Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 02.10.2018

X ZR 118/16

Normen:
PatG § 1

BGH, Urteil vom 02.10.2018 - Aktenzeichen X ZR 118/16

DRsp Nr. 2018/18327

Patentfähigkeit eines diagnostischen Verfahrens zur Bestimmung der Ursache einer Entzündung als Erfindung

Aus berichteten Ergebnissen können sich bereits hinreichende Erfolgserwartungen ergeben, die den Fachmann veranlassen, den damit aufgezeigten Weg weiter zu beschreiten. Zwar kann gegen eine hinreichende Erfolgserwartung sprechen, wenn in einer Veröffentlichung über noch nicht abgeschlossene Forschungsarbeiten berichtet wird. Bei mehreren Berichte über unabhängig voneinander durchgeführte Untersuchungen stellt sich die weitere Verfolgung eines Ansatzes für den Fachmann nicht als Überprüfung einer zwar postulierten, aber im Wesentlichen noch unbestätigten Hypothese dar, sondern als Fortentwicklung eines Ansatzes, der sich bereits mehrfach als erfolgversprechend erwiesen hatte und mit relativ einfachen Mitteln zu verwirklichen war.

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 26. Juli 2016 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Normenkette:

PatG § 1 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 880 702 (Streitpatents), das am 26. November 1996 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 12. Januar 1996 angemeldet worden ist und ein diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ätiologie entzündlicher Prozesse betrifft. Patentanspruch 1, auf den zehn weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"Diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ätiologie entzündlicher Prozesse, dadurch gekennzeichnet, dass man in einer Probe einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten den Gehalt des Peptids Procalcitonin (PCT) und/oder eines daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht das reife Calcitonin ist, bestimmt und aus der festgestellten Anwesenheit oder Abwesenheit des bestimmten Peptids auf eine infektiöse oder nichtinfektiöse Ätiologie der Entzündung zurückschließt."

Die Klägerinnen, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in Anspruch genommen werden, haben geltend gemacht, das Patent offenbare die Erfindung nicht so, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und sein Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in zwei geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Klage begehrt und das Patent hilfsweise in fünf geänderten Fassungen verteidigt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I. Das Streitpatent betrifft ein diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ursache einer Entzündung.

1. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, Entzündungsprozesse könnten durch Invasion von Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilze oder deren Toxine in den Blutstrom ausgelöst werden, aber auch im Rahmen primär nicht-infektiöser Krankheitsbilder entstehen. Die frühzeitige Diagnose der Ursache, insbesondere die Unterscheidung zwischen den beiden genannten Möglichkeiten, sei vor allem für die Auswahl der therapeutischen Maßnahmen von entscheidender Bedeutung.

Aus der deutschen Patentschrift 42 27 454 (NK6) sei ein Verfahren bekannt, bei dem aus der Anwesenheit des Peptids Procalcitonin (PCT) auf das Vorliegen einer Sepsis, deren Schweregrad oder den Erfolg einer therapeutischen Behandlung zurückgeschlossen werde. Dort werde auch darauf hingewiesen, dass die Anwendung dieses Diagnostikums eine sichere Unterscheidung zwischen einer Sepsis und einer normalen Viruserkrankung ermögliche.

Nunmehr habe sich gezeigt, dass eine Erhöhung des Procalcitoninspiegels im Plasma oder Serum auch bei allen nicht-infektiösen Entzündungen unterbleibe, so dass die Anwendung des Tests eine sichere Unterscheidung zwischen unterschiedlichen, aber äußerlich völlig gleichartig verlaufenden Entzündungsprozessen und die Einleitung entsprechend angepasster Therapien ermögliche.

Vor diesem Hintergrund kann das - in der Patentschrift nicht ausdrücklich benannte - technische Problem dahin formuliert werden, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, das eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Ursachen einer Entzündung ermöglicht.

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 ein diagnostisches Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

1.

Das diagnostische Verfahren dient der Bestimmung der Ursache (Ätiologie) entzündlicher Prozesse.

2.

In einer Probe einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten wird der Gehalt von Procalcitonin oder eines daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht gleich Calcitonin ist, bestimmt.

