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BGH - Entscheidung vom 07.10.2014

4 Ni 9/11

Normen:
PatG § 3 Abs. 2 Nr. 1

BGH, Urteil vom 07.10.2014 - Aktenzeichen 4 Ni 9/11

DRsp Nr. 2014/17666

Deutliche und vollständige Offenbarung einer zum Patent angemeldeten Erfindung

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 24. Juli 2012 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin zu 1 wird zurückgewiesen.

Von den Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren trägt die Klägerin zu 1 zwei Drittel. Die Kosten des Berufungsverfahrens und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren trägt die Klägerin zu 1.

Von Rechts wegen

Normenkette:

PatG § 3 Abs. 2 Nr. 1 ;

Tatbestand

Der Beklagte ist Inhaber des deutschen Patents 43 43 117 (Streitpatents), das am 17. Dezember 1993 angemeldet wurde. Das Streitpatent umfasst 18 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:

"1. Fixationssystem für Knochen mit einer Knochenplatte (8) mit wenigstens einem Durchgangsloch (9), wenigstens einer in ein Durchgangsloch eingesetzten Knochenschraube (1), eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichenden Sitzflächen (4, 11) von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1) und Mitteln zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte, dadurch gekennzeichnet, dass die Mittel zum Festlegen eine durch Eindrehen der Knochenschraube (1) in dem bestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde (6, 10) an mindestens einer Sitzfläche (4, 11) gebildete Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1) aufweisen."

Die Patentansprüche 2 bis 17 sind auf Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen.

Die Klägerin zu 1 (nachfolgend: Klägerin) hat geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche sei nicht patentfähig und die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Der Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit elf Hilfsanträgen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent insoweit für nichtig erklärt, als dieses über die Fassung des zweiten Hilfsantrags hinausgeht. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er beantragt, das Urteil des Patentgerichts abzuändern und die Nichtigkeitsklage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen und, im Wege der Anschlussberufung, das Urteil des Patentgerichts aufzuheben und das Streitpatent für nichtig zu erklären.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Die zulässige Anschlussberufung der Klägerin ist hingegen nicht begründet.

I. Das Streitpatent betrifft ein Fixationssystem für Knochen. Derartige Systeme werden nach den Angaben in der Beschreibung in der Osteosynthese verwendet, wobei die Knochenplatten die Fraktur überbrücken und die Knochenschrauben mit den Fragmenten verbunden werden.

Dabei ist es nach den weiteren Erläuterungen in der Beschreibung wünschenswert, die Knochenschraube in einem den individuellen Gegebenheiten des zu verbindenden Knochenteils entsprechenden Winkel in die Knochenplatte einzubringen. Um dies zu erreichen sei es bekannt, den Kopf der Knochenschraube mit einer etwa halbkugelförmigen Sitzfläche zu versehen, der eine Sitzfläche in den Durchgangslöchern der Knochenplatte zugeordnet sei. Sei die Winkelverbindung zwischen Knochenschraube und Knochenplatte dabei nur durch die Reibkräfte zwischen Schraubenkopf und Plattenloch gesichert, könne es jedoch zu unerwünschten Lockerungen kommen. Um demgegenüber eine winkelstabile Verbindung zu erreichen, sei es bekannt, den Schraubenkopf mit einem Außengewinde und das Plattenloch mit einem Innengewinde zu versehen. Die nach Eindrehen der Schraube entstehende Winkelverbindung sei zwar stabil, habe aber den Nachteil, dass die Schraube nur in dem durch die Gewinde vorgegebenen Winkel in die Platte eingebracht werden könne. Andere bekannte Fixationssysteme seien nachteilhaft, weil sie aufgrund ihres verhältnismäßig großen Volumens in der Anwendbarkeit beschränkt oder in der Herstellung zu aufwändig seien.

Der Erfindung liege vor diesem Hintergrund das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, ein Fixationssystem mit wählbarem und fixierbarem Winkel zwischen Knochenplatte und Knochenschraube zu schaffen, welches einen geringen Platzbedarf hat und weniger aufwändig ist.

Das soll nach Patentanspruch 1 durch folgende Merkmalskombination erreicht werden:

1.

