass die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Wehrbeschwerdeverfahren notwendig war.

Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Streitgegenstand sei nicht die mögliche Rückforderung von Dienstbezügen, sondern allein die Genehmigung der Elternzeit für die Antragstellerin. Insoweit handele sich um einen einfachen geklärten Sachverhalt, dem lediglich ein offensichtlicher Berechnungsfehler zugrunde gelegen habe. Der Fehler ergebe sich bereits aus dem Bescheid selbst, weil die Mutterschutzfrist bezogen auf den berechneten mutmaßlichen Entbindungstermin am 6. Juni 2009 nicht, wie in dem Bescheid ausgeführt, am 1. Juli 2009 ende. Eine umfangreiche Recherche zur Überprüfung dieses offensichtlichen Berechnungsfehlers sei daher ebenso wenig notwendig gewesen wie eine Rechtsberatung/-verfolgung durch einen Bevollmächtigten. Der Antragstellerin seien Informationsmaterial sowie Auszüge aus dem Mutterschutzgesetz ( MuSchG ) ausgehändigt worden. Eine aktenkundige Belehrung in Bezug auf § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG sei zwar weder in mündlicher noch in schriftlicher Form erfolgt; dies sei jedoch nicht erforderlich gewesen, weil diese Bestimmungen eindeutig seien und keiner Interpretation bedürften. Die Antragstellerin habe zudem die erforderlichen Rechtsquellen nicht nur bei den Streitkräften, sondern auch bei den zivilen Familienbetreuungszentren erhalten können. Entgegen ihrem Vortrag sei es der Antragstellerin auch möglich gewesen, sich direkt telefonisch an die Stammdienststelle zu wenden. Ebenso hätte die Antragstellerin, falls sie sich auf eine Korrektur durch die Stammdienststelle ohne Einlegung eines Rechtsmittels nicht habe verlassen wollen, eine fristwahrende Beschwerde ohne einen Rechtsanwalt einlegen können. Gegebenenfalls hätte ein Rechtsanwalt auch später zur näheren Begründung eingeschaltet werden können, sofern die Stammdienststelle nicht zeitnah abgeholfen hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 1160/09 - hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, über den der Senat gemäß § 16a Abs. 5 Satz 3 und 4 WBO in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter entscheidet (vgl. Beschluss vom 28. September 2009 - BVerwG 1 WB 31.09 -), hat Erfolg. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin im vorgerichtlichen Verfahren war notwendig (§ 16a Abs. 3 und 4 WBO ).

Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - hat in Nr. 1 des Bescheids vom 14. September 2009 entschieden, dass der Antragstellerin gemäß § 16a Abs. 2 und 4 WBO die ihr zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erwachsenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten sind. Diese Kostengrundentscheidung, die eine zwingende Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten darstellt, ist in Bestandskraft erwachsen und daher im vorliegenden Verfahren ohne Weiteres zugrundezulegen (vgl. zum Verhältnis zwischen Kostengrundentscheidung und Folgeentscheidung über die Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 2 C 29.06 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 53). Unabhängig davon hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - der Antragstellerin zu Recht nicht entgegengehalten, dass sie ihre Beschwerde zurückgenommen (und nicht für erledigt erklärt) hat, was grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen ausschließt (vgl. - ohne die folgende Differenzierung - Dau, WBO , 5. Aufl. 2009, § 16a Rn. 17); wird eine Beschwerde nach Abhilfe und vor Erlass eines Beschwerdebescheids zurückgenommen, so war sie bei der nach § 16a Abs. 4 WBO gebotenen sinngemäßen Anwendung von § 16a Abs. 2 WBO auch dann "erfolgreich", wenn - wie hier - die Abhilfe auf die Beschwerde zurückzuführen ist.

