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BGH - Entscheidung vom 21.05.2019

II ZB 4/18

Normen:
ZPO § 139
ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 233 S. 1

BGH, Beschluss vom 21.05.2019 - Aktenzeichen II ZB 4/18

DRsp Nr. 2019/10441

Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist; Vorliegen von unzureichenden Vorkehrungen zur Fristwahrung des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten

Die Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts in der Rechtsmittelschrift oder in der Rechtsmittelbegründung darf der Rechtsanwalt auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal nicht eigenverantwortlich überlassen. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss den Schriftsatz deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 5. März 2018 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 60.000 €

Normenkette:

ZPO § 139 ; ZPO § 574 Abs. 2 ; ZPO § 233 S. 1;

Gründe

I. Die Beklagte begehrt Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.

Der Beklagten und ihrer Nebenintervenientin wurde das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts München I am 27. Oktober 2017 zugestellt. Beide legten Berufung ein. Die Beklagte hat die Berufung am 27. Dezember 2017 mit an das Landgericht München I adressiertem und um 18:04 Uhr beim Landgericht München I per Telefax eingegangenem Schriftsatz begründet. Der Vorsitzende der 5. Handelskammer des Landgerichts München I verfügte am 28. Dezember 2017 die Weiterleitung des Berufungsbegründungsschriftsatzes an das Oberlandesgericht München, wo dieser am 29. Dezember 2017 einging. Mit Verfügung vom 6. Februar 2018 wies der Senatsvorsitzende die Beklagte auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung hin.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Beklagte im Wesentlichen ausgeführt: Der Berufungsbegründungsschriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 27. Dezember 2017 sei fälschlich an das Landgericht München I adressiert worden. Dem Prozessbevollmächtigten sei dies bei Durchsicht des Schriftsatzes aufgefallen. Er habe den Schriftsatz unterzeichnet und direkt im Anschluss daran der damit befassten Rechtsanwaltsfachangestellten die ausdrückliche Anweisung erteilt, als Adressat anstelle des Landgerichts München I, das Oberlandesgericht München mit der dortigen Adresse und dem aus der Berufungsschrift bekannten Aktenzeichen in die Berufungsbegründung einzutragen und diese noch am selben Tag im Original und vorab per Telefax an das Oberlandesgericht München zu versenden. Der Beklagtenvertreter habe sich den bereits von ihm unterschriebenen Schriftsatz vor Auslauf nicht noch einmal vorlegen lassen, da er auf die ordnungsgemäße Erledigung der Korrekturanweisung durch die ihm als absolut zuverlässig bekannte Rechtsanwaltsfachangestellte vertraut habe. Tatsächlich sei zwar der Berufungsbegründungsschriftsatz noch am selben Tag versandt worden, die angeordneten Korrekturen seien jedoch unterblieben. Ein solches Versehen der ansonsten absolut zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten sei bis dahin in der Kanzlei des Beklagtenvertreters nicht vorgekommen.

Mit Beschluss vom 5. März 2018 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufungen der Beklagten und der Nebenintervenientin als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig. Es fehlt an dem nach § 574 Abs. 2 ZPO erforderlichen Zulassungsgrund.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten sei zurückzuweisen, da die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO gewesen sei. Die Beklagte müsse sich hierbei das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelschrift dürfe der Rechtsanwalt zwar einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen müsse. Werde die Anweisung nur mündlich erteilt, müssten allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung in Vergessenheit gerate. Solche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen habe die Beklagte mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch jedoch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Ihre Ausführungen beschränkten sich darauf, dass die mit der Sache befasste Rechtsanwaltsfachangestellte vom Beklagtenvertreter mit der Korrektur der fehlerhaften Adressierung beauftragt worden sei. Nach diesem Sachvortrag könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Weisung nur mündlich erteilt worden sei und damit die Absicherung ihrer Ausführung zusätzlicher Vorkehrungen bedurft habe. Im Übrigen seien zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen schon deshalb erforderlich gewesen, da der Bundesgerichtshof nach den oben aufgeführten Grundsätzen nur eine Anweisung, die Erledigung sofort vorzunehmen, genügen lasse, der Beklagtenvertreter nach dem Sachvortrag der Beklagten jedoch die Rechtsanwaltsfachangestellte nur angewiesen habe, den Auftrag "noch am selben Tag" auszuführen.

Die Berufung der Nebenintervenientin sei unzulässig, da eine Berufungsbegründung entgegen § 520 Abs. 1 ZPO überhaupt nicht erfolgt sei.

2. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ) erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN). Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt und die Berufung der Beklagten zutreffend als unzulässig verworfen.

a) Die Beklagte hat die Frist zur Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist begann gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des Urteils des Landgerichts am 27. Oktober 2017. Sie ist gemäß § 222 Abs. 1 und 2 ZPO , § 188 Abs. 2 BGB am 27. Dezember 2017 abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist keine Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen.

b) Den wirksam gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist hat das Berufungsgericht zu Recht zurückgewiesen. Die Wiedereinsetzung setzt nach § 233 Satz 1 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil nicht auszuschließen ist, dass an der Fristversäumung ein Verschulden des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten ursächlich mitgewirkt hat; dieses muss sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

aa) Die Prüfung der notwendigen Formalien für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist Aufgabe des Rechtsmittelführers. Ihm obliegt es deswegen auch, dafür Sorge zu tragen, dass das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht und rechtzeitig begründet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 9 mwN). Entgegen diesen Anforderungen hat der Klägervertreter die Berufungsbegründung nicht an das zuständige Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht gesandt, weshalb es verspätet bei dem zuständigen Oberlandesgericht eingegangen ist.

