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BGH - Entscheidung vom 23.01.2018

EnVR 9/17

Normen:
ARegV § 10 Abs. 6 S. 1
ARegV § 23 Abs. 6 S. 1
ARegV § 10 Abs. 6 S. 1
ARegV § 23 Abs. 6 S. 1
ARegV § 10 Abs. 2 S. 2 S. 4
ARegV § 23 Abs. 6 S. 1-3

BGH, Beschluss vom 23.01.2018 - Aktenzeichen EnVR 9/17

DRsp Nr. 2018/3218

Zurücktreten des Vorrangs des Erweiterungsfaktors vor der Genehmigung einer Investitionsmaßnahme bei fehlender Kostendeckung

Der Vorrang des Erweiterungsfaktors nach § 10 ARegV vor der Genehmigung einerInvestitionsmaßnahme nach § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV tritt zurück, wenn die Kostender geplanten Investitionsmaßnahme durch den Erweiterungsfaktor nicht einmal ansatzweise abgedeckt werden.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats desOberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragstellerin.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 8.500.000 € festgesetzt.

Normenkette:

ARegV § 10 Abs. 2 S. 2 S. 4; ARegV § 23 Abs. 6 S. 1-3;

Gründe

I.

Die Antragstellerin betreibt das Elektrizitätsverteilernetz in Berlin. Mit Schreiben vom 27. März 2013 beantragte sie bei der Bundesnetzagentur die Genehmigungeiner Investitionsmaßnahme gemäß § 23 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV fürdas Projekt "Umstrukturierung Netz Mitte". Dieses Projekt umfasste die folgendenTeilmaßnahmen: Optimierung und Umstrukturierung der Mittelspannungs-, Niederspannungs- undSekundärnetze, Ersatz der 10-kV-Schaltanlagen und der Sekundärtechnik in den UmspannwerkenStromstraße und Gesundbrunnen und Errichtung des 110/10-kV-Umspannwerkes S.-Straße einschließlich 110-kVKabellegung und 110-kV-Netz-Optimierung.

Mit Beschluss vom 4. Mai 2015 genehmigte die Bundesnetzagentur die Investitionsmaßnahme nur teilweise. Die Teilmaßnahme "Errichtung des 110/10-kV-Umspannwerkes S.-Straße einschließlich 110-kV-Kabellegung und 110-kV-NetzOptimierung" lehnte sie ab, soweit Anlagegüter unterhalb der Hochspannungsebenebetroffen sind. Sie begründete dies damit, dass insoweit mit der Teilmaßnahme eineÄnderung von Parametern einherginge, die bei der Bestimmung des Erweiterungsfaktors zu berücksichtigen sei, und deshalb der Vorrang des Erweiterungsfaktorsnach § 10 ARegV eingreife.

Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht den Beschluss insoweit aufgehoben, als die Bundesnetzagentur dieTeilmaßnahme abgelehnt hat, und die Bundesnetzagentur verpflichtet, die Antragstellerin unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu bescheiden. Dagegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der vom Beschwerdegericht zugelassenenRechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung (OLG Düsseldorf, RdE2017, 220) im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Voraussetzungen für die Genehmigung der Investitionsmaßnahme nach§ 23 Abs. 6 ARegV seien dem Grunde nach erfüllt. Die von der Antragstellerin geplanten Ausbaumaßnahmen würden Netzstrukturen im Zentrum von Berlin in einmodernes, effizienteres und leistungsstärkeres Versorgungsnetz überführen. Sie seien zur Gewährleistung der technischen Sicherheit des Netzes erforderlich. Dies habedie zuständige Energieaufsichtsbehörde des Landes Berlin bestätigt und werde vonder Bundesnetzagentur nicht in Frage gestellt.