Fixationssystem für Knochen

2.

mit einer Knochenplatte 8 mit wenigstens einem Durchgangsloch 9,

3.

wenigstens einer in ein Durchgangsloch eingesetzten Knochenschraube 1,

4.

wobei Knochenplatte 8 und Knochenschraube 1 Sitzflächen 4, 11 haben, die eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen,

5.

und Mitteln zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte.

5.1

Die Mittel zum Festlegen weisen eine Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte 8 und Knochenschraube 1 auf.

5.2

Die Gewindeverbindung wird durch Eindrehen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde 6, 10 an mindestens einer Sitzfläche 4, 11 gebildet.

Als Fachmann ist, wie auch von den Parteien in der Verhandlung nicht in Frage gestellt worden ist, ein im Bereich der Biomechanik berufserfahrener Ingenieur anzusehen, der sich mit der Entwicklung und Fertigung von Fixationssystemen für Knochen einschließlich Knochenschrauben beschäftigt und der im Hinblick auf die spezifischen medizinischen Anforderungen und Anwendungen mit einem Chirurgen oder Orthopäden zusammenarbeitet und diesen bei klinisch-medizinischen Fragestellungen zu Rate zieht.

Aus Sicht eines solchen Fachmanns ist, wie das Patentgericht zutreffend erkannt hat, unter einer Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube, welche die Mittel zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte nach Merkmal 5.1 aufweisen sollen, eine formschlüssige Verbindung zu verstehen, bei der Gewindeprofile, die im Durchgangsloch der Knochenplatte und an der Knochenschraube ausgebildet sind, ineinander greifen. Dadurch entsteht eine winkelstabile Ausrichtung von Platte und Schraube, wie sie nach den Angaben der Beschreibung bei vorgegebenem Winkel bereits im Stand der Technik bekannt war (Sp. 1, Z. 49 ff.) und wie sie erfindungsgemäß bei wählbarem Winkel erreicht werden soll (Sp. 2, Z. 8 ff.). Nach Merkmal 5.2 soll eine solche Gewindeverbindung durch Eindrehen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde 6, 10 an mindestens einer Sitzfläche 4, 11 gebildet werden, wobei offen bleibt und damit in das Belieben des Benutzers gestellt ist, auf welche Weise die Bildung der Gewindeverbindung durch Eindrehen der Knochenschraube von einem vorgeformten Gewinde an mindestens einer Sitzfläche erfolgt.

In der Beschreibung des Streitpatents wird insoweit beispielhaft ausgeführt, dass sowohl die Sitzfläche der Knochenplatte und der Knochenschraube ein vorgeformtes Gewinde aus voneinander beabstandeten Gewindesegmenten haben könnten und es durch das Eindringen der Schraube in die Platte zu einer Verhakung der Segmente verschiedener Gewinde kommen könne, die ein sekundäres Lockern und Herausdrehen erschwerten. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass ein vorgeformtes Gewinde nur in einer der Sitzflächen vorhanden sein könne, die aus einem härteren Material bestehe als die andere Sitzfläche, so dass es beim Eindrehen der Schraube zu einer Gewindeausbildung durch Umformung und einem durch Reib- bzw. Stoffschluss gesicherten Gewindesitz komme. In beiden Fällen handelt es sich nur um Ausführungsbeispiele, welche keine einschränkende Auslegung der allgemeiner gehaltenen Vorgaben des Merkmals 5.2 erlauben (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2004 - X ZR 255/01, BGHZ 160, 204 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

