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BGH - Entscheidung vom 15.02.2017

VIII ZR 284/15

Normen:
ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
GG Art. 103 Abs. 1

Fundstellen:
MDR 2017, 597

BGH, Teilurteil vom 15.02.2017 - Aktenzeichen VIII ZR 284/15

DRsp Nr. 2017/3518

Beurteilung eines wesentlichen Verfahrensmangels aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des erstinstanzlichen Gerichts; Gerichtliche Missachtung von anerkannten Auslegungsgrundsätzen bei der Auslegung von vertraglichen Bestimmungen; Gerichtiche Verkennung der sachlich-rechtliche Relevanz eines Parteivorbringens

a) Ob ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorliegt, ist allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des erstinstanzlichen Gerichts zu beurteilen, auch wenn das Berufungsgericht ihn für verfehlt erachtet (st. Rspr.; Bestätigung von BGH, Urteile vom 9. Juli 1955 - VI ZR 116/54, BGHZ 18, 107 , 109 f. [zu § 539 ZPO aF]; vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, WM 2010, 892 Rn. 11; vom 26. Oktober 2011 - VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 Rn. 12; vom 14. Mai 2013 - VI ZR 325/11, NJW 2013, 2601 Rn. 7; vom 22. Januar 2016 - V ZR 196/14, NJW 2016, 2274 Rn. 12).b) Hat das erstinstanzliche Gericht bei der Auslegung von vertraglichen Bestimmungen anerkannte Auslegungsgrundsätze missachtet, liegt hierin kein - zur Zurückweisung des Rechtsstreits an die erste Instanz berechtigender - Verfahrensfehler, sondern ein materiell-rechtlicher Auslegungsfehler (im Anschluss an BGH, Urteil vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, NJW 1993, 538 unter II 2 a).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Oktober 2015 aufgehoben, soweit hinsichtlich der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage entschieden worden ist.

Das Verfahren gegen die Beklagte zu 2 ist gemäß § 240 ZPO wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Tatbestand

Die Klägerin erwarb am 28. Dezember 2009 von der Beklagten zu 2 zum Preis von 416.500 € brutto eine kompakt aufgebaute Suspensionsmischanlage zur Herstellung von Betonen aller Art (nebst zwei Basisrezepturen), die unmittelbar an einen in Jordanien ansässigen Endkunden der Klägerin geliefert werden sollte. Nachdem sie von der Beklagten zu 1 eine Anzahlungsbürgschaft über einen Nettobetrag von 190.000 € erhalten hatte, leistete die Klägerin an die Beklagte zu 2 zwei Kaufpreisraten in Höhe von insgesamt 333.200 € brutto. Die Anlage wurde im Oktober 2010 nach Jordanien transportiert und dort aufgebaut.

Bereits seit Juli/August 2010 stritten die Klägerin und die Beklagte zu 2 über diverse Mängel an der Suspensionsmischanlage, woraufhin letztere wiederholt - auch nach Verbringung der Anlage nach Jordanien - Nachbesserungsarbeiten vornahm. Mit Schreiben vom 28. und 29. Juni 2011 erklärte die Klägerin schließlich wegen der aus ihrer Sicht weitgehend erfolglosen Mängelbeseitigung den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Anlage ist stillgelegt.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens der gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klage auf Rückzahlung der erbrachten Kaufpreisraten (nebst Zinsen) und der gegen die Beklagte zu 1 erhobenen Klage auf Leistung der Bürgschaftssumme (nebst Zinsen) stattgegeben; die Verurteilung der Beklagten zu 2 ist allerdings Zug um Zug gegen Rückgabe der streitgegenständlichen Suspensionsmischanlage erfolgt. Auf Berufung aller Parteien - die Beklagten haben sich gegen die Verurteilung zur Zahlung gewehrt, die Klägerin gegen die Zug-um-Zug-Einschränkung - hat das Oberlandesgericht das Urteil aufgehoben und die Sache auf den hilfsweise in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag der Klägerin an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zu 1 ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Gegen die Beklagte zu 2 ist im Verlauf des revisionsinstanzlichen Verfahrens das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten zu 1 hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Auf den Antrag der Klägerin sei die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen, weil das Verfahren des ersten Rechtszuges an wesentlichen Verfahrensmängeln leide, aufgrund derer voraussichtlich eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich werde. Das Landgericht habe den Kern des Vorbringens der Klägerin zu den Mängeln der Suspensionsmischanlage gehörswidrig (Art. 103 Abs. 1 GG ) nicht zur Kenntnis genommen und infolgedessen die gebotene Beweiserhebung verfahrensfehlerhaft auf einen Einzelaspekt beschränkt. In seinem Beweisbeschluss, mit dem es die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet habe, habe es die zahlreichen von der Klägerin konkret vorgetragenen Mängel und Mängelsymptome der Anlage auf die allgemeine Behauptung reduziert, die Anlage sei - jedenfalls für den Betrieb unter den Bedingungen in Ländern der arabischen Welt - nicht funktionsfähig und könne eine Suspensionsproduktion von bis zu 20 m3/h und eine Betonkapazität von bis zu 60 m3/h nicht erreichen.

