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BFH - Entscheidung vom 18.01.2017

X S 22/16

Normen:
ZPO § 3
GKG § 52 Abs. 1

Fundstellen:
BFH/NV 2017, 615

BFH, Beschluss vom 18.01.2017 - Aktenzeichen X S 22/16

DRsp Nr. 2017/3733

Streitwert eines Revisionsverfahrens betreffend die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer

1. Der Streitwert eines Verfahrens, das die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer betrifft, ist --soweit möglich-- nach den tatsächlichen konkreten einkommensteuerlichen Auswirkungen zu bestimmen. Nur wenn eine solche konkrete Streitwertermittlung nicht möglich ist, sind pauschal 10 % des streitigen Verlusts anzusetzen. 2. Bei der Ermittlung der danach maßgebenden konkreten einkommensteuerlichen Auswirkungen sind weder Folgesteuern (Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer) noch die Gewerbesteuer zu berücksichtigen, soweit diese nicht mit angefochten sind. 3. Rechtsgrundlage für die Ermittlung des Streitwerts bei Anfechtung von Verlustfeststellungsbescheiden ist nicht § 52 Abs. 3 GKG , sondern § 52 Abs. 1 GKG . Daher ist die streitwerterhöhende Regelung des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG in diesen Verfahren nicht anwendbar. 4. Das für eine förmliche Streitwertfestsetzung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, wenn die Höhe des Streitwerts nicht nur auf der Grundlage eines einfachen Rechenvorgangs ermittelt werden kann und zwischen den Beteiligten umstritten ist, oder Fälle der vorliegenden Art in der Rechtsprechung noch nicht entschieden sind.

Der Streitwert eines Verfahrens, das die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer betrifft, ist - soweit möglich - nach den tatsächlichen konkreten einkommensteuerlichen Auswirkungen einschließlich der Auswirkungen auf den Solidaritätszuschlag zu bestimmen.

Tenor

Der Streitwert für das Revisionsverfahren X R 46/14 wird auf 11.280 € festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Normenkette:

ZPO § 3 ; GKG § 52 Abs. 1 ;

Gründe

I. Die Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Antragsteller) begehren, den Streitwert höher festzusetzen als denjenigen Betrag, den die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) als Streitwert angenommen hat.

Die Antragsteller führten vor dem BFH das Revisionsverfahren X R 46/14. Streitgegenstand war die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1999. Das Revisionsverfahren wurde mit dem zugunsten der Antragsteller ergangenen Senatsurteil vom 9. März 2016 X R 46/14 (BFHE 253, 156 , BStBl II 2016, 976 ) abgeschlossen. Der Senat legte die Kosten zum ganz überwiegenden Teil dem Beklagten, Revisionsbeklagten und Antragsgegner (Finanzamt —FA—) auf.

In jenem Revisionsverfahren ging es um die Höhe der Bemessungsgrundlage der Absetzungen für Abnutzung (AfA) und —davon ausgehend— um die Höhe der AfA bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr 1999. Diese Frage ist auch für die Höhe der AfA —und der Einkünfte aus Gewerbebetrieb— in denjenigen Veranlagungszeiträumen von Bedeutung, die dem Streitjahr zeitlich nachfolgen.

Die Kostenstelle des BFH ermittelte den Streitwert des Revisionsverfahrens im Rahmen der Kostenrechnung wie folgt: 
–  begehrte Verlustfeststellung  307.186 DM 
–  Verlustfeststellung lt. Einspruchsentscheidung  225.922 DM 
–  Differenz  81.264 DM 
–  Umrechnung in €  41.550 €  
–  davon 25 % als geschätzte einkommensteuerliche Auswirkung  10.387 €  

Die Antragsteller haben zunächst Erinnerung gegen die Gerichtskostenrechnung eingelegt. Auf die Mitteilung der Kostenstelle, dass eine Erinnerung, die das Ziel verfolge, eine höhere Gerichtskostenfestsetzung zu erreichen, unzulässig sei, haben die Antragsteller erklärt, ihre Eingabe solle als Antrag auf Streitwertfestsetzung angesehen werden.

Sie sind der Auffassung, in die Bemessung des Streitwerts seien sämtliche Auswirkungen bei der Einkommensteuer, dem Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer, den Zinsen zur Einkommensteuer, der Kirchensteuer, der Gewerbesteuer und den Zinsen zur Gewerbesteuer für die Veranlagungs– bzw. Erhebungszeiträume 1999 bis 2016 einzubeziehen. Auf dieser Grundlage begehren sie die Festsetzung eines Streitwerts von 201.946,12 €.

Das FA vertritt demgegenüber die Ansicht, der Streitwert sei mit 10 % des streitigen Verlustvortrags (4.155 €) zu bemessen.

II. 1. Der Senat legt den Antrag dahingehend aus, dass Antragsteller allein die Kläger des Verfahrens X R 46/14 sind und deren Prozessbevollmächtigter nicht —zusätzlich oder anstelle der Kläger— als Antragsteller auftritt.

