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BFH - Entscheidung vom 23.08.2017

X R 33/15

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
EStG in der bis 2004 geltenden Fassung § 10 Abs. 3
EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa, Doppelbuchst. bb Satz 2
GG Art. 3 Abs. 1
EStG (in der bis 2004 geltenden Fassung) § 10 Abs. 3
EStG § 22 Nr. 1 S. 2 und S. 3 Buchst. a) Doppelbuchst. aa)-bb)

Fundstellen:
BFHE 259, 311
FR 2019, 195

BFH, Urteil vom 23.08.2017 - Aktenzeichen X R 33/15

DRsp Nr. 2017/16674

Berücksichtigung von Beiträgen zu privaten Rentenversicherungen als nach der bis 2004 geltenden Rechtslage aus dem versteuerten Einkommen geleisteter Altersvorsorgeaufwendungen

Im Rahmen der Beurteilung der Frage, in welchem Umfang ein Steuerpflichtiger seine Altersvorsorgeaufwendungen nach der bis 2004 geltenden Rechtslage aus versteuertem Einkommen geleistet hat, gelten Beiträge zu privaten Rentenversicherungen und kapitalbildenden Lebensversicherungen im Verhältnis zu den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung als lediglich nachrangig abziehbar.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 29. September 2015 5 K 1075/13 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 8. März 2013 aufgehoben.

Die Einkommensteuer 2011 wird unter Abänderung des Bescheids des Beklagten vom 22. November 2012 auf den Betrag festgesetzt, der sich ergibt, wenn der als außergewöhnliche Belastungen abziehbare Betrag sich um 665 € erhöht.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Revision zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger und der Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ; EStG in der bis 2004 geltenden Fassung § 10 Abs. 3 ; EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa, Doppelbuchst. bb Satz 2;

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2011 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger war von 1969 bis 1976 zunächst als Arbeitnehmer beschäftigt und während dieser Zeit in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Seit 1978 ist er als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer freiberuflich tätig, blieb aber freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Nach Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund lagen die vom Kläger geleisteten Beiträge in keinem Jahr oberhalb des jeweiligen Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Darüber hinaus zahlte der Kläger für seine Altersversorgung in erheblichem Umfang in kapitalbildende Lebensversicherungen ein.

Seit Juli 2011 bezieht der Kläger eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (im Jahr 2011 insgesamt 5.324 €). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) wandte im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2011 vom 22. November 2012 hierauf den gesetzlichen Besteuerungsanteil von 62 % an (steuerpflichtiger Betrag: 3.300 €) und setzte die Einkommensteuer auf 16.265 € fest. Im Einkommensteuerbescheid wurden zudem u.a. außergewöhnliche Belastungen nach Kürzung um eine zumutbare Belastung von 6 % des zu versteuernden Einkommens abgezogen.

Im Einspruchs- und Klageverfahren begehrten die Kläger, einen Teilbetrag von 54,71 % der Rentenzahlungen (2.912 €) in Anwendung der sog. Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) lediglich mit dem Ertragsanteil von (hier) 18 % zu besteuern. Der genannte Rententeilbetrag beruhe auf den Beitragszahlungen, die der Kläger während der Zeit seiner freiberuflichen Tätigkeit von 1978 bis zum Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) am 1. Januar 2005 erbracht habe. Die Öffnungsklausel sei schon nach ihrem Wortlaut anwendbar, da sie für alle Beiträge gelte, die oberhalb des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung lägen. Da der Kläger nicht pflichtversichert gewesen sei, habe der Höchstbeitrag in seinem Fall bei Null gelegen. Daher sei jeder von ihm tatsächlich geleistete Beitrag als oberhalb des Höchstbeitrags liegend anzusehen.