Da sich die Beklagten darauf berufen hätten, dass die Suspensionsanlage jedenfalls nach der letzten Nachbesserung mangelfrei funktioniert habe, hätte das Landgericht, wenn es den Sachvortrag der Klägerin zu der im Zeitpunkt des Rücktritts vorliegenden Vielzahl von Einzelmängeln angemessen zur Kenntnis genommen hätte, von vornherein über das Vorliegen der behaupteten Mängel und Mängelsymptome im Einzelnen Beweis erheben müssen. Weiter habe das Landgericht es verfahrensfehlerhaft unterlassen, nach Vorlage des Sachverständigengutachtens im Hinblick auf den dort erteilten Hinweis, die im Beweisbeschluss äußerst allgemein formulierte Behauptung - mangelnde Funktionsfähigkeit der Suspensionsanlage - müsse präzisiert werden, so dass die konkreten Eigenschaften beziehungsweise Funktionen der Anlage untersucht und beurteilt werden könnten, den Beweisbeschluss auf der Grundlage des hinreichend konkreten Vortrags der Klägerin nachträglich entsprechend zu ergänzen.

Entgegen der Annahme des Landgerichts hätte auf eine umfassende Beweiserhebung zu der behaupteten Funktionsunfähigkeit der Suspensionsmischanlage und zu den einzelnen behaupteten Mängeln und Mängelsymptomen nicht verzichtet werden dürfen, weil auf der Grundlage des erhobenen Sachverständigengutachtens das Vorliegen eines Mangels nicht hätte bejaht werden dürfen. Denn der Sachverständige sei bei seinen Ausführungen, nach denen die Anlage schon von ihrem System her nicht geeignet sei, die nach dem Vertrag vorausgesetzte Herstellung von Betonen aller Art zu gewährleisten, erkennbar von einem Leistungssoll hinsichtlich der Verarbeitungskapazität der Anlage ausgegangen, das nach dem Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2 bei zutreffender Auslegung überhaupt nicht geschuldet sei. Die in § 2 des Vertrags angegebene maximale Verarbeitungskapazität ("von bis zu 20 m3/h" [Suspension] bzw. 60 m3/h [Beton]") werde ausdrücklich nur in Abhängigkeit von Rezeptur und Art des Zements zugesichert. Damit sei - entgegen der Auffassung des Sachverständigen und des Landgerichts eindeutig geregelt, dass nicht zugleich höchste Qualität und höchste Verarbeitungskapazität geschuldet seien.

Wegen der beschriebenen Verfahrensmängel sei eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO geboten, da andernfalls eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht notwendig würde. Bezüglich der im Streitfall entscheidenden Frage der Mangelhaftigkeit der Suspensionsmischanlage fehle infolge der weitgehend unzureichenden Beweiserhebung bisher jegliche tragfähige Entscheidungsgrundlage. Infolgedessen würde den Parteien bei einer Sachentscheidung durch das Berufungsgericht eine Tatsacheninstanz hinsichtlich der wesentlichen Fragen des Rechtsstreits genommen, so dass eine Zurückverweisung trotz des damit verbundenen zusätzlichen Kostenaufwands angebracht sei.

