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BGH - Entscheidung vom 04.10.2007

X ZB 21/06

Normen:
PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3

BGH, Beschluß vom 04.10.2007 - Aktenzeichen X ZB 21/06

DRsp Nr. 2007/19522

Rechtliches Gehör im Verfahren vor dem Bundespatentgericht

Ist über erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegte neu gefasste Patentansprüche zu entscheiden, auf die im Termin selbst nicht sachgerecht reagiert werden kann, etwa weil zur Rechtswahrung eine bisher nicht angezeigte Recherche zum Stand der Technik erforderlich oder sinnvoll war oder erscheinen konnte, so ist gleichwohl der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht ohne Weiteres verletzt, da die betreffende Partei die Möglichkeit hat, gem. § 227 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 99 Abs. 1 PatG Vertagung oder gem. § 283 ZPO einen Schriftsatznachlass zu beantragen.

Normenkette:

PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3 ;

Gründe:

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin hat unter Entgegenhaltung von drei Druckschriften gegen die Erteilung des deutschen Patents 199 59 012 für ein Verfahren zur Steuerung bzw. Regelung des Niveaus eines Fahrzeugaufbaus eines Kraftfahrzeugs Einspruch eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin erklärt, das Patent mit geänderten Ansprüchen und geänderter Beschreibung/Zeichnung zu verteidigen, und beantragt, das Patent in entsprechender Fassung aufrechtzuerhalten. Die Einsprechende hat die vorgenommene Änderung für unzulässig gehalten und weiterhin den Widerruf des Patents begehrt.

Das Bundespatentgericht hat am Schluss der mündlichen Verhandlung beschlossen, das Patent nach Maßgabe des Antrags der Patentinhaberin beschränkt aufrechtzuerhalten. Das geänderte Patentbegehren sei zulässig. Die Patentfähigkeit sei gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik gegeben.

Hiergegen wendet sich die Einsprechende mit der - nicht zugelassenen - Rechtsbeschwerde.

II. Die in rechter Form und Frist erhobene Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Einsprechende mit ihr rügt, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden (§ 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG ).

Die Rechtsbeschwerde bleibt jedoch ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vorliegt.

1. Die Einsprechende meint, da eine Neufassung von Patentansprüchen nicht nur den Streitgegenstand eines Einspruchsverfahrens ändere, indem sie den Schutzbereich des Patents verkleinere oder verschiebe, sondern auch den bisherigen Verfahrensgang insgesamt in Frage stelle, könne der zeitliche Umfang eines einzigen Termins schon aus prinzipiellen Gründen nicht ausreichen, in dem gebotenen Maße rechtliches Gehör zu gewähren. Um auf die neue, bislang unrecherchierte Anspruchsfassung sachgerecht zu erwidern, sei es gerade auch im Streitfall notwendig gewesen, nicht nur die Einspruchsschrift neu aufzubauen, sondern eine neue Recherche zum Stand der Technik durchzuführen. Da ihr, der Einsprechenden, hierfür keine Zeit eingeräumt worden sei, habe sie sich nicht substantiiert zu dem geänderten Patent äußern können. Die damit gegebene Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör komme auch dadurch zum Ausdruck, dass das Bundespatentgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, die Patentfähigkeit des nunmehr beanspruchten Verfahrens sei nicht bestritten worden.

Das füllt den geltend gemachten Rechtsbeschwerdegrund nicht aus.

Das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf rechtliches Gehör vor Gericht verlangt unter anderem, dass alle Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren Gelegenheit haben, sich zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt und dem Vorbringen des Gegners äußern zu können (allgemeine Meinung, vgl. z.B. Sen.Urt. v. 01.02.2000 - X ZB 27/98 - Kupfer-Nickel-Legierung). Es muss die Möglichkeit vorhanden sein, sich auf zumutbare Weise mit demjenigen Gehör verschaffen zu können, was zur Rechtfertigung des eigenen Standpunkts vorgebracht werden kann, bevor in der Sache entschieden wird. Bei Beantwortung der Frage, ob eine solche Möglichkeit besteht, sind auch die Befugnisse des Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen, auf den weiteren Gang des Verfahrens einzuwirken. War - wie hier - über erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegte neu gefasste Patentansprüche zu entscheiden, auf die im Termin selbst nicht sachgerecht reagiert werden konnte, etwa weil zur Rechtswahrung eine bisher nicht angezeigte Recherche zum Stand der Technik erforderlich oder sinnvoll war oder erscheinen konnte, ist deshalb der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht ohne Weiteres verletzt. Denn die Partei hat die Möglichkeit, gemäß § 227 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Verbindung mit § 99 Abs. 1 PatG Vertagung (Sen.Urt. v. 13.01.2004 - X ZR 212/02, GRUR 2004, 354 - Vertagung) oder gemäß § 283 ZPO in Verbindung mit § 99 Abs. 1 PatG einen ausreichenden Schriftsatznachlass zu beantragen, um die gebotenen Ermittlungen anzustellen und auf dieser Grundlage ihr Begehren zu rechtfertigen. Erst wenn das Gericht derartige Anträge zurückweist, kann die Gewährung rechtlichen Gehörs in Frage stehen (vgl. Sen.Urt. v. 13.01.2004, aaO.).

