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BGH - Entscheidung vom 22.09.2005

IX ZB 55/04

Normen:
InsO § 304

Fundstellen:
BB 2005, 2598
BGHReport 2006, 60
DB 2005, 2624
DStR 2005, 1996
DZWIR 2006, 81
GmbHR 2005, 1610
MDR 2006, 291
NJW 2006, 917
NZG 2005, 1005
NZI 2005, 676
Rpfleger 2006, 33
WM 2005, 2191
ZIP 2005, 2070
ZIV 2005, 598
ZInsO 2005, 1163

BGH, Beschluß vom 22.09.2005 - Aktenzeichen IX ZB 55/04

DRsp Nr. 2005/18617

Voraussetzungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens

»a) Der geschäftsführende Alleingesellschafter einer GmbH übt eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus.b) Forderungen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer, die gegen den Schuldner als ehemaligen geschäftsführenden Alleingesellschafter einer GmbH nach Grundsätzen der Durchgriffshaftung geltend gemacht werden, sind Forderungen aus Arbeitsverhältnissen im Sinne des § 304 InsO

Normenkette:

InsO § 304 ;

Gründe:

I. Der früher als geschäftsführender Alleingesellschafter der insolventen "L. GmbH" (im Folgenden: GmbH) tätige Beschwerdeführer beantragte die Einleitung eines Regelinsolvenzverfahrens, Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Er trug vor, seine sämtlichen Verbindlichkeiten - Inanspruchnahme aus Bürgschaften, Durchgriffshaftung für rückständige Sozialversicherungsbeiträge sowie rückständige Umsatz- und Lohnsteuer - gründeten in der genannten Tätigkeit. Es handele sich teilweise um Forderungen aus Arbeitsverhältnissen. Deshalb sei kein Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen.

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens und den Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren in vollem Umfang weiter.

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO , §§ 7 , 34 Abs. 1 InsO zulässig. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Die Vorinstanzen haben dem Antragsteller die beantragte Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens und die Stundung der Verfahrenskosten mit der Begründung versagt, gemäß § 304 InsO sei ein Verbraucherinsolvenzverfahren, nicht das beantragte Regelinsolvenzverfahren durchzuführen. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach § 304 Abs. 1 InsO ist das Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat (Satz 1). Hat der Schuldner eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt, gilt dies, wenn seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen (Satz 2).

1. Entgegen der Auffassung der Vordergerichte hat der Antragsteller als geschäftsführender Alleingesellschafter der GmbH eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt.

a) Eine solche Tätigkeit liegt grundsätzlich vor, wenn sie im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübt wird, also bei gewerblicher Tätigkeit, aber auch bei Ausübung freier Berufe, die kraft Gesetzes oder kraft Überlieferung nicht dem gewerblichen Bereich zugeordnet sind (MünchKomm-InsO/Ott, § 304 Rn. 46 f; FK-InsO/Kohte, InsO 3. Aufl. § 304 Rn. 6; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 304 Rn. 10; Fuchs ZInsO 1999, 185 ). Nicht selbständig beruflich tätig sind abhängig Beschäftigte und solche Personen, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind.

Persönlich haftende Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften werden dagegen mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebes Kaufleute (BGHZ 45, 282 , 284) und sind damit selbständig beruflich tätig, weil sie die eigentlichen Unternehmensträger sind (MünchKomm-InsO/Ott, § 304 Rn. 50; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 304 Rn. 12; HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl. § 304 Rn. 5; Fuchs NZI 2002, 239 , 240).

b) Gesellschafter von Kapitalgesellschaften und Geschäftsführer einer GmbH üben als solche grundsätzlich keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus (BGHZ 104, 95 , 98; MünchKomm-InsO/Ott, § 304 Rn. 49; Uhlenbruck/Vallender, aaO. § 304 Rn. 8, 13; FK-InsO/Kohte, aaO. § 304 Rn. 18). Nach einer Auffassung fallen sie deshalb immer unter das Verbraucherinsolvenzverfahren (Fuchs NZI 2002, 239 , 240).

Nach anderer Auffassung trifft dies aber dann nicht zu, wenn der Gesellschafter an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt ist (Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rz. 29.14; Uhlenbruck/Vallender, aaO. § 304 Rn. 13; Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO 2. Aufl. § 304 Rn. 28), jedenfalls aber dann, wenn er gleichzeitig als Geschäftsführer der Gesellschaft tätig war (HK-InsO/Landfermann, aaO. § 304 Rn. 5; Kübler/Prütting/Wenzel, aaO. § 304 Rn. 25; LG Köln ZIP 2004, 2249 ).