II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht verstößt gegen § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO . Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts begründet es keinen zu Lasten der Klägerin wirkenden Verfahrensfehler im Sinne dieser Vorschrift, dass das Landgericht nicht Beweis zu der von der Klägerin geltend gemachten Vielzahl von konkreten Einzelmängeln und Mängelsymptomen der Suspensionsmischanlage erhoben hat, sondern einen diese zum Rücktritt berechtigenden Mangel bereits auf Grundlage des - zur Frage der allgemeinen Funktionsfähigkeit der Anlage eingeholten - schriftlichen Sachverständigengutachtens als bewiesen erachtet hat.

1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an der erforderlichen Beschwer der Beklagten zu 1 (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 11. März 2015 - XII ZB 553/14, NJW-RR 2015, 1203 Rn. 8 mwN). Denn diese ist durch die vom Berufungsgericht ausgesprochene Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht deswegen beschwert, weil ihrem Begehren auf Sachentscheidung (Antrag auf Klageabweisung) nicht stattgegeben worden ist (BGH, Urteile vom 5. Oktober 1994 - XII ZR 15/93, NJW-RR 1995, 123 unter II mwN; vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, NJW 2001, 1500 unter II; vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, WM 2010, 892 Rn. 11).

2. Die Revision der Beklagten zu 1 ist auch begründet. Sie rügt zu Recht, dass die vom Berufungsgericht auf Antrag der Klägerin ausgesprochene Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO keine Stütze findet. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, dem Landgericht seien zu Lasten der Klägerin wesentliche Verfahrensfehler unterlaufen, und hat infolgedessen davon abgesehen, die von ihm vermisste ergänzende Beweiserhebung selbst durchzuführen und anschließend eine eigene Sachentscheidung zu treffen.

a) Grundsätzlich setzt nach § 538 Abs. 1 ZPO das Berufungsverfahren das erstinstanzliche Verfahren fort, so dass das Berufungsgericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht über den gesamten Streitstoff ein neues eigenes Urteil zu fällen und die hierfür erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen hat (BGH, Urteil vom 20. Juli 2011 - IV ZR 291/10, VersR 2011, 1392 Rn. 20 mwN). Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt als Ausnahme zu den beschriebenen Verpflichtungen eines Berufungsgerichts nur dann in Betracht, wenn das erstinstanzliche Verfahren an einem so wesentlichen Mangel leidet, dass es keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann (BGH, Urteile vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, aaO unter II 1; vom 26. September 2002 - VII ZR 422/00, NJW-RR 2003, 131 unter II 2 a [jeweils zu § 539 ZPO aF]; vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, aaO Rn. 11; vom 20. Juli 2011 - IV ZR 291/10, aaO Rn. 21; vom 26. Oktober 2011 - VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304 Rn. 12; vom 14. Mai 2013 - VI ZR 325/11, NJW 2013, 2601 Rn. 7).

b) Hiervon ist im Streitfall entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht auszugehen. Zu Unrecht hat dieses angenommen, die vom Landgericht unterlassene und von ihm vermisste Beweiserhebung zu den von der Klägerin behaupteten konkreten Einzelmängeln der Suspensionsmischanlage sei als wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu werten, weil dieses Versäumnis darauf beruhe, dass das Landgericht den Kern des Vorbringens der Klägerin zu den Mängeln der Anlage unter Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) nicht zur Kenntnis genommen habe. Das Berufungsgericht hat hierbei verkannt, dass das Absehen einer Beweisaufnahme zu den von der Klägerin geltend gemachten Einzelmängeln lediglich die Folge des vom Landgericht eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts ist und somit einen Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht zu begründen vermag.