3.

Aus der festgestellten Anwesenheit oder Abwesenheit des bestimmten Peptids wird auf eine infektiöse oder nicht-infektiöse Ursache der Entzündung zurückgeschlossen.

3. Zentrale Bedeutung kommt dem in Merkmal 3 definierten Verfahrensschritt der Auswertung zu.

a) Ziel der Auswertung ist die Beantwortung der Frage, ob eine Entzündung auf einer infektiösen oder auf einer nicht-infektiösen Ursache beruht.

aa) Als infektiöse Ursache in diesem Sinne sind das Eindringen von Mikroorganismen in den Körper und die von diesen Organismen ausgehenden Wirkungen anzusehen.

Weder der Patentanspruch noch die Beschreibung enthält eine abstrakte Definition der Begriffe "infektiös" und "nicht infektiös". In der Beschreibung wird zwischen einer Invasion von "Mikroorganismen (Bakterien, Pilze)" oder ihrer Toxine in den Blutstrom und nicht-infektiösen Krankheitsbildern wie etwa hämorrhagisch-nekrotisierender Pankreatitis und Autoimmunerkrankungen unterschieden (Abs. 2).

Diese Gegenüberstellung ist unvollständig. Sie unterscheidet zwar zwischen Krankheitsbildern, deren Ursache aus dem Körper des Patienten selbst herrührt, und solchen, die durch Eindringen von Mikroorganismen hervorgerufen werden. Im zuletzt genannten Zusammenhang werden jedoch nur Bakterien und Pilze angeführt, nicht aber andere Mikroorganismen wie etwa Parasiten.

Aus der in der Beschreibung genannten Zielsetzung, den weiteren Krankheitsverlauf prognostizieren und geeignete therapeutische Maßnahmen auswählen zu können, ergibt sich, dass ein Eindringen anderer Mikroorganismen jedenfalls dann als Infektion anzusehen ist, wenn es - ähnlich wie mit einer Antibiotikabehandlung im Falle einer Bakterieninfektion - besondere Behandlungsarten gibt, die im Falle einer solchen Ursache angezeigt, bei einer nichtinfektiösen Ursache hingegen nicht erforderlich oder sogar schädlich sind.

bb) Nicht zu den infektiösen Ursachen im Sinne von Merkmal 3 gehören, wie auch die Berufung unwidersprochen vorträgt, Virusinfektionen.

Nach den im Streitpatent wiedergegebenen Ausführungen in NK6 führt eine normale virale Infektion zu keiner oder nur zu einer geringfügigen Erhöhung des Procalcitoninspiegels (Abs. 6). Um eine sichere Abgrenzung zu ermöglichen schlägt NK6 vor, bei geringfügig erhöhten Werten das Vorliegen einer Viruserkrankung auf anderem Wege auszuschließen (NK6 S. 4 Z. 6-9). In dem in NK6 formulierten Patentanspruch 10 ist der Wert, bis zu dem eine solche Maßnahme erfolgen soll, mit 20 ng/ml angegeben. Dies liegt deutlich unter dem Wert von 30 ng/ml, bei dem in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents von der Anwesenheit des Peptids ausgegangen wird.

Daraus ist abzuleiten, dass das Streitpatent eine Viruserkrankung der in NK6 bezeichneten Art nicht als infektiöse Ursache ansieht. Durch die Bezugnahme auf NK6 und die dortigen Ausführungen zur Auswirkung einer Viruserkrankung wird deutlich, dass das Streitpatent insoweit an die Erkenntnisse aus NK6 anknüpft. Wenn vor diesem Hintergrund die Anwesenheit des Peptids nur bei Werten angenommen wird, bei denen nach NK6 eine Virusinfektion nicht in Betracht kommt, kann eine solche Infektion nicht als infektiöse Ursache im Sinne von Merkmal 3 in Betracht kommen.

cc) Die Art der Entzündung ist nach Patentanspruch 1 grundsätzlich unerheblich.

Aus Merkmal 1 ergibt sich allerdings, dass ein entzündlicher Prozess festgestellt sein oder zumindest ein Verdacht darauf bestehen muss, denn das geschützte Verfahren soll Hinweise auf dessen Ursache geben.

