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BGH - Entscheidung vom 30.07.2019

2 StR 93/19

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluss vom 30.07.2019 - Aktenzeichen 2 StR 93/19

DRsp Nr. 2019/17489

Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei Vorliegen eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 12. Dezember 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen unerlaubten Besitzes von in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Besitz von Munition sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt.

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der über keine Berufsausbildung verfügende Angeklagte wanderte Anfang der 2000er Jahre nach G. aus und kehrte 2008 nach Deutschland zurück. Seit seiner Rückkehr ist es ihm nicht gelungen, ein reguläres Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen. Er bezieht seitdem Sozialleistungen ( ALG II). Daneben geht er einer geringfügigen Beschäftigung im Sicherheitsgewerbe nach, wo er als Ordner bei Fußballspielen eingesetzt wird. Er engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für die von seiner Kirchengemeinde eingerichtete Tafel, unterstützt auch zahlreiche andere Projekte und betätigt sich als Wahlhelfer. Der Angeklagte begann im Alter von etwa 18 Jahren Cannabis zu rauchen. Nachdem er dies zunächst unregelmäßig tat, verstetigte sich der Cannabiskonsum in den folgenden Jahren. Etwa seit dem Jahr 2010 raucht der Angeklagte grundsätzlich täglich (zumeist in den Abendstunden) Cannabis in einer Größenordnung von 0,5 Gramm Haschisch oder Marihuana. Wenn er - etwa im Zuge einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder als Ordner bei Fußballspielen - beschäftigt ist, gelingt es ihm, ohne Cannabis auszukommen. Nach den verfahrensgegenständlichen Taten im November 2017 und März 2018 hat sich der Angeklagte bemüht, seinen Cannabiskonsum zu reduzieren und sich hierzu auch an einen Suchttherapeuten gewandt. Andere Betäubungsmittel oder Alkohol konsumiert er nicht.

Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten hat die Strafkammer festgestellt, dass sie auch der Finanzierung des Eigenkonsums bzw. dem Verschaffen von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum dienten.

2. Das Landgericht geht davon aus, dass beim Angeklagten kein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliege. Es fehle an einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit, die über einen dauerhaften Drogenkonsum hinaus zur Begründung eines Hanges erforderlich sei. Der Angeklagte sei sozial integriert. Er gehe zwar nur einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nach, sein erhebliches soziales Engagement mache aber deutlich, dass er durch seinen Drogenkonsum nicht beeinträchtigt sei. Vielmehr habe er seine eher geringfügige tägliche Dosis nicht gesteigert und sei in der Lage, seinen Konsum zu steuern. Wenn er einer Beschäftigung nachgehe, konsumiere er kein Cannabis. Auch sei keine soziale Gefährlichkeit des Angeklagten festzustellen, da er - ungeachtet der zum Eigenkonsum begangenen Taten - trotz seines langjährigen Konsums bisher nicht wegen Taten im Zusammenhang damit in Erscheinung getreten sei. Zudem bemühe sich der Angeklagte mit professioneller Hilfe um eine Einstellung seines Cannabiskonsums.

3. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.

a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 ). Eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (BGH, Beschlüsse vom 20. September 2017 - 1 StR 348/17 Rn. 10; vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204 und vom 10. August 2007 - 2 StR 344/07, StV 2008, 76 mwN; Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 ). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204 ).

b) Bereits der "grundsätzlich tägliche" Konsum von 0,5 Gramm Cannabis legt die Annahme eines beim Angeklagten bestehenden Hanges nahe. Auch wenn sich der nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte sozial engagiert und zeitweise abstinent lebt, kann im Hinblick darauf, dass die verfahrensgegenständlichen Taten des "in eingeschränkten finanziellen Verhältnissen" lebenden Angeklagten auch dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum bzw. dessen Finanzierung dienten, die Ursächlichkeit des jahrelangen Missbrauchs von Cannabis für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten nicht verneint werden.

c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nach den Urteilsgründen ebenfalls nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO ) neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO ; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. September 2017 - 3 StR 307/17, juris Rn. 10 mwN).

d) Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass der Strafausspruch und die Nichtanordnung der Maßregel sich gegenseitig beeinflusst hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2016 - 3 StR 283/16, juris Rn. 5). Es ist daher auszuschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf mildere Einzelstrafen oder eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.

Vorinstanz: LG Köln, vom 12.12.2018