Die Genehmigung der Investitionsmaßnahme scheitere nicht an dem in § 23Abs. 6 Satz 1 ARegV normierten und in Ziffer 7 der Festlegung der Bundesnetzagentur zur Verwendung anderer Parameter zur Ermittlung des Erweiterungsfaktors nach§ 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ARegV für Elektrizitätsverteilernetzbetreiber vom8. September 2010 (BK8-10/004; Amtsblatt der Bundesnetzagentur 2010, S. 2889;im Folgenden: Festlegung BK8-10/004) näher ausgestalteten Vorrang des Erweiterungsfaktors.

Der Vorrang des Erweiterungsfaktors nach § 10 ARegV vor der Genehmigungeiner Investitionsmaßnahme nach § 23 Abs. 6 ARegV ergebe sich zwar für die Antragstellerin mit bindender Wirkung aus Ziffer 7 der Festlegung BK8-10/004, weil diese gegenüber der Antragstellerin bestandskräftig geworden sei. Von diesem Anwendungsvorrang seien aber jedenfalls die Fälle nicht mehr erfasst, in denen - wie hier die geplante Investitionsmaßnahme durch den Erweiterungsfaktor nicht einmal ansatzweise abgedeckt werde.

Das Instrument des Erweiterungsfaktors beruhe darauf, dass ein Zuwachs derin § 10 Abs. 2 ARegV genannten Parameter einen "typischen Zuwachs" an Netzkosten bedinge. Stünden indes Parameterzuwachs und damit verbundene Kostensteigerungen in einem auffälligen Missverhältnis zueinander, sei die dem Erweiterungsfaktor zugrundeliegende Annahme nicht mehr erfüllt und eine Korrektur mittels einerrestriktiven Auslegung geboten. Dies folge auch aus dem Wortlaut der Festlegung,der eine "Abbildbarkeit" der Mehrkosten durch den Erweiterungsfaktor fordere.

Ein solches Missverhältnis sei hier gegeben. Von den Kosten der abgelehntenTeilmaßnahme in Höhe von 15,5 Mio. € würden über den Erweiterungsfaktor lediglich 20.000 €, d.h. 0,13% erlöst. Selbst bei einer Errichtung von 60 neuen Anschlusspunkten ergäben sich über den Erweiterungsfaktor zu erzielende Erlöse von425.000 €, was 2,47% der Investitionskosten entspreche. Soweit die Bundesnetzagentur dieses offensichtliche Missverhältnis angesichts des zu erwartenden signifikanten Lastanstiegs und weiterer zusätzlicher Anschlusspunkte infolge des Erschließungsgebiets E.-City in Frage stelle, sei dieses Vorbringen mangels näherer Darlegung unsubstantiiert.

Diese einschränkende Auslegung entspreche auch dem Wortlaut des § 23Abs. 6 Satz 1 ARegV. Da § 10 ARegV die kostenmäßigen Auswirkungen nachhaltiger Änderungen der Versorgungsaufgabe durch Rückgriff auf die Änderung bestimmter als Kostentreiber ermittelter Strukturparameter erfassen solle, sei eine genaueErmittlung der Kosten einer Investitionsmaßnahme gerade nicht vorgesehen. Gleichzeitig ordne der Verordnungsgeber in § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV den Vorrang derErfassung einer Investitionsmaßnahme über den Erweiterungsfaktor für Sachverhalteunterhalb der Hochspannungsebene nur an, soweit die Investition durch den Erweiterungsfaktor berücksichtigt werde. Darin komme der gesetzgeberische Wille zumAusdruck, den Vorrang des Erweiterungsfaktors nicht von einer vollständigen Kostendeckung im Einzelfall abhängig zu machen. Soweit sich die Parameter nach § 10Abs. 2 Satz 2 ARegV allerdings als offensichtlich ungeeignet zur Abbildung der Auswirkungen einer bestimmten Investition auf die Kosten darstellten, könne nicht mehrvon einer "Berücksichtigung" der Investition durch den Erweiterungsfaktor gesprochen werden, da dieser grundsätzlich die Erfassung der gesteigerten Netzkosten inder Erlösobergrenze ermöglichen solle.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts enthält die FestlegungBK8-10/004 allerdings keine Regelung über einen Vorrang des Erweiterungsfaktorsnach § 10 ARegV vor der Genehmigung einer Investitionsmaßnahme nach § 23Abs. 6 ARegV.