Diese Entzündung kann bereits einem konkreteren Krankheitsbild wie etwa Pankreatitis oder akutem Atemnotsyndrom zugeordnet sein. Eine solche Zuordnung ist aber nur in Unteransprüchen zwingend vorgesehen, etwa in den Patentansprüchen 3, 4 und 6. Nach Patentanspruch 1 ist sie optional.

Auch wenn die Entzündung bereits einem konkreten Krankheitsbild zugeordnet worden ist, liefert das geschützte Verfahren ein davon unabhängiges, allgemeineres Ergebnis, wenn es zur Feststellung einer nicht-infektiösen Ursache führt. In dieser Konstellation steht zum einen fest, dass das identifizierte Krankheitsbild nicht auf einer Infektion beruht. Aus dem Befund "keine Infektion" ergibt sich darüber hinaus, wie die Beklagte im Ansatz zu Recht geltend macht, dass andere, möglicherweise noch nicht näher zugeordnete Symptome ebenfalls nicht auf einer Infektion beruhen.

b) Als maßgebliches Beurteilungskriterium ist in Merkmal 3 die Anwesenheit oder Abwesenheit des Peptids definiert, dessen Gehalt in dem in Merkmal 2 vorgesehenen Verfahrensschritt bestimmt worden ist.

aa) Wie das Patentgericht zutreffend und insoweit von der Berufung nicht angegriffen ausgeführt hat, ist dies nicht dahin zu verstehen, dass das Peptid zwingend als anwesend zu betrachten ist, wenn es in irgendeiner Menge oder Konzentration festgestellt wird. Erforderlich ist vielmehr die Überschreitung eines Schwellenwerts, der hinreichend sichere Rückschlüsse auf die Ursache der Entzündung zulässt. Die Bestimmung dieses Schwellenwerts überlässt das Streitpatent dem Fachmann.

Anhaltspunkte für signifikante Werte ergeben sich aus den in der Beschreibung des Streitpatents geschilderten Ausführungsbeispielen. Dort wird bei Werten bis zu 2,9 ng/ml auf die Abwesenheit und bei Werten ab 30 ng/ml auf die Anwesenheit von Procalcitonin geschlossen.

bb) Welcher Zusammenhang zwischen der An- oder Abwesenheit des Peptids und der Ursache der Entzündung besteht, ist in Patentanspruch 1 nicht ausdrücklich festgelegt. Aus der Beschreibung des Streitpatents und den dort geschilderten Ausführungsbeispielen ergibt sich, dass die Anwesenheit des Peptids auf eine infektiöse und seine Abwesenheit auf eine nicht-infektiöse Entzündung hindeutet.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das Verfahren des Streitpatents sei in allen verteidigten Fassungen ausführbar. Die zur Bestimmung von Procalcitonin oder eines Teilpeptids erforderlichen Arbeitsweisen seien in der Beschreibung des Streitpatents und in dem darin zitierten Patent 42 27 454 (NK6) angegeben. Sie bedienten sich Grundoperationen der biochemischen Analytik, die dem Fachmann, einem Team, dem zumindest ein Biochemiker oder ein Molekularbiologe und ein in der angewandten Infektiologie tätiger Mediziner angehörten, geläufig seien. Für die Ausführbarkeit sei weder die Zuverlässigkeit der Diagnose im Einzelfall noch die Offenbarung oder Festlegung eines über die gesamte Breite entzündlicher Erkrankungen hinweg definierten Zahlenbereichs der Testergebnisse erforderlich.

Der Gegenstand des Streitpatents sei aber in NK6 vollständig offenbart. Aus NK6 ergebe sich nicht nur die Arbeitshypothese, dass ein Anstieg des Procalcitoninspiegels entweder als direkte Auswirkung einer infektiösen Viruserkrankung oder als indirekte Einwirkung bakterieller Endotoxine auf die Leber anzusehen sei, sondern auch das experimentelle Resultat, dass Patienten mit viralen oder bakteriellen Infektionen gegenüber einer Kontrollgruppe von Patienten mit nicht-infektiösen Erkrankungen erhöhte oder drastisch erhöhte Procalcitoninspiegel aufwiesen. Ähnliches sei auch in einer Vielzahl anderer Entgegenhaltungen (NK8, NK11, NK13, NK14, NK15, NK9 und NK12) offenbart.

