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BSG - Entscheidung vom 24.01.2017

B 10 ÜG 23/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 24.01.2017 - Aktenzeichen B 10 ÜG 23/15 B

DRsp Nr. 2017/9702

Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens Formgerechte Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz Gegenüberstellen von Rechtssätzen Kausalität

1. Zur formgerechten Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. 2. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. 3. Der Beschwerdeführer muss also darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die vorinstanzliche Entscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. 4. Sie muss einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird; es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. 5. Schließlich ist darzulegen, dass die vorinstanzliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. August 2015 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20 000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

I

In der Hauptsache begehrt der Kläger Entschädigung wegen überlanger Dauer der Verfahrens S 29 SB 682/06 vor dem SG München und L 16 SB 112/10 vor dem Bayerischen LSG, mit welchem der Kläger die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) anstrebte. Das Klageverfahren begann im Juni 2006 und endete nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch klageabweisende Entscheidung (Gerichtsbescheid vom 22.6.2010). Das anschließende Berufungsverfahren endete mit der Feststellung, dass der Rechtsstreit durch Klagerücknahme erledigt worden sei (Urteil vom 20.7.2011, zugestellt am 13.8.2011). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hob das BSG das Urteil des LSG auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das LSG (Beschluss vom 25.10.2012). Dieses wies die Berufung im Zurückverweisungsverfahren L 16 SB 179/12 ZVW zurück (Urteil vom 11.12.2013, zugestellt am 26.4.2014).

Am 29.5.2013 hatte der Kläger Verzögerungsrüge erhoben, am 8.10.2013 Entschädigungsklage. Mit dieser macht er Entschädigung in Höhe von monatlich 100 Euro ab März 1994 geltend. Das Entschädigungsgericht hat festgestellt, dass das Klageverfahren S 29 SB 682/06 unangemessen war und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Einbeziehung von Verfahren vor der Klageerhebung in die Gesamtverfahrensdauer sei unzulässig. Die Entschädigungsklage sei hinsichtlich des Berufungsverfahrens im Ausgangsrechtsstreit unbegründet, weil die Verzögerungsrüge verspätet erhoben worden sei und damit der Entschädigungsanspruch bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt präkludiert sei. Für die anschließende Zeit sei das Verfahren mit elf Monaten auch unter Berücksichtigung eines vom Kläger gestellten Befangenheitsantrags mit nachfolgender Anhörungsrüge nicht überlang gewesen. Hinsichtlich der Überlänge des Klageverfahrens im Ausgangsrechtstreit sei die Feststellung der Überlänge begründet. Das Verfahren habe 48 Monate gedauert. Auch unter Berücksichtigung zweier Befangenheitsanträge und der Weigerung des Klägers, sich von dem Sachverständigen untersuchen zu lassen, sei festzuhalten, dass es knapp zwei Jahre gar nicht bearbeitet worden sei. Die Feststellung der Überlänge sei indes ausreichend. Der Ausgangsrechtsstreit durch den Kläger sei hauptsächlich geführt worden, weil er trotz gegenteiliger Belehrung daran festgehalten habe, dass der GdB präjudizielle Wirkung für seine zahlreichen Rechtsstreitigkeiten des sozialen Entschädigungsrechts habe (Urteil vom 27.8.2015).

Mit seiner Beschwerde, für die der Senat PKH bewilligt hat (Beschluss vom 16.6.2016), wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und rügt Divergenz und Verfahrensmängel.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Soweit der Kläger das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) rügt, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG . Zur formgerechten Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss also darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die vorinstanzliche Entscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Sie muss einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die vorinstanzliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21 , 29). Daran fehlt es.

Der Kläger führt zwar an, die bloße Feststellung der Überlänge des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens widerspreche den vom BSG aufgestellten Grundsätzen. Tatsächlich stellt die Beschwerdebegründung jedoch lediglich ihre eigene Bewertung der für die Überlänge maßgeblichen Einzelkriterien der Bewertung der Vorinstanz gegenüber. Auch mit der sinngemäßen Rüge, das LSG weiche von der Rechtsprechung des BGH und des BSG ab, indem es den Entschädigungsanspruch mangels rechtzeitig erhobener Verzögerungsrüge insgesamt auch für die Zeit ab Erhebung der Verzögerungsrüge abgewiesen habe, legt der Kläger keine Divergenz dar. Abgesehen davon, dass die behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des BGH nicht geeignet ist, eine Divergenz zu begründen, fehlt bereits jede Gegenüberstellung entscheidungstragender Rechtssätze des BSG und der Vorinstanz, aus denen sich ein Widerspruch im Grundsätzlichen ergeben könnte. Soweit der Kläger die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des LSG im konkreten Einzelfall geltend macht, begründet dieser Umstand nicht die Zulassung der Revision ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

2. Ebenso wenig hat der Kläger einen Verfahrensmangel hinreichend dargetan. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der angefochtenen Entscheidung besteht.

Der Kläger macht zwar pauschal Verfahrensmängel geltend, rügt aber ausdrücklich lediglich, dass LSG habe ihm die Verzögerungsrüge nicht als verspätet entgegen halten dürfen, weil das Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3.12.2011 während der Dauer des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG nicht zu seinen Lasten gehe dürfe. Damit verweist der Kläger indes lediglich auf die seiner Auffassung nach fehlerhafte Auslegung des materiellen Rechts, nämlich bei der Verzögerungsrüge als materieller Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs (vgl BSG SozR 4-1710 Art 23 Nr 1 RdNr 27). Darin liegt weder ein Verfahrensmangel noch die Erhebung einer ordnungsgemäßen Grundsatzrüge zur Frage des anwendbaren Rechts. Soweit er darüber hinaus anführt, das LSG habe die Abweisung seiner Ansprüche für die Vergangenheit nicht hinreichend begründet, und damit sinngemäß den Verfahrensmangel fehlender Entscheidungsgründe (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG ) benennen wollte, räumt der Kläger selbst ein, dass das LSG seine Entscheidung begründet habe, wenn auch nur - wie der Kläger behauptet - mit wenigen Worten. Entscheidungsgründe fehlen allerdings nicht schon dann, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung einer bündigen Kürze befleißigt und nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abgehandelt hat. Ebenso wenig ist die Begründungspflicht bereits dann verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind (vgl BSG Beschluss vom 24.2.2006 - B 9a SB 22/05 B). Hiermit setzt sich die Beschwerdebegründung unter keinem Gesichtspunkt auseinander.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO .

5. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 52 Abs 3 S 1, § 47 Abs 1 bis 3 GKG . Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass er sein Begehren auf Entschädigung in Geld einerseits nicht über den bisherigen Umfang hinausgehend weiterbetreiben will, andererseits an seinem Entschädigungsbegehren trotz Teilobsiegens hinsichtlich der Feststellung der Überlänge vollumfänglich festhält.

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 27.08.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 8 SF 341/13
Vorinstanz: SG München, - Vorinstanzaktenzeichen S 29 SB 682/06