aa) Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts und damit der Umfang seinerBindungswirkung ist entsprechend §§ 133 , 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln.Die Auslegung eines Verwaltungsaktes richtet sich dabei nicht nach den subjektivenVorstellungen des Adressaten oder der erlassenden Behörde. Maßgebend ist entsprechend der Auslegungsregel des § 133 BGB der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom13. Dezember 2016 - EnVR 34/15, RdE 2017, 187 Rn. 50 - Festlegung individuellerNetzentgelte; BVerwGE 148, 146 Rn. 14; jeweils mwN). Auszugehen ist dabei vomverfügenden Teil des Verwaltungsakts (vgl. § 41 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ). Dieser istvon der Begründung nach § 39 VwVfG zu unterscheiden, die nicht in Bestandskrafterwächst. Sie ist allerdings bei der Ermittlung des objektiven Erklärungswertes einesVerwaltungsakts heranzuziehen, weil sie erläutert, warum die Behörde den verfügenden Teil ihres Verwaltungsakts so und nicht anders erlassen hat. Die Begründung bestimmt damit den Inhalt der getroffenen Regelung mit, so dass sie in allerRegel unverzichtbares Auslegungskriterium ist (vgl. BVerwG, aaO mwN).

bb) Nach diesen Maßgaben trifft die Festlegung BK8-10/004 keine Regelungüber einen Vorrang des Erweiterungsfaktors nach § 10 ARegV vor der Genehmigungeiner Investitionsmaßnahme nach § 23 Abs. 6 ARegV. Der Entscheidungsausspruchenthält keine solche Feststellung, sondern beschränkt sich auf die Festlegung desParameters "Anzahl der Einspeisepunkte dezentraler Erzeugungsanlagen" als Parameter nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ARegV und der auf dieser Grundlage neugefassten Formel zur Berechnung des Erweiterungsfaktors. Der Vorrang des Erweiterungsfaktors nach § 10 ARegV wurde von der Bundesnetzagentur dagegen nicht- auch nicht im Wege einer Bezugnahme (siehe dazu etwa Senatsbeschluss vom13. Dezember 2016 - EnVR 34/15, RdE 2017, 187 Rn. 4 und 55 - Festlegung individueller Netzentgelte) - eigenständig festgestellt, sondern im Rahmen der Begründung des Beschlusses als bloße Rechtsansicht der Behörde mitgeteilt. Die Bundesnetzagentur hat die Festlegung auch lediglich auf § 32 Abs. 1 Nr. 3 ARegV gestützt,so dass - was auch die Bezeichnung der Festlegung zeigt - bei objektiver Würdigungkeine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass ihr die Behörde einen über die Festlegung eines weiteren Parameters hinausgehenden Regelungsgehalt beimessenwollte. Hierfür spricht auch, dass sich eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Festlegung über einen Vorrang des Erweiterungsfaktors der Vorschrift des § 32Abs. 1 ARegV, insbesondere seiner Nummern 3, 8 und 8a, nicht entnehmen lässt.

b) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme desBeschwerdegerichts, dass der in § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV (in der seit dem 14. März2012 unverändert gebliebenen Fassung) normierte Vorrang des Erweiterungsfaktorsnach § 10 ARegV vorliegend nicht eingreift.

aa) Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungendes Beschwerdegerichts liegen die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Investitionsmaßnahme nach § 23 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 bis 8 ARegVdem Grunde nach vor, weil die von der Antragstellerin geplanten Ausbaumaßnahmen die Netzstrukturen im Zentrum von Berlin in ein modernes, effizienteres undleistungsstärkeres Versorgungsnetz überführen sollen und zur Gewährleistung der technischen Sicherheit des Netzes erforderlich sind. Dagegen ist nichts zu erinnern.Bei der noch im Streit befindlichen Teilmaßnahme handelt es sich - was die Bundesnetzagentur ebenfalls nicht in Frage stellt - um eine Erweiterungsinvestition, weil mitder Errichtung des Umspannwerks die Umspannkapazität zwischen der Hochspannungs- und der Mittelspannungsebene vergrößert wird (vgl. Senatsbeschluss vom17. Dezember 2013 - EnVR 18/12, RdE 2014, 291 Rn. 13 - 50Hertz TransmissionGmbH). Die Erheblichkeitsgrenze des § 23 Abs. 6 Satz 2 und 3 ARegV ist überschritten.