Das mit Patentanspruch 1 vorgeschlagene Fixationssystem hebt sich vom in der Beschreibung referierten Stand der Technik dadurch ab, dass die Sitzflächen von Knochenplatte und -schraube eine Festlegung der Knochenschraube unter verschiedenen Winkeln ermöglichen und gleichwohl eine Gewindeverbindung an diesen Sitzflächen besteht.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet. Das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung stelle allgemein eine winkelvariable Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube unter Schutz. Ausführbar offenbart sei die Erfindung zwar insoweit, als die Gewindeverbindung nach dem Merkmal 5.1 durch eine Materialumformung entstehe. Denn der Fachmann könne der Gesamtheit der Patentschrift anhand mehrerer Beispiele entnehmen, wie bei Winkelvariabilität und dem Vorhandensein eines vorgeformten Gewindes die Gewindegänge des Gegengewindes mittels Materialumformung gebildet werden könnten. Nicht ausführbar offenbart sei jedoch, wie die erfindungsgemäße Gewindeverbindung ohne Umformung unter Beibehaltung der Winkelvariabilität entstehen könne. Die Streitpatentschrift enthalte keine technischen Hinweise oder Anregungen, wie die Gewindesegmente auszubilden seien, damit eine beim Einschrauben unter verschiedenen Winkeln zwangsläufig stattfindende Materialumformung vermieden werde. Der Hinweis auf ein "Verhaken" ändere daran nichts, weil nicht ersichtlich sei, wie ein Verhaken ohne Umformung erreicht werden könne. Damit sei der Gegenstand des Patentanspruchs durch eine generalisierende Formulierung über die dem Fachmann in der Gesamtheit der Unterlagen an die Hand gegebene Lösung hinaus so weit verallgemeinert, dass der Patentschutz über den geleisteten Gegenstand der Erfindung zum Stand der Technik hinausgehe.

Zulässig und patentfähig sei jedoch der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des 2. Hilfsantrags.

III. Die Ausführungen des Patentgerichts zur unzureichenden Offenbarung halten den Angriffen der Berufung nicht stand.

Wie auch das Patentgericht im Ansatz nicht verkennt, ist eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung gegeben, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs auf Grund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (BGH, Urteil vom 4. Oktober 1979 - X ZR 3/76, GRUR 1980, 166, 168 - Doppelachsaggregat; Urteil vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 Rn. 31 - Polymerisierbare Zementmischung).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Das in Patentanspruch 1 geschützte Fixationssystem für Knochen umfasst neben Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube, die ein gegenseitiges Ausrichten unter verschiedenen Winkeln ermöglichen, Mittel zum Festlegen der Knochenschraube durch eine Gewindeverbindung zwischen der Knochenplatte und der Knochenschraube, die von einem vorgeformten Gewinde an mindestens einer Sitzfläche durch Eindrehen der Knochenschraube in dem bestimmten Winkel gebildet werden. Ein solches Fixationssystem ist in ausführbarer Weise in der Streitpatentschrift offenbart. Denn, wie auch das Patentgericht angenommen hat und zwischen den Parteien unstreitig ist, ist der Fachmann anhand der Angaben in der Streitpatentschrift in der Lage, die erfindungsgemäße Gewindeverbindung durch Materialumformung etwa dergestalt zu bilden, dass ein vorgeformtes Gewinde nur an einer der beiden Sitzflächen (bevorzugt der der Knochenschraube) besteht und für diese Sitzfläche ein härteres Material gewählt wird als für die andere Sitzfläche (die sich bevorzugt an der Knochenplatte befindet). Beim Eindrehen der Schraube - in einem vom Anwender gewählten Winkel - werden dann die Gewindegänge des Gegengewindes geformt (Sp. 2, Z. 58 ff.; Sp. 4, Z. 14 ff.), so dass eine formschlüssige Verbindung entsteht, bei der Gewindeprofile, die im Durchgangsloch der Knochenplatte und an der Knochenschraube ausgebildet sind, ineinander greifen.

Der hinreichend vollständigen und deutlichen Offenbarung der Erfindung steht nicht entgegen, dass nach den weiteren Ausführungen des Patentgerichts dem Fachmann in der Streitpatentschrift nicht mit hinreichender Deutlichkeit und Vollständigkeit offenbart sein soll, wie eine erfindungsgemäße Gewindeverbindung ohne Materialumformung entstehen kann. Selbst wenn diese - von dem Beklagten bestrittene - Annahme als zutreffend unterstellt wird, folgt daraus nicht, dass es auch an einer hinreichend deutlichen und vollständigen Offenbarung der in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Erfindung fehlt. Denn Merkmal 5.2 fordert lediglich, dass die Gewindeverbindung durch Eindrehen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel gebildet wird, während offen bleibt, ob es dabei zu einer Materialumformung kommt oder nicht.

