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BGH - Entscheidung vom 08.05.2019

XII ZB 560/16

Normen:
ZPO § 727
SGB II § 33 Abs. 2
SGB XII § 94 Abs. 3
ZPO § 727
SGB II § 33 Abs. 2
SGB XII § 94 Abs. 3
FamFG § 120 Abs. 1
ZPO § 727
SGB II § 33 Abs. 2 S. 3

Fundstellen:
FamRB 2019, 294
FamRZ 2019, 1169
FuR 2019, 459
MDR 2019, 827
NJW 2019, 3787
NJW-RR 2019, 963

BGH, Beschluss vom 08.05.2019 - Aktenzeichen XII ZB 560/16

DRsp Nr. 2019/7933

Anspruch des Jobcenters auf Erteilung einer vollstreckbaren Teilausfertigung für einen Unterhaltsbeschluss; Vereinfachtes Verfahren der Umschreibung eines Unterhaltstitels auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende; Versicherung des Leistungsträgers über dessen fehlende Kenntnis von den Voraussetzungen für eine bestehende oder drohende sozialrechtliche Hilfebedürftigkeit des Unterhaltsschuldners

Im vereinfachten Verfahren der Umschreibung eines Unterhaltstitels auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 120 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 727 ZPO muss die Beachtung der Schuldnerschutzvorschrift des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden; es genügt die Versicherung des Leistungsträgers, von den Voraussetzungen für eine bestehende oder drohende sozialrechtliche Hilfebedürftigkeit des Unterhaltsschuldners keine Kenntnis zu haben.

Tenor

Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten werden die Beschlüsse des 20. Familiensenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. November 2016 und des Amtsgerichts - Familiengericht - Dresden vom 3. März 2016 (Teilzurückweisung des Antrags auf Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel) aufgehoben.

Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts wird angewiesen, über den Antrag des weiteren Beteiligten auf Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel in Höhe eines Teilbetrags von 958,66 € unter Beachtung der Rechtsauffassung des Rechtsbeschwerdegerichts erneut zu entscheiden.

Die Rechtsmittelverfahren sind gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Wert: bis 1.000 €

Normenkette:

FamFG § 120 Abs. 1 ; ZPO § 727 ; SGB II § 33 Abs. 2 S. 3;

Gründe

A.

Der weitere Beteiligte (im Folgenden: Jobcenter) begehrt als Rechtsnachfolger des Antragstellers die Erteilung einer vollstreckbaren Teilausfertigung für einen Unterhaltsbeschluss.

Der Antragsteller ist der Sohn des Antragsgegners. Der Antragsgegner ist mit Beschluss vom 17. Juni 2009 im vereinfachten Unterhaltsfestsetzungsverfahren dazu verpflichtet worden, an den Antragsteller ab Januar 2009 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen gesetzlichen Kindergelds für ein zweites Kind zu zahlen.

Das Jobcenter hat beantragt, ihm eine vollstreckbare Teilausfertigung des Beschlusses über insgesamt 3.674 € für den Zeitraum von November 2013 bis September 2014 zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass seine Leistungsträger (Bundesagentur für Arbeit, Landeshauptstadt Dresden) in dem genannten Zeitraum Leistungen an den Antragsteller und an die aus dem Antragsteller und seiner Mutter bestehende Haushaltsgemeinschaft erbracht hätten, die zusammen den vom Antragsgegner geschuldeten Kindesunterhalt überstiegen. Der Unterhaltsanspruch des Antragstellers sei in Höhe von 2.715,34 € nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II und in Höhe von weiteren 958,66 € nach § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf das Jobcenter übergegangen.

Das Familiengericht hat die begehrte vollstreckbare Teilausfertigung nur in Höhe von 2.715,34 € erteilt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Die gegen die Zurückweisung gerichtete Beschwerde des Jobcenters blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt das Jobcenter weiterhin das Ziel der Erteilung einer vollstreckbaren Teilausfertigung auch hinsichtlich des Restbetrages von 958,66 €.

