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BGH - Entscheidung vom 27.01.2011

VII ZR 175/09

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
BGB § 640 Abs. 2
ZPO § 544 Abs. 7

BGH, Beschluss vom 27.01.2011 - Aktenzeichen VII ZR 175/09

DRsp Nr. 2011/3911

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Kenntnisnahme des Klägervorbringens und vollkommener Unberücksichtigung des Klägervorbringens bei Entscheidungsfindung

Der Beschwerde der Beklagten wird stattgegeben.

Das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 23. September 2009 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO ).

Streitwert: 44.080 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; BGB § 640 Abs. 2 ; ZPO § 544 Abs. 7 ;

Gründe

I.

Die Klägerin fordert von der Beklagten die Zahlung von Werklohn aus einem Engineeringvertrag.

Die Beklagte, die sich einen Auftrag zur Gewinnung von Natursteinen in Dubai erhoffte, beauftragte die Klägerin im Juni 2006 mit der Ausarbeitung angebotsfertiger Unterlagen und der Angebotsausarbeitung für die Lieferung einer Brech- und Siebanlage zum Preis von 38.000 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer, zahlbar zu hundert Prozent bei Lieferung.

Nach der in Erfüllung dieses Vertrags erfolgten Übergabe verschiedener Unterlagen an die Beklagte im Dezember 2006, kündigte diese im Jahr 2007 mehrfach die Zahlung des Werklohns an, ohne dem zu entsprechen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, am 1. Februar 2007 sei mit der Beklagten in deren Geschäftsräumen vereinbart worden, dass der Werklohn noch vor Erfüllung sämtlicher geschuldeter Leistungen bezahlt werde. Die Beklagte hat eine Vorleistungspflicht bestritten und sich wegen noch ausstehender Leistungen auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen.

Das Landgericht hat der Klägerin nach Beweisaufnahme die geltend gemachte Werklohnforderung mit der Begründung zugesprochen, am 1. Februar 2007 sei in Abänderung des Vertrags eine beständige Vorleistungspflicht der Beklagten vereinbart worden. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der Revision, deren Zulassung sie begehrt, will die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen.

II.

Der Beschwerde ist stattzugeben. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Rechts der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG . Es ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO .

1.

Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren gegen die Annahme des Landgerichts gewandt, die Parteien hätten am 1. Februar 2007 eine beständige Vorleistungspflicht der Beklagten vereinbart. Sie hat beanstandet, die Würdigung der Aussage des Zeugen S. sei willkürlich und die Beweiswürdigung widersprüchlich. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Landgericht den Zeugen S. als glaubwürdig eingestuft habe, obwohl es zu der Feststellung gelangt sei, dass die Klägerin entgegen den Angaben des Zeugen den Vertrag nicht erfüllt habe. Darüber hinaus bestätigten die Ausführungen des Zeugen den Willen der Parteien zu einer Vertragsänderung in Richtung einer beständigen Vorleistungspflicht nicht. Das Landgericht hätte daher bei richtiger und vor allem ihrem Wortlaut entsprechender Würdigung der Zeugenaussage keine beständige Vorleistungspflicht annehmen dürfen.

2.

Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, das Urteil des Landgerichts beruhe weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigten die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Zur Begründung für die Bestätigung des angefochtenen Urteils hat das Berufungsgericht auf die "im Ergebnis zutreffende Begründung der landgerichtlichen Entscheidung" Bezug genommen. Ergänzend hat es im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob die Parteien am 1. Februar 2007 tatsächlich eine beständige Vorleistungspflicht der Beklagten vereinbart hätten. Denn der Beklagten sei es verwehrt, sich auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrags zu berufen, da sie die Leistungen der Klägerin im Dezember 2006 vorbehaltlos abgenommen habe.

3.

Aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergibt sich nicht deutlich, ob das Berufungsgericht die Entscheidung des Landgerichts oder deren Begründung als im Ergebnis zutreffend ansieht. Der Senat versteht die unklaren und missverständlichen Ausführungen des Berufungsgerichts dahin, dass es die rechtliche Würdigung des Landgerichts teilt und die ergänzenden Ausführungen eine Hilfserwägung für den Fall sind, dass eine Vorleistungspflicht nicht vereinbart ist.

4.