Die Vorschrift des § 16a Abs. 3 WBO , wonach die Vergütung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten nur dann erstattungsfähig ist, wenn die Hinzuziehung notwendig war, ist - wie § 16a WBO insgesamt - durch Art. 5 Nr. 12 des Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2008 - WehrRÄndG 2008) vom 31. Juli 2008 (BGBl. I S. 1629) in die Wehrbeschwerdeordnung eingefügt worden und am 1. Februar 2009 in Kraft getreten (Art. 18 Abs. 2 WehrRÄndG 2008). § 16a Abs. 2 und 3 WBO soll ausweislich der Gesetzesbegründung die Rechte der Soldatinnen und Soldaten stärken, indem die im vorgerichtlichen Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen bei erfolgreicher Beschwerde "in Angleichung an das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren" erstattet werden (vgl. BTDrucks 16/7955 S. 35 zu Nr. 12). Nach Wortlaut und Zweck entspricht § 16a Abs. 3 WBO damit den Regelungen der § 80 Abs. 2 VwVfG und § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO , so dass sich die hierzu entwickelten Grundsätze auf die Auslegung und Anwendung von § 16a Abs. 3 WBO übertragen lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 80 Abs. 2 VwVfG und § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. Beschlüsse vom 21. August 2003 - BVerwG 6 B 26.03 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 51 und vom 1. Februar 2007 - BVerwG 6 B 85.06 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 52, jeweils m.w.N.; ähnlich Beschluss vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 2 C 124.07 -). Aus dem Begriff der "Notwendigkeit" der Zuziehung eines Rechtsanwalts folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste; der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt (vgl. Beschluss vom 24. Mai 2000 - BVerwG 7 C 8.99 - Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 5).

Nach diesen Maßstäben kann die Antragstellerin - unter Berücksichtigung insbesondere der Unübersichtlichkeit der Rechtslage und der Bedeutung der Sache - die Erstattung der Vergütung des von ihr hinzugezogenen Rechtsanwalts verlangen.

Zwar spricht Überwiegendes dafür, dass der unrichtigen Festsetzung des Zeitraums der Elternzeit in dem Bescheid der Stammdienststelle der Bundeswehr vom 6. Juli 2009 ein einfacher Berechnungsfehler zugrunde liegt. Dieser Berechnungsfehler war für die Antragstellerin jedoch nicht als solcher erkennbar. Ob die Gründe, aus denen die Stammdienststelle von ihrem Antrag abgewichen ist, zutreffend waren, konnte die Antragstellerin vielmehr nur aufgrund einer sachlichen Überprüfung beurteilen, die eine Kenntnis der Rechtslage voraussetzt. Die Vorschriften, nach denen sich die Bewilligung von Elternzeit nach Ablauf der Mutterschutzfrist bemisst, zeichnen sich, wie das im Recht der sozialen Leistungen nicht selten der Fall ist, durch eine gewisse Unübersichtlichkeit aus. Nach § 28 Abs. 7 Satz 1 SG haben Soldaten Anspruch auf Elternzeit (siehe auch § 40 Abs. 4 und § 46 Abs. 4 SG ); das Nähere wird gemäß § 28 Abs. 7 Satz 2 SG durch eine Rechtsverordnung - die Verordnung über die Elternzeit für Soldatinnen und Soldaten ( EltZSoldV ) - geregelt, die die Eigenart des militärischen Dienstes berücksichtigt und deren Bestimmung über Beginn und Ende des Anspruchs in ihrem ersten Satz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EltZSoldV ) wiederum auf die Maßgaben des § 15 Abs. 1 und 1a des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) verweist; ergänzend gelten die Ausführungsbestimmungen zur Elternzeitverordnung für Soldatinnen und Soldaten (AusfBestEltZSoldV, VMBl 2009 S. 49). Nach § 30 Abs. 5 Satz 1 SG haben Soldatinnen ferner Anspruch auf Mutterschutz in entsprechender Anwendung des Mutterschutzgesetzes ( MuSchG ); auch insoweit wird das Nähere gemäß § 30 Abs. 5 Satz 2 SG durch eine Rechtsverordnung - die Verordnung über den Mutterschutz für Soldatinnen (MuSchSoldV) - geregelt, die die Eigenart des militärischen Dienstes berücksichtigt. Auch wenn sich in der Zusammenschau der danach einschlägigen Vorschriften der Ablauf der Mutterschutzfrist bzw. ein hieran anknüpfender Beginn der Elternzeit - auch in dem Falle einer vorzeitigen Entbindung - nicht so kompliziert errechnet, wie es die Fülle der Rechtsnormen befürchten lässt (vgl. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 EltZSoldV , § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 MuSchG bzw. § 5 Abs. 1 Satz 1 MuSchSoldV sowie Nr. 3 und 4 AusfBestEltZSoldV), weiß dies doch nur derjenige, der bereits mit der Handhabung der Vorschriften vertraut ist. Das war bei der Antragstellerin nicht der Fall. Ihr war zudem weder das nach dem mutmaßlichen Tag der Entbindung noch das nach dem tatsächlichen Tag der - vorzeitigen - Entbindung berechnete Ende der Mutterschutzfrist mitgeteilt worden. Unter diesen Umständen war es ihr nicht zuzumuten, allein aufgrund ihr überlassener oder von ihr zu beschaffender Rechtsvorschriften die Richtigkeit des Bescheids der Stammdienststelle vom 6. Juli 2009 selbst zu überprüfen.

