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BGH - Entscheidung vom 29.04.2014

3 StR 21/14

Normen:
StGB § 211 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ 2014, 6
StV 2015, 285

BGH, Beschluss vom 29.04.2014 - Aktenzeichen 3 StR 21/14

DRsp Nr. 2014/10469

Heimtücke als bewusste Ausnutzung der Arglosigkeit und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung vor Versuchsbeginn i.R.e. Verurteilung wegen versuchten Mordes

1. Bei der Heimtücke ist für die Beurteilung einer bewussten Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers grundsätzlich auf die Lage zu Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs und damit den Eintritt der Tat in das Versuchsstadium abzustellen. 2. Das Tatopfer ist auch dann arg- und wehrlos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen.

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 15. Oktober 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 211 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb, Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat Erfolg.

Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verliebte sich die Angeklagte in den Nebenkläger, ihren Fahrlehrer, und versuchte ihn fortan trotz seiner Zurückweisung für sich zu gewinnen und ihn dazu zu bewegen, sich mit ihr zu treffen. Weil der Nebenkläger ihr aber immer wieder aus dem Weg ging, Telefonanrufe nicht annahm und persönliche Kontakte verweigerte, war sie zunehmend verzweifelt, fühlte sich gekränkt und in ihrem Stolz verletzt. Am 22. Juni 2013 sah sie den Nebenkläger, als er mit seinem Fahrschulwagen hinter einem Motorradschüler herfuhr. Daraufhin holte sie eine zuvor nebst Munition erworbene Pistole, führte das Magazin ein und begab sich zu der als Abstellplatz für das Motorrad genutzten Garage, wo sie das Eintreffen des Nebenklägers erwartete. Sie wollte ihn unter Vorhalt der Waffe zu einem Gespräch zwingen und ihn, sollte er dies erneut verweigern, erschießen. Während der Nebenkläger das Motorrad in die Garage brachte, kam es zwischen ihm und der Angeklagten zu einem kurzen Gespräch, in dem er sie erneut abwies. Während er sich auf den Beifahrersitz des Fahrschulwagens setzte, in dem sich eine Fahrschülerin auf dem Fahrersitz und der Motorradschüler auf dem Rücksitz befanden, holte die Angeklagte die Pistole aus ihrem Fahrzeug und steckte sie am Rücken in den Hosenbund. Am Fahrzeug ergriff sie die Waffe, die sie für schussbereit hielt, und richtete sie durch das geöffnete Beifahrerfenster auf den Nebenkläger, den sie mit den Worten, dass sonst "etwas Böses" geschehen würde, zum Öffnen der Tür aufforderte. Als der Nebenkläger, der die Waffe irrtümlich für eine Spielzeugpistole hielt, dies verweigerte, erkannte sie, dass sie ihn auch nicht unter Vorhalt der Pistole zum Gespräch zwingen konnte. Sie fasste nun endgültig den Entschluss, ihn zu töten. Sie betätigte deshalb den Abzug, wobei sich zu ihrer Überraschung kein Schuss löste, da sie vergessen hatte, den Schlitten der Pistole durchzuziehen, so dass sich keine Kugel im Lauf befand. Als sie die Waffe nun durchlud, bekam der Nebenkläger Angst, startete den Motor und floh, indem er das Fahrzeug vom Beifahrersitz steuerte. Die Angeklagte gab vier Schüsse auf den davonfahrenden Wagen ab, wobei drei Projektile das Fahrzeug aus einer Entfernung von 20-30 Meter trafen. Dabei erkannte sie, dass diese Schüsse auch für die anderen Fahrzeuginsassen potentiell lebensgefährlich waren. In Verfolgung ihres Ziels, den Nebenkläger zu töten, nahm sie aber auch den Tod der beiden anderen billigend in Kauf. Zum Tatzeitpunkt war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten aufgrund einer Anpassungsstörung erheblich vermindert. Es wurde niemand verletzt.

2. Die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagte habe bei ihrem Versuch, durch das Fenster der Beifahrertür auf den Nebenkläger zu schießen, heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691 , 692 und vom 29. November 2007 - 4 StR 425/07, NStZ 2008, 273, 274, jeweils mwN; Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270 , 271). Dabei ist für die Beurteilung einer bewussten Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers grundsätzlich auf die Lage zu Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs und damit den Eintritt der Tat in das Versuchsstadium abzustellen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382 , 384; vom 9. Januar 1991 - 3 StR 205/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13, jeweils mwN).

Vorliegend belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Angeklagte bei Versuchsbeginn bewusst eine Arglosigkeit des Nebenklägers ausnutzte.

Allerdings versah der Nebenkläger sich offensichtlich keines Angriffs, als die Angeklagte, die die Waffe in den rückwärtigen Hosenbund gesteckt hatte, zu ihm ans Fahrzeug trat und die Pistole auf ihn richtete. In diesem Verhalten ist aber noch nicht der Beginn der Tötungshandlung zu sehen. Zwar hatte die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt schon einen Tatentschluss gefasst, weil lediglich die Tatausführung, nicht aber der Wille zur Tat davon abhängig war, dass der Nebenkläger auch unter Vorhalt der Pistole weiterhin nicht bereit war, mit ihr ein Gespräch zu führen (vgl. S/S-Eser/Bosch, 29. Aufl., § 22 Rn. 18 f.). Doch war nach dem Tatplan ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung in dem Sinne, dass der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet und objektiv ohne weitere Zwischenakte zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 1975 - 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201 , 202 f.; vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34 , 35 f.), noch nicht erreicht. Vielmehr hing die Umsetzung des geplanten Tötungsverhaltens noch vom - von der Angeklagten allerdings nicht zu beeinflussenden - Eintritt der Bedingung ab, dass der Nebenkläger sie wieder abweisen würde. Erst als der Nebenkläger sich endgültig abwandte und die Angeklagte jetzt den Abzug der Waffe betätigte, setzte sie unmittelbar zur Ausführung der Tötungshandlung an. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Nebenkläger aus Sicht der Angeklagten seine anfangs vorhandene Arglosigkeit jedoch verloren, da sie ihm mit vorgehaltener Pistole gedroht hatte, es werde "etwas Böses" geschehen, wenn er den Kontakt mit ihr weiter verweigere. Dass sie gewusst und bewusst ausgenutzt hätte, dass der Nebenkläger die Waffe für eine Spielzeugpistole hielt und sie deshalb nicht ernst nahm, ergibt sich aus den Feststellungen nicht.

Zwar ist das Tatopfer auch dann arg- und wehrlos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502 , 503; vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11, NStZ-RR 2012, 245 ; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29 , 30). Einen solchen Fall ergeben die Feststellungen vorliegend jedoch nicht. Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass der Nebenkläger auf die Angeklagte, die mit ihrem Vorgehen gerade ein Gespräch mit ihm erzwingen wollte, nicht hätte verbal einwirken und so den nicht gänzlich aussichtslosen Versuch unternehmen können, diese von ihrem Vorhaben abzubringen (s. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29 , 30).

Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes lässt auch die Verurteilung wegen des tateinheitlich dazu begangenen versuchten Totschlags in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und des Waffendelikts entfallen (KK/Gericke, StPO , 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN).

Vorinstanz: LG Hildesheim, vom 15.10.2013
Fundstellen
NStZ 2014, 6
StV 2015, 285