Zwar kann ein prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt auch aus eigenem Recht die Festsetzung des Streitwerts beantragen (§ 32 Abs. 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ). Im hier maßgebenden Schreiben vom 6. Oktober 2016 hat er jedoch ausgeführt, "die Kläger" hätten ein berechtigtes Interesse an der Streitwertfestsetzung. Aus diesem Schreiben geht nicht hervor, dass auch der Prozessbevollmächtigte persönlich als Antragsteller auftreten will.

2. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes ( GKG ) wird der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit nur dann förmlich festgesetzt, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse dies beantragt oder das Gericht dies für angemessen hält.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt der Antrag eines Beteiligten auf förmliche Festsetzung des Streitwerts ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Daran fehlt es, wenn der Streitwert eindeutig aus dem gestellten Sachantrag und der bisherigen BFH-Rechtsprechung ermittelt werden kann (BFH-Beschlüsse vom 17. November 1987 VIII R 346/83, BFHE 152, 5 , BStBl II 1988, 287 , unter II., und vom 23. Mai 2001 IV S 1/01, BFH/NV 2001, 1431 , beide m.w.N.).

Demgegenüber besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Höhe des Streitwerts nicht nur auf der Grundlage eines einfachen Rechenvorgangs ermittelt werden kann und zwischen den Beteiligten umstritten ist, oder Fälle der vorliegenden Art in der Rechtsprechung noch nicht entschieden sind (BFH-Beschluss vom 11. Dezember 1974 I B 46/74, BFHE 115, 1 , BStBl II 1975, 385 ; vgl. auch BFH-Beschluss vom 17. August 2015 XI S 1/15, BFHE 250, 327 , BStBl II 2015, 906 , Rz 9).

Dies ist hier der Fall. Die Höhe des Streitwerts ist zwischen den Beteiligten umstritten. Die Antragsteller halten den von der Kostenstelle angenommenen Streitwert für erheblich zu niedrig; das FA hält diesen Wert demgegenüber für zu hoch. Zudem hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher nicht ausdrücklich zur Anwendbarkeit des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auf Verlustfeststellungsbescheide geäußert.

3. In der Sache hat der Antrag nur zu einem geringen Teil Erfolg. Der Streitwert ist auf 11.280 € festzusetzen.

a) In Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG ).

Dabei bestimmt sich der Streitwert im Rechtsmittelverfahren nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG ). Da für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung maßgebend ist (§ 40 GKG ), kommt es auf die während der mündlichen Verhandlung vor dem BFH vorgenommene Einschränkung des Revisionsantrags für Zwecke der Streitwertfestsetzung nicht an.

Der Streitwert eines Verfahrens, das die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer betrifft, ist —soweit möglich— nach den tatsächlichen konkreten einkommensteuerlichen Auswirkungen zu bestimmen. Nur wenn eine solche konkrete Streitwertermittlung nicht möglich ist, sind pauschal 10 % des streitigen Verlusts anzusetzen (BFH-Beschlüsse vom 26. Januar 2006 VIII E 6/05, BFH/NV 2006, 1112 , und vom 31. März 2008 IX E 1/08, BFH/NV 2008, 1336 ; ebenso zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer BFH-Beschluss vom 5. Mai 2009 I R 84/07, BFH/NV 2009, 1446 ; zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts BFH-Beschluss vom 13. Mai 2013 I E 4/13, BFH/NV 2013, 1449 ).

Bei der Ermittlung der danach maßgebenden konkreten einkommensteuerlichen Auswirkungen sind Folgesteuern nicht zu berücksichtigen. So ergibt sich aus den Streitwertberechnungen, die in den BFH-Beschlüssen in BFH/NV 2006, 1112 sowie BFH/NV 2008, 1336 vorgenommen wurden, dass dort nur die einkommensteuerlichen Auswirkungen einbezogen wurden, nicht aber die Auswirkungen auf den Solidaritätszuschlag, obwohl dieser in den dort maßgebenden Veranlagungszeiträumen erhoben wurde. Dies korrespondiert mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei der Streitwertbemessung selbständige Steuern, die an die Einkommensteuer anknüpfen (z.B. die Kirchensteuer oder heute nicht mehr erhobene Abgaben wie das Notopfer Berlin oder die Ergänzungsabgabe bzw. der Stabilitätszuschlag zur Einkommensteuer), nicht zu berücksichtigen sind (BFH-Beschlüsse vom 30. März 1978 IV R 207/74, BFHE 124, 422 , BStBl II 1978, 347 ; vom 24. Januar 1979 I R 91/78, BFHE 127, 300 , BStBl II 1979, 441 , und vom 16. März 1995 VIII B 158/94, BFH/NV 1995, 680 , unter 3.).

