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BGH - Entscheidung vom 30.04.2014

2 StR 383/13

Fundstellen:
StV 2015, 300

BGH, Urteil vom 30.04.2014 - Aktenzeichen 2 StR 383/13

DRsp Nr. 2014/8969

Abgrenzung von Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 20. März 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung "an zwei Menschen" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der Angeklagte am Abend des 18. August 2012 vor dem Club "G. " in K. auf den Zeugen G. , den er zu Unrecht verdächtigte, seine frühere Freundin zur Trennung von ihm veranlasst zu haben. Es entwickelte sich ein lautstarkes, mit Beleidigungen einhergehendes Streitgespräch, das in wechselseitige Schläge der Kontrahenten mündete. Die als Türsteher des Clubs arbeitenden Zeugen I. und E. beendeten die Auseinandersetzung, indem sie beide auseinander drängten.

Die kurze Kampfpause nutzte der Angeklagte, um ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von ca. zehn Zentimeter aus der Hosentasche zu ziehen und es aufzuklappen. Er entzog sich dem Griff des Zeugen E. und ging mit dem Messer auf den vom Zeugen I. zurückgehaltenen Zeugen G. los. I. wich zurück, woraufhin der Angeklagte mit einer Ausholbewegung von oben nach unten mindestens zweimal mit dem Messer heftig und unkontrolliert gegen den Kopf des Zeugen G. schlug. Er wusste, dass ein solches Vorgehen tödliche Verletzungen hervorrufen kann, was er jedoch billigend in Kauf nahm. Der Geschädigte G. erlitt zwei stark blutende Schnittwunden am Kopf. Weitere Ausholbewegungen mit dem Messer führte der Angeklagte in Richtung Brust- und Bauchbereich des Opfers, das seinerseits versuchte, den Schlagbewegungen auszuweichen, und dadurch weitere Schnittverletzungen erlitt. Das Geschehen verlagerte sich im Zuge der Angriffe des Angeklagten. Der Zeuge E. , der sich weiterhin - auch für den Angeklagten sichtbar - unmittelbar neben den Kontrahenten bewegte und versuchte, verbal zu beschwichtigen, griff schließlich erneut ein und versuchte, den Angeklagten zu fassen. Dabei wurde er von einer ausholenden Bewegung des Angeklagten, die eigentlich dem Geschädigten G. galt, am linken Arm verletzt. Die stark blutende Wunde zuhaltend lief der Zeuge zum Eingang des "G. " zurück. Der Angeklagte ließ von dem Geschädigten G. ab, folgte dem Zeugen E. , mit dem er freundschaftlich verbunden war, und entschuldigte sich bei diesem. Anschließend floh er vom Tatort.

Der Geschädigte G. erlitt zwei Schnittwunden am Kopf sowie weitere Verletzungen am rechten Unterarm und an der rechten Hand. Aufgrund hohen Blutverlustes bestand die potentielle Gefahr des Verblutens bei nicht zeitnaher ärztlicher Versorgung. Beim Zeugen E. ergab sich am linken Unterarm eine ca. 6 cm lange Schnittverletzung, bei der sämtliche Strecksehnen durchtrennt wurden.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit dem freiwilligen Ablassen von dem Geschädigten G. von einem unbeendeten Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten sei, und hat eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil beider Tatopfer angenommen. Auch hinsichtlich des Zeugen E. sei von vorsätzlichem Handeln auszugehen. Dass er diesen nicht habe verletzten wollen, ändere nichts daran, dass er dessen Einschreiten bemerkt und dennoch weiter unkontrolliert mit dem Messer zugeschlagen habe. Er habe dadurch einen Treffer des Zeugen jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen.

II. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1. Die Ausführungen des Landgerichts, wonach der Angeklagte auch hinsichtlich des Geschädigten E. mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz gehandelt habe, genügen bei dem hier festgestellten Sachverhalt nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung des bedingten Tatvorsatzes zu stellen sind.

a) Es kann dahinstehen, ob die Strafkammer zutreffend angenommen hat, der Angeklagte habe einen "Treffer" des Geschädigten E. durch seine Messerstiche für möglich gehalten. Daran könnten Zweifel bestehen, weil der Angeklagte zwar bemerkte, dass der Zeuge das Kampfgeschehen begleitete und auch zu beschwichtigen versuchte, sich aber in den landgerichtlichen Feststellungen kein Hinweis findet, ob es für den Angeklagte im Rahmen des dynamischen Kampfgeschehens greifbare Anhaltspunkte dafür gegeben hat, dass der Zeuge nach der Wiederaufnahme der nunmehr mit einem Messer geführten Auseinandersetzung erneut eingreifen und dabei durch einen gegen den Zeugen G. geführten Messerstich getroffen und verletzt werden könnte. Insoweit ist nicht völlig auszuschließen, dass der mit dem Geschädigten G. ringende Angeklagte jedenfalls zu dem Zeitpunkt, als er mit dem Messer ausholte und schließlich den Zeugen E. traf, noch gar nicht objektiv damit gerechnet hat, dass letzterer "plötzlich" in das Kampfgeschehen eingriff.

b) Das Landgericht ist jedenfalls ohne genügende Begründung davon ausgegangen, dass der Angeklagte den eingetretenen Erfolg auch "billigend in Kauf" genommen hat. Dass bei dem Angeklagten auch hinsichtlich einer Körperverletzung des Zeugen E. das voluntative Vorsatzelement gegeben ist, versteht sich bei der vom Landgericht geschilderten Tatsituation, die auf den Kampf gegen den Zeugen G. ausgerichtet war, auch nicht von selbst (vgl. BGH, NStZ 2008, 451 ).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da die Grenzen dieser beiden Schuldformen eng beieinander liegen, müssen die Merkmale der inneren Tatseite in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen. Geboten ist somit eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände. Hierbei können je nach der Eigenart des Falles unterschiedliche Wertungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Aus dem Vorleben des Täters sowie aus seinen Äußerungen vor, bei oder nach der Tat können sich Hinweise auf seine Einstellung zu den geschützten Rechtsgütern ergeben. Für den Nachweis bedingten Vorsatzes kann insbesondere "an die vom Täter erkannte objektive Größe und Nähe der Gefahr" angeknüpft werden (BGHSt 36, 1 , 9 f. mwN). An einer solchen Gesamtschau fehlt es hier.

Das Landgericht hat sich - ohne nähere Begründung - allein auf die Feststellung beschränkt, eine billigende Inkaufnahme liege vor. Dies genügt nicht, zumal sich dem Sachverhalt konkrete Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der Angeklagte eher auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut haben könnte, als ihn etwa gleichgültig hinzunehmen. Der Angeklagte war mit dem Zeugen E. freundschaftlich verbunden; dessen Verletzung war Anlass, das Kampfgeschehen abzubrechen, ihm zu folgen und sich sofort bei ihm zu entschuldigen. Mögen diese Umstände den Körperverletzungsvorsatz im Zeitpunkt der Ausholbewegung mit dem Messer zwar nicht grundsätzlich ausschließen, hätte sich doch der Tatrichter mit ihnen auseinandersetzen müssen, bevor er von einem billigenden Inkaufnehmen ausgeht.

2. Die Verurteilung des Landgerichts hat insoweit (bezogen auf die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen E. ) keinen Bestand. Dies führt ohne Weiteres auch zur Aufhebung der an sich rechtsfehlerfrei festgestellten, tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen G. .

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Köln, vom 20.03.2013
Fundstellen
StV 2015, 300