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BGH - Entscheidung vom 23.03.2017

1 StR 451/16

Normen:
StGB § 25 Abs. 2
StGB § 78 Abs. 3 Nr. 4
StGB § 78c Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und Nr. 6
AO § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
AO § 376 Abs. 1
EGAO Art. 97 § 23
TabStG a.F. § 12 Abs. 1
a.F. § 19 TabStG
TabStG § 23

Fundstellen:
AO-StB 2018, 18
NStZ 2018, 544
StV 2018, 39

BGH, Beschluss vom 23.03.2017 - Aktenzeichen 1 StR 451/16

DRsp Nr. 2017/6533

Täterschaftliche bzw. mittäterschaftliche Hinterziehung von Tabaksteuer durch Unterlassen; Erforderlichkeit eines gewissen Maßes an Herrschaft über die Tabakwaren beim Verbringen nach Deutschland; Beurteilung einer Beteiligung als Mittäterschaft oder Beihilfe

Die deutsche Tabaksteuer entsteht, wenn Tabakwaren aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht werden. Das Überführen der Zigaretten aus Polen, die sich dort im freien Verkehr befanden, nach Deutschland ohne Inanspruchnahme des innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahrens ist ein gewerbliches unversteuertes Verbringen, für das unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben ist. Mit der Missachtung dieser Pflicht wird die deutsche Tabaksteuer hinterzogen.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. März 2016 mit den Feststellungen zu den Tatbeiträgen des Angeklagten K. aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten betrifft.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 25 Abs. 2 ; StGB § 78 Abs. 3 Nr. 4 ; StGB § 78c Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und Nr. 6 ; AO § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ; AO § 376 Abs. 1 ; EGAO Art. 97 § 23; TabStG a.F. § 12 Abs. 1 ; a.F. § 19 TabStG ; TabStG § 23 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Steuerhinterziehung in 40 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Es hat angeordnet, dass hiervon drei Monate als vollstreckt gelten.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision, die in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg hat.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte K. schloss sich mit dem Mitangeklagten J. und drei weiteren Personen zusammen, um unversteuerte Zigaretten versteckt unter Tarnladungen von Polen nach Deutschland zu transportieren und hier auf dem Schwarzmarkt gewinnbringend zu verkaufen. Im Zeitraum vom 16. Oktober 2006 bis 17. März 2008 wurden durch die Mitglieder der Bande in insgesamt 44 Fällen Verbrauchssteuern in Form von Tabaksteuern hinterzogen. Der Angeklagte K. war an 40 der 44 Taten beteiligt (Taten 2 bis 41) und hinterzog hierdurch Tabaksteuer in Höhe von gut 3,27 Mio. Euro.

Während der Mitangeklagte J. die Fahrten jeweils maßgeblich organisierte, ließen sich die Tatbeiträge des Angeklagten K. "nicht für jede einzelne Tathandlung konkret" feststellen. So war er beim Beladen der Fahrzeuge in Polen "überwiegend" bzw. "regelmäßig" anwesend, wusste in welchen Paletten sich jeweils Zigaretten befanden und war einer derjenigen, der die Fahrer anwies, welche Paletten am Entladeort abzuladen waren. Zudem übernahm er "in einer Vielzahl" von Fällen die Pilotierung der Lkw, die "entweder" vom Angeklagten K. , dem Mitangeklagten J. oder dem gesondert Verfolgten W. durchgeführt wurde. Ohne die Mitwirkung des Angeklagten wären die Tathandlungen nicht realisierbar bzw. deren Umsetzung wesentlich erschwert gewesen.

II.

1. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.

Verfolgungsverjährung ist für die verfahrensgegenständlichen Taten der Hinterziehung von Tabaksteuer durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO , § 19 TabStG in der bis 31. März 2010 gültigen Fassung vom 12. Juli 1996) nicht eingetreten.

Die zunächst fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB ) wurde durch die richterliche Durchsuchungsanordnung vom 20. September 2010 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB und die Erhebung der öffentlichen Klage am 2. August 2013 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB wirksam unterbrochen.