Sowohl die Hauptbegründung als auch die Hilfsbegründung des die Berufung zurückweisenden Urteils beruhen auf einem Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

a)

Zu Recht rügt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht sich mit den Berufungsangriffen, die sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Vereinbarung einer beständigen Vorleistungspflicht richten, nicht auseinandergesetzt hat. Zwar hat das Berufungsgericht dieses Vorbringen zur Kenntnis genommen, wie sich schon daraus ergibt, dass es im Tatbestand des Berufungsurteils erwähnt worden ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist aber auch dann verletzt, wenn das Gericht erhebliches Vorbringen der Partei zwar zur Kenntnis nimmt, jedoch bei seiner Entscheidung vollständig unberücksichtigt lässt. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des erheblichen Vorbringens einer Partei nicht ein, lässt dies darauf schließen, dass es dieses Vorbringen nicht berücksichtigt hat (BVerfG, NJW 2009, 142 ). So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat zum Berufungsvorbringen der Beklagten lediglich auf die "im Ergebnis zutreffende Begründung des Landgerichts" Bezug genommen. Daraus erschließt sich nicht, dass sich das Berufungsgericht mit den Angriffen der Berufung gegen die Beweiswürdigung befasst hat. Vielmehr bescheidet es das Berufungsvorbringen mit einer formelhaften Wendung, die verwirrend ist und vermuten lässt, dass das Berufungsgericht sich nicht in der gebotenen Weise mit dem Berufungsvortrag auseinandergesetzt hat. Denn es geht offenbar davon aus, dass die Begründung des Landgerichts lediglich im Ergebnis zutreffend ist, ohne dies näher zu begründen. Zudem lässt es sodann in seinen lediglich ergänzenden Erwägungen dahinstehen, ob die Parteien tatsächlich eine Vorleistungspflicht der Beklagten vereinbart haben. Das alles lässt eher vermuten, dass das Berufungsgericht sich inhaltlich mit dem Berufungsvorbringen nur insoweit befasst hat, als es daraus eine vorbehaltlose Abnahme entnehmen wollte.

b)

Auch die Hilfserwägung, die Beklagte habe die Leistung der Klägerin vorbehaltlos abgenommen, beruht auf einem Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Sie ist bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht Gegenstand der Auseinandersetzung der Parteien gewesen. Das Berufungsgericht hätte die Parteien deshalb darauf hinweisen müssen, dass es ihrem Vortrag eine konkludente vorbehaltlose Abnahme entnimmt. Ein solcher Hinweis ist nicht protokolliert. Das Protokoll weist lediglich aus, dass die Sachund Rechtslage erörtert und ein Vergleichsvorschlag unterbreitet worden ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der notwendige Hinweis auf die Möglichkeit einer konkludenten Abnahme nicht oder jedenfalls nicht ausreichend deutlich erfolgt ist (vgl. § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO ). Damit hat das Berufungsgericht gegen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verstoßen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 - VII ZR 210/07, BauR 2008, 1662 = NZBau 2009, 177 ).

5.

Die Gehörsverstöße des Berufungsgerichts sind entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem anderen Urteil gekommen wäre, wenn es sich mit den Berufungsangriffen zur Beweiswürdigung durch das Landgericht befasst hätte.

Auch ist anzunehmen, dass das Berufungsgericht der Klage nicht mit der Hilfserwägung stattgegeben hätte, es sei eine vorbehaltlose Abnahme erfolgt. Denn die Beklagte hätte nach dem erforderlichen richterlichen Hinweis zutreffend darauf hingewiesen, dass die Auffassung des Berufungsgerichts mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vereinbar ist. Danach kommt eine konkludente Abnahme durch Entgegennahme der Leistung regelmäßig nicht in Betracht, wenn die Leistung noch nicht vollständig erbracht worden ist (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2005 - VII ZR 155/04, BauR 2006, 396 , 397 = NZBau 2006, 122 = ZfBR 2006, 148 ; Urteil vom 25. Februar 1999 - VII ZR 190/97, BauR 1999, 934 , 935 = ZfBR 1999, 202 ).

Nach dem im Beschwerdeverfahren zu unterstellenden Sachverhalt hat die Klägerin im Dezember 2006 wesentliche Leistungen noch nicht erbracht. Danach scheidet eine konkludente Abnahme aus. Wäre es anders, würde das Wesen der Abnahme hier in ihr Gegenteil verkehrt. Denn mit der Abnahme wird erklärt, dass die Leistung im Wesentlichen vertragsgerecht erbracht ist. Ist das nicht der Fall, weil - wie hier zu unterstellen ist - noch eine wesentliche Vertragsleistung fehlt, führt die Annahme einer konkludenten vorbehaltlosen Abnahme dazu, dass nicht nur alle Folgen der Abnahme eintreten, sondern der Auftraggeber auch noch Ansprüche wegen wesentlicher Mängel gemäß § 640 Abs. 2 BGB nicht mehr durchsetzen kann.

Vorinstanz: LG Bamberg, vom 16.02.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 459/07
Vorinstanz: OLG Bamberg, vom 23.09.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 3 U 50/09