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BGH - Entscheidung vom 30.09.2019

AnwZ (Brfg) 63/17

Normen:
BRAO § 46 Abs. 3
BRAO § 46 Abs. 3
BRAO § 46 Abs. 2
BRAO § 46 Abs. 3 Nr. 1-4

Fundstellen:
AnwBl 2020, 42
BB 2019, 2817
DB 2019, 2624
MDR 2020, 63
NJW 2019, 3649
NZG 2020, 239
WM 2020, 570
ZIP 2019, 2414

BGH, Urteil vom 30.09.2019 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 63/17

DRsp Nr. 2019/16531

Darstellen der anwaltlichen Tätigkeit als Kern oder Schwerpunkt der Tätigkeit für die anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses; Zulassung als Syndikusrechtsanwalt

a) Für die anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses ist entscheidend, dass die anwaltliche Tätigkeit den Kern oder Schwerpunkt der Tätigkeit darstellt, mithin das Arbeitsverhältnis durch die anwaltliche Tätigkeit beherrscht wird.b) Ein Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit liegt am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen.

Tenor

Auf die Berufung des Beigeladenen wird das ihm an Verkündungs statt am 2. Oktober 2017 zugestellte Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 25.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 46 Abs. 2 ; BRAO § 46 Abs. 3 Nr. 1 -4;

Tatbestand

Der Beigeladene war von Anfang 2014 bis Ende 2016 im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses bei der Firma K. GmbH & Co. KG als Leiter Personal angestellt. Auf seinen Antrag vom 8. März 2016 hat ihn die beklagte Rechtsanwaltskammer mit Bescheid vom 19. August 2016 als Syndikusrechtsanwalt zugelassen. Den Widerspruch der D. gegen die Zulassung hat sie mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 zurückgewiesen. Auf deren Klage hat der Anwaltsgerichtshof den Zulassungsbescheid aufgehoben. Die Anforderungen des § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO , die kumulativ vorliegen müssten, seien jedenfalls im Hinblick auf die dortige Nr. 4 nicht erfüllt. Der Beigeladene verfüge nämlich nicht über die erforderliche Befugnis, für seinen Arbeitgeber nach außen verantwortlich aufzutreten. Insoweit sei im Außenverhältnis eine Einzelvertretungsbefugnis notwendig. Es gebe indessen keinen Tätigkeitsbereich, in welchem der Beigeladene ohne Rücksprache mit anderen und "ohne Wenn und Aber" für seinen Arbeitgeber verbindlich hätte entscheiden können. Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit Senatsbeschluss vom 4. März 2019 zugelassene Berufung des Beigeladenen.

Er beantragt,

das Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und beanstandet weiterhin sowohl das Fehlen der Befugnis des Beigeladenen, nach außen verantwortlich aufzutreten, als auch die mangelnde anwaltliche Prägung seines Arbeitsverhältnisses.

Ergänzend wird auf die Protokolle und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beigeladenen ist gemäß § 112e Satz 1 BRAO i.V.m. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 63 Nr. 3 VwGO zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat den Beigeladenen zu Recht als Syndikusrechtsanwalt zugelassen. Die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 46a Abs. 1 Satz 1 BRAO ) einschließlich der Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten (§ 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 , § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO ), liegen vor.

I.

Die Tätigkeit des Beigeladenen entspricht den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO (i.V.m. § 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BRAO ).

1. Die nach § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO erforderliche Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten, liegt vor. Hierfür ist weder Alleinvertretungsbefugnis noch auch nur Gesamtvertretungsbefugnis des Syndikusrechtsanwalts im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit für seinen Arbeitgeber notwendig.

a) Dass zur Erfüllung des Tatbestands des § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO das Vorliegen von Alleinvertretungsbefugnis nicht zu fordern ist, hat der Senat unter ausführlicher Analyse der Entstehungsgeschichte der genannten Vorschrift entschieden (Urteil vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 25/18, NJW 2019, 927 Rn. 12 ff. mwN; vgl. auch Beschlüsse vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 29/17, NJW-RR 2019, 440 Rn. 5 und vom 27. Februar 2019 - AnwZ (Brfg) 36/17, NJW-RR 2019, 693 Rn. 11).

b) Aber auch Gesamtvertretungsbefugnis ist - was der Senat in der vorgenannten Entscheidung (Urteil vom 14. Januar 2019, aaO Rn. 19) noch offenlassen konnte - zur Erfüllung des gesetzlichen Merkmals nicht ausnahmslos erforderlich. Denn die Befugnis, nach außen verantwortlich aufzutreten, kann sich im Einzelfall auch aus der selbständigen Führung von Verhandlungen oder der Wahrnehmung vergleichbarer Tätigkeiten ergeben.

aa) Der Wortlaut des § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO bedingt das Vorliegen von Gesamtvertretungsbefugnis nicht. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm lässt sich ein entsprechendes Erfordernis ebenfalls nicht ableiten (vgl. Urteil vom 14. Januar 2019, aaO Rn. 14 ff. mwN).