Eine Besteuerung der gesetzlichen Rente mit dem Ertragsanteil sei auch deshalb geboten, weil die Auszahlungen aus Lebensversicherungen nur dem Ertragsanteil unterlägen, obwohl die entsprechenden Beitragsleistungen nach den bis einschließlich 2004 geltenden Fassungen des § 10 EStG ebenso behandelt worden seien wie die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Außerdem komme es zu einer unzulässigen doppelten Besteuerung. Die Rentenversicherungsbeiträge seien im Rahmen der Vergleichsrechnung nachrangig zu allen anderen Vorsorgeaufwendungen. Die in den Beitragsjahren jeweils geltenden Höchstbeiträge seien aber bereits durch die Beiträge zu Kranken-, Pflege-, Unfall-, Haftpflicht- und Lebensversicherungen in vollem Umfang ausgeschöpft worden.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 572 veröffentlichten Urteil aus, das FA habe sich zutreffend auf die gesetzliche Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit dem sich daraus ergebenden Besteuerungsanteil von 62 % gestützt. Die Öffnungsklausel sei nicht anwendbar, weil die für die gesetzliche Rentenversicherung festgelegten Höchstbeiträge auch für freiwillig Versicherte gelten würden. Die Ungleichbehandlung von Auszahlungen aus Lebensversicherungen und Leibrenten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sei von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für zulässig erachtet worden.

Auch eine verfassungsrechtlich unzulässige doppelte Besteuerung sei beim Kläger nicht gegeben. Die voraussichtliche Summe der nicht steuerbaren Teilbeträge seiner künftigen Altersrentenbezüge (71.493 €) übersteige deutlich die Summe der von ihm aus versteuertem Einkommen geleisteten Beiträge (55.443 €). Dabei hat das FG seiner Berechnung in Bezug auf die geleisteten Beiträge die folgenden Annahmen zugrunde gelegt: 
Während der Zeit der Arbeitnehmertätigkeit (bis 1976) habe der Kläger Beiträge in Höhe von 15.336,49 € geleistet. Er habe allerdings erklärt, dass für den Arbeitnehmer-Anteil seinerzeit der volle Sonderausgabenabzug möglich gewesen sei. Daher könne sich aus diesen Jahren kein Beitragsanteil ergeben, der aus versteuertem Einkommen geleistet sei. 
Für die Zeit von 1978 (Beginn der selbständigen Tätigkeit) bis 2004 (letztes Jahr vor Inkrafttreten des AltEinkG) sei für die Ermittlung des tatsächlich als Sonderausgaben abziehbaren Teils der Rentenversicherungsbeiträge davon auszugehen, dass alle Vorsorgeaufwendungen gleichrangig seien. Dies gelte nicht nur für die verschiedenen Sparten der gesetzlichen Sozialversicherung, sondern auch für die anderen nach damaligem Recht abziehbaren Vorsorgeaufwendungen (hier: Beiträge zur Unfall- und Haftpflichtversicherung), nicht aber für Beiträge zu Lebensversicherungen. Deren Auszahlungen würden auch nach Inkrafttreten des AltEinkG durch Anwendung des geringen Ertragsanteils begünstigt. Eine Einbeziehung in die gleichrangige Aufteilung der Beitragszahlungen würde sich dann als eine nicht gerechtfertigte doppelte Begünstigung dieser Vorsorgeform darstellen. 
Vollständige Unterlagen zu den Vorsorgeaufwendungen der Kläger seien für die Zeit ab 1995 vorhanden. Bei einer gleichrangigen Behandlung aller Vorsorgeaufwendungen (mit Ausnahme der Beiträge zu Lebensversicherungen) und einem vorrangigen Abzug der gesamten Vorsorgeaufwendungen der Klägerin in voller Höhe ergebe sich für diesen Zeitraum, dass der Kläger durchschnittlich 51,23 % seiner Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet habe (27.105 €). 
Die Quote von 51,23 % der Beiträge sei im Wege einer sachgerechten Schätzung auch auf die Jahre 1978 bis 1994 zu übertragen, für die keine Unterlagen mehr vorhanden seien. Es ergebe sich ein aus versteuertem Einkommen geleisteter Betrag von 15.161 €. 
Für die Zeit von 2005 bis 2011 seien die aus versteuertem Einkommen geleisteten Beitragsteile gesondert nach Maßgabe der durch das AltEinkG geschaffenen Regelungen zu ermitteln (insgesamt 13.177 €). 
Damit belaufe sich der insgesamt aus versteuertem Einkommen geleistete Teil der Rentenversicherungsbeiträge des Klägers auf 55.443 €. 
Für die Schätzung der steuerfrei zufließenden Teilbeträge der künftigen Rentenzahlungen hat sich das FG auf die folgenden Annahmen gestützt: 
Der steuerfreie Rententeilbetrag belaufe sich ab 2012 auf 4.090 € jährlich. 
Der Werbungskosten-Pauschbetrag sei nicht zusätzlich zu berücksichtigen, weil er nicht der Vermeidung einer doppelten Besteuerung, sondern der Abgeltung tatsächlicher Werbungskosten —und damit der Verwirklichung des objektiven Nettoprinzips— diene. 
In der Sterbetafel 2009/2011 sei für den Jahrgang des Klägers im Zeitpunkt von dessen Renteneintritt eine weitere mittlere statistische Lebenserwartung von 17,48 Jahren ausgewiesen. Bei einer Multiplikation mit dem steuerfreien Jahresbetrag von 4.090 € ergebe sich ein steuerfreier Gesamtbetrag von 71.493 €, der die aus versteuertem Einkommen geleisteten Beiträge übersteige. 

Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren in allen Streitpunkten weiter. Die vom FG angenommene Nachrangigkeit der Lebensversicherungsbeiträge berücksichtige nicht, dass Leistungen aus Kranken- und Pflegeversicherungen ebenfalls steuerfrei seien, obwohl die entsprechenden Beiträge —auch nach der Auffassung des FG— gleichrangig mit Rentenversicherungsbeiträgen abziehbar sein sollten. Es zeige sich, dass es mathematisch nicht möglich sei, nachträglich eine Rangfolge der Beiträge zu den verschiedenen Sparten der Vorsorgeaufwendungen zu finden. In einer solchen Situation bestehe ein "Ermessensspielraum" dahingehend, die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als nachrangig zu allen anderen Vorsorgeaufwendungen anzusehen.

Darüber hinaus machen die Kläger geltend, das Nominalwertprinzip sei in Bezug auf die erdiente Rente dahingehend anzuwenden, dass nicht der tatsächliche aktuelle Rentenwert (§ 64 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch —SGB VI—), sondern ein "historischer aktueller Rentenwert" anzusetzen sei. Dann wäre in die Vergleichsrechnung statt des tatsächlichen monatlichen Rentenzahlbetrags von 887,49 € nur ein solcher von 635,93 € einzustellen, was zu einem entsprechend geringeren steuerfreien Rententeilbetrag führe.

Zudem sei der vom FG ermittelte steuerfreie Rententeilbetrag für Zwecke der Vergleichsrechnung um den Teil zu kürzen, der auf den —damals in vollem Umfang steuerfrei gestellten— Einzahlungen aus der früheren Arbeitnehmertätigkeit beruhe.

Die Kombination aus der ab dem Jahr 2005 vorgenommenen Steuererhöhung für Renten, der Ungleichbehandlung zwischen Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Auszahlungen aus Lebensversicherungen sowie der Zuweisung der Beweislast für das Vorliegen einer doppelten Besteuerung an den Steuerpflichtigen widerspreche der Präambel des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ( AEUV ), in der die Vertragsstaaten erklärt hätten, die Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker stetig verbessern zu wollen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 8. März 2013 aufzuheben und die Einkommensteuer 2011 unter Änderung des Bescheids vom 22. November 2012 in der Weise festzusetzen, dass ein Teilbetrag im Umfang von 54,71 % der vom Kläger aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogenen Rente nicht mit dem Besteuerungsanteil von 62 %, sondern nur mit dem Ertragsanteil von 18 % besteuert wird,

hilfsweise die Einkommensteuer 2011 in der Weise festzusetzen, dass ein Teilbetrag im Umfang von 20,89 % der vom Kläger aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogenen Rente wegen einer verfassungsrechtlich unzulässigen doppelten Besteuerung steuerfrei bleibt.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es schließt sich dem FG-Urteil an.

II.

