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BGH - Entscheidung vom 01.06.2005

2 StR 405/04

Normen:
StPO § 154 § 154a § 353

Fundstellen:
NStZ 2006, 455

BGH, Urteil vom 01.06.2005 - Aktenzeichen 2 StR 405/04

DRsp Nr. 2005/9596

Wiedereinbeziehung ausgeschiedener Tatteile in der Revision

Eine Wiedereinbeziehung von nach §§ 154 , 154a StPO ausgeschiedenen Tatteilen in der Revisionsinstanz ist nicht möglich, wenn dadurch dem Urteil des Tatgerichts nachträglich die Grundlage entzogen werden würde, ohne daß das Revisionsgericht abschließend über den wiedereinbezogenen Tatteil entscheiden könnte.

Normenkette:

StPO § 154 § 154a § 353 ;

Gründe:

Das Landgericht hat die zur Tatzeit 19jährige Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen, Wohnungseinbruchsdiebstahls, versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es hat der Angeklagten überdies die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von zwölf Monaten für die Neuerteilung festgesetzt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ist im Ergebnis unbegründet.

1. Die Rüge, das Landgericht habe im Fall 6 der Urteilsgründe die Angeklagte rechtsfehlerhaft nicht wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt, ist unbegründet.

Mit der insoweit unverändert zugelassenen Anklage vom 1. Februar 2004 wurde der Angeklagten als Tat 6 zur Last gelegt, im Frühjahr 2003 mit 2 kg "Speed" (Amphetamin) unerlaubt Handel getrieben zu haben. Als Tat 7 wurde ihr ein weiteres Handeltreiben mit 2 kg "Speed" vorgeworfen; als Tat 8 das Handeltreiben mit 1 kg "Speed" unter Beisichführen einer geladenen Schreckschußpistole und eines Baseballschlägers. Die letztgenannte Rauschgiftmenge sowie die beiden Waffen wurden am 23. Oktober 2003 bei der Festnahme der Angeklagten in deren Pkw sichergestellt.

In der Hauptverhandlung ließ sich nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 8) die Angeklagte dahin ein, sie habe im Fall 6 von den 2 kg Amphetamin, die sie von dem gesondert verfolgten Q. zur Weitergabe an einen Bekannten des C. erhalten hatte, ein halbes Kilogramm für sich abgezweigt. Die - von ihr auf 1 kg gestreckte - Restmenge sei bei ihrer Festnahme sichergestellt worden; so daß es sich in den Fällen 6 und 8 der Anklage um dieselbe Wirkstoffmenge gehandelt habe. Der Anklagevorwurf zu Fall 7 beruhe auf einem Mißverständnis bei der Protokollierung ihres Geständnisses bei der polizeilichen Vernehmung. Das als Tat 7 angeklagte Handeltreiben mit einer weiteren Menge von 2 kg Amphetamin habe es nicht gegeben; sie habe vielmehr nur einmal 2 kg transportiert.

Nach dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 23. Juni 2004 hat das Landgericht daraufhin die Anklagepunkte 7 und 8 auf Antrag der Staatsanwaltschaft "gemäß § 154 a Abs. 2 StPO eingestellt" (XIV/118 d.A.). Eine Wiedereinbeziehung ist nicht erfolgt; ein entsprechender Antrag ist nicht gestellt worden.

Bei dieser Sachlage kann die auf die Sachrüge gestützte Revision nicht damit begründet werden, das Landgericht sei aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung zu der Ansicht gelangt, es sei der Angeklagten nicht zu widerlegen, daß sie von den bei ihrer Festnahme im Fahrzeug aufgefundenen Waffen nichts gewußt habe.

Es ist schon unklar, ob tatsächlich eine Verfahrensbeschränkung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO erfolgen sollte und erfolgt ist oder ob nicht, wie auch der Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, tatsächlich eine Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorgenommen wurde. Hierfür spricht namentlich auch der Umstand, daß sich auch nach der im Urteil wiedergegebenen Einlassung der Angeklagten kein Anhaltspunkt dafür ergibt, die angeklagte Tat 7 könne vom Landgericht als nicht selbständige Tat angesehen worden sein. Dem Antragserfordernis des § 154 Abs. 2 StPO war genügt.