bb) Hinzu kommt, dass das von der D. zu § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI entwickelte Merkblatt "Hinweise für nichtanwaltliche Arbeitgeber zu den Merkmalen einer anwaltlichen Tätigkeit" insoweit zu dem Begriff "Rechtsentscheidung" folgende Erläuterung enthält: "Das außenwirksame Auftreten als rechtskundiger Entscheidungsträger verbunden mit einer von Arbeitgeberseite umschriebenen eigenen Entscheidungskompetenz. Neben einer von allen Weisungen unabhängigen Alleinentscheidungsbefugnis ist auch eine wesentliche Teilhabe an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen ausreichend" (vgl. auch BT-Drucks. 18/5201 S. 16). Wesentliche Teilhabe an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen kann zufolge vorstehender Definition mithin auch ohne das Bestehen förmlicher Vertretungsbefugnisse im Außenverhältnis ausgeübt werden. Von Wesentlichkeit in diesem Sinne wird jedenfalls dann auszugehen sein, wenn die zu beurteilende Person bei den Verhandlungen zusammen mit der Geschäftsführung auftritt (vgl. Junker/Scharnke, BB 2016, 195 , 199; weitergehend wird sogar das Führen jedweder Vertragsverhandlungen für den Arbeitgeber als ausreichend bezeichnet von: Henssler/Deckenbrock, DB 2016, 215 , 217; Schuster, AnwBl 2016, 121 , 122; dieselbe in Kilger/Offermann-Burckart/Schafhausen/Schuster, Das neue Syndikusrecht 2016, § 5 Rn. 56).

cc) Nach Auffassung des Senats ausschlaggebend ist der Vergleich des im Einzelfall ohne förmliche Vertretungsbefugnis tätigen Syndikusrechtsanwalts mit einem externen Rechtsanwalt, der mit der Führung außergerichtlicher Verhandlungen beauftragt wird. Letzterer wird regelmäßig seine Verhandlungsergebnisse vor Abschluss verbindlicher Vereinbarungen dem Auftraggeber vorstellen und sich dessen Zustimmung versichern. Ob im Anschluss hieran der Auftraggeber selbst oder aber der beauftragte externe Rechtsanwalt für diesen als Vertreter die ausgehandelte Vereinbarung verbindlich abschließt, kann die Bewertung der Tätigkeit des externen Rechtsanwalts bei der vorherigen Aushandlung des Entscheidungsvorschlags rückwirkend nicht mehr beeinflussen. Bei der Bewertung einer gleichartigen Tätigkeit eines bei dem Auftraggeber angestellten Syndikusrechtsanwalts verhält es sich im Ergebnis nicht anders (vgl. Schuster AnwBl. 2016, 121 , 122; dieselbe in Kilger/Offermann-Burckart/Schafhausen/Schuster, Das neue Syndikusrecht 2016, § 5 Rn. 56).

dd) Dass der Beigeladene - unabhängig von der Frage fehlender Vertretungsbefugnis - innerhalb des Unternehmens seiner Arbeitgeberin wesentliche Teilhabe an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen genoss bzw. mit der selbständigen Führung von Verhandlungen sowie gleichartigen Tätigkeiten betraut war, ergibt sich zum einen aus der Tätigkeitsbeschreibung vom 5. Juli 2016 (Personalakte S. 136 ff.), wonach die Tätigkeit des Beigeladenen die Vertretung der Unternehmensinteressen bei außergerichtlichen und gerichtlichen Verhandlungen im Rahmen eines abgestimmten Entscheidungsprozesses umfasste, da sowohl juristische als auch betriebswirtschaftliche und ökonomische Interessen betroffen sein könnten. Dies galt ebenso für den Abschluss von internen Betriebsvereinbarungen sowie bei externen Vereinbarungen mit Verbänden, Tarifpartnern oder der Industrie- und Handelskammer. Auch im Hinblick auf den aufgeführten Abschluss von Betriebsvereinbarungen handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin um Vertretung des Arbeitgebers Dritten gegenüber, verleiht doch das kollektive Arbeitsrecht (§§ 74 ff. BetrVG ) dem Betriebsrat eigene organschaftliche Rechte und Zuständigkeiten. Zum anderen hat der Beigeladene im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof am 28. Juli 2017 nachvollziehbar und plausibel dargelegt, dass er unter anderem im Jahre 2015 umfangreiche Verhandlungen über den Abschluss eines Sanierungstarifvertrages mit der I. "maßgeblich" geführt habe; hinsichtlich der Einführung eines Haustarifvertrages sei er an den Verhandlungen mit der I. und dem unterstützenden Arbeitgeberverband "federführend" beteiligt gewesen. Bei solchen Verhandlungen sei er Teil einer "Verhandlungskommission" gewesen, der regelmäßig auch Mitglieder der Geschäftsführung der Arbeitgeberin angehört hätten. Bei dieser Sachlage bestehen nach Auffassung des Senats keine Zweifel daran, in der Person des Beigeladenen von wesentlicher Teilhabe an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen auszugehen.