Die Revision ist —aus anderen als den geltend gemachten Gründen— teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung des Senats in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

Zwar ist die Entscheidung des FG in Bezug auf die Besteuerung der vom Kläger aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogenen Rente zutreffend (dazu unten 1.). Das FG konnte jedoch noch nicht die neue höchstrichterliche Rechtsprechung zur Ermittlung der Höhe der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG berücksichtigen, die hier zu einer Verringerung der zumutbaren Belastung —und damit zu einer Erhöhung des als außergewöhnliche Belastung abziehbaren Betrages— führt (unten 2.).

1. Das FG hat auf die vom Kläger aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogene Leibrente zu Recht den sich aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ergebenden Besteuerungsanteil von 62 % angewandt (dazu unten a). Im Streitfall ist weder die Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG anwendbar (unten b) noch ist die einkommensteuerrechtliche Erfassung der Rente unter dem Gesichtspunkt einer Ungleichbehandlung zu Auszahlungen aus Lebensversicherungsverträgen (unten c) oder einer doppelten Besteuerung (unten d) verfassungswidrig. Auch verstößt sie nicht gegen die Präambel des AEUV (unten e).

a) Dass es sich bei der vom Kläger bezogenen Altersrente um eine Leibrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung handelt und der gesetzliche Besteuerungsanteil —die Anwendbarkeit der Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG unterstellt— 62 % beträgt, ist vom FG zutreffend erkannt worden und zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Im Hinblick darauf sieht der Senat von weiteren Ausführungen hierzu ab.

b) Die Voraussetzungen der Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift gilt die —in aller Regel geringere— Ertragsanteilsbesteuerung auf Antrag auch für Leibrenten und andere Leistungen, soweit diese auf bis zum 31. Dezember 2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden und der Steuerpflichtige nachweist, dass der Höchstbeitrag in mindestens zehn Jahren überschritten wurde.

aa) Der Senat kann der Auffassung des Klägers, der Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung habe während der Zeit seiner freiberuflichen Tätigkeit für ihn bei 0 DM/€ gelegen, so dass alle seine Beitragszahlungen den Höchstbeitrag überstiegen hätten, nicht folgen.

Beitragsbemessungsgrundlage für freiwillig Versicherte ist jeder Betrag zwischen der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nach § 167 SGB VI und der Beitragsbemessungsgrenze (§ 161 Abs. 2 SGB VI ). Gemäß § 157 SGB VI werden die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nach einem Prozentsatz (Beitragssatz) von der Bemessungsgrundlage erhoben, die aber nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird. Durch Multiplikation des Beitragssatzes mit der Beitragsbemessungsgrenze ergibt sich rechnerisch der Höchstbeitrag für das jeweilige Beitragsjahr. Die Beitragssätze und Beitragsbemessungsgrenzen werden gemäß § 160 SGB VI durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung festgesetzt. Übersteigt das Arbeitseinkommen eines Selbständigen die Beitragsbemessungsgrenze, wird so lange ein Arbeitseinkommen in Höhe der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze zugrunde gelegt, bis sich aus einem neuen Einkommensteuerbescheid niedrigere Einkünfte ergeben (§ 165 Abs. 1 Satz 5 SGB VI ).

Aus der Zusammenschau dieser gesetzlichen Regelungen aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung ergibt sich zweifelsfrei, dass die Beitragsbemessungsgrenze —und damit auch der aus ihr durch eine einfache Rechenoperation abzuleitende Höchstbeitrag— gleichermaßen für Pflichtversicherte wie für freiwillig Versicherte gilt.

bb) Da die Beitragszahlungen des Klägers nicht mindestens zehn Jahre lang die —nach den vorstehenden Ausführungen auch für den Kläger geltenden— jeweiligen Höchstbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung überschritten haben, kann die Öffnungsklausel im Streitfall nicht angewendet werden.

c) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—) wird nicht dadurch verletzt, dass die Rente des Klägers dem Besteuerungsanteil von 62 % unterliegt, während Auszahlungen aus Lebensversicherungsverträgen lediglich mit dem niedrigeren Ertragsanteil besteuert werden. Weil diese Frage bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt ist und die Kläger keine neuen, von den Gerichten noch nicht erwogenen Gesichtspunkte vorgebracht haben, verweist der Senat auf die hierzu bereits vorliegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— (Beschlüsse vom 30. September 2015 2 BvR 1066/10, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2016, 72 , Rz 44 ff., und 2 BvR 1961/10, HFR 2016, 77 , Rz 37 ff.) und des Bundesfinanzhofs —BFH— (Urteile vom 26. November 2008 X R 15/07, BFHE 223, 445 , BStBl II 2009, 710 , unter II.2.b cc, und vom 4. Februar 2010 X R 52/08, BFH/NV 2010, 1253 , Rz 35 ff.).