bb) Aufgrund dessen können Netzbetreibern nach § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegVInvestitionsmaßnahmen durch die Regulierungsbehörde genehmigt werden, soweitdiese nicht durch den Erweiterungsfaktor nach § 10 ARegV berücksichtigt werden.Diesen Vorrang des Erweiterungsfaktors hat das Beschwerdegericht aber vorliegendrechts- und verfahrensfehlerfrei zu Recht nicht eingreifen lassen.

(1) Im Ausgangspunkt ist allerdings davon auszugehen, dass der Vorrang desErweiterungsfaktors vor Investitionsmaßnahmen entgegen der Auffassung derRechtsbeschwerdeerwiderung nicht nur dann gilt, wenn der betreffende Netzbetreiber - wie hier nicht - einen Antrag nach § 10 ARegV tatsächlich gestellt hat, sondernauch dann, wenn er einen solchen Antrag stellen kann.

Dies legt bereits der Wortlaut des § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV nahe, der dieweitere Voraussetzung aufstellt, dass die Investitionsmaßnahmen nicht durch denErweiterungsfaktor nach § 10 ARegV berücksichtigt werden. Diese Wendung stellteher auf die objektiv mögliche Berücksichtigung der Investitionskosten über den Erweiterungsfaktor ab und räumt dem betroffenen Netzbetreiber kein Wahlrecht ein.

Entscheidend für den Vorrang des Erweiterungsfaktors spricht die historischeAuslegung des § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV. Zu der Vorgängerfassung dieser Norm,die insoweit einen unveränderten Wortlaut hatte, heißt es in der Begründung desVerordnungsgebers, dass Investitionsbudgets nur in den Fällen Anwendung finden, in denen der Erweiterungsfaktor nicht greift, weil in Verteilernetzen Erweiterungsinvestitionen grundsätzlich durch den Erweiterungsfaktor nach § 10 ARegV berücksichtigt werden (BR-Drucks. 417/07, S. 68). Im Rahmen der Änderung des § 23ARegV durch die Verordnung vom 14. März 2012 (BGBl. I S. 489 ) hat der Verordnungsgeber durch die Streichung der Worte "Im Einzelfall" lediglich klargestellt, dassdie Genehmigung von Investitionsmaßnahmen nicht auf extreme Ausnahmefälle beschränkt bleiben soll, im Übrigen aber an dem Vorrang des Erweiterungsfaktors vorInvestitionsmaßnahmen ausdrücklich festgehalten (vgl. BR-Drucks 860/11, S. 10).

Aus dem Sinn und Zweck der beiden Normen folgt nichts anderes. Bei Investitionsmaßnahmen und bei dem Erweiterungsfaktor handelt es sich um unterschiedliche Instrumente, mit denen Veränderungen der Versorgungsaufgabe berücksichtigtwerden. Die Investitionsmaßnahme erkennt die mit der konkreten Investition verbundenen Kosten schon in der Planungsphase als dauerhaft nicht beeinflussbar an,während sich der Erweiterungsfaktor von den mit der Veränderung der Versorgungsaufgabe konkret verbundenen Kosten löst und stattdessen an die Veränderung von(exogenen) Strukturdaten anknüpft. Der Vorrang des einen Instruments vor dem anderen folgt damit nicht aus der Natur der Sache, sondern steht - wie in § 23 Abs. 6Satz 1 ARegV erfolgt - im Regelungsermessen des Gesetz- oder Verordnungsgebers.

