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BGH - Entscheidung vom 07.04.2010

4 StR 644/09

Normen:
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 49 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 07.04.2010 - Aktenzeichen 4 StR 644/09

DRsp Nr. 2010/8030

Revision wegen mangelnder Erläuterungen der Strafkammer zur Erkenntnis erheblicher Zweifel am Ergebnis eines Sachverständigengutachtens zu psychischen Erkrankungen eines Angeklagten

Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen; es handelt sich insoweit um eine Rechtsfrage, die vor dem Hintergrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu beantworten ist.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 9. Juli 2009 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 21 ; StGB § 49 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen und wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 9. Februar 2010 versagt. Hingegen führt das Rechtsmittel auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch; im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

I.

1.

Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Urteilsgründe beschränken sich in diesem Zusammenhang darauf, das Ergebnis der Exploration durch den vom Landgericht beauftragten psychiatrischen Sachverständigen Dr. S. wiederzugeben, wonach der Angeklagte weder an einer schizophrenen Psychose noch an einer wahnhaften Störung leide und auch eine Affekttat auszuschließen sei. Vielmehr habe der Angeklagte lediglich eine akzentuierte Persönlichkeit mit Mängeln in der sozialen Kompetenz und benötige daher psychotherapeutische Behandlung; die Eingangsvoraussetzungen von § 20 StGB seien indes nicht erfüllt. Das Landgericht ist dieser Einschätzung des Sachverständigen dann trotz "nicht unerheblicher Bedenken im Ergebnis" gefolgt und hat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Taten verneint.

2.

Diese Erwägung des Landgerichts ist so allgemein gehalten, dass dem Senat die revisionsgerichtliche Prüfung, ob die Strafkammer bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist und die Voraussetzungen einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21 , 49 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei verneint hat, nicht möglich ist.

Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen; es handelt sich insoweit um eine Rechtsfrage, die vor dem Hintergrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu beantworten ist (BGHSt 43, 66 , 77; 49, 45, 53; BGH, Urteil vom 6. Mai 1997 - 1 StR 17/97, BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 31). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen im angefochtenen Urteil ersichtlich schon deshalb nicht, weil die Strafkammer selbst erhebliche Zweifel am Ergebnis des Sachverständigengutachtens erkennen lässt, ohne diese auch nur ansatzweise näher zu erläutern. Unerörtert bleibt auch der in den Urteilsgründen mitgeteilte Umstand, dass der im Zuge der einstweiligen Unterbringung des Angeklagten tätig gewordene psychiatrische Sachverständige Dr. G. in zwei - vorläufigen - Stellungnahmen eine psychotische Erkrankung nicht ausgeschlossen hat.

II.

Trotz der im Hinblick auf das Tatbild außerordentlich maßvollen Einzelstrafen - vor allem in Fall II. 3 der Urteilsgründe - kann der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass sich der Rechtsfehler bei der Strafbemessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, und hebt den Rechtsfolgenausspruch daher insgesamt auf.