2. Die Einsprechende meint ferner, das Bundespatentgericht habe ihr durch Aufklärungspflichtverletzung das rechtliche Gehör abgeschnitten. Bei nachträglich geändertem Patent sei eine neue Tatsachenaufklärung vorzunehmen. Sie, die Einsprechende, habe daher nicht damit rechnen müssen, dass sofort ohne weitere Recherche in der Sache entschieden werde. Das Bundespatentgericht hätte eine Vertagung von Amts wegen vornehmen oder jedenfalls einen gerichtlichen Hinweis geben müssen, dass ergänzender Vortrag notwendig sein könne, der einen Antrag auf Vertagung oder Schriftsatznachlass rechtfertigen könne.

Auch hieraus ergibt sich keine Verletzung des Anspruchs der Einsprechenden auf rechtliches Gehör.

Ein Verfahrensbeteiligter kann den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch allerdings nur wahren, wenn er bei der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung des Gerichts in der Sache ankommen kann (BVerfG, Beschl. v. 17.07.2006 - 1 BvR 618/96 m.w.N.). Im Streitfall ist im Hinblick darauf davon auszugehen, dass in der mündlichen Verhandlung, die laut Sitzungsniederschrift immerhin mehr als zwei Stunden dauerte, auch die Frage der Patentfähigkeit der geänderten Ansprüche zur Sprache kam. Denn die Einsprechende hat mit der Rechtsbeschwerdebegründung Gegenteiliges nicht geltend gemacht. Im Übrigen spricht auch die Angabe des Bundespatentgerichts, die Einsprechende habe die Patentfähigkeit nicht bestritten, dafür, dass die Frage der Patentfähigkeit ebenfalls Gegenstand der Erörterung nach § 91 PatG war. Bereits aufgrund dieser Erörterung musste ein kundiger und gewissenhafter Verfahrensbeteiligter aber damit rechnen, dass das Bundespatentgericht bei seiner Entscheidung auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Patentfähigkeit abheben könnte.

Auch § 97 Abs. 1 Satz 1 PatG , wonach das Patentgericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, gab keinen Anlass zu der Erwartung, das Bundespatentgericht werde trotz der Erörterung im Termin über die Frage der Patentfähigkeit nicht abschließend entscheiden. Denn diese Regelung zwingt entgegen der Meinung, die der Rechtsbeschwerde zugrunde liegt, nicht in jedem Fall zu einer ergänzenden Recherche zum Stand der Technik. Eine solche kann nur geboten sein, wenn ein konkreter Anlass besteht, von ihr eine weitere Aufklärung zu erwarten, ohne die eine sachgerechte Entscheidung in der Sache erschwert oder unmöglich ist. So kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungsprozess nur in Betracht, wenn im Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die betreffende weitere Sachaufklärung hingewirkt worden ist oder sich dem Gericht die Notwendigkeit dieser Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschl. v. 19.08.1997 - 7 B 261/97, NJW 1997, 3328 m.w.N.; v. 10.07.2007 - 4 BN 26/07). Wenn der Patentinhaber sein Patentbegehren im Einspruchsverfahren ändert, mag hiernach zu einer Patentrecherche in den Fällen Anlass bestehen, in denen das Patentgericht aufgrund der Erörterung in der mündlichen Verhandlung oder anderer Erkenntnis Anhaltspunkte für die Annahme hat, dass dem geänderten Patent eine bisher nicht ermittelte druckschriftliche oder in sonstiger Weise offenbarte Lehre zum technischen Handeln entgegenstehen könnte (vgl. Sen.Beschl. v. 25.03.1992 - X ZB 15/91, BlPMZ 1992, 496 - Entsorgungsverfahren). Auch Derartiges hat die Rechtsbeschwerde jedoch nicht geltend gemacht. Unter diesen Umständen bot der Anspruch der Einsprechenden auf rechtliches Gehör auch keinen Anlass zu einem der richterlichen Hinweise, welche die Rechtsbeschwerde vermisst hat (vgl. BVerfGE 84, 188 , 190).

3. Auch der schließlich noch geäußerten Meinung, dass aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten das rechtliche Gehör nur als gewahrt angesehen werden könne, wenn vor dem Bundespatentgericht nach der Regel 97 (a) (1) Satz 2 und 4 zum EPÜ verfahren werde, kann nicht beigetreten werden. Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs muss den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben (BVerfG, Beschl. v. 17.07.2006 - 1 BvR 618/96 m.w.N.). Einer anderen weiterreichenden Verfahrensordnung kann deshalb der maßgebliche Rahmen nicht entnommen werden, wenn - wie vorstehend ausgeführt - die grundlegenden Grundsätze zur Wahrung rechtlichen Gehörs vor Gericht gewahrt sind.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG .

Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten.

Vorinstanz: BPatG, vom 21.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen (pat) 394/03