B.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

I.

Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2017, 740 veröffentlichten Entscheidung das Folgende ausgeführt:

Zwar habe das Jobcenter spätestens im Beschwerdeverfahren mit öffentlich beglaubigten Urkunden den vom Amtsgericht vermissten Nachweis erbracht, dass die für den Anspruchsübergang in Höhe der restlichen 958,66 € erforderlichen Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorliegen. Darauf komme es aber nicht an, weil dem Jobcenter insgesamt keine vollstreckbare Teilausfertigung des Unterhaltsbeschlusses hätte erteilt werden dürfen. Denn es fehle an einem urkundlichen Nachweis der Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II , wonach der Unterhaltsanspruch nur übergehe, soweit das Einkommen und Vermögen der unterhaltsverpflichteten Person das nach den §§ 11 und 12 SGB II zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen übersteige. Auch diese Voraussetzungen für den Anspruchsübergang seien durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen, wenn eine vollstreckbare Ausfertigung gemäß § 727 ZPO erteilt werden soll. Es genüge nicht, wenn der zuständige Sozialleistungsträger versichere, von den Verhältnissen des Unterhaltsschuldners keine Kenntnis zu haben, weil ein solches Verständnis dem klaren Gesetzeswortlaut widerspreche. Bei § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II handele es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung für den Forderungsübergang und nicht etwa um eine außerhalb des Tatbestands liegende rechtsvernichtende Einwendung. Hinzu komme, dass den Sozialleistungsträger hinsichtlich dieser Voraussetzung - anders als bei § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII - auch die Beweislast treffe. Die Tatsache, dass die Umschreibung eines Unterhaltstitels auf das Jobcenter wegen eines Anspruchsübergangs gemäß § 33 Abs. 2 SGB II im vereinfachten Verfahren nach § 727 ZPO damit im Ergebnis kaum möglich sei, stehe dem nicht entgegen. Der Sozialleistungsträger sei darauf zu verweisen, ein Streitverfahren gemäß § 731 ZPO einzuleiten.

II.

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Nach § 120 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 727 ZPO kann eine vollstreckbare Ausfertigung für den Rechtsnachfolger des in der Entscheidung bezeichneten Gläubigers erteilt werden, sofern die Rechtsnachfolge bei dem Gericht offenkundig ist oder durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen wird. Ist dem Rechtsnachfolger des Gläubigers ein solcher urkundlicher Nachweis nicht möglich, kann er die Vollstreckungsklausel nicht im vereinfachten Verfahren nach § 727 ZPO , sondern nur in einem Erkenntnisverfahren nach § 120 FamFG i.V.m. § 731 ZPO erlangen (vgl. BGHZ 190, 172 = NJW 2011, 2803 Rn. 26). Was in einem vereinfachten Klauselerteilungsverfahren durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen ist, bestimmt sich bei behaupteter Rechtsnachfolge auf der Gläubigerseite danach, was der angebliche Gläubiger gegen den Schuldner in einem streitigen Verfahren zur Rechtsnachfolge zu behaupten und zu beweisen hätte (vgl. MünchKommZPO/Wolfsteiner 5. Aufl. § 727 Rn. 52; Stein/Jonas/Münzberg ZPO 22. Aufl. Rn. 42; BeckOK ZPO/Ulrici [Stand: Dezember 2018] § 727 Rn. 23). Keines urkundlichen Nachweises bedürfen demgegenüber jene die Rechtsnachfolge hindernden oder vernichtenden Tatsachen, die im Streitfall der Schuldner zu beweisen hätte.