aa) Das Berufungsgericht hat zwar im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei angenommen, dass es einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO darstellen kann, wenn das erstinstanzliche Gericht den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es den Kern ihres Vorbringens verkennt und daher eine entscheidungserhebliche Frage verfehlt oder einen wesentlichen Teil des Klagvortrags übergangen hat (BGH, Urteile vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, NJW 1993, 538 unter II 2 a mwN; vom 19. März 1998 - VII ZR 116/97, NJW 1998, 2053 unter II 1 [insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 138, 176]; vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, NJW 2001, 1500 unter II 1 [jeweils zu § 539 ZPO aF]; vom 26. Oktober 2011 - VIII ZR 222/10, aaO; vom 22. Januar 2016 - V ZR 196/14, NJW 2016, 2274 Rn. 12 [jeweils zu § 538 ZPO]). Insbesondere verletzt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen oder als erheblich angesehenen Beweisangebots Art. 103 Abs. 1 GG , sofern sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (st. Rspr.; siehe etwa BVerfGE 50, 32 , 36; 65, 305, 307; 69, 141, 144; BVerfG, WM 2009, 671 , 672; BVerfG, Beschluss vom 14. März 2013 - 1 BvR 1457/12, [...] Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2016 - V ZR 232/15, [...] Rn. 5; vom 23. August 2016 - VIII ZR 178/15, WuM 2016, 628 Rn. 10; jeweils mwN).

bb) Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass die Frage, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorliegt, nicht auf der Grundlage des von ihm selbst eingenommenen materiellrechtlichen Standpunkts beantwortet werden darf.

(1) Vielmehr ist die Frage, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des Erstgerichts zu beurteilen, auch wenn dieser unrichtig sein sollte oder das Berufungsgericht ihn als verfehlt erachtet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, aaO; vom 5. Oktober 1994 - XII ZR 15/93, aaO unter II 1; vom 10. Dezember 1996 - VI ZR 314/95, NJW 1997, 1447 unter II 2 b mwN; vom 19. März 1998 - VII ZR 116/97, aaO; vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, aaO [jeweils zu § 539 ZPO aF]; vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, aaO; vom 26. Oktober 2011 - VIII ZR 222/10, aaO; vom 14. Mai 2013 - VI ZR 325/11, aaO mwN; vom 22. Januar 2016 - V ZR 196/14, aaO mwN [jeweils zu § 538 ZPO]). Dies gilt auch, soweit eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) in Frage steht (vgl. BGH, Urteile vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, aaO; vom 19. März 1998 - VII ZR 116/97, aaO; vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, aaO; vom 26. Oktober 2011 - VIII ZR 222/10, aaO; vom 22. Januar 2016 - V ZR 196/14, aaO). Denn Art. 103 Abs. 1 GG schützt weder davor, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lässt, etwa weil es nach Ansicht des erkennenden Gerichts für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 69, 145 , 148 f.; 70, 288, 294; 96, 205, 216; jeweils mwN; BVerfG, Beschlüsse vom 25. November 2009 - 1 BvR 2464/09, [...] Rn. 4; vom 27. Mai 2016 - 1 BvR 1890/15, [...] Rn. 14), noch davor, dass es die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 64, 1 , 12; 87, 1, 33; BVerfG, Beschlüsse vom 25. November 2009 - 1 BvR 2464/09, aaO; vom 27. Mai 2016 - 1 BvR 1890/15, aaO).

(2) Von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) und damit einem Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kann daher nicht gesprochen werden, wenn das erstinstanzliche Gericht die sachlich-rechtliche Relevanz eines Parteivorbringens verkennt und ihm deshalb keine Bedeutung beimisst (BGH, Urteile vom 6. November 2000 - II ZR 67/99, aaO; vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, aaO; vom 19. März 1998 - VII ZR 116/97, aaO [jeweils zu § 539 ZPO aF]). Soweit die Revisionserwiderung demgegenüber unter Bezugnahme auf eine vereinzelt gebliebene Literaturstimme (MünchKommZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl., § 538 Rn. 29; ders., ZZP 106 [1993], 246, 253) und unter Berufung auf den Normzweck des § 538 Abs. 2 ZPO das Vorliegen eines Verfahrensmangels vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus beurteilen möchte, verkennt sie den Regelungszweck des § 538 Abs. 1 , 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO . Anders als die Revisionserwiderung meint, setzt die Vorschrift des § 538 ZPO - ebenso wie die Vorgängerregelung des § 539 ZPO aF - nicht voraus, dass die Parteien Gelegenheit hatten, im ersten Rechtszug auf alle (objektiv) entscheidungserheblichen Streitpunkte einzugehen.

