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BGH - Entscheidung vom 22.06.2011

I ZB 9/10

Normen:
MarkenG § 76 Abs. 6, § 83 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

Fundstellen:
GRUR 2012, 89
wrp 2011, 1461

BGH, Beschluss vom 22.06.2011 - Aktenzeichen I ZB 9/10

DRsp Nr. 2011/16449

Ist die mündliche Verhandlung im Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht geschlossen (§ 76 Abs. 6 Satz 1 MarkenG ), ist der Anspruch eines Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt, wenn das Bundespatentgericht nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung an Verkündungs Statt (§ 79 Abs. 1 Satz 3 MarkenG ) zustellt, ohne zu klären, ob noch weiterer Vortrag beabsichtigt ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den am 16. Dezember 2009 an Verkündungs Statt zugestellten Beschluss des 29. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Markeninhaberin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 € festgesetzt.

Normenkette:

MarkenG § 76 Abs. 6 , § 83 Abs. 3 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat die Löschung der am 29. Mai 2001 angemeldeten und am 14. September 2001 für die Markeninhaberin für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 38 und 42, unter anderem für

Software; auf Datenträgern gespeicherte Computerprogramme und Dateien; Druckerzeugnisse; Bücher, Handbücher, Broschüren, Loseblatt-Sammlungen, Zeitschriften

eingetragenen Wortmarke Nr. 301 33 025

STAHLSCHLUESSEL

beantragt.

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Löschungsantrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Bundespatentgericht den Beschluss des Patent- und Markenamts aufgehoben und die Löschung der Marke angeordnet. Dagegen wendet sich die Markeninhaberin mit ihrer vom Bundespatentgericht nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie die Versagung rechtlichen Gehörs rügt.

II.

Das Bundespatentgericht hat angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Löschung der Marke nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 , § 50 Abs. 1 und 2 MarkenG vorlägen. Das Schutzhindernis sei auch nicht durch eine Verkehrsdurchsetzung überwunden.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1.

Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG auch ohne Zulassung durch das Bundespatentgericht statthaft, da die Anmelderin den im Gesetz aufgeführten, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnenden Verfahrensmangel der Versagung rechtlichen Gehörs rügt und diese Rüge im Einzelnen begründet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2003 - I ZB 5/03, GRUR 2004, 76 = WRP 2004, 103 - turkey & corn; Beschluss vom 28. Oktober 2010 - I ZB 13/10, MarkenR 2011, 177 Rn. 5 Ivadal II).

2.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Das Verfahren vor dem Bundespatentgericht verletzt die Markeninhaberin nicht in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

a)

Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit haben, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (vgl. BVerfGE 96, 205 , 216 f. mwN).

b)

Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, das Bundespatentgericht habe seine Entscheidung getroffen, ohne von der Markeninhaberin angekündigtes und entscheidungserhebliches Vorbringen zur Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke abzuwarten. Das Bundespatentgericht war auch nicht verpflichtet, die Markeninhaberin gesondert darauf hinzuweisen, wann es zu entscheiden beabsichtige.

aa)

Das Bundespatentgericht hat am 21. August 2009 über die Beschwerde mündlich verhandelt. Nach dem Sitzungsprotokoll hat der Vertreter der Markeninhaberin sich auf eine Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke berufen, ohne dies jedoch zu begründen, Beweismittel vorzulegen oder anzubieten. Auch eine Vertagung der mündlichen Verhandlung oder eine Schriftsatzfrist hat er nicht beantragt. Nachdem die Antragstellerin, die die mündliche Verhandlung beantragt hatte, auf die Fortsetzung des Verfahrens in mündlicher Verhandlung verzichtet hatte, hat sie die Vorsitzende geschlossen (§ 76 Abs. 6 Satz 1 MarkenG ). Das schriftliche Verfahren nach § 82 Abs. 1 MarkenG in Verbindung mit § 128 ZPO hat das Bundespatentgericht anders als die Rechtsbeschwerde geltend macht nicht angeordnet.

bb)

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung war die Markeninhaberin mit erstmaligem Tatsachenvortrag zur Verkehrsdurchsetzung grundsätzlich ausgeschlossen (§ 82 Abs. 1 MarkenG i.V.m. § 296a ZPO ). Solchen Vortrag zur Verkehrsdurchsetzung hätte das Beschwerdegericht nur berücksichtigen können, wenn es deswegen die mündliche Verhandlung wiedereröffnet hätte (§ 76 Abs. 6 Satz 2 MarkenG ).

cc)

Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Senatsvorsitzende des Beschwerdegerichts habe dem Vertreter der Markeninhaberin zugesagt, mit einer Entscheidung abzuwarten, bis die Markeninhaberin zur Frage der Verkehrsdurchsetzung Stellung genommen hatte.

Eine solche Zusage lässt sich den Akten nicht entnehmen. Vielmehr findet sich dort nur eine handschriftliche Notiz der Senatsvorsitzenden über ein Telefongespräch mit dem Vertreter der Markeninhaberin am 3. September 2009. Danach seien die Vergleichsverhandlungen der Parteien negativ verlaufen und wolle die Markeninhaberin jetzt auf jeden Fall Durchsetzung beanspruchen, wobei die Worte "bei DIHK" darauf hindeuten, dass die Markeninhaberin die Einholung eines demoskopischen Gutachtens bei der Industrie- und Handelskammer in Erwägung zog. Über eine Frist zur Vorlage relevanter Unterlagen zur Verkehrsdurchsetzung oder eine Zusage, die Entscheidung erst nach Eingang entsprechender Unterlagen zu treffen, verhält sich der Aktenvermerk nicht. In ihrer dienstlichen Äußerung vom 12. Januar 2010 hat die Senatsvorsitzende erklärt, dass sie sich an den genauen Inhalt des Telefonats vom 3. September 2009 nicht mehr erinnere.

