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BGH - Entscheidung vom 11.05.2017

4 StR 554/16

Normen:
StPO § 261
BtMG § 31

BGH, Urteil vom 11.05.2017 - Aktenzeichen 4 StR 554/16

DRsp Nr. 2017/7373

Freispruch vom Vorwurf des gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; Revisionsrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung

Vom Revisionsgericht ist es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Angeklagte freigesprochen wird, weil der Tatrichter Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.

Tenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 8. Juni 2016 werden verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten dieser Rechtsmittel und die durch sie entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten.

Normenkette:

StPO § 261 ; BtMG § 31 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten O. vom Vorwurf des gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und den Angeklagten S. vom Vorwurf der Beihilfe hierzu (in einem Fall) aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet beide Freisprüche mit ihren auf die Sachrüge gestützten, vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revisionen. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

1. Die Staatsanwaltschaft hat den Angeklagten mit der unverändert zugelassenen Anklageschrift vom 8. Februar 2016 Folgendes zur Last gelegt:

Am 1. Januar 2015 habe der Mitangeklagte A. durch Vermittlung des Angeklagten O. auf der Grundlage eines zuvor mit diesem sowie mit unbekannten niederländischen Tatbeteiligten gefassten Tatentschlusses Räumlichkeiten im dritten Obergeschoss eines Fabrikgebäudes in T. gemietet, um dort gemeinsam eine Indoor-Cannabisplantage zu betreiben und das so gewonnene Marihuana gewinnbringend weiterzuverkaufen. Die Plantage sei unter Leitung des Angeklagten O. errichtet worden. Spätestens Anfang Juni 2015 sei erstmals Marihuana mittlerer Qualität im mehrfachen Kilogrammbereich mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von etwa 7 % THC geerntet worden. Der Angeklagte S. habe die Mitangeklagten unterstützt, indem er am 12. März 2015 bei der Beseitigung eines Wasserschadens in der Plantage geholfen und dabei von deren Betrieb erfahren habe. Er habe gehandelt, um den Weiterbetrieb der Plantage zu ermöglichen. Ferner habe S. im Juni 2015 in dem Fabrikgebäude - nicht ausschließbar im Auftrag der Mitangeklagten - etwa drei Kilogramm Marihuana aus der ersten Ernte, verpackt in Styroporboxen, an den gesondert verfolgten L. in Kenntnis der Tatsache übergeben, dass diese Betäubungsmittel zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt gewesen seien (Fall 1). Mitte September 2015 sei aus einer weiteren Anpflanzung eine Ernte von mindestens 22 Kilogramm Marihuana mit einem THC-Gehalt von mindestens 14 % erzielt worden, das zwischen dem Angeklagten O. , dem Mitangeklagten A. und den niederländischen Mittätern hätte aufgeteilt werden sollen (Fall 2). Von dieser Ernte seien am 21. September 2015 in der Wohnung und im Keller des Mitangeklagten A. neben Utensilien zum BtM-Verkauf über sechs Kilogramm Marihuana polizeilich sichergestellt worden.

2. Das Landgericht hat den Mitangeklagten A. , der die insoweit gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe im Wesentlichen bestritten, die eine Tatbeteiligung ihrerseits in Abrede nehmenden Mitangeklagten O. und S. hingegen belastet hat, im Zusammenhang mit dem Betrieb der Plantage und der Feststellung zumindest einer Ernte im September 2015 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie - wegen der von ihm eingeräumten Aufbewahrung weiterer 193 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum in einem Gartenhäuschen in K. - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten gebildet. Diese Verurteilung ist nach Rücknahme der Revision des Angeklagten A. inzwischen rechtskräftig. Die Angeklagten O. und S. hat es aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, da es sich von deren Tatbeteiligung nicht zu überzeugen vermocht hat.

II.

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten ergeben. Die von der Staatsanwaltschaft beanstandete Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Deshalb ist es vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, wenn der Angeklagte freigesprochen wird, weil der Tatrichter Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen ferner dann, wenn sie erkennen lassen, dass das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist, sondern ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 13. November 1997 - 4 StR 363/97, NStZ 1998, 265 , 266 mwN).