(a) Der Bundesgerichtshof hat bereits frühzeitig unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts ausgesprochen, dass für die Beurteilung, ob dem Erstgericht ein wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 539 ZPO aF, also der Vorgängerregelung des § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO , unterlaufen ist, allein dessen materiell-rechtliche Sicht maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 9. Juli 1955 - VI ZR 116/54, BGHZ 18, 107 , 109 f.). Ausschlaggebend hierfür war die Erwägung, dass der Vorwurf eines wesentlichen Verfahrensverstoßes dem erstinstanzlichen Richter nur gemacht werden kann, wenn er von seiner sachlich-rechtlichen Auffassung aus eine Verfahrensnorm unrichtig angewandt hat (BGH, Urteil vom 9. Juli 1955 - VI ZR 116/54, aaO S. 110). Stellte man dagegen auf die materiell-rechtliche Sichtweise des Berufungsgerichts ab, hätte dies zur Folge, dass bereits unterschiedliche sachlich-rechtliche Auffassungen der beiden Gerichte zu einer Zurückverweisung der Sache an das Gericht erster Instanz führen könnten. Eine solche Ausdehnung der - ohnehin nur als Ausnahme vorgesehenen - Zurückverweisungsmöglichkeit wäre dem Sinn und Zweck des auf reine Verfahrensmängel zugeschnittenen § 539 ZPO aF zuwidergelaufen (BGH, Urteil vom 9. Juli 1955 - VI ZR 116/54, aaO S. 109 f.).

(b) An dem beschriebenen Regelungszweck hat sich durch die Schaffung des § 538 ZPO nichts geändert. Der Gesetzgeber hat sich bei der Zivilprozessreform zwar für eine Stärkung der ersten Instanz entschieden, gleichzeitig hat er aber auch dem Gesichtspunkt der Prozessbeschleunigung große Bedeutung beigemessen (BT-Drucks. 14/4722, S. 61). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung sollte eine Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz vielmehr noch stärker als bisher die Ausnahme von einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts bilden (BT-Drucks. aaO). Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber in § 538 Abs. 1 ZPO den schon im früheren Recht verankerten Grundsatz beibehalten, dass das Berufungsgericht die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden hat, und hat gleichzeitig die Ausnahmen hierzu gegenüber dem vorherigen Recht "erheblich eingeschränkt" (BT-Drucks. 14/47722, S. 102; vgl. auch BGH, Urteile vom 16. Dezember 2004 - VII ZR 270/03, BauR 2005, 590 unter II 3 b; vom 20. Juli 2011 - IV ZR 291/10, aaO Rn. 20).

Mit diesem gesetzgeberischen Anliegen wäre es nicht zu vereinbaren, eine in das Ermessen des Berufungsgerichts gestellte Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz immer schon dann zuzulassen, wenn aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts ein wesentlicher Verfahrensfehler vorläge. Daher hat der Bundesgerichtshof die insoweit bereits zu § 539 ZPO aF entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze in ständiger Rechtsprechung auf § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO übertragen.