Selbst wenn die Neuheit zu bejahen wäre, ergebe sich aus dem angeführten Stand der Technik jedenfalls die Anregung, aus der Höhe der Ergebnisse von Procalcitonintests auf eine infektiöse oder nicht-infektiöse Ursache zu schließen.

Der mit dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand sei ebenfalls nicht neu. Die in den Merkmalen 3.1, 3.4 und 3.5 wahlweise vorgegebenen Einsatzzwecke seien in NK13 und NK15 offenbart.

Die nach Hilfsantrag 2 vorgesehene frühzeitige Bestimmung der Entzündungsursache zur Auswahl therapeutischer Maßnahmen ergebe sich jedenfalls aus NK6, NK8, NK9, NK11 und NK14.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.

1. Zutreffend ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 durch die Veröffentlichung von Brunkhorst et al. (Discrimination of infectious and non-infectious etiologies of the adult respiratory distress syndrome (ARDS) with procalcitonin immunoreactivity, Clinical Intensive Care 6/3, 1995, NK8) vollständig offenbart ist.

a) In NK8 wird über Studien mit Patienten berichtet, die an einem akuten respiratorischen Belastungssyndrom (acute respiratory distress syndrome, ARDS) leiden.

Einleitend wird dargelegt, in klinischer Umgebung sei es oft schwierig, die Ursache dieses Syndroms zu bestimmen, obwohl Prognosen und therapeutische Strategien von der zugrunde liegenden Krankheit abhingen. Bei siebzehn Patienten mit schwerer Lungenverletzung seien deshalb bestimmte Parameter erhoben worden. Hierzu habe die Konzentration von Procalcitonin gehört, von der gezeigt worden sei, dass sie bei Patienten mit systemischen Infektionen deutlich erhöht sei. Zur Messung sei ein spezifischer Assay eingesetzt worden.

Aus den tabellarisch dargestellten Ergebnissen geht hervor, dass der Procalcitoninspiegel bei zehn Patienten mit septischem (septic) ARDS im Bereich von 5 bis 77 ng/ml (36,6 ± 31) lag, bei sieben Patienten mit nichtseptischem (non-septic) ARDS hingegen im Bereich zwischen 0 und 0,5 ng/ml (0,60 ± 0,95).

Ausgehend davon wird in NK8 die Einschätzung geäußert, der schnelle Ausschluss von Procalcitonin im Serum könnte bei der Beantwortung der Frage hilfreich sein, ob Glukokortikosteroide verabreicht werden sollen.

b) Entgegen der Auffassung der Berufung ist damit neben Merkmal 2 auch Merkmal 1 offenbart.

NK8 berichtet zwar nicht über den klinischen Einsatz eines Diagnoseverfahrens, sondern über Versuche, mit denen ein geeigneter Indikator gefunden werden soll. Dennoch wird der Procalcitoninspiegel dazu eingesetzt, um zwischen verschiedenen Ursachen des gleichen Syndroms zu unterscheiden. Damit dient das offenbarte Verfahren den in Merkmal 1 definierten diagnostischen Zwecken.

c) Ebenfalls offenbart ist Merkmal 3.

Entgegen der Auffassung der Beklagten wird der Procalcitoninspiegel bei dem in NK8 offenbarten Verfahren nicht nur eingesetzt, um eine Sepsis festzustellen. Vielmehr geht es darum, eine Infektion als Ursache des festgestellten akuten respiratorischen Belastungssyndroms zu ermitteln.

