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BFH - Entscheidung vom 13.12.2017

XI R 12/16

Normen:
UStG § 24
FGO § 126 Abs. 5
UStG § 24
FGO § 126 Abs. 5

BFH, Urteil vom 13.12.2017 - Aktenzeichen XI R 12/16

DRsp Nr. 2018/2527

Umfang der Bindung des Finanzgerichts an die zurückverweisende Entscheidung des Revisionsgerichts

Ein FG verstößt gegen § 126 Abs. 5 FGO , wenn es eine ihm aufgegebene Sachverhaltsaufklärung unterlässt und stattdessen annimmt, die Vorgaben des BFH erscheinen "nicht eindeutig" und "widersprüchlich".

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. Mai 2016 5 K 85/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Normenkette:

UStG § 24 ; FGO § 126 Abs. 5 ;

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob Umsätze eines Landwirts aus einer "Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken" für Nichtlandwirte der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes ( UStG ) unterliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat auf sein Urteil vom 21. Januar 2015 XI R 13/13 (BFHE 248, 462 , BStBl II 2015, 730 ).

Gegen den aufgrund einer landwirtschaftlichen Betriebsprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheid des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—) für 2005 vom 18. März 2010 wandte sich der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) nach erfolglosem Einspruch mit der Klage, die das Finanzgericht (FG) im ersten Rechtsgang abwies.

Das Urteil des FG vom 14. Februar 2013 5 K 281/11 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 817 veröffentlicht.

Auf die Revision des Klägers hob der erkennende Senat mit Urteil in BFHE 248, 462 , BStBl II 2015, 730 das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Der Senat war der Ansicht, dass auch Umsätze an Nichtunternehmer (Endverbraucher) der pauschalen Umsatzbesteuerung nach Durchschnittssätzen unterliegen können. Eine Beschränkung des Pauschalausgleichs auf Land- und Forstwirte als Dienstleistungsempfänger sei in den unionsrechtlichen Vorgaben nicht enthalten. Bei einer Pensionshaltung von Pferden scheide die Durchschnittssatzbesteuerung aus, wenn die betreuten Pferde aus privaten Gründen zu Freizeitzwecken gehalten werden, nicht aber dann, wenn die Pferde von ihren Haltern —ausnahmsweise— zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden. Dasselbe gelte bei der streitbefangenen "Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken". Dem FG wurde im zweiten Rechtsgang Folgendes auferlegt: 
"[Rz 43] ... Der Senat kann nicht durcherkennen, weil das FG —ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu Recht— bislang noch keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob —und ggf. in welchem Umfang— die Pensionspferde (Stuten und Fohlen) von den Einstellern zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken gehalten wurden. 
 
[Rz 44] Soweit dies der Fall ist, wird das FG prüfen müssen, ob der Kläger die Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken mithilfe von Wirtschaftsgütern erbracht hat, die seinem normalen Ausrüstungsbestand zuzurechnen waren bzw. hierfür Wirtschaftsgüter verwendet hat, die nicht dem betriebsgewöhnlichen Ausrüstungsbestand des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs zuzurechnen waren (vgl. Art. 25 Abs. 2 fünfter Gedankenstrich der [Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG )]; s. dazu [Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— Harbs vom 15. Juli 2004 C–321/02, EU:C:2004:447,] BFH/NV Beilage 2004, 371 , Rz 34). 
 
[Rz 45] Das FG wird die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben." 

Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang statt.

Die vom Kläger betriebene Pferdepension zu Zuchtzwecken unterfalle in vollem Umfang der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG . Die Vorgabe des Bundesfinanzhofs (BFH), dass die Einsteller (Leistungsempfänger) keine Land- und Forstwirte sein müssten, die von ihnen empfangenen Leistungen (Zuchtleistungen als einheitliche Leistung) aber gleichwohl zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden müssten, erscheine nicht eindeutig und auf den ersten Blick widersprüchlich. Statt der hierzu vertretenen Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen —BMF— (Schreiben vom 27. August 2015 III C 2–S 7410/07/10005, 2015/0735706, BStBl I 2015, 656 ) sei die Ansicht des Klägers zutreffend, wonach allein entscheidend sei, ob die übertragene Aufgabe (hier Pensions- und Zuchtleistungen) dem Grunde nach land- und forstwirtschaftliche Dienstleistungen darstellen würden, ohne dass weitere Voraussetzungen in der Person der Einsteller (z.B. eigene Bodenbewirtschaftung) für die Pauschalbesteuerung erfüllt sein müssten.

Das Urteil des FG im zweiten Rechtsgang vom 19. Mai 2016 5 K 85/15 ist in EFG 2016, 1388 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist im Kern der Ansicht, das FG verkenne die bereits vom BFH aufgestellten Grundsätze. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2016 ergebe sich, dass die erforderlichen Feststellungen nicht erbracht worden seien. Ohne entsprechenden Nachweis könne § 24 UStG nicht angewandt werden.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise eine Vorabentscheidung des EuGH zu folgender Frage einzuholen:

Setzt die Sonderregelung des Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 295 und Art. 300 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) voraus, dass die landwirtschaftlichen Erzeugnisse oder die landwirtschaftlichen Dienstleistungen nur an Landwirte oder an Nichtlandwirte, die jedoch die Leistung ihrerseits zu landwirtschaftlichen Zwecken verwenden, erbracht werden können, um die Sonderregelung in Anspruch nehmen zu können?

Der Kläger tritt der Revision des FA entgegen und verteidigt die Vorentscheidung.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

Das FG hat gegen § 126 Abs. 5 FGO verstoßen.