d) Mit zutreffenden Erwägungen hat das FG auch das Vorliegen einer verfassungswidrigen doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen verneint.

aa) Die Feststellung des FG, der Kläger habe insgesamt Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 55.443 € aus versteuertem Einkommen geleistet, lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Kläger erkennen.

(1) Dies gilt vor allem für die vom FG seiner Berechnung zugrunde gelegte Rechtsauffassung, Beiträge zu kapitalbildenden Lebensversicherungen seien bei Beurteilung der Frage, in welchem Umfang sich die Beiträge zur Basis-Altersversorgung im zeitlichen Anwendungsbereich der bis 2004 für den Abzug von Vorsorgeaufwendungen geltenden Rechtslage tatsächlich als Sonderausgaben ausgewirkt haben, nicht gleichrangig, sondern nur nachrangig zu den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung abzuziehen.

Eine gleichrangige Betrachtung dieser Kapitalanlage mit den Aufwendungen für die Basis-Altersversorgung würde dazu führen, dass für Letztere ein geringeres Sonderausgaben-Abzugsvolumen übrig bliebe, also ein höherer Anteil aus versteuertem Einkommen geleistet wäre. Damit wäre die Schwelle der verfassungsrechtlich unzulässigen doppelten Besteuerung früher überschritten. Dies würde indes ausgerechnet jene Steuerpflichtigen begünstigen, die weiterhin in erheblichem Maße von der —wenngleich verfassungsrechtlich noch hinzunehmenden (vgl. vorstehend c)— fortbestehenden einkommensteuerrechtlichen Begünstigung der Auszahlungen aus derartigen Rentenversicherungsverträgen profitierten. Daher ist zur Vermeidung einer auf diese Vorsorgeform beschränkten, nicht gerechtfertigten doppelten Begünstigung —nämlich einerseits durch Steuerfreistellung der früheren Beiträge und andererseits durch weitgehende Steuerfreistellung der Auszahlungen— im Rahmen der rückblickenden Aufteilung des Sonderausgabenabzugs ein Nachrang der Beiträge zu dieser Vorsorgeform anzunehmen (a.A. Wernsmann/Neudenberger in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG , § 22 Rz B 217).

Auch das BVerfG hat bereits formuliert, private Leibrentenversicherungen seien in der Vergangenheit bei anderweitiger Ausschöpfung der Sonderausgaben-Höchstbeträge durch Pflichtbeiträge steuerlich nicht berücksichtigt worden (BVerfG-Beschluss in HFR 2016, 72 , Rz 46). Dies stützt den vom FG und vom erkennenden Senat für Zwecke der Vergleichsrechnung angenommenen Nachrang derartiger kapitalbildender Beiträge.

(2) Die vom FG für die Jahre, in denen keine Unterlagen mehr vorlagen (1978 bis 1994), vorgenommene Schätzung anhand der Verhältnisse der Folgejahre 1995 bis 2004 ist sachgerecht und lässt —da der Anteil der aus versteuertem Einkommen geleisteten Beiträge in den späteren Jahren eher höher war als in den früheren Jahren (vgl. die von Bröer, Betriebs-Berater 2004, 527 mitgeteilten Zahlen)— jedenfalls keinen Rechtsfehler zu Lasten der Kläger erkennen.

(3) Weiterhin nicht zu entscheiden braucht der Senat die Frage, ob im Rahmen der vorzunehmenden Vergleichsrechnung auch Beiträge zu Unfall- und Haftpflichtversicherungen gleichrangig zu den Beiträgen zu den gesetzlichen Sozialversicherungen abziehbar sind. Das FG hat insoweit die den Klägern günstigste Berechnungsvariante unterstellt; gleichwohl ist es zu dem Ergebnis gekommen, eine doppelte Besteuerung sei nicht gegeben.