Für das von der Beklagten postulierte Verständnis könnten bei isolierter Betrachtung zwar die bei der Darstellung der Ergebnisse verwendeten Spaltenüberschriften ("septic", "non-septic") sprechen. Aus der Überschrift und aus den einleitenden Bemerkungen geht aber hervor, dass das Verfahren dazu eingesetzt wird, die Ursache des anhand anderer Kriterien diagnostizierten akuten respiratorischen Belastungssyndroms zu ermitteln, und zwar mit dem Ziel, zwischen Patienten mit systemischen Infektionen und anderen Patienten unterscheiden zu können. Damit steht in Einklang, dass die Begriffe "septic" und "non-septic" in NK10 in Anführungszeichen gesetzt sind, nicht aber die Begriffe "infectious", "non-infectious" und "infections".

d) Der Offenbarungsgehalt von NK8 wird nicht dadurch eingeschränkt, dass am Ende der Veröffentlichung ein eher verhaltenes Fazit ("könnte … hilfreich sein") gezogen wird.

Diesen Ausführungen ist zwar zu entnehmen, dass die Autoren von NK8 noch weitere Untersuchungen für erforderlich hielten. Diesem Aspekt kommt aber nur für die Frage Bedeutung zu, ob der Fachmann Anlass hatte, das in NK8 aufgezeigte Verfahren bei weiteren Überlegungen in Betracht zu ziehen. Für die Beurteilung der Neuheit ist hingegen ausschlaggebend, dass in NK8 ein Verfahren offenbart ist, das alle in Patentanspruch 1 vorgesehenen Merkmale aufweist.

e) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das in NK8 offenbarte Verfahren im Vergleich zu dem vom Streitpatent geschützten Verfahren nicht deshalb als ein aliud anzusehen, weil das Streitpatent eine Differenzierung zwischen infektiös und nicht-infektiös verursachten Entzündungen unabhängig von der konkreten Erkrankung beansprucht.

Mit dieser Erweiterung geht der geschützte Gegenstand zwar über den auf ein einzelnes Syndrom beschränkten Offenbarungsgehalt von NK8 hinaus. Dennoch macht ein Anwender, der das in NK8 offenbarte Verfahren ausführt, um die Ursache eines akuten respiratorischen Belastungssyndroms zu ermitteln, von der Lehre des Streitpatents Gebrauch.

Das Streitpatent vermittelt dem Fachmann über die Darlegungen in NK8 hinaus eine allgemeine wissenschaftliche Erklärung dafür, weshalb das dort offenbarte Verfahren für den betreffenden Einsatzzweck - und zugleich für einen größeren Anwendungsbereich - geeignet ist. Damit offenbart das Streitpatent in Bezug auf das in NK8 im Mittelpunkt stehende akute respiratorische Belastungssyndrom keine neue Lehre zum technischen Handeln, sondern nur eine Entdeckung biologischer Zusammenhänge. Diese vermag die Neuheit nicht zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 44 - Memantin).

f) Der von der Berufung angeführte Umstand, die Lehre des Streitpatents ermögliche es auch im Falle eines bekannten Krankheitsbildes, eine infektiöse Ursache nicht nur für dieses, sondern auch für jegliche andere Erkrankung auszuschließen, führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Diese Schlussfolgerung ist von dem in NK8 offenbarten Verfahren mit umfasst.

NK8 befasst sich zwar nur mit dem akuten respiratorischen Belastungssyndrom. Wenn aufgrund eines niedrigen Procalcitoninspiegels feststeht, dass der Patient nicht an einer Infektion leidet, wird daraus aber auch in NK8 die Schlussfolgerung gezogen, dass eine infektiöse Verursachung ausscheidet und deshalb die Verabreichung von Glukokortikosteroiden angezeigt ist. Damit wird eine infektiöse Ursache insgesamt ausgeschlossen.

2. Ebenfalls zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 in der Veröffentlichung von Brunkhorst et al. (Early Identification of Biliary Pancreatitis with Procalcitonin - A New Inflammatory Parameter, Gut 1995, Supplement 2, A111, NK14) vollständig offenbart ist.

a) In NK14 wird über Studien an Patienten mit akuter Pankreatitis berichtet.

