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BGH - Entscheidung vom 24.06.2010

4 StR 260/10

Normen:
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1

Fundstellen:
NStZ 2010, 570

BGH, Beschluss vom 24.06.2010 - Aktenzeichen 4 StR 260/10

DRsp Nr. 2010/12989

Anforderung an die subjektive Tatbestandsseite bei Verurteilung wegen einer Vergewaltigung mit konkludenter Drohung durch vorherige Gewaltanwendung

1. Frühere Gewalteinwirkungen können als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein können, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte.2. So kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet.

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. Februar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (Fall III. 1 der Urteilsgründe),

b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe,

c) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 177 Abs. 1 Nr. 2 ; StGB § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Raubes in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung, (vorsätzlicher) Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1.

Nach den Feststellungen zum Fall III. 1 der Urteilsgründe kehrte der Angeklagte "an einem nicht mehr bestimmbaren Tag im Jahre 2004" in betrunkenem Zustand in die gemeinsam mit seiner Freundin, der Zeugin N. B. , bewohnte Wohnung zurück. Der Angeklagte wollte mit der Zeugin geschlechtlich verkehren, legte sich zu ihr ins Bett und begann sie zu streicheln. Die Zeugin erklärte dem Angeklagten mehrfach, dass er sie in Ruhe lassen solle und sie dies nicht wolle. Wütend geworden beschimpfte er die Zeugin und ergriff sodann einen schweren Kerzenständer aus Metall, den er in ihre Richtung warf, wobei ihm bewusst war, dass er die Zeugin treffen könnte. So geschah es auch; der Kerzenständer traf Frau B. an der linken Schulter, was ihr Schmerzen bereitete. Der Angeklagte nahm dies wahr, es war ihm jedoch gleichgültig. Er begab sich in die Küche, hörte dort Musik und rauchte eine Zigarette. Nach einer nicht mehr genau bestimmbaren Zeitspanne von höchstens 30 Minuten (UA 17) kehrte er in das Schlafzimmer zurück. "Unter dem Eindruck des zuvor erfolgten Wurfs mit dem Kerzenständer und aus Angst vor weiterer Gewalt widersetzte sich die Zeugin N. B. dem Angeklagten nicht mehr. Der Angeklagte, dem bewusst war, dass die Zeugin B. nach wie vor innerlich nicht gewillt war, mit ihm geschlechtlich zu verkehren, aber aus Angst vor weiterer Gewalt den Geschlechtsverkehr zuließ, drang mit seinem Penis in die Scheide der Zeugin N. B. ein und vollzog mit ihr den Beischlaf bis zum Samenerguss".

2.

Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich hierdurch (neben einer tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ) der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 2 , Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die den getroffenen Feststellungen zu Grunde liegende Beweiswürdigung ist lückenhaft und daher sachlich-rechtlich fehlerhaft.

a)

Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass frühere Gewalteinwirkungen als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein können, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte. So kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43 m.w.N.). Zu den zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen lässt das Urteil jedoch Beweisgründe und Beweiswürdigung vermissen; dieser Mangel ist auf Sachrüge zu beachten (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45 ; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 1999 - 4 StR 271/99, NZV 2000, 88 und vom 21. September 2005 - 2 StR 311/05, NStZ 2007, 538 ).

Das Landgericht hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass seine erneute Annäherung von der Zeugin B. als eine konkludente Drohung empfunden werde. Die Beweisergebnisse, die den Tatrichter zu dieser Würdigung geführt haben, teilt er jedoch im angefochtenen Urteil nicht mit. Mit seiner umfangreichen Beweiswürdigung zum Fall III. 1 der Urteilsgründe belegt das Landgericht lediglich, dass die Zeugin auf Grund der von ihr empfundenen Angst weiteren Widerstand nicht zu leisten in der Lage war und den Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen erduldete (UA 15, 30). Nicht belegt hat es in der Beweiswürdigung jedoch, aus welchen Gründen es zu der Überzeugung gelangt ist, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass die Zeugin die erneute Annäherung als eine konkludente Drohung empfand und infolge der Anwendung dieses Nötigungsmittels die Durchführung des Geschlechtsverkehrs duldete (vgl. zur finalen Verknüpfung BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 3 StR 256/04, NStZ 2005, 268 , 269 m.w.N.); dies ist insbesondere bei erheblicher Alkoholisierung kritisch zu prüfen (vgl. Fischer, StGB 57. Auflage § 177 Rdn. 52 m.w.N.).

