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BGH - Entscheidung vom 22.07.2010

5 StR 256/10

Normen:
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 47 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 22.07.2010 - Aktenzeichen 5 StR 256/10

DRsp Nr. 2010/14858

Anforderungen an die Kriminalitätsintensität bei der Anordnung einer Maßregel

Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB nur bei gravierenden Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, gerechtfertigt sein.

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 17. Februar 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Nachstellung mit dem Hervorrufen einer schweren Gesundheitsstörung (Fall II. 1 der Urteilsgründe) verurteilt wurde;

b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 21 ; StGB § 47 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Nachstellung mit dem Hervorrufen einer schweren Gesundheitsstörung, wegen Nötigung, Beleidigung und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten" (Einzelstrafen von acht Monaten und zwei Monaten Freiheitsstrafe, 30 Tagessätzen zu je 10 € und weiteren acht Monaten Freiheitsstrafe) verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a)

Der nicht vorbestrafte, zu den Tatzeiten 59 Jahre alte Angeklagte neigt aufgrund seiner psychischen Erkrankung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf eine hirnorganische Komponente - beruhend auf jahrelangem Alkoholkonsum und einem 1987 erlittenen Schädel-Hirntrauma - zurückzuführen ist, etwa seit 2007 dazu, ohne erkennbaren Anlass einige Nachbarn massiv zu bedrohen, sie zu beleidigen und ihnen nachzustellen (UA S. 3, 6). Bei ihm liegt eine kombinierte Persönlichkeitsstörung vor, die durch emotionale Instabilität mit Neigung zu impulsivem Agieren, durch paranoide Akzentuierung sowie narzisstische Anteile geprägt ist. Diese erfüllt das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB ; die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war zu den Tatzeitpunkten zwar nicht aufgehoben, jedoch erheblich eingeschränkt gemäß § 21 StGB .

b)

Der Angeklagte hat in diesem Zustand, nachdem ihm durch eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Flensburg unter anderem untersagt worden war, den Nebenklägern nachzustellen und sie zu beobachten, am 25. Juni 2009 auf einem Maisfeld, das sich hinter seinem Grundstück und dem Grundstück der Nebenkläger befindet, Gras gemäht, sich den Nebenklägern, die in ihrem Garten saßen, auf 20 Meter genähert und sie beobachtet. Am 5. Juli 2009 versteckte er sich auf der gemeinsamen Grundstücksauffahrt hinter einem Busch und betrachtete die Nebenkläger beim Fernsehen. Am 22. Juli 2009 brüllte er die Nebenkläger von seinem Grundstück aus mit den Worten "komm' da rüber" an. Am 23. Juli 2009 schrie er die gerade ihre Wohnung verlassende Nebenklägerin an, sie solle verschwinden, sonst bekäme sie den "Arsch voll". Er ergriff hierbei einen Knüppel, schwang diesen mehrfach in Richtung der Nebenklägerin und schrie, sie solle "abhauen", er komme jetzt, worauf diese flüchtete. Am 24. Juli 2009 lauerte der Angeklagte der Nebenklägerin auf und brüllte sie mit den Worten an, "Ich mach' dir Beine, hau ab, du blondes Miststück, los hau' ab, dich sollen sie mitnehmen nach Schleswig, du hast ab jetzt keine ruhige Nacht mehr". Als er der Nebenklägerin näher kam, lief diese weg. Die Nebenklägerin wurde durch die Handlungsweise des Angeklagten ebenso wie ihr Ehemann psychisch stark beeinträchtigt. Sie hatte massive Angst, von dem Angeklagten geschlagen oder gar umgebracht zu werden. Der Nebenkläger befürchtete in hohem Maße, dass seiner Ehefrau etwas geschieht. Die Nebenklägerin erlitt psychosomatische Zusammenbrüche mit intensiven schweren Magenkrämpfen und eine posttraumatische Belastungsstörung. Sie verlor zehn Kilogramm an Gewicht. Beide Nebenkläger waren nach eigenem Bekunden "eigentlich nicht mehr in der Lage" (UA S. 4), ihrer freiberuflichen Tätigkeit nachzugehen (Tat 1).

