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BGH - Entscheidung vom 05.05.2011

VII ZB 46/10

Normen:
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
BGB § 242
ZPO § 91a

BGH, Beschluss vom 05.05.2011 - Aktenzeichen VII ZB 46/10

DRsp Nr. 2011/10313

Zulässigkeit der Aufrechnung gegen den Anspruch eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen mit Gegenforderungen durch den Staat

Die Gläubigerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Normenkette:

GG Art. 1 Abs. 1 ; GG Art. 2 Abs. 1 ; BGB § 242 ; ZPO § 91a;

Gründe

1.

Die Gläubigerin, eine Oberjustizkasse, betreibt als Vollstreckungsbehörde die Beitreibung von Justizkostenforderungen des Landes N. in Höhe von 4.683,48 € gegen den Schuldner, einen Strafgefangenen. Dieser macht wegen behaupteter menschenunwürdiger Haftunterbringung Schadensersatzansprüche gegen das Land geltend.

Die Gläubigerin hat als Vollstreckungsbehörde am 18. August 2009 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die angebliche Forderung des Schuldners an das Land als Drittschuldnerin auf Auszahlung von Beträgen aus

"1. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund seiner tatsächlichen Unterbringung oder Unterbringungen in Justizvollzugseinrichtungen des Landes N.,

2. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund der Rechtsverfolgung der in Ziffer 1 genannten Forderungen (insbesondere Rechtsanwaltsund Gerichtskosten)"

gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden ist.

Die dagegen eingelegte Erinnerung hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Nachdem die Gläubigerin Rechtsbeschwerde eingelegt und zunächst die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde erstrebt hatte, haben die Parteien nach Verzicht des Landes auf die noch ausstehende Justizkostenforderung die Erledigung der Hauptsache erklärt.

2.

Nach übereinstimmender Erledigungserklärung ist gemäß § 91a ZPO nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Diese sind der Gläubigerin aufzuerlegen, weil die von ihr vorgenommene Pfändung - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - unzulässig war.

a)

Steht einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen gegen den Staat zu, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, BGHZ 182, 301 , 304) eine Aufrechnung des Staates mit Gegenforderungen gemäß § 242 BGB unzulässig. Der Anspruch des Strafgefangenen auf Geldentschädigung leitet sich aus dem Schutzauftrag der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ab. Er hat neben der Genugtuung für den Verletzten auch den Zweck einer wirksamen Sanktion und Prävention in dem Sinne, dass der verpflichtete Staat dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen von vornherein zu vermeiden oder aber zumindest alsbald zu beseitigen und nicht länger fortdauern zu lassen (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, aaO, S. 304 f.; Urteil vom 4. November 2004 - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33 , 35 ff.). Diesen Zweck kann der Geldentschädigungsanspruch wirksam nur erfüllen, wenn er für den ersatzpflichtigen Staat spürbare Auswirkungen hat. Dies ist nicht der Fall, wenn die Forderungen, mit denen der Staat aufrechnen möchte, bei wirtschaftlicher Betrachtung wertlos sind, weil - wie in vielen Fällen - der Strafgefangene vermögenslos ist (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, aaO, S. 305).

b)

Aus den gleichen Erwägungen ist dem Staat auch die Pfändung eines gegen ihn gerichteten Anspruchs eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen zu versagen. Eine Zulassung der Pfändung eines aus einer menschunwürdigen Haftunterbringung herrührenden Entschädigungsanspruchs zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Recht hinweist - die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention ebenso ins Leere laufen lassen wie die Zulassung einer Aufrechnung. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen. Der Staat würde sich auf diese Weise eine Befriedigung der wirtschaftlich wertlosen Forderung verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs verfolgten Zweck umgehen. Letztlich träten nach der aufgrund einer Pfändung und Überweisung zur Einziehung regelmäßig erfolgenden Aufrechnung des Gläubigers mit dem Entschädigungsanspruch lediglich mit zeitlicher Verzögerung die wirtschaftlichen Folgen der unzulässigen Aufrechnung mit den Justizkostenforderungen ein.

c)

Das Pfändungsverbot erstreckt sich - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - auch auf die aus der Rechtsverfolgung der Entschädigungsansprüche erwachsenen Ansprüche, insbesondere die Rechtsanwaltsund Gerichtskosten. Werden mit dem Aufrechnungsverbot - wie hier - Zwecke der Sanktion und der Prävention verfolgt, muss sich wegen der engen materiellen Verbindung mit der Hauptforderung das Pfändungsverbot auch auf die Kosten der Rechtsverfolgung erstrecken (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. März 2011 - IX ZR 180/10, WM 2011, 756 Rn. 47 f.). Mit entsprechenden Erwägungen hat der Senat bereits entschieden, dass sich das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO auch auf Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten erstreckt, wenn diese Folge der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind (BGH, Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZB 70/08, in [...] Rn. 16).

Vorinstanz: AG Bielefeld, vom 09.04.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 184 M 145/10
Vorinstanz: LG Bielefeld, vom 17.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 23 T 357/10
Vorinstanz: LG Bielefeld, vom 17.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 23 T 437/10