(2) Der Vorrang des Erweiterungsfaktors vor Investitionsmaßnahmen hat jedoch im Wege einer am Normzweck orientierten Auslegung des § 23 Abs. 6 Satz 1ARegV zurückzutreten, wenn seine Beachtung zu einem mit seinem Zweck nichtmehr vereinbaren Ergebnis führt.

(a) Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei Investitionsmaßnahmen undbei dem Erweiterungsfaktor um unterschiedliche Instrumente. Während die Investitionsmaßnahme an die mit der konkreten Investition verbundenen Kosten anknüpft,führt der Erweiterungsfaktor zu einer pauschalierenden Betrachtung.

Die Vorschrift des § 10 ARegV soll sicherstellen, dass die Kosten für Erweiterungsinvestitionen, die sich bei einer nachhaltigen Änderung der Versorgungsaufgabe des Netzbetreibers im Laufe der Regulierungsperiode ergeben, bei der Bestimmung der Erlösobergrenzen berücksichtigt werden (vgl. BR-Drucks. 417/07, S. 49).Dies erfolgt durch einen Erweiterungsfaktor in der Regulierungsformel. Dadurch wirdeinerseits dem berechtigten Interesse des Netzbetreibers Rechnung getragen, dieErlösobergrenze an die veränderten Umstände anzupassen, und andererseits einevollständig neue Kostenprüfung vermieden, indem die Anpassung nach der in Anlage 2 zu § 10 ARegV definierten Formel erfolgt, in die lediglich bestimmte Parameterder Versorgungsaufgabe einfließen. Die Änderung der Netzkosten erfolgt danachunter vereinfachenden Annahmen proportional zu den als dominant festgelegten Einflussfaktoren. Dadurch kann es allerdings dazu kommen, dass die tatsächlichen Kosten, die durch die Veränderung der Versorgungsaufgabe auf den Netzbetreiber zukommen, nicht vollständig abgebildet werden. Im Hinblick auf die pauschalierendeBetrachtung ist dies aber unumgänglich und in der Vorschrift angelegt.

§ 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV will dagegen für die in dieser Vorschrift genanntenprivilegierten Maßnahmen Investitionsanreize auch für Verteilernetzbetreiber schaffen, wenn solche Maßnahmen im Hinblick auf Investitionsvolumen und Komplexitätmit Erweiterungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen in die Übertragungsnetze vergleichbar sind (vgl. BR-Drucks. 417/07, S. 68 und BR-Drucks. 860/11, S. 10). Andersals bei § 10 ARegV können vom Netzbetreiber nach § 23 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 1Satz 3 ARegV die mit der konkreten Investition verbundenen Betriebs- und Kapitalkosten geltend gemacht werden. Diese Privilegierung hat der Verordnungsgeberdamit begründet, dass solche Investitionen oft nicht mit einem Zuwachs der Parameter in § 10 ARegV verbunden werden können (vgl. BR-Drucks. 860/11, S. 10).