(4) Gleiches gilt für die Frage, ob die Vorsorgeaufwendungen des Ehegatten —wie vom FG zugunsten der Kläger angenommen— vorrangig abziehbar sind. Der Senat erlaubt sich hierzu allerdings den Hinweis, dass er für einen derartigen Vorrang der Vorsorgeaufwendungen des Ehegatten keinen Grund erkennen kann.

bb) Auf der Rentenbezugsseite kann offen bleiben, ob das FG die weitere statistische Lebenserwartung des Klägers im Zeitpunkt von dessen Renteneintritt (1. Juli 2011) zutreffend anhand der Sterbetafel 2009/2011 mit 17,48 Jahren ermittelt hat, obwohl diese vom Statistischen Bundesamt erst am 30. Oktober 2012 —mithin nach dem Renteneintritt des Klägers— veröffentlicht worden ist. Auch bei Anwendung der am 4. November 2010 veröffentlichten Sterbetafel 2007/2009 (vgl. zum Veröffentlichungsdatum auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 8. November 2010, BStBl I 2010, 1288 ) ergäbe sich für 65-jährige Männer eine weitere durchschnittliche Lebenserwartung von 17,22 Jahren und folglich bei einem steuerfreien Rententeilbetrag von 4.090 € jährlich ein insgesamt steuerfreier Bezug von 70.429 €, der immer noch deutlich über der Summe der vom Kläger aus versteuertem Einkommen geleisteten Rentenbeträge liegt.

(2) Der Senat kann den Klägern nicht darin folgen, das Nominalwertprinzip sei dahingehend anzuwenden, dass in die Betrachtung nicht der tatsächliche Rentenwert, sondern ein "historischer aktueller Rentenwert" —bei dem es sich ausweislich der von den Klägern vorgelegten Berechnung um eine abgezinste Größe handelt— einzubeziehen sei. Entgegen der von den Klägern gewählten Formulierung würde durch diese Berechnungstechnik das Nominalwertprinzip nicht etwa "angewendet", sondern im Gegenteil durch eine Barwertbetrachtung durchbrochen. Es entspricht aber ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sowohl des BVerfG (Beschlüsse vom 29. September 2015 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310 , Rz 51, und in HFR 2016, 72 , Rz 60) als auch des erkennenden Senats (vgl. zuletzt Urteil vom 21. Juni 2016 X R 44/14, BFHE 254, 545 , Rz 48, m.w.N.), dass die erforderliche Vergleichsrechnung anhand der Nominalwerte vorzunehmen ist.

(3) Auch wäre das Begehren der Kläger, denjenigen Teilbetrag der vom Kläger bezogenen Rente, der auf vollständig steuerfrei gestellten Beiträge aus der früheren Arbeitnehmertätigkeit des Klägers beruht, aus der Betrachtung herauszunehmen, unvereinbar mit der vom Senat in ständiger Rechtsprechung angewendeten Berechnungstechnik, sämtliche vom jeweiligen Steuerpflichtigen in die Basisversorgung geleisteten Beiträge mit der Summe aller voraussichtlichen Rentenzuflüsse aus der Basisversorgung zu vergleichen.

(4) Da sich im vorliegenden Verfahren schon allein bei Ansatz des steuerfreien Rententeilbetrags eindeutig ergibt, dass der Kläger keiner verfassungswidrigen doppelten Besteuerung unterworfen wird, braucht der Senat auch hier nicht darüber zu entscheiden, ob für den Zeitraum des Rentenbezugs noch weitere steuerliche Abzugsbeträge in die Vergleichsrechnung einzubeziehen wären (vgl. hierzu bereits Senatsurteil in BFHE 254, 545 , Rz 42).

e) Der Senat kann auch keinen Verstoß der gesetzlichen Regelung gegen den von den Klägern angeführten Abs. 4 der Präambel des AEUV erkennen. Darin heißt es, die vertragschließenden Staatsoberhäupter handelten "in dem Vorsatz, die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker als wesentliches Ziel anzustreben".