1. a) Gemäß § 126 Abs. 5 FGO hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH zugrunde zu legen. Die Bindung tritt nicht nur hinsichtlich der Gründe ein, die zur Aufhebung des FG-Urteils führen, sondern auch hinsichtlich der Gründe, die zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen (BFH-Urteile vom 4. November 2004 III R 38/02, BFHE 208, 155 , BStBl II 2005, 271 ; vom 17. Mai 2006 VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839 ; BFH-Beschluss vom 1. März 1994 IV B 6/93, BFHE 174, 103 , BStBl II 1994, 569 , m.w.N.).

aa) Eine Bindung besteht insbesondere hinsichtlich der abschließenden rechtlichen Beurteilung anlässlich der Zurückverweisung durch den BFH (BFH-Urteile vom 23. Oktober 1991 I R 52/90, BFH/NV 1992, 271 ; vom 17. September 1992 IV R 78/90, BFH/NV 1993, 398 ; in BFH/NV 2006, 1839 ). Die Bindung bestünde selbst dann, wenn das Urteil des BFH rechtsfehlerhaft wäre (BFH-Beschluss vom 2. Mai 1997 I B 117/96, BFH/NV 1998, 18 , m.w.N.; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung , 8. Aufl., § 126 Rz 25; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 126 FGO Rz 79).

bb) Nicht nur das FG, an das zurückverwiesen wurde, sondern auch das Revisionsgericht selbst ist an die dem zurückverweisenden Urteil zugrunde gelegte Rechtsauffassung gebunden (sog. Selbstbindung des Revisionsgerichts; ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6. Februar 1973 GmS- OGB 1/72, BFHE 109, 206 , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1973, 399 ; BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 18 ; BFH-Urteile in BFH/NV 1992, 271 ; in BFHE 208, 155 , BStBl II 2005, 271 ; in BFH/NV 2006, 1839 , unter II.1.b, Rz 16, m.w.N.; Bergkemper in HHSp, § 126 FGO Rz 89, m.w.N. in Fn 1).

b) Die Bindung des FG entfällt ebenso wie die Selbstbindung des BFH nur in Ausnahmefällen (dazu im Einzelnen Gräber/ Ratschow, a.a.O., § 126 Rz 27 ff., m.w.N.), die im Streitfall indes offensichtlich nicht vorliegen.

aa) Die Bindung kann entfallen, wenn sich nachträglich die maßgebenden Umstände geändert haben, und zwar entweder, weil sich der zugrunde gelegte Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise geändert hat (dazu BFH-Urteil vom 7. August 1990 VII R 120/89, BFH/NV 1991, 569 ), sich einschlägige Gesetzesbestimmungen rückwirkend geändert haben oder sich die höchstrichterliche Rechtsprechung des entscheidenden Senats, des Großen Senats des BFH, des EuGH oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes —unabhängig von dem Streitfall— geändert hat (BFH-Urteil vom 8. November 1983 VII R 141/82, BFHE 140, 11 , BStBl II 1984, 317 , unter II.2., zur Entscheidung des Senats; BFH-Beschlüsse vom 22. Februar 2006 I B 145/05, BFHE 213, 29 , BStBl II 2006, 546 , unter II.2.d bb, Rz 35, zur Gesetzesänderung; vom 11. Januar 2007 XI B 22/06, BFH/NV 2007, 909 , zur Entscheidung des Großen Senats; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 126 Rz 29).

bb) Vorliegend ist kein Fall gegeben, in dem die Bindung an das Urteil des Senats im ersten Rechtsgang ausnahmsweise entfallen kann. Weder haben sich der Sachverhalt, die höchstrichterliche Rechtsprechung noch die Gesetzeslage bzw. das einschlägige Unionsrecht geändert. Im Wesentlichen inhaltsgleich wurde Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG durch Art. 295 und 300 MwStSystRL mit Wirkung zum 1. Januar 2007 ersetzt.

2. Im Streitfall hat das FG zu der Frage, ob —und ggf. in welchem Umfang— die Pensionspferde (Stuten und Fohlen) von den Einstellern zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken gehalten wurden, ausreichende tatsächliche Feststellungen nicht getroffen, obwohl ihm diese Prüfung vom Senat in Rz 43 und 44 des BFH-Urteils in BFHE 248, 462 , BStBl II 2015, 730 aufgegeben war.

Insbesondere genügen nicht die Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung des FG im zweiten Rechtsgang, "dass er regelmäßig keine Kenntnis darüber habe, ob die Einsteller ihrerseits über land- und forstwirtschaftliche Flächen verfügten. Bei einem geringen Teil der Einsteller könnte dies der Fall [sein], bei dem überwiegenden Teil der Einsteller wohl eher nicht".

Können keine Feststellungen zur Nutzung zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken beim Einsteller getroffen werden, so kommt die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG nicht zur Anwendung (vgl. BFH-Urteil vom 10. September 2014 XI R 33/13, BFHE 247, 360 , BStBl II 2015, 720 ).

Insoweit entspricht auch das BMF-Schreiben in BStBl I 2015, 656 den Grundsätzen, die der BFH im ersten Rechtsgang aufgestellt hat.

3. Damit verbleibt es bei der auch für den Senat bindenden rechtlichen Würdigung in seinem zurückverweisenden Urteil, wonach die Feststellungen nicht die Annahme einer Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG rechtfertigen. Es fehlen Feststellungen zu der Haltung der Pensionspferde zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken durch die Einsteller. Das FG wird im dritten Rechtsgang die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollte es die (ggf. beabsichtigte) Nutzung bei den Erwerbern nicht mehr feststellen können, wird es die Klage abzuweisen haben.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Niedersachsen, vom 19.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 5 K 85/15