Bei einem Klage– oder Rechtsmittelverfahren, das die Einkünfte aus Gewerbebetrieb betrifft, dessen Streitgegenstand aber nur die Einkommensteuer —bzw. hier den Verlustvortrag zur Einkommensteuer—, nicht jedoch den Gewerbesteuermessbetrag oder Gewerbeverlust umfasst, bleiben etwaige gewerbesteuerliche Auswirkungen der geänderten Einkünfte aus Gewerbebetrieb außer Betracht. Dies ist in Bezug auf den Streitwert eines Verfahrens, das sich auf die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer —ohne Einbeziehung des Gewerbesteuermessbetrags oder Gewerbeverlusts— bezog, bereits entschieden worden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1446 , unter II.5.). Für ein Rechtsmittelverfahren, das sich auf die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer beschränkt, kann nichts anderes gelten.

b) Die von den Antragstellern der Sache nach begehrte Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG aufgrund von offensichtlich absehbaren Auswirkungen auf künftige Geldleistungen ist nicht vorzunehmen.

Nach ihrem klaren Wortlaut ist die Regelung des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG nur dann anwendbar, wenn der Streitwert sich nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG bestimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist der Streitwert bei der Anfechtung von Verlustfeststellungsbescheiden aber nicht nach § 52 Abs. 3 GKG , sondern nach § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmen (zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1446 ; zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts BFH-Beschlüsse vom 28. Dezember 2009 IV E 1/09, BFH/NV 2010, 666 , und in BFH/NV 2013, 1449 , Rz 13). Zur Begründung wird angeführt, ein solcher Bescheid sei nicht auf eine Geldleistung gerichtet.

In der bisherigen BFH-Rechtsprechung zur Streitwertbemessung bei Bescheiden über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer ist die Frage, ob § 52 Abs. 1 oder Abs. 3 GKG anzuwenden ist, zwar noch nicht ausdrücklich entschieden worden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 1112 , und in BFH/NV 2008, 1336 ). Letztlich kann hier aber nichts anderes als für die körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Verlustvorträge gelten.

c) Danach ist der Streitwert —auf der rechtlichen Grundlage des § 52 Abs. 1 GKG und beschränkt auf die konkreten Auswirkungen des begehrten höheren Verlustabzugs auf die Einkommensteuer— wie folgt zu ermitteln:

Steuerliche Daten vor Erlass des Senatsurteils in BFHE 253, 156 , BStBl II 2016, 976
Stichtag  Gesamtbetrag der Einkünfte  Verlustabzug  festgestellter Verlustvortrag  Einkommen-steuer 
31.12.1999  ./. 225.922 DM    225.922 DM  0 DM 
31.12.2000  ./. 81.269 DM    307.191 DM  0 DM 
31.12.2001  318.716 DM  ./. 307.191 DM  0 DM  0 DM 
31.12.2002  9.410 €     0 €   0 €  
31.12.2003  112.329 €     0 €   30.464 €  
Wäre der zum 31. Dezember 1999 festgestellte Verlust um den von den Klägern begehrten Betrag von 81.264 DM erhöht worden, hätte dies die folgenden Auswirkungen gehabt: 
Stichtag  Gesamtbetrag der Einkünfte  Verlustabzug  festgestellter Verlustvortrag  Einkommen-steuer 
31.12.1999  ./. 307.186 DM    307.186 DM  0 DM 
31.12.2000  ./. 81.269 DM    388.455 DM  0 DM 
31.12.2001  318.716 DM  ./. 318.716 DM  69.739 DM  0 DM 
Umrechnung in €      35.657 €    
31.12.2002  9.410 €   ./. 9.410 €   26.247 €   0 €  
31.12.2003  112.329 €   ./. 26.247 €   0 €   19.184 €  

Dabei ergibt sich die fiktive Einkommensteuer 2003 wie folgt:

–  zu versteuerndes Einkommen im letzten Einkommensteuerbescheid vom 9. Mai 2007   103.045 € 
abzüglich fiktiver Verlustabzug   ./. 26.247 € 
fiktives zu versteuerndes Einkommen   76.798 € 
tarifliche Einkommensteuer  19.030 € 
Steuerermäßigung für Einkünfte aus Gewerbebetrieb  ./. 924 € 
–  Hinzurechnung des Kindergelds  + 1.078 € 
festzusetzende Einkommensteuer  19.184 € 

Die Differenz zwischen der bisher festgesetzten Einkommensteuer für 2003 (30.464 €) und der fiktiven Einkommensteuer 2003, die sich bei einer Erhöhung des zum 31. Dezember 1999 festzustellenden verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer um den von den Antragstellern begehrten Betrag von 81.264 DM ergeben hätte (19.184 €), stellt den Streitwert des Revisionsverfahrens X R 46/14 dar (11.280 €).

4. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, da das GKG keinen entsprechenden Gebührentatbestand enthält (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 250, 327 , BStBl II 2015, 906 , Rz 24, m.w.N.).

Fundstellen
BFH/NV 2017, 615