In der Telefonnotiz, die der Vertreter der Markeninhaberin über jenes Telefonat angefertigt hat, und deren inhaltliche Richtigkeit er eidesstattlich versichert, heißt es:

Auf Nachfrage gibt die Vorsitzende an, dass wir durchaus einmal versuchen könnten, die Verkehrsdurchsetzung auch ohne ein demoskopisches Gutachten glaubhaft zu machen. Sollte diese Glaubhaftmachung dem Senat nicht ausreichen, so werde der Senat uns dies auch so signalisieren, so dass wir dann im -mer noch ein entsprechendes Gutachten einholen und vorlegen könnten.

Ich verbleibe mit der Vorsitzenden wie folgt:

Der Senat geht davon aus, dass die Vergleichsverhandlungen gescheitert sind und wartet deshalb auf eine Stellungnahme von unserer Seite. In dieser Stellungnahme werden wir insbesondere zur Frage der Verkehrsdurchsetzung vortragen und versuchen, diese glaubhaft zu machen. Sollte dieser Vortrag dem Gericht nicht ausreichen, so werde das Gericht uns dies signalisieren. Es werde dann die Möglichkeit gegeben, ein entsprechendes demoskopisches Gutachten einzuholen.

Auch aus diesen Aufzeichnungen des Vertreters der Markeninhaberin ergibt sich nicht, dass das Beschwerdegericht ohne eine Stellungnahme der Markeninhaberin zur Verkehrsdurchsetzung keine Entscheidung treffen wollte. Nach dem Inhalt der Telefonnotiz konnte der Vertreter der Markeninhaberin nicht annehmen, zeitlich unbeschränkt nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch zur Verkehrsdurchsetzung vortragen zu können. Selbst wenn hierfür zeitaufwendige Recherchen notwendig gewesen sind, ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, dass das Bundespatentgericht nach Ablauf von mehr als drei Monaten seit der mündlichen Verhandlung und mehr als zwei Monate, nachdem die Antragstellerin um Fortsetzung des Verfahrens gebeten hatte, eine Entscheidung getroffen hat, wenn in der Zwischenzeit weder entsprechender Vortrag noch ein Hinweis der Markeninhaberin erfolgte, wann mit der Vorlage von Unterlagen zur Verkehrsdurchsetzung gerechnet werden könne.

dd)

Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde auf eine Praxis des Deutschen Patent- und Markenamts, nach der einem Markenanmelder regelmäßig eine Frist von vier Monaten zugebilligt wird, um Belege für die Verkehrsdurchsetzung vorzulegen. Das patentamtliche Verfahren ist mit dem Beschwerdeverfahren in Markensachen nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht zu vergleichen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Markeninhaberin im Hinblick auf das von der Antragstellerin geltend gemachte Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft bereits während des gesamten Löschungsverfahrens Anlass hatte, zur Verkehrsdurchsetzung zu recherchieren und vorzutragen.

ee)

Da die Markeninhaberin jedenfalls drei Monate nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit einer Entscheidung des Bundespatentgerichts rechnen musste, war auch kein entsprechender Hinweis erforderlich, wann das Bundespatentgericht entscheiden werde. Vielmehr musste die Markeninhaberin davon ausgehen, dass ihr nach einem angemessenen Zeitraum, der vorliegend jedenfalls nicht länger als drei Monate nach mündlicher Verhandlung lag, eine Entscheidung an Verkündungs Statt zugestellt werden würde (§ 79 Abs. 1 Satz 3 MarkenG ), nachdem das Bundespatentgericht weder im Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde, eine Entscheidung verkündet noch einen gesonderten Verkündungstermin anberaumt hatte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 MarkenG ).

ff)

Danach kann offen bleiben, ob die Markeninhaberin im vorliegenden Fall überhaupt aus einem Telefongespräch mit der Vorsitzenden des Senats des Bundespatentgerichts unabhängig vom Inhalt des Gesprächs einen Vertrauenstatbestand ableiten könnte, der eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs rechtfertigte. Bedenken ergeben sich deshalb, weil nach Schluss der mündlichen Verhandlung über die weitere Verfahrensweise nur der Senat und nicht eines seiner Mitglieder entscheiden kann. Gegen die Begründung eines Vertrauenstatbestandes spricht zudem, dass die Antragstellerin an dem Telefongespräch nicht beteiligt war und für die Markeninhaberin keine Anhaltspunkte bestanden, dass die Unterrichtung anschließend nachgeholt worden ist. Auch die Antragstellerin hat einen Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. hierzu BVerfG NJW 2008, 2243 Rn. 16) und auf Beachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit der Parteien, der auch die Verfahrensgestaltung umfasst (vgl. BVerfGE 69, 248 , 254). Einseitige Gespräche zwischen einem Beteiligten und einem Mitglied des Gerichts bergen jedenfalls dann die Gefahr einer Verletzung des Anspruchs des anderen Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auf ein faires Verfahren und auf Beachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit, wenn nicht alle Verfahrensbeteiligten von dem Gesprächsinhalt unterrichtet werden. Es ist deshalb zumindest zweifelhaft, ob ein Verfahrensbeteiligter aus einer von ihm veranlassten, im Verfahrensrecht nicht vorgesehenen Erörterung der Sache eine Verletzung des rechtlichen Gehörs herleiten kann.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Abs. 2 Satz 1 MarkenG .

Vorinstanz: BPatG, vom 25.11.2009 - Vorinstanzaktenzeichen (pat) 11/09
Fundstellen
GRUR 2012, 89
wrp 2011, 1461