2. Gemessen daran ist die Beweiswürdigung des Landgerichts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Nach der aus den Urteilsgründen ersichtlichen Beweislage kam der die Angeklagten O. und S. belastenden Aussage des Mitangeklagten A. eine maßgebliche Bedeutung zu. Dies hat das Landgericht erkannt und dessen Angaben, insbesondere zur Einbindung des Angeklagten O. als Haupttäter in das gesamte Tatgeschehen - während er, A. , nur geringfügige Hilfsdienste in dessen Auftrag geleistet habe -, unter besonderer Berücksichtigung einzelner Aussageinhalte und der Aussageentstehung einer eingehenden Prüfung unterzogen.

aa) Dass es - mit ausführlicher Begründung - die Angaben des Mitangeklagten A. schon für sich genommen als in sich widersprüchlich, teilweise widerlegt und deshalb insgesamt wenig glaubhaft bewertet hat, hält sich in dem dem Tatrichter durch § 261 StPO eröffneten Spielraum bei der Würdigung der Beweise. Dies gilt unter anderem für die von der Strafkammer mit nachvollziehbaren Erwägungen als utopisch und völlig unrealistisch bewerteten Angaben des A. zu dem ihm angeblich zugesagten Schweigegeld in Gestalt von sechs bis acht Kilogramm Marihuana aus der Ernte, die ersichtlich dazu dienten, die Herkunft einer solchen Menge Marihuana in seiner Wohnung zu erklären. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung durfte die Strafkammer ferner die Angaben des Mitangeklagten A. in einem wesentlichen Punkt, nämlich zur Herkunft einer ihm gehörenden und in einem Gartenhäuschen aufbewahrten weiteren Marihuanamenge, als widerlegt ansehen.

bb) Maßgeblich fällt bei der Würdigung der Angaben des Mitangeklagten A. ins Gewicht, dass das Landgericht, was in den Urteilsgründen nachvollziehbar belegt wird, aus dem ausgewerteten SMS-Verkehr objektive Anhaltspunkte für eine Täterschaft des Angeklagten O. beim Betrieb der Indoor-Plantage und für eine Beteiligung des Angeklagten S. zumindest als Gehilfe nicht abzuleiten vermocht hat. Diese Kommunikation wurde nach dem Ergebnis der Auswertung lediglich zwischen A. und den unbekannten niederländischen Mittätern geführt und betraf wesentliche Umstände der Tatdurchführung; weder der Angeklagte O. noch der Angeklagte S. wurden dort erwähnt. Dass die Kommunikationsinhalte entgegen den Angaben des A. eher dessen bestimmende Rolle während des Tatgeschehens belegen, nicht aber eine Einbindung der Angeklagten O. und S. als Mittäter bzw. Gehilfen, ist eine naheliegende, jedenfalls mögliche und damit rechtsfehlerfreie tatrichterliche Schlussfolgerung, die das Landgericht durch ebenfalls nachvollziehbare Schlussfolgerungen aus weiteren Beweisanzeichen (Aussagen der Zeugen H. , B. und F. ) noch weiter abgestützt hat.

cc) Soweit die Beschwerdeführerin die Würdigung der Angaben des Mitangeklagten A. durch das Landgericht beanstandet, beschränkt sie sich im Wesentlichen auf den Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen. Damit wird indes kein Rechtsfehler aufgezeigt, zumal die Strafkammer auch die Umstände der Aussageentstehung - Angaben des Angeklagten A. erst in einem späteren Stadium des Ermittlungsverfahrens nach Belehrung gemäß § 31 BtMG und anwaltlicher Beratung - mit dem ihr zukommenden Gewicht in ihre Erwägungen einbezogen hat. Mit einem möglichen Motiv für eine Falschbelastung, nämlich dem Bemühen um eine Abwälzung der Verantwortung für die Tat und um eine Verharmlosung seines eigenen Tatbeitrags, hat sie sich dabei, anders als die Beschwerdeführerin meint, umfassend und nachvollziehbar auseinandergesetzt.

b) Die weitere Beweiswürdigung mit Blick auf den Angeklagten O. lässt ferner nicht besorgen, dass das Landgericht Beweisumstände zu dessen Vorteil, die sich nach Sachlage aufdrängten oder jedenfalls nahelagen, außer Acht gelassen hat. Es hat insbesondere die in der Tatörtlichkeit festgestellte Spurenlage, die sich auch mit der bestreitenden Einlassung des Angeklagten in Einklang bringen ließ, ebenso in den Blick genommen wie den Umstand, dass der Angeklagte O. mit dem Mitangeklagten A. Baumaterialien erwarb, die allerdings nicht nur im gesamten Gebäude in T. , sondern auch in der Wohnung des A. in V. Verwendung fanden. Dass die Strafkammer auch nach der gebotenen Gesamtwürdigung dieser und weiterer, insgesamt zutreffend als mehrdeutig eingeschätzter Beweisanzeichen letzte Zweifel an einer Täterschaft des Angeklagten O. nicht zu überwinden vermocht hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

c) Der Freispruch des Angeklagten S. genügt auch im Übrigen dem vorgenannten rechtlichen Maßstab.