In der darin liegenden Verallgemeinerung kann kein Verstoß gegen das Gebot deutlicher und hinreichender Offenbarung gesehen werden. Vielmehr ist es insoweit grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Patentanspruch nicht auf die in der Patentschrift ausführbar offenbarten Ausführungsformen beschränkt wird, sondern diese in gewissem Umfang verallgemeinert (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2013 - X ZB 8/12, BGHZ 198, 205 Rn. 15 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Daher genügt es in aller Regel, wenn dem Fachmann in der Patentschrift ein nacharbeitbarer Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung aufgezeigt wird (BGH, aaO Rn. 36 - Polymerisierbare Zementmischung; aaO Rn. 17 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Eine generalisierende Formulierung in einem Patentanspruch verstößt erst dann gegen das Gebot deutlicher und vollständiger Offenbarung, wenn sie den durch das Patent geschützten Bereich über die erfindungsgemäße, dem Fachmann in der Beschreibung an die Hand gegebene Lösung hinaus verallgemeinert (BGH, aaO Rn. 18 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Das hat der Senat für einen Fall angenommen, in dem der geschützte Gegenstand des Patentanspruchs durch offene Bereichsangaben für physikalische Eigenschaften eines Stoffs bestimmt wurde, während der Beitrag des Patents zum Stand der Technik nicht darin lag, den Stoff erstmals zur Verfügung zu stellen, sondern sich darin erschöpfte, einen neuen Bereich von Stoffeigenschaften zugänglich zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 - Xa ZR 100/05, GRUR 2010, 414 Rn. 24 - Thermoplastische Zusammensetzung). Demgegenüber geht der Gegenstand des Streitpatents nicht über dessen Beitrag zum Stand der Technik hinaus, der allgemein darin liegt, bei Fixationssystemen für Knochen eine Gewindeverbindung zugänglich zu machen, die durch Eindrehen der Knochenschraube in einem vorbestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde gebildet wird.

IV. Das Urteil des Patentgerichts kann auch nicht im Hinblick auf den von der Klägerin weiterhin geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit aufrechterhalten werden, weil dieser nicht gegeben ist.

1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist neu.

a) Durch die US-amerikanische Patentschrift 4 791 918 (D 6) ist er nicht vorveröffentlicht. Die Entgegenhaltung offenbart zwar ein Fixationssystem für Knochen mit einer Knochenplatte 19 mit Durchgangslöchern 35 und Knochenschrauben (Spongiosaschrauben) 36. Die im oberen Bereich ausgebildeten konkaven Vertiefungen 34 der Öffnungen 33 der Knochenplatte verfügen auch über Sitzflächen, die mit korrespondierenden Sitzflächen an den Köpfen der Knochenschrauben eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen. Es wird jedoch weder in der Beschreibung oder den Ansprüchen noch in der Zeichnung der Patentschrift eine Gewindeverbindung der Sitzflächen der Knochenplatte und der Knochenschrauben bzw. Knochenschraubenköpfen offenbart. Soweit die Klägerin meint, aus der Zeichnung sei am Kopf der Schrauben eine Struktur erkennbar, die beim Eindrehen zur Bildung einer Gewindeverbindung zwischen Schraubenkopf und Knochenplatte führe, ist dies angesichts des lichten Abstands zwischen Schraubenkopf und der konkaven Vertiefung 33 an der Öffnung der Knochenplatte und des Fehlens einer entsprechenden Erläuterung in der Beschreibung der D 6 nicht nachvollziehbar.

b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents ist auch nicht der - nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 PatG zu berücksichtigenden - deutschen Offenlegungsschrift 43 41 980 (D 9) zu entnehmen. Wie das Patentgericht in seinem Hinweis vom 27. April 2012 zutreffend im Einzelnen ausgeführt hat, offenbart die D 9 zwar ein Fixationssystem für Knochen entsprechend den Merkmalen 1 bis 3 des Patentanspruchs 1, bei dem durch Anziehen des Schraubenkopfes 5 auch eine Gewindeverbindung zwischen der Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube entsteht. Aus der Entgegenhaltung ergibt sich jedoch aus fachlicher Sicht nicht, Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschrauben vorzusehen, die eine gegenseitige Ausrichtung ermöglichen. Das gilt selbst dann, wenn - wie im genannten Hinweisbeschluss des Patentgerichts - erwogen wird, den Kopf der Knochenschraube verkantet einzuschrauben, so dass sich das Außengewinde der Knochenschraube mit dem Innengewinde der Öffnung der Knochenplatte verklemmt. Denn durch ein solches Verklemmen der Knochenplatte mit der Knochenschraube würde jedenfalls keine Gewindeverbindung entstehen, bei der die Gewindegänge formschlüssig aneinander liegen. Eine Gewindeverbindung würde vielmehr erst entstehen, wenn das Material der Kontaktfläche des Durchgangslochs der Knochenplatte oder der Knochenschraube entsprechend umgeformt würde, so dass neue Gewindegänge entstünden. Eine solche Möglichkeit wird jedoch in der D 9 nicht offenbart, wie auch im Urteil des Patentgerichts zutreffend ausgeführt ist.

