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BGH - Entscheidung vom 16.01.2014

XII ZB 377/12

Normen:
ZPO § 43
ZPO § 43
ZPO § 521 Abs. 2

Fundstellen:
FuR 2014, 292
MDR 2014, 492
NJW 2014, 8
NJW-RR 2014, 382
WM 2014, 675

BGH, Beschluss vom 16.01.2014 - Aktenzeichen XII ZB 377/12

DRsp Nr. 2014/2497

Einreichen eines die mündliche Verhandlung lediglich vorbereitenden Schriftsatzes als Einlassung i.S.v. § 43 ZPO ; Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit

Durch das Einreichen eines die mündliche Verhandlung lediglich vorbereitenden Schriftsatzes hat sich eine Partei noch nicht in eine Verhandlung vor dem als befangen abgelehnten Richter eingelassen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Mai 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Wert: 272.665 €

Normenkette:

ZPO § 43 ; ZPO § 521 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Beendigung eines gewerblichen (Zwischen-)Mietverhältnisses aufgrund einer vom Kläger als Vermieter wegen Zahlungsverzuges ausgesprochenen Kündigung. Das Landgericht hat dem auf Feststellung der Beendigung des Mietverhältnisses gerichteten Klageantrag vollständig und dem Antrag auf Mietzahlung überwiegend stattgegeben.

Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Mit prozessleitender Verfügung vom 6. Oktober 2011 hat der Senatsvorsitzende des zuständigen Zivilsenats beim Oberlandesgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 27. Februar 2012 bestimmt und den Parteien Hinweise erteilt. Hinsichtlich der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung hat er das Vorliegen eines ("schuldhaften") Zahlungsverzugs bezweifelt und hierzu unter anderem ausgeführt: "Angesichts des Chaos, das der Kläger, der mit seinen undurchschaubaren Machenschaften ausschließlich steuerliche Zwecke verfolgt und sich in einem Geflecht mietrechtlicher und steuerlicher Überlegungen verheddert hat, hinsichtlich der zu zahlenden Miete angerichtet hat, erscheint der Vortrag der Beklagten mehr als gut erklärbar, dass die Höhe der geschuldeten Miete für sie nicht mehr nachvollziehbar sei." Des Weiteren bestünden (u.a.) Bedenken gegen die Wirksamkeit der Kündigung wegen des "eigenen grob vertrags- und treuwidrigen Verhaltens" des Klägers. In der Verfügung ist den Parteien gemäß § 521 Abs. 2 ZPO unter Hinweis auf Verspätungsfolgen Gelegenheit gegeben worden, abschließend bis zum 17. November 2011 zu der Berufungsbegründung der (jeweiligen) Gegenseite Stellung zu nehmen.

Der Kläger hat sodann mit einem Schriftsatz vom 16. November 2011 in der Sache vorgetragen und zu den erteilten Hinweisen Stellung genommen.

Mit einem im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2012 überreichten Schriftsatz vom 24. Februar 2012 hat der Kläger den Vorsitzenden Richter R. sowie den Berichterstatter, Dr. H., der die prozessleitende Verfügung vorbereitet hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hat dies damit begründet, die abgelehnten Richter hätten sich in der prozessleitenden Verfügung unangemessen geäußert. Durch eine Bevorzugung bestrittenen Vorbringens der Beklagten hätten sie Sachverhalte zu seinen Lasten unterstellt und in einer Weise gewürdigt, die die Besorgnis begründeten, dass die Richter nicht unvoreingenommen seien. Mit Schriftsatz vom 19. März 2012 hat der Kläger sein Befangenheitsgesuch im Hinblick auf die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter sowie auf eine Äußerung des Vorsitzenden Richters in der Sitzung vom 27. Februar 2012 auf weitere Gründe gestützt.

Das Oberlandesgericht hat im angefochtenen Beschluss "die Ablehnungsgesuche des Klägers vom 24. Februar 2012" als unzulässig verworfen. "Die Ablehnungsgesuche vom 19. März 2012" hat es als unbegründet zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit die Ablehnungsgesuche als unzulässig verworfen worden sind.

Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die Aufhebung des (in vollem Umfang) angefochtenen Beschlusses und verfolgt seine Befangenheitsgesuche weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aufgrund der Zulassung durch das Oberlandesgericht statthaft (vgl. BGH Beschluss vom 8. November 2004 II ZB 24/03 NJW-RR 2005, 294 ) und auch ansonsten zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 24. Februar 2012 unzulässig. Der Kläger habe sich durch den Schriftsatz vom 16. November 2011 im Sinne von § 43 ZPO in eine Verhandlung eingelassen und sei daher hinsichtlich bekannter Ablehnungsgründe ausgeschlossen. Nach allgemeiner Meinung genüge für ein Einlassen im Sinne von § 43 ZPO jedes prozessuale Handeln einer Partei unter Mitwirkung des Richters, das der weiteren Sachbearbeitung und Streiterledigung diene. Darunter fielen nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch vorbereitende Schriftsätze, wenn diese nicht nur formale Aspekte des Verfahrensablaufs beträfen. Der hiervon abweichenden Auffassung sei nicht zu folgen. Zum Einen stelle § 43 ZPO das Erfordernis einer mündlichen Verhandlung nicht auf. Zum Anderen sei auch im Vorfeld der mündlichen Verhandlung richterliche Arbeit zu leisten und wolle § 43 ZPO verhindern, dass diese später nutzlos werde.

Mit dem "Ablehnungsgesuch vom 19. März 2012" habe der Kläger keine Gründe vorgebracht, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten. Die Äußerung des Vorsitzenden Richters bei der Entgegennahme des ersten Befangenheitsgesuchs, man habe dieses erwartet, bringe nur zum Ausdruck, dass der Befangenheitsantrag den Senat nicht überrascht habe. Auch die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter, in denen sie die in der Hinweisverfügung vertretene Ansicht verteidigten, enthielten keinen Befangenheitsgrund.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Der angefochtene Beschluss steht in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Die Rechtsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass die vom Oberlandesgericht im angefochtenen Beschluss ausgesprochene Beschränkung der Rechtsbeschwerdezulassung nicht wirksam ist.

Das Beschwerdegericht kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf Teile des Streitstoffs beschränken (BGH Beschluss vom 12. April 2011 II ZB 14/10 NJW 2011, 2371 ). Eine beschränkte Zulassung setzt indessen voraus, dass sich die Zulassung auf einen tatsächlich oder rechtlich selbständigen Teil des Streitstoffs bezieht, der Gegenstand eines Teilurteils (BGH Beschluss vom 30. Januar 2007 XI ZB 43/05 NJW-RR 2007, 932 Rn. 10 mwN) oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann (Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 11 mwN). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof die auf den Gesichtspunkt der ordnungsmäßigen Besetzung des Gerichts eingeschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde in Abgrenzung zum gleichzeitig geltend gemachten Befangenheitsgesuch für zulässig gehalten (BGH Beschluss vom 30. Januar 2007 XI ZB 43/05 NJW-RR 2007, 932 Rn. 10).

Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall dadurch, dass allein die Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit Gegenstand des angefochtenen Beschlusses ist und die vom Kläger angeführten Gründe eine Einheit bilden. Das Befangenheitsgesuch vom 24. Februar 2012 hat durch den Schriftsatz vom 19. März 2012 lediglich eine Ergänzung erfahren. Mit der vom Kläger auf seiner Meinung nach sachfremde und einseitige Äußerungen der abgelehnten Richter gestützten Besorgnis der Befangenheit steht bei beiden Ablehnungsgesuchen in der Sache derselbe Aspekt zur Beurteilung. Die im Schriftsatz vom 19. März 2012 geltend gemachten Gründe beziehen sich vor allem auf die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter zu dem Befangenheitsgesuch vom 24. Februar 2012, so dass sich die beiden Schriftsätze vor dem Hintergrund einer möglichen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht sinnvoll trennen lassen.

Die unwirksame Beschränkung der Zulassung hat zur Folge, dass die Rechtsbeschwerde in vollem Umfang zugelassen ist.

b) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts ist der Kläger nicht nach § 43 ZPO gehindert, sein Befangenheitsgesuch auf die in der terminsvorbereitenden Verfügung gegebenen Hinweise zu stützen.

aa) Die Frage, ob eine Prozesspartei sich durch die Einreichung eines sich mit der Sache befassenden vorbereitenden Schriftsatzes im Sinne von § 43 ZPO bei dem abgelehnten Richter "in eine Verhandlung eingelassen hat", ist umstritten.

Nach einem Teil der Rechtsprechung und Literatur ist die Frage zu bejahen (OLG Düsseldorf MDR 2010, 517 mwN; OLG Frankfurt OLGR 2000, 84; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 34. Aufl. § 43 Rn. 4). Zur Begründung wird der Gesetzeszweck angeführt, der in der schnellen und endgültigen Klärung der Mitwirkung des Richters und der Vermeidung überflüssiger richterlicher Arbeit bestehe (OLG Düsseldorf MDR 2010, 517 ).

