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BGH - Entscheidung vom 02.05.2012

V ZB 79/12

Normen:
FamFG § 68 Abs. 3 S. 1
FamFG § 420 Abs. 1 S. 1
GG Art. 104 Abs. 1 S. 1
GG Art. 104 Abs. 3 S. 1

BGH, Beschluss vom 02.05.2012 - Aktenzeichen V ZB 79/12

DRsp Nr. 2012/8752

Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung ohne vorherige Anhörung in der Beschwerdeinstanz

Haben sich seit dem Erlass der Anordnung der Sicherungshaft neue entscheidungserhebliche Umstände ergeben zum Beispiel, wenn der Betroffene nach der Haftanordnung einen Asylantrag gestellt hat, ist die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 S. 1 FamFG und Art. 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 GG auch im Beschwerdeverfahren zwingend vorgeschrieben.

Tenor

Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 5. März 2012 gegen die Betroffene angeordneten und mit Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 13. April 2012 aufrechterhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Normenkette:

FamFG § 68 Abs. 3 S. 1; FamFG § 420 Abs. 1 S. 1; GG Art. 104 Abs. 1 S. 1; GG Art. 104 Abs. 3 S. 1;

Gründe

I.

Die Betroffene, nach eigenen Angaben ghanaische Staatsangehörige, reiste am 5. März 2012 aus Athen kommend in das Bundesgebiet ein. Sie war im Besitz eines deutschen Reisepasses, der für eine andere Person ausgestellt war. Einen gültigen Reisepass oder einen eigenen gültigen Aufenthaltstitel konnte sie nicht vorlegen. Die Beteiligte zu 2 beabsichtigt die Abschiebung der Betroffenen nach Ghana.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 5. März 2012 auf Antrag der Beteiligten zu 2 gegen die Betroffene Haft zur Sicherung der Abschiebung längstens bis zum Ablauf des 4. Juni 2012 angeordnet. Während des Beschwerdeverfahrens stellte die Betroffene einen Asylantrag, der durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Dagegen erhob sie Klage vor dem Verwaltungsgericht, verbunden mit einem Eilantrag. Die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen, ohne sie erneut anzuhören. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der sie zugleich im Wege der einstweiligen Anordnung die einstweilige Aussetzung der Vollziehung der aufrechterhaltenen Haft erreichen will.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG sei gegeben. Im Hinblick auf die kurze Zeit zurückliegende richterliche Anhörung habe das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen Abstand genommen, da eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten gewesen sei.

III.

Der zulässige Aussetzungsantrag ist begründet.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 26 Rn. 10; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440). So verhält es sich hier.

1. Mit Recht rügt die Betroffene, dass sie in der Beschwerdeinstanz nicht erneut angehört worden ist. Die persönliche Anhörung ist nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG und Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG auch im Beschwerdeverfahren grundsätzlich zwingend vorgeschrieben (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 36/11, FGPrax 2011, 254 , 255 Rn. 14). Hiervon darf das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nur absehen, wenn eine ordnungsgemäße persönliche Anhörung in erster Instanz stattgefunden hat und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10, FGPrax 2010, 261 Rn. 8; Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 , 329 Rn. 13; Beschluss vom 28. Januar 2010 - V ZB 2/10, FGPrax 2010, 163). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

a) Die Betroffene hat im Beschwerdeverfahren erstmals geltend gemacht, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie sich der Abschiebung entziehen wolle, zumal sie schon am Flughafen um Asyl nachgesucht habe. Zudem hat sie nach der Haftanordnung einen Asylantrag gestellt. Damit hatten sich seit dem Erlass der Haftanordnung neue entscheidungserhebliche Umstände ergeben, die einem Absehen von der persönlichen Anhörung entgegenstanden. Denn der ernsthafte Wille eines Betroffenen, ein Asylverfahren durchzuführen, ist in die Beurteilung, ob er ohne die Freiheitsentziehung untertauchen wird, grundsätzlich einzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 176/10, [...] Rn. 11). Die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens und die Glaubwürdigkeit der Betroffenen konnte nur durch eine persönliche Anhörung durch das Beschwerdegericht beurteilt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 40/11, [...] Rn. 8; Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153).

b) Die erneute persönliche Anhörung war nicht deswegen entbehrlich, weil im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen hatte. Denn gegen diese Entscheidung hat die Betroffene um Rechtsschutz durch eine Klage und einen Eilantrag bei dem Verwaltungsgericht nachgesucht.

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Erding, vom 05.03.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 6 XIV 17/12
Vorinstanz: LG Landshut, vom 13.04.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 63 T 967/12