(3) Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein dem Landgericht zu Lasten der Klägerin unterlaufener Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat das Landgericht durch die Nichtbeachtung des zusätzlich zu der behaupteten Funktionsuntauglichkeit der Anlage erfolgten Vortrags der Klägerin zu zahlreichen konkreten Einzelmängeln - und den hierauf gründenden Verzicht auf eine Beweiserhebung hierüber - den Kern des Vorbringens der Klägerin nicht gehörswidrig (Art. 103 Abs. 1 GG ) und damit verfahrensfehlerhaft im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO übergangen. Vielmehr kam es aus der materiell-rechtlichen Sicht des Landgerichts auf dieses zusätzliche Vorbringen nicht an, weil danach der Klage schon aufgrund des sonstigen Vorbringens der Klägerin und der insoweit durchgeführten Beweisaufnahme stattzugeben war. Das Landgericht hat den zwischen der Beklagten zu 2 und der Klägerin geschlossenen Vertrag in Übereinstimmung mit der Sichtweise des Sachverständigen dahin ausgelegt, dass die im Vertrag beschriebene Verarbeitungskapazität (Suspensionsproduktion von bis zu 20 m3/h und Betonkapazität von bis zu 60 m3/h) auch bei hoher Betonqualität geschuldet sei, weil der Vertrag eine Anlage zur Herstellung von "allen Arten von Beton" zum Gegenstand habe.

Da die Anlage nach den Feststellungen des Sachverständigen bereits diese allgemeinen Anforderungen nicht erfüllte, hat das Landgericht einen die Klägerin zum Rücktritt berechtigenden Mangel bejaht und der Klage stattgegeben. Vor diesem Hintergrund war der Vortrag der Klägerin zu zahlreichen Einzelmängeln der Anlage nach dem - allein maßgeblichen - materiell-rechtlichen Standpunkt des Landgerichts nicht (mehr) erheblich, weswegen es folgerichtig von einer ergänzenden Beweisaufnahme abgesehen und dem Rückabwicklungsbegehren der Klägerin, wenn auch mit einer Zug-um-Zug-Einschränkung, entsprochen hat. Anders als die Revisionserwiderung meint, hat das Landgericht nicht das Beweisergebnis fehlerhaft gewürdigt, sondern die dem Vertrag im Wege der Auslegung entnommene (dazu nachfolgend unter c) Leistungsverpflichtung der Beklagten zu 2 aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen nicht als erreicht angesehen. Die von der Revisionserwiderung insoweit zitierte Senatsentscheidung (Urteil vom 15. März 2000 - VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024 unter II 1) betrifft eine im vorliegenden Fall nicht gegebene Sachverhaltsgestaltung, bei der die Erhebung eines Zeugenbeweises unter Verstoß gegen § 355 Abs. 1 Satz 2, § 375 Abs. 1 ZPO auf den Einzelrichter übertragen und das Urteil dann von der Kammer gefällt worden war.

c) Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO ). Falls das Berufungsgericht - was seinen Ausführungen nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist - die von ihm als fehlerhaft beanstandete Auslegung des zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2 geschlossenen Vertrags durch das Landgericht zusätzlich als wesentlichen Verfahrensfehler zu Lasten der Beklagten zu 1 (oder gar der Klägerin, für die das vom Landgericht gewonnene Auslegungsergebnis aber günstig war) gewertet haben sollte, hätte auch dieser Umstand das Berufungsgericht nicht zu der ausgesprochenen Zurückverweisung der Sache an das Landgericht berechtigt. Denn insoweit steht ebenfalls eine materiell-rechtliche Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Sachentscheidung, nicht dagegen ein Verfahrensfehler in Frage.

aa) Der Umstand, dass das Berufungsgericht den Bestimmungen des streitgegenständlichen Kaufvertrages im Wege der Auslegung einen anderen Inhalt als das Landgericht beigemessen hat, stellt keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dar. Denn die Auslegung vertraglicher Vereinbarungen ist Teil der Anwendung sachlichen Rechts (BGH, Urteile vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, NJW 1993, 538 unter II 2 b mwN; vom 19. März 1998 - VII ZR 116/97, aaO unter II 2 b). Dies gilt auch, wenn das Landgericht - was ihm das Berufungsgericht hier zum Vorwurf macht vertragliche Regelungen inhaltlich nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt oder jedenfalls in ihrer rechtlichen Bedeutung und Tragweite nicht richtig eingeschätzt haben sollte (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, aaO). Ein solcher Verstoß gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze wäre nicht als Verfahrensfehler, sondern als materiell-rechtlicher Auslegungsfehler einzustufen (BGH, Urteil vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, aaO; vgl. auch BFH, Beschluss vom 13. März 1995 - XI B 160/94, [...] Rn. 6).