Auch wenn aber der Tatrichter die ursprünglich als selbständige Tat 8 angeklagte Handlung im Ergebnis der Beweisaufnahme als unselbständigen Teilakt der Tat 6 angesehen hat und die antragsgemäße Verfahrensbeschränkung in diesem Fall gemäß § 154 a Abs. 2 StPO erfolgte, ergriff die Beschränkung diesen Tatteil insgesamt und daher auch seine mögliche Qualifikation. Es wäre daher jedenfalls nicht zulässig gewesen, die qualifizierenden Umstände der antragsgemäß ausgeschiedenen Tat 8 zur rechtlichen Beurteilung der abgeurteilten Tat 6 heranzuziehen, bei der diese Umstände gerade nicht festgestellt worden sind. Das Landgericht war somit auf der Grundlage des Verfahrensstandes zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht gehalten, über die Frage einer Bewaffnung der Angeklagten bei der Tat 6 zu entscheiden.

Die Einwände der Revision gegen die Ausführungen des Urteils zur Beweiswürdigung hinsichtlich des ausgeschiedenen Verfahrensstoffs verfehlen daher im Revisionsverfahren ihren Gegenstand. Es kann dahinstehen, ob die - insoweit überflüssigen, möglicherweise zur nachträglichen Begründung der Verfahrensbeschränkung eingefügten - Ausführungen zur Unwiderleglichkeit der Einlassung der Angeklagten (UA S. 8/9) die von der Revision gerügten Rechtsfehler enthalten. Ihre Überprüfung ist dem Revisionsgericht entzogen, weil dieser Teil des Anklagevorwurfs wirksam aus dem Prozeßstoff ausgeschieden wurde.

Eine Wiedereinbeziehung des ausgeschiedenen Tatteils in der Revisionsinstanz ist hier nicht möglich, denn dadurch würde dem Urteil des Tatgerichts nachträglich die Grundlage entzogen, ohne daß das Revisionsgericht abschließend über den wiedereinbezogenen Tatteil entscheiden könnte (vgl. BGHSt 21, 326, 329 f.).

2. Auch im übrigen weist das Urteil der Jugendkammer keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten - oder, was gemäß § 301 StPO zu prüfen war - zu Lasten der Angeklagten auf.

a) Die insgesamt überaus knappen Feststellungen des Landgerichts genügen im Ergebnis noch den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO . Die Rüge, hinsichtlich der Taten I. 1 und I. 2 fehle es an einer hinreichenden Konkretisierung von Tatzeit, Tatort und Geschädigtem, greift nicht durch. Tatort und Geschädigter (Autohaus) ergeben sich aus den Feststellungen ohne weiteres. Das gilt auch für die Tat 2; der Tatzeitpunkt ist mit "etwa 14 Tage später" entgegen der Ansicht der Revision hinreichend bestimmt festgestellt. Daß die genaue Anschrift der Wohnung des Geschädigten Sch. im Fall I. 3 nicht mitgeteilt wird, ist unschädlich. Es ist nicht ersichtlich, daß eine Verwechslung mit einer anderen Wohnung des Geschädigten möglich sein könnte. Das gilt im Ergebnis auch für die Tat I. 4 zu Lasten des Geschädigten Bernd C., der in den Urteilsgründen fälschlich als "Bernd Sch." bezeichnet ist. Das Schreibversehen hinsichtlich des Namens des Geschädigten hat die Jugendkammer mit Beschluß vom 25. August 2004 berichtigt.

b) Auch die Feststellungen zu Art und Wirkstoffgehalt des von der Angeklagten gehandelten Rauschgifts genügen noch den Anforderungen. Daß das Betäubungsmittel als "Speed" (UA S. 7) bzw. als "Speed (Amphetamin)" (UA S. 9) bezeichnet wurde, folgte den Formulierungen der Anklageschrift. Zwar enthält das Urteil keinen Hinweis darauf, wie das Landgericht zu seinen Feststellungen gelangt ist. Da das Landgericht aber festgestellt hat, es habe sich um (gestrecktes) Amphetamin "guter Qualität" gehandelt, ist letztlich trotz der sehr knappen Feststellungen nicht zu besorgen, es habe den Schuldgehalt der Taten bei der Bemessung der - wenngleich milden - Jugendstrafe in einer die Revision rechtfertigenden Weise verkannt. Soweit in der Revisionshauptverhandlung vom Generalbundesanwalt darauf hingewiesen wurde, das Landgericht habe ein vorliegendes Sachverständigengutachten nicht verwertet, ergibt sich für den Senat nicht, daß ein solches Gutachten dem Tatrichter vorgelegen hat. Ein Beweisantrag ist offenbar nicht gestellt, eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden.