2. Ein gesetzlicher Forderungsübergang tritt bei Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Unterhaltsberechtigten unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 SGB II ein. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II geht der Anspruch gegen einen Anderen bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf die Träger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über, wenn bei rechtzeitiger Leistung des Anderen diese Leistungen nicht erbracht worden wären. Darüber hinaus gehen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB II Ansprüche gegen einen Anderen auch dann über, wenn und soweit wegen der Berücksichtigung von Kindergeld Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht unmittelbar an ein Kind, dafür aber an andere Mitglieder seiner Haushaltsgemeinschaft erbracht wurden, die bei rechtzeitiger Leistung des Anderen nicht erbracht worden wären (sog. Kindergeldüberhang). Mit diesem "atypischen" Anspruchsübergang wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das gezahlte Kindergeld bei rechtzeitiger Unterhaltszahlung nicht mehr vollständig für die Bedarfsdeckung des Kindes benötigt worden wäre, so dass es zumindest teilweise zur Deckung des Bedarfs anderer Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft hätte herangezogen werden können (vgl. Senatsurteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 22/10 - FamRZ 2012, 956 Rn. 28).

Das Beschwerdegericht geht mit Recht davon aus, dass das Jobcenter unter den hier obwaltenden Umständen jedenfalls im Beschwerdeverfahren auch die besonderen Voraussetzungen für einen auf Kindergeldüberhang nach § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB II gestützten Anspruchsübergang durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen hat. Aus der vom Jobcenter vorgelegten öffentlich beglaubigten Urkunde geht hervor, dass einerseits der Gesamtbedarf des minderjährigen Antragstellers in jedem verfahrensgegenständlichen Monat zwischen November 2013 bis September 2014 den Kindesunterhaltsanspruch überstiegen und dass andererseits die Summe aus Kindesunterhalt und Kindergeld in jedem Monat über dem Gesamtbedarf des Antragstellers gelegen hat. Daraus hat das Beschwerdegericht rechtsbedenkenfrei geschlossen, dass das überschießende Kindergeld bei voller Zahlung des Kindesunterhalts auf den sozialrechtlichen Bedarf der weiteren Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft (hier: der Mutter des Antragstellers) angerechnet worden wäre und dies entsprechend niedrigere Leistungen des Trägers der Grundsicherung zur Folge gehabt hätte. Gegen diese ihr günstige Beurteilung erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.

3. Der Anspruchsübergang ist bei Unterhaltsansprüchen allerdings gemäß § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II ausgeschlossen, wenn und soweit Einkommen und Vermögen der unterhaltsverpflichteten Person das nach §§ 11 bis 12 SGB II zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen nicht übersteigen. Durch diese Vorschrift soll der Unterhaltspflichtige in gleicher Weise wie der Leistungsempfänger geschützt werden. Ihr liegt in verfassungsrechtlicher Hinsicht der Gedanke zugrunde, dass der Unterhaltspflichtige im Hinblick auf Achtung und Schutz seiner Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip durch den Rückgriff des Staates auf die Unterhaltsforderung des Leistungsempfängers nicht selbst zum Empfänger staatlicher Leistungen werden soll (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 198, 305 = FamRZ 2013, 1962 Rn. 12 mwN).

Umstritten ist, ob die Wahrung der schuldnerschützenden Regelungen des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II zu den Voraussetzungen des Anspruchsübergangs auf den Träger der Grundsicherung gehört, die dieser als angeblicher Rechtsnachfolger des Unterhaltsgläubigers urkundlich nachzuweisen hat.

a) Dies wird mit dem Beschwerdegericht von einem Teil des Schrifttums bejaht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes werde der Übergang des Anspruchs von der sozialrechtlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen abhängig gemacht. Es handele sich daher um eine positive Voraussetzung des Anspruchsübergangs, die das Jobcenter als angeblicher Neugläubiger darzulegen und zu beweisen habe (vgl. Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 8 Rn. 260). Nach dieser Ansicht soll der Grundsicherungsträger dazu gehalten sein, im Rahmen einer grundsicherungsrechtlichen Vergleichsberechnung durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen, dass der Unterhaltsschuldner nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sozialrechtlich leistungsfähig ist (vgl. Siede in Ehinger/Rasch/Schwonberg/Siede Handbuch des Unterhaltsrechts 8. Aufl. Kap. 13 Rn. 13.115; Gagel/Stotz SGB II [Stand: Dezember 2018] § 33 Rn. 77; Plagemann FD-SozVR 2016, 384787).

