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BGH - Entscheidung vom 04.02.2010

3 StR 564/09

Normen:
StGB § 211
StPO § 349 Abs. 4

Fundstellen:
NStZ-RR 2010, 183

BGH, Beschluss vom 04.02.2010 - Aktenzeichen 3 StR 564/09

DRsp Nr. 2010/5458

Überprüfung einer Beweiswürdigung des Tatrichters durch die Revision im Zusammenhang mit einer Verurteilung wegen Mordes; Auswirkungen einer mangelnden Auseinandersetzung mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen einer Tat durch den Tatrichter auf eine mögliche Rechtsfehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung

1. Die Würdigung der erhobenen Beweise obliegt allein dem Tatrichter; sie kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge nur dahingehend überprüft werden, ob sie Rechtsfehler aufweist.2. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und das Tatgericht sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 18. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 211 ; StPO § 349 Abs. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; denn die Beweiswürdigung des Landgerichts enthält eine rechtlich erhebliche Lücke.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau Nuran C. , dem späteren Tatopfer, kam es zum wiederholten Male in der Ehewohnung zu einem Streit. Der Angeklagte zog sich daraufhin in das Schlafzimmer zurück. Der gemeinsame Sohn Akin C. beschloss, mit dem Angeklagten über den Vorfall zu reden, und begab sich zu diesem. Zwischen beiden entwickelte sich eine tätliche Auseinandersetzung, bei der Akin C. dem Angeklagten durch Schläge mit einer Ketchupflasche eine Platzwunde an der Stirn beibrachte. Sodann floh Akin C. in das Kellergeschoss des Hauses. Der Angeklagte holte eine mit acht Patronen geladene Pistole aus dem Schlafzimmerschrank, um seinem Sohn damit Angst einzujagen. Er bemerkte sodann, dass dieser die Wohnung bereits verlassen hatte, und begab sich in das Badezimmer, um seine heftig blutende Wunde zu versorgen. Der schon stark erregte Angeklagte empörte sich beim Anblick seiner Verletzung noch mehr und ärgerte sich nunmehr auch über seine Ehefrau, weil er fälschlicherweise davon ausging, sie habe den Sohn auf ihn gehetzt. Daraufhin steigerte sich das ohnehin bereits vorhandene Hassgefühl gegen seine Ehefrau und er beschloss, sie mit der Pistole zu erschießen. Er verließ das Bad und traf im Wohnungsflur auf seine Ehefrau. Diese wich in das Kinderzimmer zurück. Der Angeklagte folgte ihr und schoss sieben Mal auf sie. Während des Tatgeschehens schrieen der Angeklagte sowie Nuran C. laut, wobei der Angeklagte ausrief "Ich bring Dich um!". Nuran C. wurde von sechs Kugeln getroffen und verstarb trotz einer Notoperation an den Schussverletzungen. Nach der Tat warf der Angeklagte die Pistole auf das Bett im Schlafzimmer und verließ die Wohnung.

1.

Die Beweiswürdigung, auf der die tatgerichtliche Überzeugung beruht, der Angeklagte habe entgegen seiner Einlassung den Tötungsentschluss bereits im Badezimmer getroffen, hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a)

Die Würdigung der erhobenen Beweise obliegt allein dem Tatrichter; sie kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge nur darauf überprüft werden, ob sie Rechtsfehler aufweist (zum Maßstab revisionsrechtlicher Kontrolle vgl. im Einzelnen BGH NJW 2005, 2322 , 2326). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und das Tatgericht sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt.

b)

So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Vorsatz, seine Ehefrau zu töten, erst dann fasste, nachdem er das Badezimmer verlassen hatte. Zur Begründung hat es lediglich darauf abgestellt, die Einlassung des Angeklagten sei widerlegt, seine Ehefrau habe ihn zu diesem Zeitpunkt mit den Worten "Ich scheiß dir in den Mund! Verrecke!" beleidigt, worauf er "schwarz gesehen" habe. Dies reicht hier nicht aus. Das Landgericht hätte aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles auch die Möglichkeit in seine Würdigung einbeziehen müssen, dass der ohnehin stark verärgerte Angeklagte sich erst zur Tötung seiner Ehefrau entschloss, als er nach Verlassen des Badezimmers im Wohnungsflur auf diese traf, ohne dass sie den Angeklagten beleidigte. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte die Pistole ursprünglich mit sich, um seinem Sohn zu drohen. Objektive Anhaltspunkte dafür, wann er dieses Vorhaben aufgab und den Vorsatz fasste, seine Ehefrau zu erschießen, sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Das Tatgeschehen im engeren Sinne weist - auch nach der Wertung des Landgerichts (s. UA S. 58) -deutliche Merkmale einer Spontantat auf. Unter diesen Umständen liegt die Möglichkeit, dass der Angeklagte auch ohne zusätzliche Provokation durch seine Ehefrau den Tötungsvorsatz erst nach Verlassen des Badezimmers fasste, jedenfalls nicht ferner als diejenige, dass er sich bereits zuvor zu ihrer Tötung entschlossen hatte.

2.

Das Urteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler. Nach der Würdigung des Landgerichts handelte der Angeklagte gerade deshalb heimtückisch und erfüllte damit ein Tatbestandsmerkmal des § 211 StGB , weil er den Tötungsvorsatz fasste, während er im Badezimmer verweilte. Nuran C. sei arglos und aufgrund der räumlichen Verhältnisse in der Wohnung auch wehrlos gewesen. Der Angeklagte habe diese Umstände bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt. Als er sich vor der Tat im Badezimmer überlegt habe, seine Ehefrau zu erschießen, sei ihm klar gewesen, dass diese nicht mit einem Angriff gerechnet und, sobald der Angeklagte das Badezimmer verlassen habe, keine Fluchtmöglichkeit mehr haben werde. Ein sonstiges Mordmerkmal ist nicht festgestellt.

Vorinstanz:
Fundstellen
NStZ-RR 2010, 183