aa) Ausgehend davon, dass der Anklagevorwurf gegen S. maßgeblich darauf gestützt war, dass dieser in den Räumen der Indoor-Plantage Wasser- und Elektro-Installationsarbeiten vorgenommen sowie bei der Beseitigung des Wasserschadens geholfen und deshalb spätestens seit Mitte März 2015 vom Betrieb der Plantage gewusst habe, hat das Landgericht zunächst die den Angeklagten belastenden Beweisanzeichen umfassend aufgelistet, insbesondere

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- dass er in einem Baumarkt ein Gerät zum Verbinden von Rohren ausgeliehen habe,

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- dass er Elektrosicherungen eines bestimmten Typs erworben habe,

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- dass er sich häufig und regelmäßig auf dem Fabrikgelände in T. aufgehalten habe,

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- dass er bei der polizeilichen Durchsuchung der Plantagenräumlichkeiten zu seiner Frau gesagt habe: "Kann nichts dafür, habe nur das Elektrische der Plantage gemacht".

Die Bewertung dieser Indizien dahin, sie seien schon für sich genommen mit Blick auf den gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwurf wenig gewichtig, beruht auf möglichen und daher vom Revisionsgericht hinzunehmenden Schlussfolgerungen. Denn die Strafkammer hat sich in diesem Zusammenhang u.a. mit sachverständiger Hilfe die Überzeugung verschafft, dass das vom Angeklagten S. entliehene Gerät für die Verbindung der in der Plantagenanlage verbauten Rohre technisch ungeeignet war und die von ihm erworbenen Sicherungen zwar in bestimmten Gebäudeteilen Verwendung fanden, nicht aber in der Plantage. Als tatsachenfundiert erweist sich auch der vom Landgericht erwogene Umstand, die häufige Anwesenheit des Angeklagten in dem Gebäude in T. sei vor dem Hintergrund von dessen Hausmeistertätigkeit für den Vermieter, also seinen Vater bzw. dessen Firma, erklärlich, jedenfalls könne dem Angeklagten seine dahingehende Einlassung nicht widerlegt werden. Die Auffassung des Landgerichts, die Äußerung des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau sei mehrdeutig und daher nicht notwendigerweise als ihn belastend zu interpretieren, stellt angesichts der umfassend bedachten Gesamtumstände, unter denen sie gefallen ist, ebenfalls eine mögliche Wertung dar. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts zu prüfen, ob eine andere Auslegung nähergelegen hätte.

bb) Die Urteilsgründe lassen insoweit auch nicht besorgen, dass die zuvor erwähnten Beweiserwägungen zum Vorteil des Angeklagten lückenhaft sind, weil sich das Landgericht auf deren bloß isolierte Betrachtung beschränkt hätte.

Vielmehr hat es eine Reihe weiterer gewichtiger Beweisanzeichen in seine Erwägungen mit einbezogen und diese ohne Rechtsfehler sämtlich als entlastend bewertet. Dazu gehört, dass sich das Landgericht schon von dem behaupteten Wasserschaden im dritten Stock des Gebäudes, also in den Räumen der Plantage, bei dessen Beseitigung der Angeklagte von der Plantage Kenntnis erlangt haben soll, mit tragfähiger Begründung nicht zu überzeugen vermocht, sondern einen solchen Schaden allenfalls für das darunter liegende Stockwerk als erwiesen angesehen hat. Trotz noch von der Strafkammer angeordneter Nachermittlungen konnten in den Räumlichkeiten der Plantage auch keine DNA-Spuren des Angeklagten S. gefunden werden. Ferner hat das Landgericht berücksichtigt, dass Styroporboxen wie diejenigen, in denen das für den gesondert verfolgten L. , der sich auf § 55 StPO berufen hat, bestimmte Rauschgift der Anklage zufolge verpackt gewesen und diesem von S. übergeben worden sein soll, im gesamten Gebäude für unterschiedliche Zwecke Verwendung fanden.

cc) Das Landgericht hat auch eine - angesichts der eingehenden Erörterung der Einzelindizien - ausreichende Gesamtwürdigung vorgenommen, die nicht besorgen lässt, den Angeklagten S. belastende Beweisanzeichen könnten aus dem Blick geraten sein.

d) Die verbleibenden Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten beruhen danach insgesamt nicht auf intuitiven, von einer Überspannung der Anforderungen an den Tatnachweis geleiteten Bedenken, sondern auf einer rational vermittelbaren Grundlage. Darauf, ob der Senat in gleicher Lage wie das Tatgericht die Beweise für einen Tatnachweis für ausreichend gehalten hätte oder nicht, kommt es nicht an.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Konstanz, vom 08.06.2016