Fällt die Erhöhung der Erlösobergrenzen durch den Erweiterungsfaktor soniedrig aus, dass diese Erhöhung dem Charakter der in Rede stehenden Maßnahmenicht einmal ansatzweise Rechnung trägt, ist dies mit dem Sinn und Zweck des § 10 ARegV nicht mehr vereinbar (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2014 - EnVR 61/12,Rn. 10). Diese Vorschrift führt zwar aufgrund der pauschalierenden Betrachtung zuVergröberungen, die der Verordnungsgeber bewusst in Kauf genommen hat, um eine vollständig neue Kostenprüfung zu vermeiden. Dies darf aber im berechtigten Interesse des Netzbetreibers nicht dazu führen, dass die Kosten einer Investitionsmaßnahme über den Erweiterungsfaktor nur unzureichend oder sogar praktisch garnicht abgebildet werden. Die Investitionskosten sind dann nicht mehr mit einem Zuwachs der Parameter nach § 10 ARegV verbunden und werden damit im Kern nichtdurch den Erweiterungsfaktor "berücksichtigt". Insoweit ist auch zu bedenken, dassfür eine Investitionsmaßnahme bei - wie hier - Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV gerade auch im Hinblick auf Investitionsvolumen und Komplexität an sich die konkreten Betriebs- und Kapitalkosten geltendgemacht werden können. In einem solchen Fall muss daher der Vorrang des § 10ARegV zurücktreten, so dass die betreffende Investitionsmaßnahme nach § 23Abs. 6 Satz 1 ARegV genehmigungsfähig ist.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führt dies auch nicht zu einer doppelten Berücksichtigung der Investitionsmaßnahme. Soweit der Vorrang desErweiterungsfaktors nach § 10 ARegV hinter die Investitionsmaßnahme zurückzutreten hat, kann der Netzbetreiber - wie hier auch nicht geschehen - diese nicht zusätzlich über den Erweiterungsfaktor geltend machen. Die einschränkende Auslegungder Vorrangregelung in § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV bedingt insoweit ebenfalls eineeinschränkende Auslegung des § 10 ARegV.

(b) Nach diesen Maßgaben ist die streitgegenständliche Teilmaßnahme nach§ 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV genehmigungsfähig.

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts würde der Erweiterungsfaktor nach § 10 ARegV die hier in Rede stehenden Investitionskosten der nicht genehmigten Teilmaßnahme in Höhe von ca. 15,5 Mio. € lediglich zu 0,13% abdecken.Dieses sowohl in relativer als auch in absoluter Hinsicht offensichtliche Missverhältnis trägt dem Charakter der in Rede stehenden Maßnahme nicht einmal ansatzweiseRechnung. Soweit das Beschwerdegericht hilfsweise die Errichtung von ca. 60 neuen Anschlusspunkten berücksichtigt und daraus über den Erweiterungsfaktor zu erzielende Mehrerlöse von 425.000 €, d.h. 2,74% der Investitionskosten, errechnet hat,gilt nichts anderes.

Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht hat mit seiner Berechnung auf der Grundlage der Investitionskosten nicht diefalsche Bezugsgröße gewählt. Sowohl § 10 ARegV als auch § 23 Abs. 6 Satz 1ARegV wollen sicherstellen, dass die Kosten der Investitionsmaßnahme bei der Bestimmung der Erlösobergrenzen berücksichtigt werden. Sie nehmen damit in beidenFällen die Investitionskosten der konkreten Maßnahme in den Blick. Soweit dieRechtsbeschwerde darauf verweist, dass auch bei Genehmigung der Teilmaßnahmenach § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV die Investitionskosten nicht hundertprozentig erlöstwerden, ist dies unerheblich. Der im Falle einer solchen Genehmigung der Antragstellerin zufließende Vorteil ist - was aus der übereinstimmenden Angabe der Beteiligten zum Streitwert der Beschwerdeinstanz in Höhe von 8,5 Mio. € folgt - ungleichgrößer als der sich aus der Anwendung des Erweiterungsfaktors ergebende Mehrerlös von 20.000 € pro Jahr der Regulierungsperiode. Gegenteiliges hat die Bundesnetzagentur auch mit der Rechtsbeschwerde nicht substantiiert vorgetragen.

Soweit die Rechtsbeschwerde vorbringt, dass ab der dritten Regulierungsperiode § 10 ARegV nicht mehr anzuwenden (§ 34 Abs. 7 Satz 1 ARegV) und aufgrunddes neu eingeführten Kapitalkostenaufschlags gemäß § 10a ARegV eine Schlechterstellung der Antragstellerin nicht mehr gegeben sei, ist dies vorliegend unmaßgeblich. Die Antragstellerin hat die Genehmigung der Investitionsmaßnahme und die Anpassung der Erlösobergrenze beginnend ab dem Jahr 2014 und damit bereits für diezweite Regulierungsperiode gestellt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG .

Verkündet am: 23. Januar 2018

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 21.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen VI-3 Kart 102/15