Einleitend wird dargelegt, bei akuter Pankreatitis sei eine frühe Erkennung von Gallensteinen wichtig. Bekannte Systeme ermöglichten keine spezifische Vorhersage. In einer Pilotstudie mit 26 Patienten sei beobachtet worden, dass der Procalcitoninspiegel bei Patienten mit biliärer Pankreatitis signifikant höher sei als bei Patienten mit toxischer Pankreatitis. Eine maximale Erhöhung habe sich bei Patienten mit Cholangitis und systemischen Komplikationen ergeben. Diese seien mit erhöhter Sterblichkeit verbunden gewesen. In einer Übersichtstabelle werden für die erste Gruppe Werte zwischen 0 und 236 ng/ml (81 ± 155) und für die zweite Gruppe Werte zwischen 0 und 2,9 ng/ml (1,2 ± 1,7) angegeben.

Hieraus wird die Schlussfolgerung gezogen, ein erhöhter Procalcitoninspiegel bei Patienten mit biliärer akuter Pankreatitis, aber ohne klinische Cholangitis weise auf eine bakterielle Entzündung hin, so dass frühzeitige ERCP (Endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie) und Antibiotikatherapie durchgeführt werden sollten.

b) Damit sind ebenso wie in NK8 die Merkmale 1 und 2 offenbart.

c) Ebenfalls offenbart ist Merkmal 3.

Ein signifikant erhöhter Procalcitoninspiegel wird in NK14 als Indikator für eine bakterielle Entzündung herangezogen, um frühzeitig die erforderlichen Behandlungsschritte einleiten zu können. Damit wird eine durch Bakterieninfektion verursachte Pankreatitis von einer auf anderen Ursachen beruhenden Pankreatitis unterschieden.

Entgegen der Auffassung der Berufung wird in NK14 nicht zwischen einer septischen und einer nichtseptischen Pankreatitis unterschieden. Als Unterscheidungskriterium wird vielmehr ausdrücklich eine Auslösung der Entzündung durch Bakterien angeführt. Dass diese Unterscheidung nur in Bezug auf Pankreatitis und nicht in Bezug auf jegliche Art von Entzündung erfolgt, ist aus den bereits im Zusammenhang mit NK8 dargelegten Gründen unerheblich.

3. Zutreffend hat das Patentgericht ferner angenommen, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 in der Veröffentlichung von Bohuon et al. (Blood Procalcitonin is a new biological marker of the human septic response, Clinical Intensive Care 1994, 88, NK13) vollständig offenbart ist.

a) In NK13 wird über Studien mit Patienten berichtet, die an unterschiedlichen Entzündungskrankheiten litten.

Als Ergebnis wird mitgeteilt, von 31 Myelom- und Waldenström-Patienten habe nur einer einen Procalcitoninspiegel von 2 ng/ml aufgewiesen, während der Wert bei allen anderen unter 1 ng/ml gelegen habe. Von 37 Prostatapatienten hätten 35 normale Werte aufgewiesen. Bei den beiden anderen seien Werte von 1,5 bzw. 10,6 ng/ml und jeweils eine schwere urogenitale Infektion festgestellt worden. 17 Patienten mit Rektokolitis (entzündlicher Darmerkrankung) hätten durchweg Werte von weniger als 1 ng/ml aufgewiesen.

Hieraus wird die Hypothese abgeleitet, der Procalcitonin-Assay sei von der Anwesenheit von Bakterien oder Plasmodien abhängig. Die Daten deuteten ebenfalls klar an, dass Procalcitonin in reinen Entzündungskrankheiten nicht erhöht sei.

b) Damit sind die Merkmale 1 und 2 offenbart.

Wie in NK8 wird zwar auch in NK13 nur über Versuche berichtet, mit denen ein Indikator für eine Infektion erst gefunden werden soll. Auch damit wird der Procalcitoninspiegel aber dazu eingesetzt, um zwischen verschiedenen Ursachen des gleichen Syndroms zu unterscheiden.

c) Ebenfalls offenbart ist Merkmal 3.

aa) Bei den in NK13 offenbarten Untersuchungen wird der Procalcitoninspiegel herangezogen, um die Ursache einer Entzündung zu ermitteln. Dies ergibt sich aus den bereits erwähnten Ausführungen, eine reine Entzündungskrankheit führe nicht zu einem erhöhten Procalcitoninspiegel, wohl aber die Anwesenheit von Bakterien oder Plasmodien.