bb) Nur ausnahmsweise kann eine Vertragsauslegung auch auf Verfahrensfehlern beruhen - etwa dann, wenn das Gericht Vertragsbestimmungen nicht lediglich inhaltlich unzutreffend gewürdigt oder ihnen nicht den gebotenen Stellenwert zuerkannt, sondern erkennbar vertragliche Regelungen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder sprachlich falsch verstanden hat (BGH, Urteile vom 3. November 1992 - VI ZR 362/91, aaO; vom 19. März 1998 - VII ZR 116/97, aaO unter II 1). Entsprechendes gilt, wenn das Gericht unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG allein auf den Wortlaut einer Vereinbarung abstellt (BGH, Beschluss vom 30. April 2014 - XII ZR 124/12, [...] Rn. 17).

cc) Eine derartige Fallgestaltung liegt aber hier nicht vor. Das Landgericht hat die - den Vertragsgegenstand und die geschuldete Leistung betreffenden - Bestimmungen des Kaufvertrages und damit den wesentlichen Auslegungsstoff zur Kenntnis genommen. Soweit die Revisionserwiderung rügt, das Landgericht habe von einer eigenen Auslegung abgesehen und stattdessen seiner Entscheidung lediglich die Deutung des Sachverständigen zugrunde gelegt, trifft dies nicht zu. Das Landgericht hat sich zwar der - letztlich von der Fassung des landgerichtlichen Beweisbeschlusses beeinflussten - Sichtweise des Sachverständigen angeschlossen, dabei aber unter Bescheidung der hiergegen von den Beklagten vorgebrachten Einwände eine eigene Auslegung der vertraglichen Bestimmungen über das Leistungssoll vorgenommen. Es hat - anders als später das Berufungsgericht - maßgebliches Gewicht auf die Regelung in § 1 des Vertrags gelegt, wonach eine Anlage zur Herstellung von "allen Arten von Betonen" geliefert werden sollte. Weiter hat es im Tatbestand seines Urteils die Regelung in § 2 des Kaufvertrags aufgeführt, wonach "die Kapazität der Anlage in Abhängigkeit von Rezeptur und Art des Zements ausgelegt [ist] für eine Suspensionsproduktion von bis zu 20 m3/h bzw. für eine Betonkapazität von bis zu 60 m3/h". Die genannten Bestimmungen im Kaufvertrag hat es letztlich dahin ausgelegt, dass die in § 2 des Kaufvertrags beschriebene Abhängigkeit der Maximalwerte der Suspensionsproduktion und der Betonkapazität von der Rezeptur und der Art des Zements wegen der in § 1 des Kaufvertrags zugesicherten Eignung zur Herstellung von Betonen aller Art nicht zu Einschränkungen im Arbeitsvolumen und in der Betonqualität führen dürfe.

Damit unterscheidet sich seine Auslegung zwar - wesentlich - von der des Berufungsgerichts, nach welcher nicht zugleich höchste Qualität und höchste Verarbeitungskapazität geschuldet sind. Dies ändert aber nichts daran, dass das Landgericht die maßgeblichen Bestimmungen im Kaufvertrag eigenständig gewürdigt hat, und vermag nach den vorgenannten Grundsätzen einen Verfahrensmangel nicht zu begründen.

III.

Nach alledem hat das angefochtene Urteil keinen Bestand, soweit hinsichtlich der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage entschieden worden ist. Bezüglich der Beklagten zu 2 ist das Verfahren gemäß § 240 ZPO unterbrochen, weswegen derzeit nur hinsichtlich des Prozessverhältnisses zwischen der Beklagten zu 1 und der Klägerin zu befinden ist. Insoweit war das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ) und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und (eigenen) Entscheidung zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 15. Februar 2017

Vorinstanz: LG Halle, vom 28.04.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 8 O 4/14
Vorinstanz: OLG Naumburg, vom 14.10.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 61/15
Fundstellen
MDR 2017, 597