2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wurde dem Fachmann nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

a) Die schweizerische Patentschrift 675 531 (D 8) offenbart eine osteosynthetische Vorrichtung, die Merkmalen 1 bis 4 des Patentanspruchs 1 entspricht. Zur Festlegung der vom Anwender winkelvariabel ausgerichteten Knochenschraube lehrt die Entgegenhaltung, die Schraubenlöcher 2 konisch auszubilden, wobei die Spitze des Konus gegen die Knochenkontaktfläche 4 gerichtet ist und die Knochenschrauben einen Schraubenkopf 7 mit konvexer Außenform aufweisen, so dass der Schraubenkopf gegen die Innenwandung 8 der Schraubenlöcher zu einer starren Verbindung zwischen Schraube und Platte - im Wege des Reibschlusses - verklemmt werden kann (Patentanspruch 1; vgl. auch Sp. 1, Z. 56 ff.). Eine Gewindeverbindung - und damit ein Formschluss zwischen Schraube und Platte wird an keiner Stelle offenbart und es ist auch keine Anregung ersichtlich, die beim Fachmann entsprechende Überlegungen hätte hervorrufen können.

b) Ähnlich wie die D 8 offenbart auch die europäische Patentanmeldung 0 201 024 (D 7) eine Knochenplattenanordnung, welche die Merkmale 1 bis 4 des Patentanspruchs 1 aufweist. Die Verklemmung der winkelvariabel ausgerichteten Knochenschraube erfolgt bei der D 7 durch eine auf die Knochenplatte 1 geschraubte Deckplatte 5, 22, 30, 34 oder 38, die über ineinandergreifende Erhöhungen und Vertiefungen auf den Kopf der Knochenschraube presst (D 8, Sp. 2, Z. 2 ff.; Sp. 4, Z. 50 ff.; Patentanspruch 1; Figuren 4-12). Gelehrt wird damit eine reibschlüssige und keine formschlüssige Verbindung zwischen Knochenschraube und Knochenplatte, wie in den allgemeinen Vorteilsangaben der D 7 auch ausdrücklich hervorgehoben wird, wenn es darin heißt, dass es nach Erkenntnis der Erfindung (der D 7) "keiner formschlüssig zusammenwirkenden Sitzflächen an der Knochenplatte und an dem Schraubenkopf" mehr bedürfe, vielmehr in vielen Fällen "ein kräftiger Reibschluss" genüge, "der durch geeignete Oberflächengestaltung in gewünschtem Maße beeinflusst werden" könne (D 7, Sp. 2, Z. 6 ff.). Vor diesem Hintergrund geben auch die weiteren Ausführungen in der D 7, dass der Reibschluss durch zusammenwirkende Rauigkeiten des Schraubenkopfes oder des Knochenplattensitzes verbessert werden kann (D 7, Sp. 2, Z. 6 ff.), keine Anregung, unter Aufgabe der empfohlenen reibschlüssigen zu einer formschlüssigen Verbindung wie insbesondere einer Gewindeverbindung überzugehen (ebenso im Ergebnis auch das Urteil des Patentgerichts, nachdem es dies in seinem Hinweis vom 27. April 2012 noch anders gesehen hat).

c) Die europäische Patentanmeldung 0 360 139 (D 11) zeigt in der von der Klägerin herangezogenen Figur 5 eine Vorrichtung zur Osteosynthese bestehend aus einer Knochenplatte 5.0 mit einer Öffnung und einer Gewindestange 3.0. Die Öffnung ist im oberen Bereich konkav erweitert. Die Öffnung nimmt eine - auch als Gegenstück bezeichnete - Mutter 4.0 mit Innengewinde auf, die auf die Gewindestange geschraubt ist und in ihrer unteren Hälfte - korrespondierend zu der sie aufnehmenden konkaven Erweiterung der Plattenöffnung eine konvexe Form aufweist (vgl. D 11, Sp. 11, Z. 12 f.; Sp. 13, Z. 40 ff.; Sp. 15, Z. 4 ff.).

