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BGH - Entscheidung vom 10.05.2017

1 StR 140/17

Normen:
StPO § 154 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4

BGH, Beschluss vom 10.05.2017 - Aktenzeichen 1 StR 140/17

DRsp Nr. 2017/16952

Revisionsgerichtliche Überprüfung der Beweiswürdigung des Tatgerichts; Erforderlichkeit einer Gesamtwürdigung aller für und gegen die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage sprechenden Umstände; Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung

Die Beweiswürdigung unterliegt der revisionsgerichtlichen Überprüfung dahingehend, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn die einzelnen Beweisergebnisse nur isoliert gewertet und nicht in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 17. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 154 Abs. 2 ; StPO § 349 Abs. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ).

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem späteren Tatopfer von Streitigkeiten mit anschließender Trennung und darauf folgender Versöhnung geprägt. Am Abend des 25. Juli 2015 kam es anlässlich eines Volksfestbesuchs zu einem Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte die Geschädigte mit der Hand schlug. Insoweit hat die Strafkammer gemäß § 154 Abs. 2 StPO das Verfahren vorläufig eingestellt.

Am 26. Juli 2015 suchte der Angeklagte kurz vor drei Uhr morgens die Geschädigte zu Hause auf und ersuchte um eine Aussprache. Die Geschädigte, die mit einer kurzen Hose, einem Top, einem Slip und einem BH bekleidet war, stieg deshalb in den Pkw des Angeklagten ein.

Der Angeklagte fuhr los und parkte gegen drei Uhr in einem Waldstück. Auf seine Aufforderung stieg die Geschädigte aus. Der Angeklagte schubste sie rücklinks auf die Motorhaube. Da sie seiner Aufforderung "Hose runter" nicht nachkam, zog er ihr Hose und Slip herunter, zog seine Hose und Unterhose bis zu den Knien und legte sich die Beine der Geschädigten rechts und links um die Hüfte. Als die Geschädigte versuchte, ihre Beine zusammenzuziehen, befahl er ihr, diese auseinander zu nehmen und versetzte ihr einen schmerzhaften Schlag mit der flachen Hand in das Gesicht, um ihren Widerstand gegen den beabsichtigten Geschlechtsverkehr zu brechen. Während er sie an den Oberschenkeln festhielt, vollzog er den vaginalen Geschlechtsverkehr ohne Samenerguss. Als die Geschädigte um Hilfe rief, versetzte er ihr zumindest zwei weitere schmerzhafte Schläge mit der flachen Hand gegen den Kopf und setzte dann den Geschlechtsverkehr fort. Dabei bemerkte er nicht, dass die Geschädigte mit ihrem Mobiltelefon mehrere Textnachrichten an eine Freundin sandte, in denen sie u.a. darum bat, die Polizei zu verständigen. Das Mobiltelefon hatte die Geschädigte beim Aussteigen aus dem Fahrzeug seitlich in ihren BH gesteckt.

Als der Angeklagte das Mobiltelefon bemerkte, schlug er ihr dieses aus der Hand. Die Geschädigte packte nun den Angeklagten am Penis und zog daran. Daraufhin warf sie der Angeklagte zu Boden und versetzte ihr zumindest einen weiteren schmerzhaften Schlag mit der flachen Hand in das Gesicht. Dann erklärte er ihr, sie im Wald liegen zu lassen. Nachdem die Geschädigte ihm angeboten hatte, ihm zuhause 50 € zu übergeben, die sie ihm schuldete, fuhr sie der Angeklagte mit dem Pkw nach Hause.

Infolge der Schläge erlitt die Geschädigte eine Schwellung am Nasenbein und ein Hämatom an der rechten Ohrmuschel.