Nach wohl überwiegender Auffassung (OLG Koblenz OLGR 1998, 292; OLG München NJW-RR 2012, 309, 310; BeckOK ZPO/Vossler [Stand: 15. Juli 2013] § 43 Rn. 8; MünchKommZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 43 Rn. 5; Musielak/ Heinrich ZPO 10. Aufl. § 43 Rn. 2; Vossler MDR 2007, 992, 993; Wieczorek/ Schütze/Niemann ZPO 3. Aufl. § 43 Rn. 5; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 43 Rn. 4) stellt das Einreichen eines die mündliche Verhandlung lediglich vorbereitenden Schriftsatzes noch keine Einlassung im Sinne von § 43 ZPO dar. Hierfür wird vor allem auf den Wortlaut der Norm abgestellt, der eine Anwendung auf Schriftsätze nur zulasse, wenn die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehe (vgl. BeckOK ZPO/Vossler [Stand: 15. Juli 2013] § 43 Rn. 9).

bb) Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen.

Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Einlassen in eine Verhandlung im Sinne des § 43 ZPO jedes prozessuale, der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln der Partei unter Mitwirkung des Richters, das der weiteren Sachbearbeitung und Streiterledigung dient (BGH Beschluss vom 5. Februar 2008 VIII ZB 56/07 FamRZ 2008, 981 Rn. 4 mwN).

Nach § 128 Abs. 1 ZPO verhandeln die Parteien über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich. Vorbereitende Schriftsätze dienen dagegen lediglich der Ankündigung des Vortrags in der mündlichen Verhandlung. Prozessual wirksam wird das Vorbringen im Bereich des Mündlichkeitsgrundsatzes erst durch Vortrag in der mündlichen Verhandlung (BGHZ 134, 127 = NJW 1997, 397 , 398 mwN). Jedenfalls der Streiterledigung dient das schriftsätzliche Vorbringen somit erst, nachdem die Partei sich in der mündlichen Verhandlung darauf bezogen hat. Dementsprechend genügt es auch der von § 43 ZPO vorausgesetzten Mitwirkung des Richters noch nicht, dass dieser die mündliche Verhandlung vorbereitet. Dass der später abgelehnte Richter durch das Lesen vorbereitender Schriftsätze (und ggf. durch vorbereitende Maßnahmen) Arbeit auf die Sache verwendet, die sich als überflüssig erweisen kann, ist hinzunehmen. Denn auch eine am Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung hat sich in dem Rahmen zu halten, den das Gesetz für einen Ausschluss des Ablehnungsrechts vorgibt. Danach ergibt schon der Wortlaut des § 43 ZPO einen Bezug zur Verhandlung, die im Zivilprozess dem Grundsatz der Mündlichkeit unterliegt. Dies steht auch im Einklang mit ähnlichen prozessualen Regelungen, die ebenfalls im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit und zur Sanktion widersprüchlichen Prozessverhaltens erst an die mündliche Verhandlung Rechtsfolgen wie etwa den Ausschluss des Rügerechts (§ 295 ZPO ) oder die Begründung einer Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung (§ 39 ZPO ) knüpfen. Dementsprechend hat der Senat den Ausschluss des Ablehnungsrechts nach § 43 ZPO als einen gegenüber § 295 ZPO spezielleren Heilungstatbestand angesehen (Senatsurteil BGHZ 165, 223 = FamRZ 2006, 261 , 262; vgl. Vossler MDR 2007, 992).

Die Einreichung von Sachvortrag enthaltenden Schriftsätzen kann mithin der Einlassung in eine (mündliche) Verhandlung nur gleichgesetzt werden, wenn der schriftliche Vortrag diese wie bei der Anordnung des schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO ersetzt oder wenn das Verfahren von vornherein eine mündliche Verhandlung nicht vorschreibt (vgl. OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 484 ). Daher steht schließlich auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH Beschluss vom 18. März 2013 VII B 134/12 [...] Rn. 8 mwN), die ebenfalls auf die Mitwirkung eines Richters abstellt, nicht entgegen, schon weil das Finanzgericht nach § 90 a Abs. 1 FGO auch ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden kann.

c) Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Oberlandesgericht die in der terminsvorbereitenden Verfügung enthaltenen Äußerungen noch nicht zum Gegenstand seiner Prüfung gemacht hat.

Vorinstanz: LG Bielefeld, vom 05.05.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 12 O 91/09
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 21.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen I-18 U 129/11
Fundstellen
FuR 2014, 292
MDR 2014, 492
NJW 2014, 8
NJW-RR 2014, 382
WM 2014, 675