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BVerwG - Entscheidung vom 19.03.2019

8 B 9.19

Normen:
BerRehaG § 25 Abs. 2 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 19.03.2019 - Aktenzeichen 8 B 9.19

DRsp Nr. 2019/6770

Anspruch auf Anerkennung eines früheren Verfolgungsbeginns im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung wegen rechtsstaatswidriger Erfassung in der sogenannten Kerblochkarte; Prüfung des Vorliegens eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BerRehaG § 25 Abs. 2 S. 1;

Gründe

Die Klägerin, die 1984 einen Ausreiseantrag gestellt und die DDR am 21. März 1986 mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn verlassen hatte, begehrt eine berufliche Rehabilitierung in größerem als dem bereits anerkannten zeitlichen Umfang. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. Oktober 1998 stellte der Beklagte unter anderem fest, die Verfolgungszeit dauere vom 1. Juli 1984 - dem Tag des Wirksamwerdens der von der Klägerin erklärten Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses - bis zur Ausreise am 21. März 1986. Mit Bescheid vom 16. Juni 2016 verfügte der Beklagte die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung der Klägerin wegen rechtsstaatswidriger Erfassung in der sogenannten Kerblochkartei und der Vorladung zu Rückgewinnungsgesprächen im Anschluss an den 1984 gestellten Ausreiseantrag. Im März 2016 beantragte die Klägerin, einen früheren Verfolgungsbeginn anzuerkennen, weil sie 1981/82 oder - nach späteren Angaben - am 26. März 1981 einen ersten Ausreiseantrag gestellt habe und daraufhin im Verdienstrahmen zurückgestuft worden sei. Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab. Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben und geltend gemacht, das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) habe sie und ihre Familie seit dem 26. März 1981 verfolgt und bereits zuvor überwacht. Das Verwaltungsgericht hat die zuletzt auf den Zeitraum vom 26. März 1981 bis 30. Juni 1984 beschränkte Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die dagegen eingelegte Beschwerde der Klägerin, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat keinen Erfolg.

1. Die Beschwerdebegründung legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar. Dazu hätte sie eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen müssen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme. Das ist nicht geschehen.

Die sinngemäß aufgeworfene Frage,

ob auch ein vom Ministerium für Staatssicherheit abgefangener Brief mit von den DDR-Sicherheitsbehörden als negativ angesehenen Äußerungen eine politische Verfolgung verursacht haben kann,

würde sich im Revisionsverfahren nicht stellen, weil das angegriffene Urteil nicht auf Überlegungen zur möglichen Ursächlichkeit eines solchen Briefs für eine politische Verfolgung beruht. Das Verwaltungsgericht hat nicht ausgeschlossen, dass ein Brief dieser Art Verfolgungsmaßnahmen auslösen konnte. Es hat lediglich den auf einer Karteikarte des MfS erwähnten Brief der Klägerin vom 26. März 1981 mit - aus der Sicht des MfS - negativen Äußerungen über Verdienst, Preise und Warenangebot in der DDR nicht als ursächlich für eine rehabilitierungsrechtlich relevante Verfolgung der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum gewertet. Vielmehr hat es aufgrund der Beweislage schon nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin vor Wirksamwerden ihrer Kündigung überhaupt einem rehabilitierungsfähigen Eingriff in ihren Beruf ausgesetzt war. Es hat das entsprechende Klagevorbringen auch nicht für glaubhaft gehalten. Die Frage der Ursächlichkeit für einen etwaigen Eingriff stellte sich ihm deshalb nicht mehr. Hat die Vorinstanz eine Tatsache, aus der sich die Erheblichkeit der aufgeworfenen Frage ergäbe, nicht festgestellt, scheidet eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2006 - 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nr. 35 S. 2).

