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BGH - Entscheidung vom 01.10.2007

3 StR 391/07

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluß vom 01.10.2007 - Aktenzeichen 3 StR 391/07

DRsp Nr. 2007/19544

Zur Prüfung des § 64 StGB durch den Tatrichter

Der Umstand, dass § 64 StGB von einer Muss- in eine Ermessensvorschrift umgestaltet worden ist, macht die Prüfung des § 64 StGB durch den Tatrichter nicht entbehrlich. Dieser muss vielmehr das Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar begründen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in neun Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen, davon in neun Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Das angefochtene Urteil weist jedoch insofern einen sachlich-rechtlichen Mangel auf, als das Landgericht die Prüfung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB unterlassen hat, obwohl sich dies aufdrängte.

Nach den getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte Alkoholiker, der täglich erhebliche Mengen Alkohol trinkt. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, dass er infolge seines Alkoholkonsums bei Begehung aller Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich gemindert war (§ 21 StGB ).

Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB aF) gegeben sind. Nach dem am 20. Juli 2007 in Kraft getretenen § 64 Abs. 1 Satz 1 StGB nF (BGBl I 1327), der vom Revisionsgericht gemäß § 2 Abs. 6 StGB , § 354 a StPO anzuwenden ist, soll diese Maßregel angeordnet werden, wenn der Täter den Hang hat, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, er wegen einer auf seinen Hang zurückgehenden rechtswidrigen Tat verurteilt wird und die Gefahr besteht, dass er in Zukunft infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Feststellungen belegen den Hang (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 64 Rdn. 6 ff., 11) des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholgenuss. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Alkoholmissbrauch und den Straftaten liegt nicht fern. Auch bestehen Anhaltspunkte für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Abs. 1 Satz 2 StGB nF). Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte nach einer Alkoholtherapie von Februar 2002 bis Sommer 2005 keinen Alkohol zu sich und versucht derzeit wieder, seinen Alkoholkonsum zu mäßigen. Der Teilaufhebung steht nicht entgegen, dass § 64 StGB von einer Muss- in eine Ermessensvorschrift umgestaltet worden ist. Dies macht die Prüfung des § 64 StGB durch den Tatrichter nicht entbehrlich. Dieser muss vielmehr das Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar begründen.

Die Frage der Unterbringung nach § 64 StGB bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO ) der Prüfung und Entscheidung durch ein neues Tatgericht. Dem steht nicht entgegen, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, zumal er ausdrücklich die unterlassene Prüfung des § 64 StGB rügt. Für den Fall, dass das neue Tatgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen sollte, wird es gemäß § 67 Abs. 2 StGB nF über die Reihenfolge der Vollstreckung von Freiheitsstrafe und Maßregel zu entscheiden haben.

Die Teilaufhebung berührt den Strafausspruch nicht. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei Anordnung der Maßregel eine geringere Strafe gegen den Angeklagten verhängt hätte.

Vorinstanz: LG Lübeck, vom 06.06.2007