Dem steht nicht entgegen, dass von den in NK13 offenbarten Krankheiten nach dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Parteien nur Rektokolitis als Entzündungskrankheit angesehen wird. Der Umstand, dass bei Krebspatienten mit festgestellter Infektion ein erhöhter Procalcitoninspiegel auftrat, bei einer Rektokolitis hingegen nicht, trägt die in NK13 aufgestellte Hypothese, dass dieser Parameter geeignet ist, um durch eine Infektion verursachte Entzündungen von auf anderen Ursachen beruhenden Entzündungen zu unterscheiden.

Anders als bei NK8 erfolgt die Beurteilung, ob die Entzündung auf einer infektiösen oder einer nicht-infektiösen Ursache beruht, bei dem in NK13 offenbarten Verfahren nicht in Bezug auf eine bestimmte Entzündungsart. Die bereits erwähnten Ausführungen differenzieren gerade nicht nach der Art der Entzündung, sondern befassen sich lediglich mit deren Ursache.

bb) Dem Umstand, dass neben Bakterien auch Plasmodien - eine Parasitenart - als mögliche Auslöser einer Infektion genannt werden, kommt keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Wie bereits oben dargelegt wurde, kommt als infektiöse Ursache im Sinne von Merkmal 3 nicht nur eine Infektion mit Bakterien oder Pilzen in Betracht, sondern auch eine Infektion mit anderen Mikroorganismen, sofern hierfür besondere Behandlungsmethoden in Betracht kommen. Die Voraussetzung ist nach den Ausführungen in NK13 auch bei Plasmodien erfüllt, weil eine Infektion damit von reinen Entzündungskrankheiten abgegrenzt wird.

4. Hinsichtlich der in zweiter Instanz gestellten Hilfsanträge ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

a) Nach Hilfsantrag 1 soll lediglich Patentanspruch 1 aufrechterhalten bleiben und Merkmal 3 dahin ergänzt werden, dass der Rückschluss auf eine nicht-infektiöse Ursache den Ausschluss aller infektiösen Entzündungen umfasst.

Aus dieser Ergänzung ergibt sich keine inhaltliche Abweichung vom Gegenstand der erteilten Fassung. Ein Verfahren mit den Merkmalen 1 bis 3, bei dem der Ausschluss einer infektiösen Verursachung zum Anlass genommen wird, von der Verabreichung von Antibiotika oder anderen nur im Falle einer Infektion angezeigten Behandlungsmethoden abzusehen, ist, wie oben bereits dargelegt wurde, im Stand der Technik offenbart.

b) Nach Hilfsantrag 2 soll Patentanspruch 1 in der Fassung des ersten Hilfsantrags um die Angabe ergänzt werden, dass aus der festgestellten Anwesenheit des Peptids auf eine infektiöse Ursache zurückgeschlossen und bei seiner Abwesenheit jegliche infektiös verursachte Entzündung ausgeschlossen wird.

Auch daraus ergibt sich keine inhaltliche Änderung gegenüber dem Gegenstand der erteilten Fassung.

c) Nach Hilfsantrag 3, der dem zweiten Hilfsantrag aus erster Instanz entspricht, soll die erteilte Fassung von Patentanspruch 1 dahin ergänzt werden, dass das Verfahren der frühzeitigen Bestimmung der Ätiologie entzündlicher Prozesse zur Auswahl therapeutischer Maßnahmen dient.

Ein Verfahren mit diesem zusätzlichen Merkmal ist, wie das Patentgericht zu Recht entschieden hat, in NK8 bereits offenbart.

Bei dem in NK8 offenbarten Verfahren wird die Bestimmung des Procalcitoninspiegels eingesetzt, um frühzeitig über eine geeignete Behandlungsmethode, etwa die Gabe von Glukokortikosteroiden, entscheiden zu können.

d) Nach Hilfsantrag 4, der dem ersten Hilfsantrag aus erster Instanz entspricht, soll die erteilte Fassung von Patentanspruch 1 um die zusätzlichen Merkmale aus den Patentansprüchen 2 und 5 bis 11 ergänzt werden, wobei die zusätzlichen Merkmale jeweils mit "oder" verknüpft sind.

