Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 13.06.2017

B 12 KR 10/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 13.06.2017 - Aktenzeichen B 12 KR 10/17 B

DRsp Nr. 2017/13931

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen Divergenzrüge Begriff der Abweichung Widerspruch in abstrakten Rechtssätzen

1. Divergenz i.S. von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. 2. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewendet hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die eines der in der Norm genannten Gerichte aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. 3. Das LSG weicht damit nur dann im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG von einer Entscheidung u.a. des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. 4. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht sowie, dass die Entscheidung hierauf beruht.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. November 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 53 788,01 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten in dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit darüber, ob der beklagte Rentenversicherungsträger berechtigt war, im Anschluss an eine Betriebsprüfung bei der Klägerin von dieser für den in der Zeit vom 14.1.2009 bis zum 10.12.2011 bei ihr als Busfahrer tätigen Beigeladenen zu 1. ua Sozialversicherungsbeiträge nachzufordern. Das Hessische LSG hat den der Klage stattgebenden erstinstanzlichen Gerichtsbescheid vom 5.4.2016 mit Urteil vom 24.11.2016 aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

II

1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen LSG vom 24.11.2016 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Mit der Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, lässt sich die Zulassung der Revision demgegenüber - der Struktur und Ausrichtung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens entsprechend - nicht erreichen.

Die Klägerin stützt sich in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde vom 24.2.2017 auf die Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

a) Die Klägerin behauptet eine Abweichung des Berufungsurteils von höchstrichterlicher Rechtsprechung des BSG . Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewendet hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die eines der in der Norm genannten Gerichte aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann im Sinn von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht sowie, dass die Entscheidung hierauf beruht ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21 , 29 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN).

aa) Die Klägerin arbeitet zunächst als tragenden Rechtssatz des LSG heraus (S 2 der Beschwerdebegründung):

"Bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung von Fahrertätigkeiten - ob als Lkw-, Kurier- oder Busfahrer - kommt es nach Auffassung des Senats entscheidend darauf an, ob der Fahrer ein eigenes Fahrzeug einsetzt" (S 11 des Urteilsabdrucks).

Im Hinblick auf seine Stellung in den Entscheidungsgründen - so die Klägerin - sei davon auszugehen, dass dieser Rechtssatz die oberste Priorität für das LSG gehabt habe.

Dem stellt sie folgende Passage aus dem Urteil des BSG vom 31.3.2015 ( B 12 KR 17/13 R - Juris RdNr 27) als widersprechend gegenüber (S 3 der Beschwerdebegründung):

"Nach den vom 12. Senat des BSG entwickelten Grundsätzen (vgl. etwa BSG SozR 3-2400, § 7 Nr. 13, S. 36 mit weiterem Nachweis; BSG SozV ERS 2001, 329, 332, zuletzt BSG Urteil vom 28.09.2011 - B 12 R 17/09 R - Juris RN. 25 und Urteil vom 28.05.2008 - B 12 KR 17/07 R - Juris RN. 27) ist maßgebendes Kriterium für ein solches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, d.h., ob der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist."

Zur Erläuterung trägt die Klägerin vor, dass das BSG darin anders als das Berufungsgericht für das Unternehmerrisiko nicht allein auf das Kapitalrisiko abgestellt habe, sondern für die Annahme eines Unternehmerrisikos gleichwertig auch die Gefahr des Verlustes des eigenen Arbeitsplatzes habe ausreichen lassen.

Eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) legt sie damit nicht in der gebotenen Weise dar. Es fehlt bereits an hinreichender Auseinandersetzung damit, warum in der zitierten Passage des LSG-Urteils ein abstrakter tragender Rechtssatz liegen soll und das LSG nicht vielmehr rechtsgrundsätzliche Ausführungen des BSG - ohne diese infrage zu stellen - auf den Einzelfall (nur) unrichtig angewendet hat. Das Berufungsgericht führt zwar, wie die Klägerin zutreffend bemerkt, an entsprechender Stelle aus, bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung von Fahrertätigkeiten ... komme es "entscheidend" darauf an, ob der Fahrer ein eigenes Fahrzeug einsetze. Jedoch relativiert es wenig später, indem es ausführt, Berufskraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug seien ... "regelmäßig" abhängig beschäftigt. Auch nimmt das LSG bei der Darstellung der höchstrichterlichen Obersätze, unter die es subsumiert, ausdrücklich Bezug auf BSG -Rechtsprechung zu den Konturen eines für die Statusbeurteilung relevanten Unternehmerrisikos (vor allem BSG Urteil vom 25.4.2012 - B 12 KR 24/10 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 15, dort RdNr 29). Sind Widersprüche - wie sie hier behauptet werden - nicht klar erkennbar, müssen diese im Einzelnen herausgearbeitet werden; daran fehlt es.

bb) Die Klägerin hält sodann für höchstrichterlicher Rechtsprechung widersprechend (S 3 der Beschwerdebegründung) den Satz des LSG,

"wonach der Busfahrer, der an die engen Vorgaben des Linienverkehrs gebunden ist, sich nicht wesentlich von der Tätigkeit der fest angestellten Fahrer unterscheidet".

Sie meint, dass diesem die Rechtsprechung des BSG zur Bedeutung geminderter "Autonomie" für die Statusbeurteilung von Lehrbeauftragten in seinem Urteil vom 27.3.1980 ( 12 RK 26/79 - SozR 2200 § 165 Nr 45 mwN; vgl auch Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R - Juris RdNr 23 mwN) entgegenstehe. Danach ist aus der einseitigen Festlegung gewisser Eckpunkte der Tätigkeit nicht zwingend auf ihren abhängigen Charakter zu schließen.

Eine zulassungsrelevante Abweichung legt die Klägerin auch mit diesem Vorbringen nicht hinreichend dar. Aus diesem ergibt sich vielmehr schon nach ihrer Wortwahl, dass die Klägerin (selbst) zugrunde legt, das LSG habe vom BSG aufgestellte Rechtsgrundsätze auf den entscheidenden Fall - ohne Abweichung - unzutreffend angewandt ("missachtet", "nicht erkannt", "hätte anders subsumieren müssen").

cc) Die Klägern behauptet schließlich eine weitere Abweichung des Berufungsurteils von dem Urteil des BSG vom 31.3.2015 ( B 12 KR 17/13 R - Juris).

Sie arbeitet als Rechtssatz des LSG heraus (S 3 der Beschwerdebegründung):

"Es gibt zudem Beschäftigungsverhältnisse, bei denen es nicht unbedingt auf die persönliche Arbeitsleistung ankommt, sondern eine Vertretung möglich und üblich ist" (S 14 des Urteilsabdrucks).

Diesem setzt sie als widersprechenden tragenden Rechtssatz des BSG unter Hinweis auf dessen Urteil vom 31.3.2015 ( B 12 KR 17/13 R - Juris RdNr 22) gegenüber (S 4 der Beschwerdebegründung):

"Wie der Senat bereits entschieden hat, ist für das Vorliegen einer Beschäftigung entscheidend, dass die Tätigkeit in der Regel in eigener Person erbracht wird. Arbeitnehmer haben ihre Arbeitsleistung in der Regel höchst persönlich zu erbringen und dürfen sich hierbei nicht Dritter als Erfüllungsgehilfen bedienen (vgl. BSG SozR 3-2400, § 7 Nr. 19 - hierzu auch BSG SozR 4-2400, § 7 Nr. 15 RN. 30)."

