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BGH - Entscheidung vom 31.03.2011

III ZB 38/10

Normen:
RVG Anl. 1 Vorbem. 3Abs. 4 VV
RVG § 15a Abs. 2
RVG-VV Anlage 1 Vorbemerkung 3Abs. 4

BGH, Beschluss vom 31.03.2011 - Aktenzeichen III ZB 38/10

DRsp Nr. 2011/7265

Relevanz der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 2010 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 492,70 € festgesetzt.

Normenkette:

RVG Anl. 1 Vorbem. 3Abs. 4 VV; RVG § 15a Abs. 2 ; RVG -VV Anlage 1 Vorbemerkung 3Abs. 4 ;

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um die Frage, ob bei der Berechnung der dem Beklagten zu 1 (im Folgenden: Beklagter) von der Klägerin zu erstattenden Kosten eine halbe Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist.

Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat die von der Klägerin dem Grunde nach vollumfänglich zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Beklagten für den im Februar 2009 rechtshängig gewordenen Rechtsstreit auf 2.317,07 € festgesetzt. In diesem Betrag ist eine vom Beklagten für seinen Prozessbevollmächtigten geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG ) in voller Höhe berücksichtigt. Die hälftige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG ) auf die Verfahrensgebühr hat die Rechtspflegerin abgelehnt.

Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin unter Verweis auf Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ihr Begehren weiter, die hälftige Geschäftsgebühr auf die zu erstattende Verfahrensgebühr anrechnen zu lassen.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Beklagte könne nicht die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr beanspruchen. Dies ergebe sich aus § 15a Abs. 2 RVG , der auch auf den hier gegebenen "Altfall", in dem Geschäfts- und Verfahrensgebühr vor Inkrafttreten dieser Vorschrift entstanden seien, anzuwenden sei, da eine auf § 15a RVG bezogene Übergangsvorschrift nicht existiere.

2.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG , die durch die Tätigkeit des Anwalts des Beklagten im Rechtsstreit entstanden ist, ist im Verfahren der Kostenfestsetzung in voller Höhe in Ansatz zu bringen. Sie ist nicht auf Grund von Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG wegen der zuvor bereits entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu kürzen. Eine Anrechnung findet im Rahmen der Kostenfestsetzung allein unter den - hier nicht erfüllten - Voraussetzungen des Absatzes 2 des durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) eingeführten § 15a RVG statt.

a)

Zwar hat der Senat im Beschluss vom 30. April 2008 ( III ZB 8/08, NJW-RR 2008, 1095 Rn. 4) vor der Einführung des § 15a RVG im Anschluss an die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats (Urteil vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049 Rn. 11; Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 Rn. 6 ff) die Auffassung vertreten, dass sich gemäß Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV die im gerichtlichen Verfahren nach Nr. 3100 VV RVG anfallende Verfahrensgebühr durch die hälftige Anrechnung der zuvor entstandenen Geschäftsgebühr vermindert und dass es hierfür ohne Bedeutung ist, ob diese auf materiellrechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist.

b)

Hieran hält er unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Einfügung des § 15a RVG nicht mehr fest. Die mit der Frage der Anrechnung der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr befassten Senate des Bundesgerichtshofs vertreten den Standpunkt, dass § 15a RVG die Rechtslage nicht geändert habe, sondern lediglich als eine Klarstellung der - von der in den vorgenannten Entscheidungen vertretenen Rechtsauffassung abweichenden - bestehenden Gesetzeslage anzusehen sei (z.B. BGH, Beschlüsse vom 2. September 2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rn. 6, 8; vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375 Rn. 16 ff; vom 11. März 2010 - IX ZB 82/08, JurBüro 2010, 358; vom 29. April 2010 - V ZB 38/10, FamRZ 2010, 1248 Rn. 9; vom 10. August 2010 - VIII ZB 15/10, [...] Rn. 9 f; vom 15. September 2010 - IV ZB 5/10, AGS 2010, 474 , 475; vom 28. September 2010 - XI ZB 7/10, [...] Rn. 7 f; und vom 28. Oktober 2010 - VII ZB 15/10, [...] Rn. 6; zweifelnd hingegen BGH, Beschluss vom 29. September 2009 - X ZB 1/09, NJW 2010, 76 Rn. 22 ff).

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Der Gesetzgeber hat durch den in das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz neu eingefügten § 15a RVG in Kenntnis der gegenläufigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (z.B. Senatsbeschluss vom 30. April 2008; BGH, Urteil vom 7. März 2007 und Beschluss vom 22. Januar 2008 jew. aaO) seine Ansicht klargestellt, dass bereits nach bestehender Gesetzeslage die Anrechnung gemäß Anlage 1 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant betreffe und sich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, grundsätzlich nicht auswirke (vgl. BT-Drucks. 16/12717, S. 58; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 2. September 2009 und vom 9. Dezember 2009 jew. aaO). Dem entspricht, dass der Gesetzgeber zugleich die Fallgestaltungen geregelt hat, in denen sich ein Dritter ausnahmsweise auf die Anrechnung einer Gebühr auf eine weitere berufen kann (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 aaO Rn. 8).

Soweit der X. Zivilsenat in seinem Beschluss vom 29. September 2009 (aaO) gegen diese Auffassung Bedenken geäußert hat, bedarf es keiner Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Senat für Zivilsachen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 GVG , da die Ausführungen zu § 15a RVG für jene Entscheidung nicht tragend waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2010, aaO Rn. 10; vom 10. August 2010 aaO Rn. 9; und vom 28. September 2010 aaO Rn. 10).

c)

Auf die vom Beschwerdegericht weiter erörterte Frage, ob § 15a RVG auf "Altfälle" deshalb Anwendung finden könne, weil § 60 Abs. 1 RVG insoweit nicht einschlägig sei, kommt es nicht mehr an, da der Gesetzgeber - wie dargestellt - die Regelung der Anrechnung in § 15a Abs. 2 RVG nicht als Gesetzesänderung mit Wirkung nur für die Zukunft, sondern als Beschreibung der bestehenden Rechtslage verstanden hat (so auch BGH, Beschluss vom 28. September 2010 aaO Rn. 9).

Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 23.03.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 18 W 47/10
Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 12.11.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 10 O 488/08