Der damit verteidigte Gegenstand ist, wie das Patentgericht zu Recht entschieden hat, durch NK13 offenbart.

In NK13 geht es um die Ursache einer Rektokolitis. Dieser Anwendungsfall ist Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 7 (Abgrenzung zwischen chronisch-entzündlichen und bakteriell-infektiösen Darmerkrankungen).

Entgegen der Auffassung der Berufung genügt es für eine vollständige Offenbarung, wenn einer der mit "oder" verknüpften Anwendungsfälle durch den Stand der Technik offenbart ist. Mit der verteidigten Fassung wird Schutz für ein Verfahren begehrt, bei dem eine infektiöse Verursachung zumindest in einem der aufgeführten Anwendungsfälle in der patentgemäßen Weise ausgeschlossen wird. Dieses Verfahren ist nicht neu, wenn einer dieser Anwendungsfälle im Stand der Technik offenbart war.

e) Nach Hilfsantrag 5 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 4 dahin geändert werden, dass die mit "oder" verknüpften Merkmale der erteilten Patentansprüche 2, 7 und 8 entfallen.

Der damit verteidigte Gegenstand ist, wie das Patentgericht im Zusammenhang mit den Patentansprüchen 5, 6, 10 und 11 zutreffend dargelegt hat, durch den oben im Zusammenhang mit der erteilten Fassung aufgezeigten Stand der Technik nahegelegt.

Die genannten Entgegenhaltungen befassen sich zwar nur mit einzelnen Krankheiten oder Syndromen. Aus ihrer Zusammenschau ergab sich für den Fachmann aber, dass ein erhöhter Procalcitoninspiegel bei unterschiedlichen Krankheitsbildern einen geeigneten Indikator darstellt, um eine infektiöse von einer nicht-infektiösen Verursachung zu unterscheiden. Dies gab hinreichend Veranlassung, einen Procalcitonintest als einfaches Verfahren zur Ursachenbestimmung heranzuziehen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Entgegenhaltungen lediglich die Ergebnisse von klinischen Untersuchungen wiedergeben und die Einschätzung äußern, weitere Untersuchungen seien erforderlich. Aus den berichteten Ergebnissen ergab sich im Streitfall bereits eine hinreichende Erfolgserwartung, die dem Fachmann Anlass gab, den damit aufgezeigten Weg weiter zu beschreiten.

Nach der Rechtsprechung des Senats kann es zwar gegen eine hinreichende Erfolgserwartung sprechen, wenn in einer Veröffentlichung über noch nicht abgeschlossene Forschungsarbeiten berichtet wird (BGH, Urteil vom 19. April 2016 - X ZR 148/11, GRUR 2016, 1027 Rn. 24 ff. - Zöliakiediagnoseverfahren). Im Streitfall lagen aber bereits Berichte über mehrere unabhängig voneinander durchgeführte Untersuchungen dar, die einander ergänzten und ein im Wesentlichen übereinstimmendes Ergebnis lieferten. Darüber hinaus war die Ermittlung des Procalcitoninspiegels mit vergleichsweise geringem Aufwand verbunden, weil bereits Assays verfügbar waren, deren Einsatz in den genannten Entgegenhaltungen ebenfalls offenbart ist. Vor diesem Hintergrund stellte sich die weitere Verfolgung dieses Ansatzes für den Fachmann nicht als Überprüfung einer zwar postulierten, aber im Wesentlichen noch unbestätigten Hypothese dar, sondern als Fortentwicklung eines Ansatzes, der sich bereits mehrfach als erfolgversprechend erwiesen hatte und mit relativ einfachen Mitteln zu verwirklichen war.

Dass die Anzahl der untersuchten Patienten bei den im Stand der Technik offenbarten Untersuchungen nicht allzu groß war, führt, wie das Patentgericht zu Recht ausgeführt hat, schon deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil sich auch das Streitpatent auf Untersuchungen in vergleichbarer Größenordnung stützt und damit in dieser Beziehung keine weitergehende technische Lehre vermitteln kann.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 2. Oktober 2018

Vorinstanz: BPatG, vom 26.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 9/15 (EP)
Vorinstanz: BPatG, vom 26.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 21/15 (EP)