c) Die Anwendung von Jugendrecht auf die zur Tatzeit 19jährige Angeklagte weist keinen Rechtsfehler auf. Soweit die Revision rügt, es fehlten Feststellungen zur Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten, erschöpft sich diese Rüge im Ergebnis in einer vom Urteil abweichenden Bewertung. Die Jugendkammer hat sich mit der nach ihrer Überzeugung vorliegenden gestörten Reife und den jugendtypischen Verhaltensweisen und Lebenseinstellungen der Angeklagten aber ausführlich auseinandergesetzt (UA S. 10-12). Der Tatrichter hat insoweit einen erheblichen Beurteilungsspielraum; daß die Gewichtung einzelner Umstände und die Beurteilung insgesamt auch anders hätte ausfallen können, macht diese noch nicht rechtsfehlerhaft.

d) Auch die Einwendungen der Revision gegen die Bemessung der milden Jugendstrafe und gegen die Strafaussetzung zur Bewährung zeigen durchgreifende Rechtsfehler des Urteils nicht auf. Eine erschöpfende Aufzählung aller Zumessungsgesichtspunkte kann vom Tatrichter nicht verlangt werden. Anhaltspunkte dafür, das Landgericht habe den Gesichtspunkt des Schuldausgleichs hier übersehen, ergeben sich aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht, namentlich da die Jugendkammer die "Gemeinheit" des Wohnungseinbruchs bei guten Bekannten ausdrücklich zur Feststellung der Schwere der Schuld herangezogen hat (UA S. 12).

Soweit die Staatsanwaltschaft es als widersprüchlich rügt, daß das Landgericht zur Begründung der Strafaussetzung zur Bewährung ausgeführt hat, die "Wirkung (dürfte) durch die Freiheitsentziehung als solche eintreten" (UA S. 12), so handelt es sich hier allenfalls um eine mißverständliche Formulierung. Schon im darauffolgenden Satz ist ausgeführt, dies gelte nur für den Fall, daß die Angeklagte die derzeitige positive Prognoseerwartung enttäusche. Auch die Ausführungen UA S. 13 zur Strafaussetzung belegen, daß die Rüge, das Landgericht habe die Vollstreckung "entgegen seiner Überzeugung" zur Bewährung ausgesetzt, der Grundlage entbehrt.

e) Die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Festsetzung einer Sperrfrist für die Neuerteilung gemäß §§ 69 , 69 a StGB können hier Bestand haben. Rechtlich bedenklich ist allerdings die von der Jugendkammer hierfür gegebene Begründung, wonach insbesondere der Erziehungsgedanke es erfordere, die Angeklagte davon abzuhalten, "jederzeit viele und schöne Autos zu fahren", da sie ihre Mobilität zur Begehung von Straftaten ausgenutzt habe (UA S. 13). Diese Erwägungen sind mit den Grundsätzen, welche im Beschluß des Großen Senats für Strafsachen vom 27. April 2005 - GSSt 2/04 - für die Voraussetzungen der Maßregelanordnung aufgestellt worden sind, nicht vereinbar (vgl. schon Senatsbeschluß NStZ 2004, 144 m.w.N.). Die insoweit ausreichenden Feststellungen zur Tatbegehung im Fall 1 ergeben aber noch hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die Bereitschaft der Angeklagten, Belange der Sicherheit des Straßenverkehrs ihren Interessen an der erfolgreichen Beendigung der von ihr begangenen Straftat unterzuordnen.

Vorinstanz: LG Marburg, vom 23.06.2004
Fundstellen
NStZ 2006, 455