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BGH - Entscheidung vom 15.10.2018

AnwZ (Brfg) 2/17

Normen:
BRAO § 65 Nr. 2
BRAO § 112c Abs. 1 S. 1
VwGO § 162 Abs. 3

Fundstellen:
AnwBl 2019, 238

BGH, Beschluss vom 15.10.2018 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 2/17

DRsp Nr. 2019/1195

Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen bei übereinstimmender Erledigungserklärung des Rechtsstreits in der Hauptsache im Wege des Prozessvergleichs; Wählbarkeit der zugelassenen Rechtsanwälte zum Vorstand einer Rechtsanwaltskammer hinsichtlich Anfechtung

Für die Wählbarkeit zum Vorstand einer Rechtsanwaltskammer genügt zwar nicht die bloße Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, ausreichend ist allerdings jedwede nennenswerte qualifizierende Tätigkeit. Diese kann in einer Syndikustätigkeit bestehen, die inhaltlich einer anwaltlichen Tätigkeit entspricht.

Tenor

Die Beigeladenen zu 1 bis 10 und 14 tragen ihre außergerichtlichen Kosten erster und zweiter Instanz selbst.

Normenkette:

BRAO § 65 Nr. 2 ; BRAO § 112c Abs. 1 S. 1; VwGO § 162 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Die Kläger haben begehrt, die Wahl der Beigeladenen zu 1 bis 8 zum Vorstand der Beklagten in der Kammerversammlung vom 11. März 2015, hilfsweise die gesamte Wahl, für ungültig zu erklären. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mit Urteil vom 26. Oktober 2016 abgewiesen. Dieses Urteil hat er mit Ergänzungsurteil vom 30. August 2017 um eine Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 bis 8 ergänzt. Mit ihrer vom Senat durch Beschluss vom 10. Januar 2018 zugelassenen Berufung haben die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt. Der Senat hat mit Beschluss vom 24. April 2018 die Beiladung auch der weiteren Gewählten verfügt (Beigeladene zu 9 bis 14). In der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2018 haben die Kläger und die Beklagte im Wege des Prozessvergleichs den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Zugleich haben sie sich in dem Vergleich darauf geeinigt, dass sie die Gerichtskosten erster und zweiter Instanz jeweils zur Hälfte und ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen sowie dass die Beigeladenen zu 11 bis 13 ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Diese Beigeladenen sind dem Vergleich in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2018 beigetreten.

II.

Nachdem im Wege des Prozessvergleichs die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und - unter Beitritt der Beigeladenen zu 11 bis 13 zu dem Vergleich - eine Teilregelung zu den Kosten des Rechtsstreits getroffen haben, ist gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 161 Abs. 2 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO noch über die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 bis 10 und 14 zu entscheiden (vgl. Eyermann/ Geiger, VwGO , 14. Aufl., § 160 Rn. 13; W.-R. Schenke/Hug in Kopp/Schenke, VwGO , 24. Aufl., § 160 Rn. 2). Dabei sind der bisherige Sach- und Streitstand (§ 161 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO ) sowie die Bestimmung in § 162 Abs. 3 VwGO zu berücksichtigen, nach der die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig sind, wenn dies der Billigkeit entspricht. Danach haben die Beigeladenen zu 1 bis 10 und 14 ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen:

1. a) Hinsichtlich der Beigeladenen zu 9, 10 und 14 kommt eine Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Beigeladenen weder einen Antrag gestellt (beziehungsweise angekündigt) und sich damit ihrerseits in das Kostenrisiko begeben haben (vgl. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 3 VwGO ) noch das Verfahren besonders gefördert haben (vgl. Eyermann/Schmidt, VwGO , 14. Aufl., § 162 Rn. 17; W.-R. Schenke in Kopp/ Schenke, aaO, § 162 Rn. 23; jew. mwN).

b) Die Beigeladenen zu 1 bis 8 haben zwar erst- oder/und zweitinstanzlich einen Antrag gestellt beziehungsweise angekündigt. Dennoch entspricht es in der besonderen Konstellation des vorliegenden Falles nicht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO ), ihre außergerichtlichen Kosten einer der Parteien oder anteilig beiden Parteien aufzuerlegen.

In Anbetracht der im Verhältnis zur Beklagten gleichgerichteten Anträge der Beigeladenen zu 1 bis 8 auf Abweisung der Klage beziehungsweise Zurückweisung der Berufung kommt eine Kostenerstattungspflicht der Beklagten als unterliegende Partei nach § 162 Abs. 3 VwGO im Hinblick auf die außergerichtlichen Kosten der vorgenannten Beigeladenen von vorneherein nicht in Betracht. Denn in dem Umfang, in dem die Beklagte bei Fortführung des Wahlanfechtungsprozesses unterlegen gewesen wäre, hätten auch die Anträge der Beigeladenen keinen Erfolg gehabt und wären ihnen gemäß § 154 Abs. 3 VwGO Kosten aufzuerlegen gewesen. Insoweit scheidet eine Anwendung von § 162 Abs. 3 VwGO aus.

Aber auch den Klägern sind die Kosten der Beigeladenen zu 1 bis 8 nicht (teilweise) aufzuerlegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ausgang des Rechtsstreits zum Zeitpunkt seiner Erledigung und damit auch ein Unterliegen der Kläger als Voraussetzung der Kostenerstattung nach § 162 Abs. 3 VwGO nach dem bisherigen Sach- und Streitstand offen war (dazu nachfolgend zu 2). Zudem ist zu bedenken, dass die Beigeladenen zu 1 bis 8 in dem vorliegenden Fall der Anfechtung ihrer Wahl zum Vorstand der Beklagten eindeutig im Lager der Beklagten stehen. In einer solchen Konstellation ist es nicht gerechtfertigt, über ihre Kosten anders zu entscheiden, als über die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu entscheiden gewesen wäre, wenn diese nicht bereits Gegenstand des von den Parteien geschlossenen Vergleichs wären. Angesichts des offenen Ausgangs des Rechtsstreits hätte die Beklagte - entsprechend der von den Parteien vergleichsweise getroffenen Regelung - ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen gehabt. Nichts anderes kann für die außergerichtlichen Kosten der - in ihrem Lager stehenden - Beigeladenen zu 1 bis 8 gelten.

2. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist offen, ob die Klage Erfolg gehabt hätte. Es hätte umfangreicher Maßnahmen zur Erforschung des Sachverhalts (§ 112e Satz 2 BRAO i.V.m. § 86 Abs. 1 , § 125 Abs. 1 VwGO ) bedurft, um zu klären, ob die Beigeladenen zu 1 bis 8 zum Zeitpunkt der angefochtenen Wahl gemäß § 65 Nr. 2 BRAO wählbar waren. Nach dieser Vorschrift kann zum Mitglied des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer nur gewählt werden, wer den Beruf des Rechtsanwalts seit mindestens fünf Jahren ohne Unterbrechung ausübt. Insofern war zwischen den Klägern einerseits und der Beklagten sowie den Beigeladenen zu 1 bis 8 andererseits streitig, ob die Beigeladenen als zugelassene Rechtsanwälte oder als Syndikusanwälte die in § 65 Nr. 2 BRAO bestimmten Voraussetzungen erfüllten.

a) Der Senat legt § 65 Nr. 2 BRAO - wie in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2018 näher erläutert - dahingehend aus, dass für die Wählbarkeit zum Vorstand einer Rechtsanwaltskammer im Hinblick auf das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel eines Mindestmaßes an praktischer Erfahrung zwar nicht die bloße Zulassung zur Rechtsanwaltschaft genügt, dass sich allerdings dem Gesetz kein qualifiziertes Maß an notwendiger Vortätigkeit im Sinne der Mittelpunktstheorie entnehmen lässt. Ausreichend ist vielmehr jedwede nennenswerte qualifizierende Tätigkeit. Diese kann - auch vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I 2517) - in einer Syndikustätigkeit bestehen, die inhaltlich einer anwaltlichen Tätigkeit entspricht. Das ist der Fall, wenn die in dem Fünfjahreszeitraum nach § 65 Nr. 2 BRAO ausgeübte Syndikustätigkeit die Voraussetzungen der sogenannten Vier-Kriterien-Theorie erfüllte. Nach dieser "Theorie" wurde zur Abgrenzung anwaltlicher - zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht qualifizierender - Tätigkeit von "juristischer Tätigkeit" verlangt, dass der Syndikus rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig ist. Die vorgenannten Kriterien umschreiben auch nach Auffassung des Senats typische anwaltliche Tätigkeit. Ihre Tauglichkeit ist zwischenzeitlich vom Gesetzgeber anerkannt worden, der die inhaltlichen Anforderungen an eine anwaltliche Tätigkeit des nunmehr legal definierten Syndikusrechtsanwalts ausdrücklich in Anlehnung an die Vier-Kriterien-Theorie festgelegt hat (vgl. BT-Drucks. 18/5201, S. 26, 28).

b) Auf der vorstehenden Grundlage wäre bei Fortführung des Wahlanfechtungsprozesses zu klären gewesen, ob die Beigeladenen zu 1 bis 8 entweder - wie die Kläger umfassend bestritten haben - als zugelassene Rechtsanwälte diesen Beruf in dem Zeitraum des § 65 Nr. 2 BRAO in nennenswertem Umfang ausübten oder ob die von ihnen angegebene Syndikustätigkeit - wie von den Klägern ebenfalls umfassend bestritten - die vorgenannten vier Kriterien erfüllte. Angesichts des umfangreichen Vortrags und Bestreitens der Kläger wären von den Beigeladenen im Hinblick auf ihre Tätigkeit als zugelassene Rechtsanwälte die von ihnen bearbeiteten Fälle näher darzulegen und im Hinblick auf ihre Tätigkeit als Syndizi - soweit nicht bereits geschehen - ihre Anstellungsverträge sowie arbeitgeberseitige Beschreibungen ihrer Syndikustätigkeit vorzulegen gewesen. Anschließend wäre den Klägern hierzu rechtliches Gehör zu gewähren und zu entscheiden gewesen, ob die Beigeladenen zu ihrer Tätigkeit als zugelassene Rechtsanwälte und Syndizi ergänzend persönlich anzuhören gewesen wären und den zahlreichen von den Klägern angekündigten Beweisanträgen Folge zu leisten gewesen wäre. Keineswegs konnte in Bezug auf die Tätigkeit der Beigeladenen ohne weiteres deren Sachvortrag zugrunde gelegt werden. Angesichts des streitigen Sachstandes wären vielmehr aufwändige und umfangreiche Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich gewesen, deren Abschluss bis zur Erledigung des Rechtsstreits durch Ablauf der Amtsperiode der Beigeladenen zu 1 bis 8 im März 2019 zweifelhaft gewesen wäre.

Bei Erledigung des Rechtsstreits durch die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien vom 15. Oktober 2018 war mithin völlig offen, ob zum Zeitpunkt der angefochtenen Wahl im Hinblick auf die Beigeladenen zu 1 bis 8 die Wählbarkeitsvoraussetzungen gemäß § 65 Nr. 2 BRAO vorlagen.

Verkündet am: 15. Oktober 2018

Vorinstanz: AnwGH Berlin, vom 26.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen I AGH 7/15
Fundstellen
AnwBl 2019, 238