Nach den Umständen des Falles liegt auch nicht auf der Hand, dass der Vorsatz des Angeklagten hier die finale Verknüpfung von Nötigungsmittel und Nötigungserfolg umfasst hat. Zwar hatte die Zeugin sich auch früher schon geweigert, mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, wenn dieser abends betrunken nach Hause kam. Hier besteht aber die Besonderheit, dass der Angeklagte, nachdem er die Zeugin mit dem Kerzenständer an der Schulter getroffen hatte, sich bis zu 30 Minuten in der Küche aufhielt. Es versteht sich nicht von selbst, dass der Angeklagte, als er sodann in das Schlafzimmer zurückkehrte, in sein Bewusstsein aufgenommen hatte, Frau B. werde sein Erscheinen nunmehr als eine konkludente Drohung mit erneuter Gewaltanwendung empfinden und nur deshalb den zuvor abgelehnten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lassen.

In diesem Zusammenhang erweist sich die Beweiswürdigung auch insoweit als lückenhaft, als das Landgericht zwar wiederholt ausführt, die Zeugin habe es auch bei früherer Gelegenheit abgelehnt, mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, wenn er Alkohol zu sich genommen habe (UA 17, 18). Die Strafkammer teilt aber nicht mit, welche Folgen diese Ablehnungen jeweils hatten. Das weitere Verhalten der Zeugin und des Angeklagten kann durchaus Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite für das hier zu beurteilende Geschehen zulassen.

Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit der Angeklagte im Fall III. 1 der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

3.

Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist sich auch, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist, obwohl seine Feststellungen zu einer solchen Prüfung drängten.

Der Generalbundesanwalt hat sich hierzu in seiner Antragsschrift vom 31. Mai 2010 wie folgt verhalten:

"Der wegen Körperverletzungsdelikten und - wenn auch nicht gravierend - wegen Eigentumsdelikten einschlägig vorbestrafte (UA S. 7 f.) Angeklagte konsumierte seit seinem siebzehnten Lebensjahr zunächst Cannabis, später Heroin und Kokain. Nach zwei ambulanten Drogentherapien und der Teilnahme am Methadon-Programm, jeweils einhergehend mit Rückfällen, erfolgte im Jahr 2004 eine Suchtverlagerung auf Alkohol. Hierbei konsumierte der Angeklagte anlässlich sich häufender Kneipenaufenthalte etwa zehn bis fünfzehn halbe Liter eines Biermischgetränks sowie Wein und Schnaps, wobei sich das Konsumverhalten ab dem Jahr 2008 noch steigerte (UA S. 4 f.).

Bei den Taten III. 1. und 4. war der Angeklagte alkoholisiert (UA S. 10, 13 f.). Auch zuvor war es bereits regelmäßig zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten gekommen, wenn dieser Alkohol zu sich genommen hatte (UA S. 9). Die Tat III. 2. beging der Angeklagte, um sich Geldmittel zur Finanzierung seines Alkoholkonsums zu verschaffen (UA S. 12). Hierfür hatte er sich trotz ihrer bedrängten finanziellen Verhältnisse bereits des Öfteren eigenmächtig Gelder der Geschädigten angeeignet oder diese zur Herausgabe aufgefordert (UA S. 11, 9). Ein solches Verhalten des Angeklagten war auch Anlass für die der Tat III. 3. vorausgegangene Auseinandersetzung (UA S. 12 f.).

Die getroffenen Feststellungen legen demnach nahe, dass zumindest die verfahrensgegenständlichen Taten III. 1., 2. und 4. auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.

Eine "Gefährlichkeit" im Sinne des § 64 StGB würde auch nicht daran scheitern, dass es sich bei den Anlasstaten durchgängig um Beziehungstaten zum Nachteil der Geschädigten B. handelt und möglicherweise auch nur solche zukünftig zu erwarten sind (UA S. 47). Denn der Täter braucht für eine Unterbringung nach § 64 StGB nicht für die Allgemeinheit gefährlich zu sein (BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 2 StR 112/10).

Da der Angeklagte grundsätzlich therapiebereit ist (UA S. 43) - auch wenn sich das Urteil zur Art der beabsichtigten Therapie nicht verhält -, bestehen zumindest Anhaltspunkte für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB ).

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (BGHSt 37, 5 ). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittel ausgenommen".

Dem tritt der Senat bei; er kann ausschließen, dass die Einzelstrafen für die Fälle III. 2, 3 und 4 der Urteilsgründe milder ausgefallen wären, wenn das Tatgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte.

Vorinstanz: LG Bochum, vom 03.01.2010
Fundstellen
NStZ 2010, 570