2. Das angegriffene Urteil leidet auch nicht an den geltend gemachten Verfahrensmängeln.

a) Ein als Verfahrensfehler einzuordnender Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO ) ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe gesetzliche Beweisregeln missachtet, ist nicht begründet. Die Vorinstanz hat weder in Abrede gestellt noch übersehen, dass § 25 Abs. 2 BerRehaG eine Glaubhaftmachung von Angaben unter anderem zur Verfolgteneigenschaft oder zur Verfolgungszeit genügen lässt, wenn Beweismittel dafür nicht vorliegen, nicht beschafft werden können oder unverschuldet verloren gegangen sind. Das angegriffene Urteil geht zutreffend davon aus, dass in Fällen der Beweisnot die glaubhafte Darlegung der Verfolgung genügt (vgl. UA S. 5 und 7 f.). Es hat einen Verfolgungsbeginn am 26. März 1981 nicht für belegbar gehalten, weil die vorgelegten Beweismittel nach seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung keine zureichenden Indizien für einen bereits damals gestellten Ausreiseantrag oder für berufsbezogene Repressionen aus politischen Gründen seit diesem Zeitpunkt darstellten. Angesichts fehlender Beweismittel hat es anschließend geprüft, ob sich ein Verfolgungsbeginn am 26. März 1981 auf glaubhafte Angaben der Klägerin stützen lässt. Dies hat es wegen widersprüchlichen Vorbringens verneint und dabei auf Widersprüche sowohl zu den vorgelegten Beweismitteln als auch zum Vorbringen im Ausgangsverfahren abgestellt, insbesondere zum Vortrag, den Ausreiseantrag nicht vor dem geplanten Familienurlaub in Ungarn im Jahr 1984 gestellt zu haben, um die Visumserteilung nicht zu gefährden (vgl. UA S. 8). Die Behauptung einer verfolgungsbedingten Degradierung mit Einkommenseinbußen hat die Vorinstanz unter anderem wegen abweichender Eintragungen im Sozialversicherungsheft der Klägerin für nicht glaubhaft gehalten. Danach erreichte das Einkommen der Klägerin im Jahr 1983 den zweithöchsten Stand seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit für das Ministerium für Verkehrswesen; im Jahr 1984 bewegte es sich im Rahmen des üblichen Einkommens der letzten Jahre. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hatte die Klägerin ihre Beschäftigung mit Sekretariatsarbeiten im Ausgangsverfahren mit einer Tätigkeit als Hauptsachbearbeiterin mit Vertretung der Sekretärin erklärt.

Der Vorwurf, diese Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BerRehaG verkehre die Beweislast, ist nicht berechtigt. Er ordnet die Beweiserleichterung durch Herabsetzung des Beweismaßes (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 3 B 39.14 - Buchholz 428.8 § 25 BerRehaG Nr. 1) unzutreffend als Beweislastregel ein. Zudem übersieht er, dass die Beweislastverteilung dem materiellen Recht angehört und deshalb nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein kann.

Auch sonstige (vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern ebenfalls dem sachlichen Recht zuzuordnen. Sie können daher grundsätzlich keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen. Eine Ausnahme kommt nur bei Mängeln in Betracht, die allein die Tatsachenfeststellung und nicht auch die Subsumtion unter die materiell-rechtliche Norm betreffen. Zu diesen Mängeln gehören aktenwidrige Feststellungen oder denkfehlerhafte Schlussfolgerungen von Indizien auf Haupttatsachen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17 und vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - insoweit in Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 77 nicht abgedruckt - juris Rn. 31). Solche Mängel sind nicht schon mit dem Vortrag dargetan, die vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerungen seien sachwidrig, unrichtig oder fernliegend. Vielmehr müssen denklogisch schlechthin unmögliche, von Willkür geprägte Schlussfolgerungen aufgezeigt werden (BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627 ). Daran fehlt es hier. Die Beschwerdebegründung kritisiert lediglich die verwaltungsgerichtliche Einschätzung der Beweiskraft verschiedener, nach der Auffassung der Vorinstanz unergiebiger oder sogar gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin sprechender Indizien und stellt der vorinstanzlichen Beweiswürdigung die eigene, abweichende Würdigung entgegen. Dies gilt auch für die Einwände gegen die verwaltungsgerichtliche Würdigung von Abweichungen des Klagevorbringens vom Vortrag im Ausgangsverfahren und vom Inhalt der vorgelegten Unterlagen.

b) Eine Verletzung der Pflicht zur gerichtlichen Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO ) ist nicht substantiiert dargetan. Dazu hätte nicht nur eine aufklärungsbedürftige tatsächliche Frage benannt, sondern darüber hinaus dargelegt werden müssen, welche Ermittlungen sich dem Verwaltungsgericht nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung auch ohne förmlichen Beweisantrag der bereits in erster Instanz anwaltlich vertretenen Klägerin hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis eine entsprechende Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwieweit dies zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Februar 1998 - 3 C 55.96 - BVerwGE 106, 177 <182> und vom 20. April 2004 - 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <303>). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie verlangt nur eine Klärung der Frage, ob schon das Bekanntwerden des Inhalts des Briefes vom 26. März 1981 die behaupteten Repressionsmaßnahmen hätte auslösen können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Berlin, vom 22.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 9 K 33.17