b) Nach der Gegenansicht soll es dem Unterhaltsschuldner obliegen, diejenigen tatsächlichen Umstände darzulegen und beweisen, aus denen er seine fehlende sozialrechtliche Leistungsfähigkeit und damit einen Ausschluss des Anspruchsübergangs nach § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II herleiten will. Für eine Titelumschreibung nach § 727 ZPO genüge daher - entsprechend § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII - eine Versicherung des Grundsicherungsträgers, von einer bestehenden oder drohenden sozialrechtlichen Hilfebedürftigkeit des Unterhaltsschuldners keine Kenntnis zu haben. Ein urkundlicher Nachweis zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Unterhaltsschuldners und die Vorlage einer darauf beruhenden grundsicherungsrechtlichen Vergleichsberechnung könne vom Träger der Grundsicherung nicht verlangt werden (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2008, 290 und FamRZ 2013, 655 ; MünchKommZPO/Wolfsteiner 5. Aufl. Rn. 23, 52; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Giers Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung 3. Aufl. § 727 ZPO Rn. 12; Saenger/Kindl ZPO 7. Aufl. § 727 Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Kroppenberg ZPO 7. Aufl. § 727 Rn. 17; Decker in Oestreicher/Decker SGB II/SGB XII [Stand: September 2009] § 33 SGB II Rn. 59a; Pfohl/Steymans in Adolph SGB II , SGB XII und AsylbLG [Stand: Dezember 2018] § 33 SGB II Rn. 62; DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2013, 401, 402).

c) Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Nur deren Auslegungsverständnis wird der Systematik des Gesetzes, den im Gesetzgebungsverfahren zu Tage getretenen Intentionen des Gesetzgebers und einer teleologischen Interpretation der Norm gerecht.

aa) Soweit sich die Gegenansicht - und mit ihr das Beschwerdegericht - maßgeblich auf den Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II stützt ("geht nicht über, soweit"), ist ihr zwar zuzugeben, dass bei isolierter Betrachtung der Vorschrift der Eindruck entstehen könnte, die Rechtsfolge des Forderungsübergangs solle bereits in ihrer Begründung begrenzt werden. Demgegenüber macht die Rechtsbeschwerde aber zu Recht geltend, dass eine allein am Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II orientierte Auslegung die Systematik der Gesamtvorschrift unberücksichtigt lasse. Denn der Forderungsübergang wird bereits durch den allgemeinen Tatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausgesprochen. Für den Übergang von Ansprüchen auf Unterhalt nach bürgerlichem Recht enthält § 33 Abs. 2 SGB II Einschränkungen von dieser Regel, die in den ersten beiden Sätzen ausdrücklich als Ausschlusstatbestände zu § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II formuliert sind. Dass dies im dritten Satz nicht mit der gleichen sprachlichen Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen ist, mag daran liegen, dass der Ausschluss im dritten Satz des § 33 Abs. 2 SGB II auf der Rechtsfolgenseite über die Höhe des übergehenden Teils des Anspruchs gegen den Dritten bewirkt wird, während die ersten beiden Sätze den Übergang in Gänze ausschließen (vgl. Fügemann in Hauck/Noftz SGB II [Stand: Januar 2017] § 33 Rn. 108). Gleichwohl liegt es in systematischer Hinsicht nahe, auch den dritten Satz des § 33 Abs. 2 SGB II - ebenso wie die beiden ersten Sätze - als Ausschlusstatbestand zu verstehen, der die in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II angeordnete Rechtsfolge des Forderungsübergangs ganz oder teilweise wieder vernichtet und dessen tatsächliche Voraussetzungen daher nach den allgemeinen Regeln von demjenigen darzulegen und zu beweisen sind, der sich auf diese für ihn günstige Ausnahmeregelung berufen will.