2. Der Angeklagte hat die Vergewaltigung bestritten. Er behauptet, die Geschädigte habe ihn angerufen und gebeten, zum Zweck einer Aussprache vorbeizukommen. Die Geschädigte sei zu ihm ins Auto gestiegen und habe ihn aufgefordert, wegzufahren. Während der Fahrt habe sie laufend Textnachrichten mit ihrem Mobiltelefon versandt. Dann habe sie ihn gefragt, ob er Lust auf Versöhnungssex habe und habe sich nach dem Anhalten mittig auf die Motorhaube gesetzt und ihm die Unterbekleidung ausgezogen. Die Geschädigte habe während des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs keinen Zugriff auf ihr Mobiltelefon gehabt. Danach habe sie ihn gebeten, zu ihr nach Hause zu fahren, da sie ihm geschuldete 50 € habe zurückgeben wollen. Bei der Rückfahrt habe sie erneut laufend Textnachrichten geschrieben. Er habe dann vor dem Haus auf sie gewartet, sie sei aber nicht mehr herausgekommen.

Die Körperverletzung auf dem Volksfest räumte der Angeklagte ein und gab an, der Geschädigten mit der linken Hand zwei Ohrfeigen auf die rechte Seite des Gesichts in Gestalt einer Wischbewegung vom Ohr zur Nase hin verpasst zu haben. Möglicherweise habe er sie beim Streit auch festgehalten.

3. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Würdigung der Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. "Vor dem Hintergrund der im Kernbereich konsistenten, schlüssigen und mit sämtlichen weiteren Erkenntnissen unproblematisch zu vereinbarenden Tatdarstellung durch die Geschädigte", sei die Kammer davon überzeugt, dass ihre Angaben zuträfen.

II.

Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401 , 402) - sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt aber, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 ; vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147 und vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925 , 928) oder wenn die einzelnen Beweisergebnisse nur isoliert gewertet und nicht in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; vom 17. September 1986 - 2 StR 353/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1; vom 12. September 2001 - 2 StR 172/01, NStZ 2002, 48 und vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 ; Beschluss vom 27. September 2012 - 2 StR 349/12, NStZ-RR 2013, 51 ).

2. Solche Rechtsfehler liegen hier vor.

a) Der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten seien "im Kern konsistent, schlüssig und mit sämtlichen weiteren Erkenntnissen unproblematisch" zu vereinbaren (UA S. 23), ist nicht nachvollziehbar und steht zudem in einem gewissen, nicht aufgeklärten Widerspruch zu der Darstellung der Angaben der Geschädigten.

Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen, im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung festgestellt sind, hat die Strafkammer erkannt, dass ihre Angaben zu den einzelnen Verletzungshandlungen ungenau sind und hinsichtlich der Anzahl der Schläge variieren (UA S. 20). Die Strafkammer führt insoweit aus, die Geschädigte habe auch in der Hauptverhandlung nicht sicher sagen können, ob der Angeklagte die Schläge mit der flachen Hand oder mit der Faust geführt habe (UA S. 16) und sie habe im Rahmen ihrer Vernehmung durch den Kriminaldauerdienst am 27. Juli 2015 zunächst davon gesprochen, das Mobiltelefon in einer Brusttasche mitgeführt zu haben (UA S. 20), später aber, sie habe es aus dem BH genommen. Im Verlauf ihrer Vernehmungen hätten sich zunehmend Ungenauigkeiten bei der Tatdarstellung gezeigt bis sie schließlich eingeräumt hätte, nicht mehr zu wissen, ob der Angeklagte noch weitere Male zugeschlagen habe und ob die Schläge mit der flachen Hand oder mit der Faust geführt worden seien (UA S. 21).

Bei der Anzeigenaufnahme am Abend des 27. Juli 2015 hat die Geschädigte nach dem Aktenvermerk des aufnehmenden Beamten (UA S. 18) sogar angegeben, die Vergewaltigung sei auf dem Boden weitergegangen, der Angeklagte habe ihr immer wieder in das Gesicht geschlagen und sie habe das Gefühl gehabt, er habe ihr die Nase gebrochen.

Im Rahmen ihrer Zeugeneinvernahme durch den Kriminaldauerdienst gab sie die Anzahl der Schläge auf der Motorhaube mit fünf bis sechs an und erklärte, das Mobiltelefon aus der Brusttasche genommen zu haben (UA S. 19).

