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BGH - Entscheidung vom 26.11.2014

IV ZR 367/14

Normen:
VVG § 5a Abs. 2 S. 4

BGH, Urteil vom 26.11.2014 - Aktenzeichen IV ZR 367/14

DRsp Nr. 2015/2202

Anspruch eines Versicherten auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung

Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des Oberlandesgerichts München - 14. Zivilsenat - vom 20. September 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 7.782,94 € festgesetzt.

Normenkette:

VVG § 5a Abs. 2 S. 4;

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum 1. Juli 2003 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde d. VN nicht in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. belehrt. Mit Schreiben vom 20. Januar 2011 erklärte d. VN "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. den Widerspruch nach § 8 VVG , bzw. den Widerruf nach § 355 BGB höchstvorsorglich die Anfechtung nach § 119 I BGB , hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte d. VN den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 9. März 2011 erklärte d. VN nochmals "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG , bzw. den Widerruf nach § 355 BGB ".

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 7.782,94 €.

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN zwar nicht in drucktechnisch hervorgehobener Form über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

II. Die Revision ist begründet.

1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB .

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die mit dem Versicherungsschein übermittelte Belehrung war - wie das Berufungsgericht fehlerfrei festgestellt hat - nicht drucktechnisch hervorgehoben. Soweit sich der Versicherer auf die Bel ehrung gemäß Schreiben vom 30. Juni 2003 beruft, hat das Berufungsgericht den vom Versicherer zu führenden Beweis des - vom VN mit Nichtwissen bestrittenen - Zugangs dieses Schreibens als nicht erbracht angesehen. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Für den Fall, dass die Widerspruchsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht in Gang gesetzt worden war, bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11 VersR 2014, 817 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die hilfsweise erklärte Kündigung des Versicherungsve rtrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 41-44).

2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen

Harsdorf-Gebhardt

Dr. Karczewski

Lehmann

Dr. Brockmöller

Vorinstanz: LG Kempten, vom 23.02.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 13 O 2059/11
Vorinstanz: OLG München, vom 20.09.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 14 U 1511/12