2. Das Arbeitsverhältnis des Beigeladenen ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO bezeichneten Tätigkeiten geprägt.

a) Entscheidend für die Annahme einer Prägung im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO ist, dass die anwaltliche Tätigkeit den Kern beziehungsweise Schwerpunkt der Tätigkeit darstellt, mithin das Arbeitsverhältnis durch die anwaltliche Tätigkeit beherrscht wird (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 12. März und 18. April 2018 - AnwZ (Brfg) 21/17 und 20/17, jeweils juris Rn. 5; Urteile vom 2. Juli 2018 - AnwZ (Brfg) 49/17, NJW 2018, 3100 Rn. 34; vom 15. Oktober 2018 - AnwZ (Brfg) 20/18, NJW 2018, 3701 Rn. 62, 79 und vom 14. Januar 2019, aaO Rn. 26; siehe auch BT-Drucks. 18/5201, S. 19, 29). Hierbei hat der Senat bisher die umstrittene (siehe die Nachweise im Urteil vom 15. Oktober 2018, aaO Rn. 81) Frage offengelassen, ob es für die Annahme einer solchen Prägung ausreicht, wenn der Arbeitnehmer die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO genannten Tätigkeiten zu mehr als 50 % seiner für den Arbeitgeber insgesamt geleisteten Arbeitszeit ausübt, d.h. die anwaltliche Tätigkeit die nicht-anwaltliche Tätigkeit - wenn auch nur minimal - übersteigt. Einen prozentualen Anteil von "mindestens 60 %, zeitweise eher 70 %", hat er allerdings für ausreichend angesehen (vgl. Senat, Urteil vom 14. Januar 2019, aaO Rn. 27; Beschluss vom 27. Februar 2019, aaO Rn. 8; Beschluss vom 16. Mai 2019 - AnwZ (Brfg) 35/17, juris Rn. 9).

b) Nach den nachvollziehbaren Angaben des Beigeladenen betrug der Anteil seiner anwaltlichen Tätigkeit 65 %. Zwar sind Schätzungen immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. Die diesbezügliche Einschätzung des Beigeladenen erscheint aber vor dem Hintergrund des Inhalts der - auch seitens der Arbeitgeberin des Beigeladenen unterschriebenen und damit als zutreffend bestätigten - Tätigkeitsbeschreibung vom 5. Juli 2016 (Personalakte S. 136 ff.) plausibel, zumal der Beigeladene den im Verhältnis zur Größe der Belegschaft vergleichsweise geringen Anteil an personalverwaltenden Tätigkeiten - wie etwa der fortlaufenden Lohn- und Gehaltsabrechnung - bereits im Rahmen seiner vorprozessualen Stellungnahme gegenüber der Beklagten vom 18. November 2016 (Personalakte S. 160 f.) nachvollziehbar damit erklärt hatte, dass ihm in Bezug auf diesen Arbeitsbereich lediglich die Aufgabe zukam, die Sachbearbeitung anderer Mitarbeiter zu beaufsichtigen.

c) Soweit die Klägerin sich darauf beruft, bei der Prüfung und Vermittlung von geschlossenen Betriebsvereinbarungen/Verträgen gegenüber Leitungsgremien, aber auch Mitarbeiter- und Betriebsversammlungen, die ausweislich der Tätigkeitsbeschreibung vom 5. Juli 2016 (Personalakte S. 136 ff.) mit einem Umfang von 20 % der Arbeitskraft des Beigeladenen bewertet worden sei, handele es sich nicht um anwaltliche Tätigkeit, sondern um allgemein abstrakte Vortragstätigkeit, kann dem nicht gefolgt werden. Jedenfalls die - hier in Rede stehende - Darstellung und Vermittlung den Betrieb der Arbeitgeberin bzw. deren Belegschaft konkret betreffender Problemkreise und Entwicklungen erfolgte auf Anforderung und im Interesse der Arbeitgeberin des Beigeladenen und geht über eine bloße Vortragstätigkeit ohne Bezug zu den rechtlichen Belangen des Arbeitgebers hinaus.

d) Ein Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit liegt am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ist das Arbeitsverhältnis des Beigeladenen im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO anwaltlich geprägt und daher insgesamt eine anwaltliche Tätigkeit im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 1 BRAO gegeben. Soweit die Klägerin unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/5201 S. 19) darauf verweist, dass bei der Frage der Prägung nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte eine Rolle spielen, ergibt sich hieraus keine abweichende Beurteilung. Anwaltliche Tätigkeit stellt grundsätzlich keine geringwertige Tätigkeit dar. Ist das Arbeitsverhältnis bereits quantitativ von der anwaltlichen Tätigkeit geprägt, kann für die qualitative Prägung regelmäßig keine andere Beurteilung gelten (vgl. Senat, Urteil vom 14. Januar 2019, aaO Rn. 32).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 1 , 162 Abs. 3 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 BRAO .

Verkündet am: 30. September 2019

Vorinstanz: AnwGH Baden-Württemberg, vom 02.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen AGH 17/16 (I)
Fundstellen
AnwBl 2020, 42
BB 2019, 2817
DB 2019, 2624
MDR 2020, 63
NJW 2019, 3649
NZG 2020, 239
WM 2020, 570
ZIP 2019, 2414