bb) Ein Rechtsanwalt darf allerdings grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Deshalb ist er im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 10; Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 11; jeweils mwN). Die Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts in der Rechtsmittelschrift oder in der Rechtsmittelbegründung darf der Rechtsanwalt auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal nicht eigenverantwortlich überlassen. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss den Schriftsatz deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 11; Beschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 12; Beschluss vom 25. April 2017 - VI ZB 45/16, NJW-RR 2017, 956 Rn. 6). Hierbei ist es zulässig, dass der Rechtsanwalt seine Angestellte anweist, die von ihm bei der Kontrolle erkannte falsche Bezeichnung des Berufungsgerichts zu korrigieren und er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet. Er muss die Ausführung seiner Weisung auch in diesem Fall grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 9 f.; Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 13; Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 11; Beschluss vom 25. April 2017 - VI ZB 45/16, NJW-RR 2017, 956 Rn. 6). Wird die Anweisung nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung in Vergessenheit gerät (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12; Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 11; jeweils mwN). Dafür genügt die klare und präzise Anweisung, die Erledigung sofort vorzunehmen, insbesondere wenn zudem eine weitere allgemeine Büroanweisung bestand, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen auszuführen. Die Gefahr, dass eine solche sofort auszuführende Weisung sogleich vergessen oder aus sonstigen Gründen nicht befolgt wird, macht eine nachträgliche Kontrolle ihrer Ausführung dann nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 13; jeweils mwN). Der Rechtsanwalt muss dagegen, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Anweisung anordnet, durch allgemeine Weisung oder besonderen Auftrag Vorkehrungen gegen das Vergessen treffen (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2016 - VII ZB 36/15, NJW 2016, 1740 Rn. 12).

cc) Die Beklagte hat mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch ein pflichtgemäßes Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Ihrem Vorbringen, ihr Prozessbevollmächtigter habe den Schriftsatz unterzeichnet und direkt im Anschluss daran der damit befassten Rechtsanwaltsfachangestellten die ausdrückliche Anweisung erteilt, als Adressat anstelle des Landgerichts München I das Oberlandesgericht München mit der dortigen Adresse und dem aus der Berufungsschrift bekannten Aktenzeichen in die Berufungsbegründung einzutragen und diese noch am selben Tag im Original und vorab per Telefax an das Oberlandesgericht München zu versenden, lässt sich nicht entnehmen, dass die lediglich mündliche Anweisung darauf gerichtet war, die Adresskorrektur sofort vorzunehmen, damit die Erledigung nicht in Vergessenheit gerät. Ein solcher Vortrag lässt sich auch nicht dem Zusammenhang der Ausführungen entnehmen, nach denen der Prozessbevollmächtigte der Beklagten "direkt im Anschluss" an die Unterzeichnung seiner Rechtsanwaltsfachangestellten "die ausdrückliche Anweisung" erteilt habe. Ersichtlich handelt es sich hierbei um eine Schilderung der zeitlichen Reihenfolge der Handlungen des Prozessbevollmächtigten und es versteht sich, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde, nicht von selbst, dass, wenn eine derart wichtige Einzelweisung direkt im Anschluss an die Unterzeichnung eines Schriftsatzes erteilt werde, diese vor den weiteren Aufgaben des Sekretariats sofort umzusetzen sei. Ein bewusstes oder unbewusstes Missverständnis des Vorbringens der Beklagten durch das Berufungsgericht liegt nicht vor.

dd) Eines Hinweises an die anwaltlich vertretene Beklagte nach § 139 ZPO durch das Berufungsgericht darauf, ihrem Vorbringen könne nicht entnommen werden, die mündliche Anweisung ihres Prozessbevollmächtigten sei darauf gerichtet gewesen, die Adresskorrektur sofort vorzunehmen, bedurfte es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht. Ein Nachschieben von Vortrag mit der Rechtsbeschwerde ist daher ausgeschlossen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2018 - II ZB 24/17, juris Rn. 16 mwN).

ee) Die unzureichenden Vorkehrungen zur Fristwahrung des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten waren kausal für das Fristversäumnis, welches bei im Übrigen ordnungsgemäßem Verlauf vermieden worden wäre.

3. Soweit die Beklagte rügt, für eine gesonderte Verwerfung der Berufung der Nebenintervenientin sei von vornherein kein Raum gewesen, weil es sich um ein einheitliches Rechtsmittel gehandelt habe, ist sie nicht beschwert. Unabhängig davon gilt der Grundsatz, dass es sich auch bei eigenständiger Rechtsmitteleinlegung durch Hauptpartei und Streithelfer nur um ein einheitliches Rechtsmittel handelt, nicht bei der streitgenössischen Nebenintervention nach § 69 ZPO , bei der der Streithelfer unabhängig und selbst in Widerspruch zur Hauptpartei Rechtsmittel einlegen kann (BGH, Urteil vom 30. April 2001 - II ZR 328/00, ZIP 2001, 1734 , 1735 mwN; Beschluss vom 31. März 2008 - II ZB 4/07, ZIP 2008, 942 Rn. 8). Die Nebenintervenientin ist als Aktionärin der Beklagten durch ihren Beitritt in dem Anfechtungsrechtsstreit gegen die Beklagte nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im Hinblick auf die aus § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG ableitbare Rechtskrafterstreckung und Gestaltungswirkung eines stattgebenden Anfechtungsurteils als streitgenössische Nebenintervenientin im Sinne der §§ 66 , 69 ZPO anzusehen (BGH, Beschluss vom 23. April 2007 - II ZB 29/05, BGHZ 172, 136 Rn. 9 mwN).

Vorinstanz: LG München I, vom 14.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 5 HKO 14604/16
Vorinstanz: OLG München, vom 05.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 3442/17