Nach Ansicht der Klägerin soll aus Figur 5 erkennbar sein, dass sich ein Innengewinde in die Öffnung der Platte schneidet, wenn die Gewindestange zusammen mit der Mutter abgewinkelt in die Knochenplatte eingedreht werde. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Bildung einer Gewindeverbindung zwischen Gewindestange und Platte lässt sich Figur 5 nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen und ist auch mit den Erläuterungen in der Beschreibung der Entgegenhaltung nicht vereinbar, wonach zunächst die Gewindestange in den Knochen eingeschraubt, dann das Gegenstück auf die Gewindestange aufgeschraubt, die Gewindestange mittels eines Hilfsgerätes vorgespannt und das Gegenstück festgezogen wird (Sp. 13, Z. 21 ff.; Z. 35 ff.). Anregungen zur Bildung einer Gewindeverbindung zwischen den Sitzflächen der Gewindestange und den Schrauben werden von der Klägerin nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich.

d) Gleiches gilt auch dann, wenn die schweizerische Patentschrift 672 245 (D 14) als Ausgangspunkt für die Überlegungen des Fachmanns genommen wird. Darin wird ein Fixationssystem für die Osteosynthese offenbart, bei dem die Köpfe von Spreizschrauben in den Bohrungen der Knochenplatte aufgespannt werden. Ein Anlass, das damit realisierte Prinzip der Schraubenbefestigung durch Reibschluss aufzugeben und zu einer Gewindeverbindung zu wechseln, wird von der Klägerin nicht dargetan. Daran ändern auch die USamerikanischen Patentschriften 3 741 205 (D 15) und 5 085 660 (D 16) nichts, welche dem Fachmann zwar Gewindeverbindungen bei Fixationssystemen für Knochen offenbaren, jedoch keine variablen Winkeleinstellungen ermöglichen und den Fachmann insoweit weg von der erfindungsgemäßen Lösung führen, wie auch bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat.

e) Es kann auch nicht der Ansicht der Klägerin gefolgt werden, dass es für einen Fachmann ausgehend von der D 16 nahegelegen hätte, eine winkelvariable Gewindeverbindung aufzufinden. Zwar offenbart die Entgegenhaltung eine Gewindeverbindung zwischen dem Innengewinde der Bohrung 12 der Knochenplatte 10 und dem Außengewinde 33 der Schraube 30 (D 16, Sp. 2, Z. 30 ff.; Figur). Insoweit fehlt es jedoch nicht nur - wie in Merkmal 5.1 vorgesehen - an einer Gewindeverbindung zwischen der Sitzfläche von Knochenplatte und Knochenschraube, sondern vor allem auch an einer winkelvariablen Einstellmöglichkeit nach Maßgabe des Merkmals 4. Worin ausgehend von dieser Offenbarung eine entsprechende Anregung hätte liegen können, hat die Klägerin nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Ein solcher Gedanke folgt auch nicht aus der D 6. Der Umstand, dass die Spongiosaschraube 36 mit ihrem freien gewindeförmigen Ende 38 materialumformend in weicheres Knochenmaterial (D 6, Sp. 5, Z. 28 ff.: "... in the upper portion of the femur head 11.") eingebracht wird, gibt keine Anregung, auch die etwa aus der D 16 bekannte Gewindeverbindung zwischen Platte und Schraube durch Materialumformung und winkelvariabel herzustellen. Nichts anderes gilt, wenn die D 15 zum Ausgangspunkt genommen wird.

V. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen bleibt die Anschlussberufung, mit der die Klägerin die (vollständige) Nichtigerklärung des Streitpatents begehrt, ohne Erfolg.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit §§ 91 , 97 ZPO und berücksichtigt, dass in erster Instanz auf Klägerseite eine weitere Partei beteiligt war, die das Streitpatent allerdings in vermindertem Umfang angegriffen hat.

Verkündet am: 7. Oktober 2014

Vorinstanz: BPatG, vom 24.07.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 4 Ni 21/10