Bei einer weiteren polizeilichen Zeugeneinvernahme am 18. August 2015 führte sie aus, der Angeklagte habe ihr, als sie um Hilfe gerufen habe, den Mund zugehalten, ihr eine Ohrfeige gegeben und gesagt, wenn sie ruhig sei, passiere ihr nichts. Sie habe dann das Mobiltelefon aus ihrem BH genommen (UA S. 19) und ihrer Freundin geschrieben, sie solle die Polizei holen. Ob er ihr auf der Motorhaube noch weitere Schläge versetzt hatte, könne sie nicht sagen. Als der Angeklagte das Mobiltelefon bemerkt habe, habe er es ihr aus der Hand geschlagen und sie, als sie ihn am Penis gezogen habe, zu Boden geworfen. Dort habe er ihr mehrere Schläge versetzt, davon einen Schlag mit der Faust gegen die Nase, die anderen möglicherweise mit der flachen Hand.

Gegenüber der Frauenärztin erklärte die Geschädigte dagegen, ihr Freund habe ihr "am Ohr gerissen" (UA S. 18).

Soweit die Strafkammer hervorgehoben hat, dass die Aussage der Geschädigten durch die Wiedergabe eines Zitats in wörtlicher Rede "imponiere" ("Hose ausziehen", UA S. 16), gibt die Kammer - worauf die Revision zutreffend hingewiesen hat - das Zitat an anderer Stelle des Urteils abweichend wieder (UA S. 3 "Hose runter"). Es bleibt offen, ob dies auf einer Ungenauigkeit der Strafkammer oder auf einer weiteren Inkonsistenz in der Aussage der Geschädigten beruht.

Aus den genannten Gründen erschließt sich nicht, warum die Angaben der Geschädigten zum Kerngeschehen von der Strafkammer als konsistent beurteilt werden.

b) Ein Erörterungsmangel liegt darin, dass das Landgericht sich im Zusammenhang mit den nach dem verfahrensgegenständlichen Tatgeschehen festgestellten Verletzungen der Geschädigten nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte bereits am Abend des 26. Juli 2015 - und damit am Abend zuvor - ihrer Mutter von Kopf- und Nasenschmerzen berichtete und die Mutter Verletzungen - ein blaues Ohr - an ihr wahrgenommen hat, und sich deshalb veranlasst sah, die Geschädigte am Folgetag zum Arzt zu schicken (UA S. 19).

Das Tatgericht hat zudem nicht erörtert, wie sich das nahezu fehlerfreie Verfassen mehrerer Textnachrichten erklärt, die nach den Angaben der Geschädigten während des nächtlichen Geschlechtsverkehrs im Wald auf der Motorhaube des Pkws geschrieben worden sind.

c) Die Beweiswürdigung erweist sich auch deshalb als lückenhaft, weil die Strafkammer die gebotene Gesamtwürdigung aller für und gegen die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage sprechenden Umstände nicht vorgenommen hat.

Die unter der Überschrift "Zusammenfassende Würdigung" (UA S. 23 ff.) genannten Erwägungen sind keine solche Gesamtwürdigung, sondern im Wesentlichen nur spekulative Überlegungen, ohne dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt werden.

Die Feststellung der Kammer, soweit einzelne Zeugen die Geschädigte als Lügnerin dargestellt hätten, hätte dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten geführt, weil sich deren Angaben aufgrund der dargestellten Gesichtspunkte uneingeschränkt als glaubhaft darstellten, genügt nicht für eine Gesamtwürdigung, zumal die Kammer zuvor wiederholt von einer isolierten Betrachtung einzelner Beweisergebnisse gesprochen hat: "Die bei der Geschädigten nach der Tat festgestellten Verletzungen stützen die Angaben des Angeklagten nicht. Isoliert betrachtet stehen sie der Einlassung des Angeklagten aber auch nicht zwingend entgegen" (UA S. 13). "Bei isolierter Betrachtung der festgestellten Verletzungen (der Geschädigten) lässt sich diese Einlassung (des Angeklagten) nicht widerlegen" (UA S. 14). Soweit die Strafkammer sich auf diese Weise mit den einzelnen gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Umständen auseinandergesetzt hat, geschah dies nur isoliert, ohne sich gesamtwürdigend mit der Frage zu befassen, ob eine falsche Belastung mit Blick auf Abweichungen in verschiedenen Aussagen der Geschädigten tatsächlich ausgeschlossen werden kann.

Vorinstanz: LG Deggendorf, vom 17.11.2016