bb) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes führt auf die Vorschrift des § 91 BSHG zurück, in der bis zum 31. Dezember 2004 der Übergang von Unterhaltsansprüchen auf den Sozialhilfeträger geregelt war. Bereits bei der Anwendung dieser Vorschrift war es umstritten gewesen, ob der Sozialhilfeträger im Titelumschreibungsverfahren nach § 727 ZPO im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Vergleichsberechnung den urkundlichen Nachweis der gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG erforderlichen sozialhilferechtlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners erbringen musste (so OLG Karlsruhe OLGR 2000, 219; OLG Stuttgart FamRZ 2001, 838 ) oder ob die Nichtbeachtung der sozialhilferechtlichen Schuldnerschutzvorschriften von dem Unterhaltsschuldner mit einer Klage gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel nach § 768 ZPO geltend gemacht werden musste (so OLG Köln MDR 1997, 369 ; OLG Zweibrücken FamRZ 1997, 1092 ; Künkel FamRZ 1994, 540 , 549).

(1) Dieser Meinungsstreit zum früheren § 91 BSHG hatte sich zunächst erledigt, als der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2005 das Sozialrecht in weiten Teilen reformiert und dabei die früheren nach Bundessozialhilfegesetz erbrachten Leistungen teilweise der Grundsicherung für Arbeitsuchende und teilweise der Sozialhilfe zugeordnet hatte.

Der Übergang von Unterhaltsansprüchen im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende war in der ursprünglichen Fassung des Reformgesetzes als Überleitungsvorschrift ausgestaltet gewesen. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB II aF durfte der Übergang zwar nur bei sozialrechtlicher Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners bewirkt werden. Aber selbst wenn der Grundsicherungsträger den Unterhaltsanspruch ohne nähere Ermittlungen zu § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB II aF auf sich überleitete, oblag es in jedem Fall dem Unterhaltsschuldner, durch einen Rechtsbehelf gegen diesen Verwaltungsakt die materiellen Voraussetzungen für den Anspruchsübergang - und damit insbesondere die Einhaltung der Schuldnerschutzvorschriften - in einem sozialgerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen (vgl. dazu Klinkhammer FamRZ 2004, 1909 , 1915 f.). Versäumte der Unterhaltsschuldner dies, wurde die von dem Träger der Grundsicherung verfügte Anspruchsüberleitung bestandskräftig, so dass wegen der dadurch erzeugten Bindungswirkung in einem anschließenden Titelumschreibungsverfahren nach § 727 ZPO kein Raum für einen Streit um die sozialrechtliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners mehr bestehen konnte (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2005, 190, 191).

Demgegenüber sah die Regelung zur Sozialhilfe in § 94 Abs. 1 SGB XII von Anfang an einen gesetzlichen Forderungsübergang für Unterhaltsansprüche vor. Der Anspruchsübergang findet gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII nicht statt, wenn und soweit der Unterhaltspflichtige selbst sozialrechtlich bedürftig ist oder es durch die Unterhaltszahlung würde. Nach § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII hat der Sozialhilfeträger diese Einschränkung von sich aus aber nur dann zu berücksichtigen, wenn er von ihren Voraussetzungen durch vorgelegte Nachweise oder auf andere Weise Kenntnis hat. Mit dieser Entlastung des Sozialhilfeträgers von seinen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen bezogenen Ermittlungspflichten bezweckte der Gesetzgeber ausweislich der Entwurfsbegründung, das Verwaltungsverfahren beim Rückgriff auf den Unterhaltspflichtigen durch den weitgehenden Wegfall der "bisherigen Doppelberechnungen" deutlich zu vereinfachen (BT-Drucks. 15/1514 S. 66 f. zu § 89 SGB XII -E). Dass hiernach der Unterhaltsschuldner im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens die tatsächlichen Voraussetzungen für eine bestehende oder eine durch Unterhaltszahlungen drohende sozialrechtliche Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII darzulegen und zu beweisen hat, ist im Recht der Sozialhilfe - soweit ersichtlich - unbestritten (vgl. etwa Giere in Grube/Wahrendorf SGB XII 6. Aufl. § 94 Rn. 43; Luthe in Hauck/Noftz SGB XII [Stand: Januar 2018] § 94 Rn. 186).