Die Verjährungsfrist verlängerte sich zudem vor ihrem Ablauf mit dem Inkrafttreten des § 376 Abs. 1 AO am 25. Dezember 2008 auf zehn Jahre (Art. 97 § 23 EGAO), weil die Taten die Voraussetzungen des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO erfüllen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 389/16, NStZ-RR 2016, 82 ; vom 5. März 2013 - 1 StR 73/13, BGHR AO § 376 Abs. 1 Verjährungsfrist 1 und vom 13. Juni 2013 - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471 ).

2. Während die Verfahrensbeanstandungen des Revisionsführers aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen keinen Erfolg haben, führt die Sachrüge zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit dieser Angeklagte betroffen ist. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten wegen in Mittäterschaft begangener Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO , § 25 Abs. 2 StGB kann keinen Bestand haben, da eine Täterschaft des Angeklagten nicht ausreichend belegt ist.

a) Täter - auch Mittäter - einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 mwN; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 521/14, wistra 2016, 74 ).

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen für die dem Angeklagten vorgeworfenen 40 Fälle der Steuerhinterziehung (Taten 2 bis 41) belegen nicht, dass sich der Angeklagte in 2007 als Steuerschuldner hinsichtlich der bei dem Verbringen der Zigaretten nach Deutschland entstandenen Tabaksteuer der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 19 TabStG in der bis 31. März 2010 gültigen Fassung vom 12. Juli 1996 im Folgenden § 19 TabStG a.F.; dessen Regelungsgehalt in § 23 TabStG in der ab dem 1. April 2010 gültigen Fassung aufgegangen ist) schuldig gemacht hat.

Gemäß § 19 TabStG aF entsteht die deutsche Tabaksteuer, wenn Tabakwaren unzulässiger Weise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aF aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht werden. Das Überführen der Zigaretten aus Polen, die sich dort im freien Verkehr befanden, nach Deutschland ohne Inanspruchnahme des innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahrens (§ 16 Abs. 1 Satz 1 TabStG aF) ist ein gewerbliches unversteuertes Verbringen. Für die Zigaretten war deshalb unverzüglich nach dem Verbringen in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland eine Steuererklärung abzugeben (§ 19 Satz 3 TabStG aF). Mit der Missachtung dieser Pflicht wurde die deutsche Tabaksteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 , Abs. 4 Satz 1 AO hinterzogen (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, wistra 2007, 224 - 228).

Steuerschuldner ist, wer Tabakwaren verbringt oder versendet und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat (§ 19 Satz 1 TabStG aF). Dafür ist zwar nicht entscheidend, dass der Steuerschuldner die Zigaretten selbst aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland transportiert, allerdings ist ein gewisses Maß an Herrschaft über die Tabakwaren beim Verbringen nach Deutschland erforderlich. So wird als Verbringer auch angesehen, wer kraft seiner Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf das Transportfahrzeug hat, indem er die Entscheidung zur Durchführung des Transports trifft oder die Einzelheiten der Fahrt (z.B. Route, Ort, Zeitabfolge) bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590 ; BGH, Urteil vom 14. März 2007 - 5 StR 461/06, NStZ 2007, 592 ; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 521/14, wistra 2016, 74 ).

b) Die Feststellungen belegen einen derartigen beherrschenden Einfluss des Angeklagten K. nicht für jede der Taten. Vielmehr bleibt ungewiss, ob der Angeklagte K. an der einen oder anderen Tat gar nicht oder jedenfalls nicht als Täter teilgenommen hat.

Die vom Landgericht getroffene Wertung, der Angeklagte habe Tatherrschaft - gerade über die Durchführung der Transporte und über den jeweiligen Einfuhrvorgang (etwa die Weiterfahrt der Fahrzeuge) - gehabt, wird von den Feststellungen nicht getragen.

aa) Auf der Grundlage der Feststellungen ist zwar rechtsfehlerfrei belegt, dass der Angeklagte K. Mitglied der Bande um den Mitangeklagten J. war, nicht aber, dass er an jeder der ihm als Täter angelasteten Taten als Mittäter beteiligt war. Die Feststellung der Mitgliedschaft in einer Bande ersetzt nicht das Erfordernis des Tatbeitrags des jeweiligen Bandenmitglieds.

Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, so hat dies nicht zur Folge, dass jede von einem Bandenmitglied begangene Tat einem anderen Bandenmitglied ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Tat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Die Frage, ob die Beteiligung als Mittäterschaft oder Beihilfe zu werten ist, beurteilt sich vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2012 - 2 StR 590/11, NStZ 2012, 517 ). Danach ist Mittäter im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB , wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Zwar kann für die Einordnung als Mittäterschaft ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag ausreichen, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (BGH, Urteile vom 30. Juni 2005 - 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44 und vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 ; Beschlüsse vom 14. Juli 2016 - 3 StR 129/16, StraFo 2016, 392 und vom 20. Oktober 2016 - 3 StR 321/16).

bb) Hieran gemessen ergeben die Feststellungen nicht, dass sich der Angeklagte K. für jede der ihm täterschaftlich zugerechneten Taten als Mittäter oder auch nur als Gehilfe an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat. Denn danach hat er nur "regelmäßig" bzw. "in einer Vielzahl der Fälle", aber eben nicht immer einen Tatbeitrag geleistet, weshalb er nicht stets als Steuerschuldner und mithin als Täter in Betracht kommt. Anders als für den Mitangeklagten J. für den bei jeder der einzelnen Taten festgestellt wird, dass er beispielsweise die Fahrzeuge pilotiert, telefonisch die Routen bestimmt und die zu transportierenden Zigarettenmengen sowie den Preis bestimmt hat, fehlen beim Angeklagten K. derartige Feststellungen. Seine Tatbeiträge werden wesentlich daran festgemacht, dass er "vollwertiges Bandenmitglied" war und seit "jeher in die Bandenstruktur" um den Mitangeklagten J. eingebunden war.

Auch aus den beweiswürdigenden Erwägungen lässt sich kein konkreter täterschaftlicher Tatbeitrag des Angeklagten K. bei jeder der Taten herleiten. Das Landgericht hat sich hier maßgeblich auf die zeugenschaftlichen Angaben der jeweiligen Fahrer der Transporte gestützt. Danach war der Mitangeklagte J. Leiter der Gruppe; er organisierte die Transporte und beschaffte die Zigaretten, lud die ganze Ware und besorgte den Absatz in Deutschland. Der Angeklagte K. half ihm dabei, machte jedoch nicht so sehr die "organisatorischen Sachen". Beim Beladen waren "häufig" der Mitangeklagte J. und "noch häufiger" der Angeklagte K. , aber auch der gesondert verfolgte W. vor Ort. "Entweder" J. "oder" K. erklärte den Fahrern, in welchen Paletten die Zigaretten versteckt waren. Die Fahrten wurden pilotiert, und zwar "entweder" von dem Mitangeklagten J. , dem Angeklagten K. "oder" dem gesonderten verfolgten W. , manchmal auch von mehreren gemeinsam.

Auch soweit das Landgericht für die Annahme der Tatherrschaft darauf abstellt, dass der Angeklagte nicht hinter dem Tatbeitrag für die für ihn bereits gesondert ausgeurteilte Tat vom 16. Oktober 2006 (Tat 1 des Mitangeklagten J. ) zurückgefallen sei, ist dies keine ausreichende Grundlage, um auf eine konkrete täterschaftliche Tatbeteiligung in allen 40 Fällen zu schließen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte K. bei dieser Tat als Fahrer fungierte, diese Art der Beteiligung aber für keine der ihm nunmehr vorgeworfenen Taten angenommen wird.

3. Da der Senat nicht beurteilen kann, auf wie viele Fälle sich die dargestellten Tatbeiträge des Angeklagten K. beziehen, hebt er den Schuldspruch insgesamt auf. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, mit Ausnahme der Tatbeiträge des Angeklagten K. , können aber bestehen bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO ). Damit sind die Feststellungen zu den einzelnen Transporten (u.a. beteiligte Personen, Anzahl der Transporte, Zeitpunkte, Routen, Menge und Wert der Zigaretten, Schätzung des Steuerschadens) bestandskräftig geworden. Das neue Tatgericht wird zusätzliche Feststellungen zur Frage des jeweiligen Tatbeitrags des Angeklagten K. zu treffen haben, die mit den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen.

Vorinstanz: LG Frankfurt/Oder, vom 15.03.2016
Fundstellen
AO-StB 2018, 18
NStZ 2018, 544
StV 2018, 39