Auch insoweit legt die Klägerin die Unvereinbarkeit aus dem angefochtenen Berufungsurteil und höchstrichterlicher Rechtsprechung folgender tragender Rechtssätze nicht substantiiert dar. Sie führt selbst aus, das BSG habe die höchstpersönliche (Arbeits)Leistungserbringung nur als "in der Regel" prägend für die Arbeitnehmereigenschaft angesehen. Warum der von ihr angenommene Rechtssatz des LSG, es gebe Beschäftigungsverhältnisse, bei denen es nicht auf die persönliche Arbeitsleistung ankomme, hiermit im Widerspruch stehen soll, erläutert die Klägerin nicht.

dd) Die Klägerin legt überdies nicht in der gebotenen Weise dar, warum das angefochtene Berufungsurteil - das Vorliegen einer oder aller genannten Abweichungen unterstellt - darauf beruhen soll. Sie beschäftigt sich nicht ansatzweise mit der Struktur der vom LSG vorgenommenen Abwägungsentscheidung, das für die Annahme von Selbstständigkeit nur wenige Gesichtspunkte gefunden hat (S 14 des Urteilsabdrucks). Insoweit fehlen Ausführungen dazu, warum das LSG-Urteil bei Zugrundelegung der Auffassung der Klägerin von der Divergenz im Ergebnis anders (= Annahme von Selbstständigkeit) hätte ausfallen müssen.

Der Sache nach rügt die Klägerin mit ihrem Vorbringen lediglich, das Berufungsgericht habe inhaltlich unzutreffend entschieden und stellt dessen Auffassung ihre eigene Ansicht - auch zu anderen Abwägungsgesichtspunkten (S 4 der Beschwerdebegründung) - gegenüber. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gestützt werden.

b) Die Klägerin beruft sich ferner auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

Sie wirft auf S 4 ihrer Beschwerdebegründung die Frage auf,

"ob ein Berufskraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug regelmäßig abhängig beschäftigt ist".

Zur Erläuterung der Klärungsbedürftigkeit weist die Klägerin auf die differenzierende Auffassung des Bayerischen LSG in seinem Urteil vom 29.3.2011 ( L 8 AL 152/08 - Juris), die zunehmende "Entmaterialisierung" des Betriebsbegriffs, wissenschaftliche Abhandlungen sowie darauf hin, dass das BSG in seinem Urteil vom 28.5.2008 ( B 12 KR 13/07 R - Juris) dem Kriterium "ohne eigenes Fahrzeug" wohl kein entscheidendes Gewicht beigemessen habe.

Hiermit legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit (und Klärungsfähigkeit) der aufgeworfenen Frage nicht in der gebotenen Weise dar. Wie der Senat schon mehrfach entschieden hat (Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 10-13; Beschluss vom 27.8.2012 - B 12 R 4/12 B - Juris RdNr 8; Beschluss vom 28.1.2013 - B 12 KR 21/12 B - Juris RdNr 9; Beschluss vom 21.8.2013 - B 12 KR 93/12 B - Juris RdNr 16) genügt zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht allein die Behauptung, das BSG habe im Zusammenhang mit der streitentscheidenden Norm noch nicht zu einer bestimmten Berufsgruppe (hier: Berufskraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug) entschieden, es gebe insoweit differenzierende Entscheidungen der Instanzgerichte und die Klärung dieser Frage sei von allgemeinem Interesse. Dies betrifft regelmäßig allein die Subsumtion konkreter Umstände unter diese Norm und keine klärungsbedürftige Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , selbst wenn der Einzelfall beispielgebend für eine Vielzahl von Angehörigen dieser Berufsgruppe wäre. Vielmehr wäre zur Klärungsbedürftigkeit einer sich im Zusammenhang hiermit möglicherweise ergebenden abstrakten Rechtsfrage darzulegen, dass diese anhand der in Rechtsprechung und Literatur entwickelten abstrakten Grundsätze nicht zu beantworten ist. Konkret hätte dies vorliegend eine Auseinandersetzung jedenfalls mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs 1 SGB IV - insbesondere der vom LSG auf den S 10 und 11 des Urteilsabdrucks zitierten Senatsrechtsprechung - erfordert. Darlegungen hierzu sind in der Beschwerdebegründung nicht enthalten.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160 Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

4. Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG in Höhe der vom LSG angenommenen Nachforderung festzusetzen.

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 24.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KR 157/16
Vorinstanz: SG Darmstadt, vom 05.04.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 18 KR 36/14