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BSG - Entscheidung vom 01.10.2019

B 13 R 360/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 01.10.2019 - Aktenzeichen B 13 R 360/17 B

DRsp Nr. 2019/17053

Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Abweichender tragender höchstrichterlicher Rechtssatz Tatsächlicher und rechtlicher Kontext

1. Zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz ist es nicht ausreichend, isoliert eine einzelne aus der Entscheidung abgeleitete Passage zu referieren und - völlig losgelöst von ihrem Bezugsrahmen - zu behaupten, es handele sich um einen tragenden höchstrichterlichen Rechtssatz. 2. Vielmehr muss der tatsächliche und rechtliche Kontext aufgezeigt werden, in dem der herangezogene bundesgerichtliche Rechtssatz steht.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. September 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

I

In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit geht es um die Aufhebung eines Erstattungsbescheids im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X . Die Beklagte hob den Bescheid vom 2.7.1996 über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Bescheid vom 31.8.2006 ab dem 1.3.2001 mit der Begründung auf, dass der Kläger einen Hinzuverdienst aus einer selbstständigen Tätigkeit erzielt, aber nicht gemeldet hatte. Mit Bescheid vom 24.10.2007 wurde die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit für den Zeitraum vom 1.3.2001 bis 30.9.2006 gefordert. Über das Vermögen des Klägers wurde am 15.7.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum 15.7.2011 wurde Restschuldbefreiung erteilt. Mit Bescheid vom 20.1.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.1.2016 lehnte die Beklagte nach Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 24.10.2007 die Erteilung eines Zugunstenbescheids nach § 44 SGB X ab. Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG hat das LSG mit Urteil vom 20.9.2017 zurückgewiesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht allein das Vorliegen einer Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) geltend.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 23.1.2018 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat den geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.

Divergenz im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchst- richterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger rügt eine Abweichung des angegriffenen Urteils insbesondere von dem Urteil des BSG vom 30.11.2011 ( B 11 AL 22/10 R - SozR 4-7912 § 55 Nr 1). Dieses enthalte folgenden tragenden abstrakten Rechtssatz: "Hebt die Verwaltung nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einen Bescheid auf, mit dem für die Zeit vor Verfahrenseröffnung Leistungen bewilligt und ausgezahlt wurden und fordert sie die Erstattung derselben, handelt es sich um eine Insolvenzforderung; maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um eine Insolvenzforderung handelt, ist, ob die Vermögensverschiebung vollständig in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat; unerheblich ist, ob der rechtliche Grund von Anfang an fehlt oder nachträglich wegfällt." Das LSG habe dagegen folgenden tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt: "Hebt die Verwaltung nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einen Bescheid auf, mit dem für die Zeit vor der Verfahrenseröffnung Leistungen bewilligt und ausgezahlt wurden und fordert sie die Erstattung derselben, handelt es sich nicht um eine Insolvenzforderung, weil die Leistungen vor Insolvenzeröffnung noch aufgrund eines bestehenden Rechtsgrundes geleistet wurden; maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um eine Insolvenzforderung handelt, ist allein das Datum der Aufhebungsentscheidung."

Der Kläger zitiert damit ersichtlich keine wörtlichen Aussagen der Entscheidungen, sondern fasst aus seiner Sicht die wesentlichen Erwägungen der jeweiligen Entscheidungen abstrakt zusammen. Anders als nach dem oben Gesagten erforderlich, zeigt er aber nicht auf, dass das BSG die von ihm (dem Kläger) formulierte Aussage "zu demselben Gegenstand", also in Anwendung (grundsätzlich) derselben Vorschrift (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 379 mwN) bzw der gleichen Rechtsmaterie (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 13a mwN) gemacht hat. Dafür genügt es nicht, isoliert eine einzelne aus der Entscheidung abgeleitete Passage zu referieren und - völlig losgelöst von ihrem Bezugsrahmen - zu behaupten, es handele sich um einen tragenden höchstrichterlichen Rechtssatz (vgl BSG Beschluss vom 2.8.2016 - B 5 R 131/16 B - BeckRS 2016, 72069 RdNr 11 mwN). Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem der herangezogene bundesgerichtliche Rechtssatz steht (vgl hierzu BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - juris RdNr 10). Zum Kontext der herangezogenen Entscheidung ist der Beschwerdebegründung aber nichts zu entnehmen. Sie verschweigt, welchen Sachverhalt das BSG zu beurteilen hatte und macht auch nicht deutlich zu welchen Normen es die vom Kläger formulierte Aussage getroffen hat. Eine konkrete Darstellung des tatsächlichen und rechtlichen Kontexts auch der herangezogenen BSG -Entscheidung gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben oder zumindest inhaltsgleichen Rechtsnormen anzuwenden sind. Ansonsten ergeben sich ggf nur rechtliche Anhaltspunkte, deren Reichweite im Rahmen einer sog Grundsatzrüge zu prüfen wäre, die der Kläger hier aber nicht erhoben hat.

Im Übrigen setzt die Bezeichnung einer Abweichung im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG die Darlegung voraus, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG im angefochtenen Urteil infrage stellt, was nicht der Fall ist, wenn es einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr, zB BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Zwar genügt eine objektive Abweichung (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 14a mwN), dennoch hätte der Kläger vertieft darauf eingehen müssen, dass das LSG im angefochtenen Urteil nicht lediglich die Tragweite der höchstrichterlichen Rechtsprechung verkannt, sondern dieser Rechtsprechung einen eigenen Rechtssatz entgegengesetzt hat (vgl stRspr, zB BSG Beschlüsse vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr 23; vom 1.6.2015 - B 9 SB 10/15 B - juris RdNr 6; vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73; vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f). Sonst kritisiert die Beschwerde letztlich nur eine falsche Rechtsanwendung des LSG im Fall des Klägers. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 12 R 59/18 B - juris RdNr 14).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 20.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 186/17
Vorinstanz: SG Trier, vom 17.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 9/16