(2) Bereits kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des Reformgesetzes kehrte der Gesetzgeber auch im Recht der Grundsicherung wieder zum System der Legalzession zurück, weil die Leistungsträger unter der Geltung des zum 1. Januar 2005 etablierten Überleitungssystems weit hinter ihren Rückgriffsmöglichkeiten zurückgeblieben seien (BT-Drucks. 16/1410 S. 26). Um zu erreichen, dass die Leistungsträger die Verpflichteten wieder in dem gesetzlich möglichen Umfang in Anspruch nehmen, wurde § 33 SGB II zum 1. August 2006 vollständig neu gefasst und ist seitdem ebenfalls als gesetzlicher Forderungsübergang ausgestaltet. In der kurz gefassten Begründung des Gesetzentwurfs zu dieser Änderung wird hinsichtlich des Übergangs von Unterhaltsansprüchen vor allem der erstrebte Gleichklang mit der "Parallelvorschrift" des § 94 SGB XII herausgestellt (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 26).

cc) Richtig ist freilich der Hinweis des Beschwerdegerichts darauf, dass die im Jahr 2006 neu gefasste und seither im Wesentlichen unverändert gebliebene Vorschrift des § 33 Abs. 2 SGB II keine dem § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII entsprechende ausdrückliche Regelung für das Verwaltungsverfahren bei der Durchsetzung übergegangener Unterhaltsansprüche enthält. Für eine unterschiedliche Ausgestaltung dieses Verfahrens in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und in der Sozialhilfe ist allerdings kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich.

(1) In diesem Zusammenhang weist die Rechtsbeschwerde mit Recht auf die Besonderheiten der öffentlich-rechtlichen Vergleichsberechnung bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende hin. Lebt der Unterhaltsschuldner mit anderen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft, muss er sein zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen nicht nur zur Deckung seines eigenen sozialrechtlichen Bedarfs (§ 9 Abs. 1 SGB II ) einsetzen, sondern nach Maßgabe von § 9 Abs. 1 und 2 SGB II auch für den Bedarf der Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft verwenden. Reichen Einkommen und Vermögen hierfür nicht aus, gilt gemäß § 9 Abs. 3 SGB II jede Person innerhalb der Bedarfsgemeinschaft als hilfebedürftig, und zwar im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf. Selbst wenn der Unterhaltsschuldner individuell nicht hilfebedürftig ist, weil sein Einkommen den eigenen sozialrechtlichen Bedarf vollständig abdeckt, wird durch § 9 Abs. 3 SGB II seine sozialrechtliche Hilfebedürftigkeit fingiert, wenn sein Einkommen nicht ausreicht, um zusammen mit den sonstigen in der Bedarfsgemeinschaft vorhandenen Einkünften auch den Bedarf der anderen Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft zu decken. Insoweit liegt die Sache anders als bei der Sozialhilfe, die zwar eine gemeinsame Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Einstandsgemeinschaft (§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ) kennt, wo aber derjenige, dessen Einkommen und Vermögen zur Deckung seines individuellen Bedarfs ausreicht, niemals selbst sozialhilfebedürftig werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn mit seinem Einkommen der zusätzliche Bedarf der weiteren Mitglieder seiner Einstandsgemeinschaft nicht gedeckt wird. Aus diesem Grund müssen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende - anders als bei der Sozialhilfe - in die öffentlich-rechtliche Vergleichsberechnung unabhängig vom Bestehen oder vom Rang bürgerlich-rechtlicher Unterhaltspflichten auch die Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft einbezogen werden, in der die unterhaltspflichtige Person lebt (Senatsbeschluss BGHZ 198, 305 = FamRZ 2013, 1962 Rn. 13 ff.).