Unter dem Blickwinkel der Zumutbarkeit, das Beschwerdeverfahren selbst zu führen, ist ferner zu berücksichtigen, dass die Sache für die Antragstellerin eine erhebliche Bedeutung hatte. Zwar ist Gegenstand der Beschwerde im verfahrensrechtlichen Sinne nur die Bewilligung von Elternzeit. Mit der Vorverlegung des Beginns der Elternzeit um einen Monat gegenüber dem maßgeblichen Zeitpunkt (2. Juli statt 2. August 2009) ist jedoch automatisch die Rückforderung entsprechend überzahlter Dienstbezüge (in Höhe von 1 665,07 Euro) verbunden, zu der die Antragstellerin auch prompt mit Schreiben der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 15. Juli 2009 angehört würde. Die Beschwerde gegen den Bescheid über die Bewilligung von Elternzeit war das einzige Mittel, um der Rückforderung der Dienstbezüge schon dem Grunde nach erfolgreich entgegenzutreten.

Die Kostenerstattung für die Zuziehung eines Rechtsanwalts wird schließlich - jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation - nicht durch den Einwand des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - ausgeschlossen, dass die Antragstellerin die Angelegenheit auch außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens telefonisch hätte klären können oder dass es genügt hätte, wenn die Antragstellerin selbst fristwahrend Beschwerde eingelegt und einen Rechtsanwalt erst dann eingeschaltet hätte, wenn ihrer Beschwerde nicht zeitnah abgeholfen worden wäre. § 16a WBO lässt sich nicht der Rechtssatz entnehmen, dass der Behörde vor Zuziehung eines Rechtsanwalts grundsätzlich zunächst ein möglichst "schonender" Weg der Selbstkontrolle zu eröffnen ist. Das vorgerichtliche Beschwerdeverfahren dient nicht nur der Selbstkontrolle der beteiligten Dienststellen und Vorgesetzten, sondern in gleichem Maße dem individuellen Rechtsschutz der Soldaten. Die durch § 16a Abs. 2 und 3 WBO eingeführte Erstattungsfähigkeit der notwendigen Aufwendungen im vorgerichtlichen Verfahren - einschließlich der Vergütung eines Rechtsanwalts, wenn die Hinzuziehung notwendig war - zielt dabei auf die Herstellung einer gewissen "Waffengleichheit" zugunsten der Soldatinnen und Soldaten (vgl. für das Widerspruchsverfahren Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO , 2. Aufl. 2006, § 162 Rn. 102; Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG , 7. Aufl. 2008, § 80 Rn. 81); sie begründet grundsätzlich keine "Fürsorgeobliegenheiten" der Soldatinnen und Soldaten. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sich die Stammdienststelle (und was die Rückforderung von Dienstbezügen betrifft: die Wehrbereichsverwaltung Süd) einerseits und die Antragstellerin andererseits in einer punktuellen, weitgehend bürokratisch-anonymen Beziehung gegenüberstanden; insofern erscheint es nicht unangemessen, wenn sich die Antragstellerin professioneller Hilfe bediente. Ob und inwieweit in stärker personalisierten militärischen (Vorgesetzten-/ Untergebenen-)Beziehungen erwartet werden kann, dass der Soldat den Beschwerdeanlass zunächst selbst und auf möglichst pragmatische Weise zu klären versucht, bedarf hier keiner Entscheidung.

Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Antragsverfahren beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO .

Fundstellen
JurBüro 2010, 482