Bereits das BVerfG hat —unter Anlegung des rechtsverbindlichen Prüfungsmaßstabs der Grundrechte des GG— betont, der Gesetzgeber habe eine vollständige Neugestaltung dieses steuerlichen Regelungskomplexes vorgenommen, bei der er auch die Notwendigkeiten einfacher, praktikabler und gesamtwirtschaftlich tragfähiger Lösungen habe berücksichtigen dürfen (BVerfG-Beschlüsse vom 14. Juni 2016 2 BvR 290/10, BStBl II 2016, 801 , Rz 67, und 2 BvR 323/10, HFR 2016, 829 , Rz 75, m.w.N.). Es ist weder von den Klägern dargelegt noch sonst ersichtlich, dass bei Anwendung des Abs. 4 der Präambel des AEUV —bei dem es sich schon nach seinem Wortlaut ("anzustreben") lediglich um einen unverbindlichen Programmsatz handeln dürfte— strengere Maßstäbe gelten könnten.

2. Die Revision ist jedoch im Ergebnis insoweit begründet, als sich nach der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Ermittlung der Höhe der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG —die das FG noch nicht berücksichtigen konnte— vorliegend eine Erhöhung des als außergewöhnliche Belastung abziehbaren Betrages ergibt.

a) Der Senat ist —auch wenn die Beteiligten diesen Punkt bisher nicht aufgegriffen haben— insoweit zur Saldierung berechtigt und verpflichtet.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt der gesamte Inhalt eines Steuerbescheids gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO durch Bezugnahme als festgestellt, wenn er im Tatbestand eines instanzgerichtlichen Urteils erwähnt wird (BFH-Urteile vom 20. August 1986 I R 87/83, BFHE 147, 521 , BStBl II 1987, 75 , unter II.A., und vom 21. Januar 1992 VIII R 72/87, BFHE 169, 219 , BStBl II 1992, 958 , unter 2.c). Dies ist hier der Fall, so dass das Revisionsgericht die Tatsache, dass im vorliegend angefochtenen Steuerbescheid außergewöhnliche Belastungen —unter Kürzung um die zumutbare Belastung— abgezogen worden sind, verwerten darf.

Darüber hinaus ist nicht nur der Tatrichter, sondern auch das Revisionsgericht verpflichtet, im Rahmen der gestellten Anträge eine Saldierung mit anderweitigen Rechtsfehlern des angefochtenen Bescheids vorzunehmen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393 , BStBl II 1968, 344 ).

b) Der VI. Senat des BFH hat mit Urteil vom 19. Januar 2017 VI R 75/14 (BFHE 256, 339 , BStBl II 2017, 684 ) entschieden, die Regelung in der in § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG enthaltenen Tabelle sei so zu verstehen, dass nur derjenige Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den im Gesetz genannten jeweiligen Grenzbetrag übersteigt, mit dem höheren Prozentsatz der nächsten Tabellenstufe belastet wird.

Vorliegend hat das FA den Gesamtbetrag der Einkünfte zunächst um die —dem Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG unterworfenen— Einkünfte aus Kapitalvermögen erhöht (vgl. § 2 Abs. 5b Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr 2011 noch geltenden Fassung). Anschließend hat es die zumutbare Belastung mit 6 % dieses erhöhten Gesamtbetrags der Einkünfte ermittelt (6 % von 96.961 € = 5.817,66 €).

Bei Anwendung der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die zumutbare Belastung im Streitfall jedoch wie folgt zu berechnen: 
-   bis 15.340 €: 4 % von 15.340 €  613,60 € 
-   bis 51.130 €: 5 % von (51.130 € ./. 15.340 €)  1.789,50 € 
-   bis 96.961 €: 6 % von (96.961 € ./. 51.130 €)  2.749,86 € 
-   Summe der zumutbaren Belastung:  5.152,96 € 

Der als außergewöhnliche Belastungen abziehbare Betrag erhöht sich danach um 665 €. In diesem Umfang hat die Revision der Kläger Erfolg. Die Ermittlung der festzusetzenden Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO dem FA übertragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO .

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, vom 29.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 5 K 1075/13
Fundstellen
BFHE 259, 311
FR 2019, 195