(2) Sofern von Seiten des Unterhaltsschuldners keine freiwilligen Angaben gemacht werden, stehen dem Grundsicherungsträger keine rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, von Amts wegen die für eine grundsicherungsrechtliche Vergleichsberechnung erforderlichen Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen derjenigen Personen zu ermitteln, die mit dem Unterhaltsschuldner in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenleben. Die den Unterhaltsschuldner treffende öffentlich-rechtliche Auskunftsverpflichtung nach § 60 Abs. 2 SGB II (vgl. dazu aber auch BSG NJW 2017, 590 Rn. 21 ff. zur Unanwendbarkeit von § 60 Abs. 2 SGB II beim Anspruchsübergang wegen Kindergeldüberhangs nach § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB II ) sind ebenso wie die gemäß § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf den Leistungsträger übergehenden unterhaltsrechtlichen Auskunftsansprüche nach § 1605 BGB grundsätzlich nur auf die eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltsschuldners bezogen (vgl. Staudinger/Klinkhammer BGB [2018] § 1605 Rn. 26). Wenn zwischen dem Unterhaltsschuldner und dem mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Partner keine familienrechtlichen Beziehungen bestehen, bestünde für den auf Auskunft in Anspruch genommenen Unterhaltsschuldner auch keine rechtliche Möglichkeit, sich die erforderlichen Informationen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen seines Partners gegen dessen (behauptete) Weigerung zu beschaffen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 465/11 - FamRZ 2012, 24 Rn. 20). Für einen unmittelbar gegen die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft des Unterhaltsschuldners gerichteten Auskunftsanspruch des Unterhaltsberechtigten oder des Grundsicherungsträgers ist eine Rechtsgrundlage ohnehin nicht ersichtlich.

(3) Wenn aber die Grundsicherungsträger mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Möglichkeiten in vielen Fällen von Amts wegen schon nicht in der Lage sind, alle maßgeblichen Tatsachen zu ermitteln, die für die Beurteilung der sozialrechtlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners von Bedeutung sind, ist es erst recht nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber den Leistungsträgern in der Grundsicherung umfassendere Ermittlungspflichten zu den wirtschaftlichen Verhältnissen auf Seiten des Unterhaltsschuldners hätte auferlegen sollen, als es bei den Leistungsträgern in der Sozialhilfe der Fall ist.

d) Würde dem Grundsicherungsträger die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung der Schuldnerschutzvorschrift des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II zugewiesen werden, wäre wegen der eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten des Grundsicherungsträgers eine Titelumschreibung im vereinfachten Verfahren nach § 727 ZPO regelmäßig ausgeschlossen und nur in den Ausnahmefällen zu erreichen, in denen der Unterhaltsschuldner freiwillig alle Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft und deren Einkünfte offenlegen würde. Dies widerspräche sowohl der von dem Gesetzgeber intendierten Vereinfachung und Effizienzsteigerung bei der Durchsetzung übergegangener Unterhaltsansprüche als auch dem angestrebten "Gleichklang" beim Unterhaltsrückgriff nach § 33 SGB II und nach § 94 SGB XII . Es genügt deshalb, wenn der Grundsicherungsträger entsprechend § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII versichert, von den tatsächlichen Voraussetzungen für eine bestehende oder drohende sozialrechtliche Hilfebedürftigkeit des Unterhaltsschuldners keine Kenntnis zu haben, was das Jobcenter nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts getan hat. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist daher aufzuheben und die Rechtspflegerin des Amtsgerichts anzuweisen, über den Antrag des Jobcenters auf Erteilung der vollstreckbaren Teilausfertigung erneut zu entscheiden.

Vorinstanz: AG Dresden, vom 03.03.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 357 FH 21/09
Vorinstanz: OLG Dresden, vom 08.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 20 WF 683/16
Fundstellen
FamRB 2019, 294
FamRZ 2019, 1169
FuR 2019, 459
MDR 2019, 827
NJW 2019, 3787
NJW-RR 2019, 963