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BGH - Entscheidung vom 21.02.2007

XII ZB 37/06

Normen:
ZPO § 517 § 418

BGH, Beschluß vom 21.02.2007 - Aktenzeichen XII ZB 37/06

DRsp Nr. 2007/5765

Anforderungen an die Widerlegung der Beweiskraft des Eingangsstempels auf einer Berufungsschrift

1. Der Eingangsstempel auf einem fristwahrenden Schriftsatz erbringt als öffentliche Urkunde gem. § 418 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür, dass der Schriftsatz an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Dieser Beweis kann jedoch gem. § 418 Abs. 2 ZPO durch ein im Wege des Freibeweises zu erbringenden Gegenbeweis entkräftet werden.2. Zur Erbringung des Gegenbeweises können eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel ausreichen, wenn diese dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit der versicherten Behauptung vermitteln. Da der Beweiswert einer eidesstattlichen Versicherung jedoch lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, reicht sie zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht aus. Ist dies der Fall, muss auf die Vernehmung der Beweisperson, etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals, als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden.3. Sieht das Berufungsgericht den Nachweis der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsschrift durch eidesstattliche Versicherungen nicht als erbracht an, so hat es den Prozessbevollmächtigten hierauf hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, Zeugenbeweis anzutreten.

Normenkette:

ZPO § 517 § 418 ;

Gründe:

I. Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus einem Mietvertrag über Gewerberäume geltend.

Der Beklagte hat gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Die am 25. September 2005 endende Frist zur Begründung der Berufung ist antragsgemäß bis zum 8. November 2005 verlängert worden. Der Beklagte hat die Berufung mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 8. November 2005 begründet. Dieser Schriftsatz trägt den Stempel "Nachtbriefkasten" und den Eingangsstempel des Oberlandesgerichts mit dem Datum "9. Nov. 2005".

Nach Hinweis des Oberlandesgerichts, dass beabsichtigt sei, die erst am 9. November 2005 eingegangene Berufung als unzulässig zu verwerfen, hat der Beklagte, gestützt auf die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten, vorgetragen, dieser habe die Berufungsbegründung persönlich zwischen 20.30 Uhr und 22.00 Uhr in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Mit Schriftsatz vom 28. November 2005, der am gleichen Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat der Beklagte vorsorglich beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Rechtsbeschwerde sei erst am 9. November 2005, und damit verspätet, beim Oberlandesgericht eingegangen. Dies folge aus dem gerichtlichen Eingangsstempel auf der Berufungsbegründung, der den vollen Beweis für das Datum des Eingangs erbringe. Der Beklagte habe den im Wege des Freibeweises zu führenden Gegenbeweis eines fristgemäßen Eingangs der Berufungsbegründung nicht erbracht. Dieser erfordere mehr als bloße Glaubhaftmachung. Notwendig sei die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang. Diese Überzeugung habe das Gericht nicht gewonnen.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Zwar geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass der Eingangsstempel auf dem Berufungsbegründungsschriftsatz als öffentliche Urkunde gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür erbringt, dass der Schriftsatz an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Dieser Beweis kann jedoch, wie auch das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch einen im Wege des Freibeweises zu erbringenden Gegenbeweis entkräftet werden (BGH Beschlüsse vom 30. Oktober 1997 - VII ZB 19/97 - NJW 1998, 461 ; vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - NJW 2000, 814 ; vom 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05- VersR 2006, 568 ). Danach können auch eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel ausreichen, wenn diese dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit der versicherten Behauptung vermitteln (Senatsbeschluss vom 17. April 1996 - XII ZB 42/96 - NJW 1996, 2038 ). Da der Beweiswert einer eidesstattlichen Versicherung jedoch lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, reicht sie zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht aus. Ist dies der Fall, muss auf die Vernehmung der Beweispersonen, etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals, als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden (BGH Beschluss vom 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05 - VersR 2006, 568 ).

b) Danach durfte das Berufungsgericht den von dem Beklagten zu führenden Gegenbeweis für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung nicht allein auf der Grundlage der eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten als nicht erbracht ansehen. Es hätte vielmehr auf die Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als Zeugen zurückgreifen müssen, da es die eidesstattliche Versicherung für nicht ausreichend gehalten hat, um die volle Überzeugung von dem rechtzeitigen Zugang der Berufungsbegründung zu erbringen.

Zwar hat sich der Beklagte in der Annahme, die vorgelegte eidesstattliche Versicherung sei ausreichend, nicht auf die Vernehmung eines Prozessbevollmächtigten als Zeugen berufen. Das Berufungsgericht hätte jedoch den Beklagten gemäß § 139 Abs. 2 ZPO darauf hinweisen müssen, dass zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels die vorgelegten Mittel zur Glaubhaftmachung nicht ausreichen und hätte dem Beklagten Gelegenheit geben müssen, Zeugenbeweis anzutreten (BGH Beschlüsse vom 7. Mai 2002 - I ZB 30/01 - Juris; vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - NJW 2000, 814 ). Das hat das Berufungsgericht unterlassen und damit den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

3. Da der angefochtene Beschluss auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann, ist die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

4. Der Beschluss war auch aufzuheben, soweit das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen hat. Über den Wiedereinsetzungsantrag darf das Berufungsgericht erst dann entscheiden, nachdem es die Frage, ob die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, geklärt hat. Das ist noch nicht geschehen.

Vorinstanz: OLG Naumburg, vom 21.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 113/05
Vorinstanz: LG Halle, vom 22.08.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 19/05