c)

Am 22. Juli 2009 brüllte der Angeklagte einen anderen Nachbarn nach einem Wortwechsel an: "Hau ab, sonst schlag' ich dich in die Fresse, dass dir alle Zähne auf einmal rausfliegen" (UA S. 4). Einem weiteren Nachbarn rief er zu, dass das auch für ihn gelte, wenn er nicht gleich wegfahre. Zur Vermeidung einer Eskalation fuhren die Geschädigten weg (Tat 2).

Während einer Haftvorführung beleidigte der Angeklagte am 24. Juli 2009 zwei Polizeibeamte mit den Worten "die Idioten haben auch eine Menge Mist aufgeschrieben" (Tat 3).

In einer Hauptverhandlung des Amtsgerichts Flensburg trat der Angeklagte am 23. September 2009 der Nebenklägerin mit dem Fuß gegen das Bein, wodurch diese ein handflächengroßes Hämatom im Bereich des Sprunggelenks und des Spanns erlitt (Tat 4).

Das Landgericht geht - sachverständig beraten - davon aus, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Anordnung der Unterbringung sei auch nicht unverhältnismäßig. Bis auf die "vielleicht als Bagatelldelikt anzusehende Beleidigung" seien die übrigen Delikte "schon von einigem Gewicht" und die zu erwartenden Taten "bei dem Aggressionspotenzial des Angeklagten auch nicht unerheblich" (UA S. 8 f.).

2.

Der Schuldspruch wegen des qualifizierenden Tatbestandes der Nachstellung gemäß § 238 Abs. 2 StGB hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Vorschrift setzt voraus, dass das Opfer oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Nachstellung in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird. Solche Tatfolgen hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Die psychosomatischen Beschwerden einhergehend mit depressiven Erschöpfungszuständen sind nicht hinreichend belegt. Dies gilt umso mehr, als die Strafkammer sich bei der Feststellung der Tatfolgen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen. Die von den Nebenklägern lediglich empfundene Beeinträchtigung ihrer Arbeitsfähigkeit reicht ersichtlich nicht aus.

3.

Die Aufhebung des Schuldspruchs hinsichtlich Tat 1 führt zum Wegfall der hierfür verhängten Einzelstrafe von acht Monaten. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Höhe der übrigen Einzelstrafen von der Höhe dieser Einsatzstrafe beeinflusst worden sind, und hebt deshalb den gesamten Strafausspruch auf, zumal das Landgericht für die Strafe bezüglich Tat 1 - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat - eine unzutreffende Strafrahmenuntergrenze zugrunde gelegt hat. Darüber hinaus hat es die Strafkammer hinsichtlich Tat 2 unterlassen, die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB zu erörtern. Angesichts der Unbestraftheit des Angeklagten und der festgestellten Taten versteht es sich nicht von selbst, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten zur Einwirkung auf ihn oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist.

4.

Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB ) hat keinen Bestand.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel liegen hier nicht vor. Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB ) kann die Anordnung der Maßregel nur bei gravierenden Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, gerechtfertigt sein (BGHSt 27, 246 , 248; BGH NStZ 2008, 210 , 212; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29; § 62 Verhältnismäßigkeit 2). Die festgestellten Anlasstaten belegen eine solche Schwere nicht.

Schließlich hat das Landgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Notwendigkeit einer Unterbringung auch nicht beachtet, dass der Angeklagte nicht schuldunfähig, sondern nur eingeschränkt schuldfähig ist, so dass gegen ihn als Mittel der Einwirkung auch die Verhängung von Strafe zur Verfügung steht (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8).

Vorinstanz: LG Flensburg, vom 17.02.2010