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BGH - Entscheidung vom 10.04.2014

StB 4/14

Normen:
StGB § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2014, 229

BGH, Beschluss vom 10.04.2014 - Aktenzeichen StB 4/14

DRsp Nr. 2014/8531

Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit (hier: Beihilfe zum Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2013 wird verworfen.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Normenkette:

StGB § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2;

Gründe

1. Der 7. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg hat den Beschwerdeführer auf Grundlage der Urteile des 4. Strafsenats desselben Gerichts vom 19. August 2005 und des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2006 ( 3 StR 139/06, NJW 2007, 384 ) am 8. Januar 2007 wegen Beihilfe zum 246fachen Mord in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu der Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt. Zwei Drittel dieser Strafe waren am 15. Januar 2014 verbüßt. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 hat das Hanseatische Oberlandesgericht es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt ohne Erfolg.

2. Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung kann derzeit unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB ).

a) Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB ist die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dieses Absatzes dann zur Bewährung auszusetzen, wenn dem Verurteilten eine günstige Prognose für eine Legalbewährung in Freiheit gestellt werden kann. Dabei sind an die Erwartung künftiger Straffreiheit umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger das im Falle eines Rückfalls bedrohte Rechtsgut ist (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2003 - StB 4/03, BGHR StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 2; vom 4. Oktober 2011 - StB 14/11, NStZ-RR 2012, 8 ). Die vorzunehmende Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des bereits erlittenen Strafvollzugs und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kann auch bei Kapitaldelikten, schweren Sexualstraftaten oder terroristischen Verbrechen zu dem Ergebnis führen, dass die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortbar ist; die Voraussetzungen an eine positive Legalprognose dürfen auch in diesem Bereich nicht so hochgeschraubt werden, dass dem Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf vorzeitige Haftentlassung bleibt (BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2011 - StB 14/11, NStZ-RR 2012, 8 ). Insbesondere wenn sich ein terroristischer Straftäter im Vollzug ordnungsgemäß führt und von seiner früheren Gewaltbereitschaft glaubhaft lossagt, kann auch hier eine Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 1990 - StB 39/89, BGHR StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 1). Dazu ist es letztlich auch nicht zwingend erforderlich, dass der Verurteilte, der seine Tat während des gesamten Strafverfahrens und im Strafvollzug bestritten hat, sein strafbares Verhalten nunmehr einräumt (vgl. S/S-Stree/Kinzig, 29. Aufl., § 57 Rn. 16a mwN).

b) Nach diesen Maßstäben ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat - sachverständig beraten (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO ) - die nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB für die Entscheidung zu berücksichtigenden Umstände einer Gesamtwürdigung unterzogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass eine hinreichend günstige Prognose für eine bedingte Entlassung des Verurteilten zum jetzigen Zeitpunkt nicht gestellt werden kann. Dem schließt sich der Senat an. Zwar liegt eine Reihe prognoserelevanter Faktoren vor, die grundsätzlich die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen könnten. Der Verurteilte ist Erstverbüßer, hat ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten gezeigt, im Vollzug einen beruflichen Abschluss erlangt sowie sich Gesprächen mit der Anstaltspsychologin und im Rahmen eines Kurses für Extremismusprävention gestellt. Auch verfügt er über eine stabile familiäre Entlassungssituation in Marokko. Doch lässt sich unter Berücksichtigung des kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens auch aus Sicht des Senats keine Änderung der deliktsursächlichen Persönlichkeitsanteile und der islamistisch-jihadistischen Einstellung des Verurteilten feststellen, die eng mit der abgeurteilten Tat verknüpft sind. Ausweislich der Gründe des Urteils vom 19. August 2005 nahm der Verurteilte im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der sogenannten Hamburger Zelle, die sich um Atta und weitere spätere Attentäter des 11. September 2001 gruppiert hatte, eine untergeordnete Rolle ein. Während seines Aufenthaltes in einem Ausbildungslager der Al Quaida in Afghanistan im Mai 2000, in dem er sich einer Überprüfung auf seine Verwendungsmöglichkeiten unterzog, wurde er als ungeeignet für eine Beteiligung an Anschlägen eingestuft. Das erkennende Oberlandesgericht ging davon aus, dass der Verurteilte als zu weich für ein operatives Vorgehen bewertet worden war. Es stützt sich dafür auf weitere Zeugenaussagen, die den Verurteilten als eher konfliktscheu und um ein harmonisches Auskommen bemüht beschrieben haben. Gleichwohl hat er in Kenntnis geplanter Anschläge mit Flugzeugen, bei denen mit dem Tod vieler Menschen zu rechnen war, und trotz bestehender familiärer Verpflichtungen die festgestellten Hilfestellungen in Hamburg geleistet. Dem Gutachten und insbesondere auch den Äußerungen des Verurteilten anlässlich der Exploration durch den Sachverständigen können Hinweise auf Änderungen in der ersichtlich beeinflussbaren Persönlichkeit des Verurteilten und in seiner islamistischen Einstellung nicht entnommen werden. Vielmehr hat der Verurteilte zu seinem Aufenthalt in einem Ausbildungslager in Afghanistan, den er im Gegensatz zu seiner Tat einräumt, weiterhin behauptet, es sei ihm dabei nur um die Erfüllung religiöser Verpflichtungen gegangen. Dies hat das Oberlandesgericht mit Recht als unglaubhaft und als Indiz dafür gewertet, dass sich der Verurteilte von seiner islamistisch-jihadistischen Einstellung noch nicht gelöst hat. Damit fehlt es an hinreichenden Erkenntnissen, die es im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verantwortbar erscheinen lassen, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Im Gegenteil besteht weiterhin die Möglichkeit, dass der Verurteilte, sollte er sich in einem entsprechenden Umfeld wiederfinden, Erwartungshaltungen Gleichgesinnter hinsichtlich einer Beteiligung an islamistisch motivierten Gewalttaten nicht verschließen wird. Angesichts der außergewöhnlichen Schwere des in seinen Dimensionen in der neueren Geschichte einmaligen Terroraktes, in dessen Vorbereitung der Verurteilte sich hat verstricken lassen, lässt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit derzeit eine bedingte Haftentlassung des Verurteilten daher nicht zu.

Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 20.12.2013
Fundstellen
NStZ-RR 2014, 229