Der zuletzt genannten Auffassung ist im Ergebnis jedenfalls für den hier vorliegenden Fall zu folgen, dass der Alleingesellschafter einer GmbH zugleich deren Geschäftsführer war.

aa) Durch § 304 InsO in der bis 30. November 2001 geltenden Fassung hatte der Gesetzgeber Kleingewerbetreibende den Verbrauchern gleichgesetzt. In der insolvenzrechtlichen Praxis hatte sich aber gezeigt, dass die Abgrenzung dieser Kleingewerbetreibenden von anderen Unternehmern erhebliche Schwierigkeiten bereitete und sich insbesondere die Annahme als verfehlt erwies, bei einer geringfügigen selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit würden wie bei einem Verbraucher regelmäßig überschaubare Vermögensverhältnisse vorliegen (BT-Drucks. 14/5680 S. 13).

Ziel der Neufassung des § 304 InsO war es daher, aktive Kleinunternehmer und ehemalige Kleinunternehmer aus dem Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens grundsätzlich auszuschließen. Eine Ausnahme sollte lediglich gemacht werden für die Kleinunternehmer, deren Verschuldungsstruktur der von Verbrauchern im Wesentlichen entspricht. Das Ziel der Neufassung des hier anwendbaren § 304 InsO bestand darin, nur noch diejenigen Kleinunternehmer in das Verbraucherinsolvenzverfahren einzubeziehen, bei denen dessen Vorteile genutzt werden können. Das Gericht sollte künftig zügig ein Regelinsolvenzverfahren eröffnen können, wenn ihm keine Tatsachen bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner trotz seiner früheren unternehmerischen Tätigkeit ausnahmsweise dem Verbraucherinsolvenzverfahren zuzuordnen ist (BT-Drucks. 14/5680 S. 14, 30).

bb) Maßgebend für die Frage, ob die Insolvenz eines geschäftsführenden Alleingesellschafters einer GmbH im Verbraucherinsolvenzverfahren oder im Regelinsolvenzverfahren abzuwickeln ist, ist danach, ob seine Verschuldungsstruktur derjenigen eines Verbrauchers entspricht. Kann die zu beurteilende Tätigkeit zu einer Verschuldungsstruktur führen, die der eines Verbrauchers nicht entspricht, muss sie im Sinne des § 304 InsO dem Begriff der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit unterfallen.

Die Tätigkeit eines geschäftsführenden Alleingesellschafters einer GmbH ist in diesem Sinne als selbständige wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen. Er wird zwar nicht unmittelbar im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko tätig. Angesichts seiner Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft ist er aber wirtschaftlich betrachtet wie bei einer Tätigkeit im eigenen Namen betroffen. Dies zeigt sich typischerweise auch im Falle des Misserfolges. Der geschäftsführende Alleingesellschafter kann - wie im vorliegenden Fall - unter bestimmten Voraussetzungen aus Durchgriffshaftung in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus muss der geschäftsführende Alleingesellschafter in der Regel bei Kredit- und Lieferverträgen der Schuld der Gesellschaft beitreten oder eine Bürgschaft übernehmen. Der Gesellschafter haftet damit in grossem Umfang für Forderungen, welche typischerweise bei einem selbständigen Unternehmer, nicht aber bei einem Verbraucher bestehen. Das trifft insbesondere gegenüber öffentlichen Gläubigern für rückständige Lohn- und Umsatzsteuer und für rückständige Sozialversicherungsbeiträge zu. Um festzustellen, für welche Schulden der Gesellschaft der geschäftsführende Alleingesellschafter einzustehen hat, ist die Schuldensituation der Gesellschaft selbst maßgebend, die nur anhand der Unterlagen der Gesellschaft, insbesondere ihrer Buchhaltung, feststellbar ist.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann der geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH nicht schon deshalb wie ein Verbraucher behandelt werden, weil er nicht unmittelbar persönlich und in vollem Umfang für die Verbindlichkeit der GmbH haftet. Diese Frage betrifft lediglich die Ursache und den Umfang seiner Verschuldung, nicht deren Struktur. Soweit er für Gesellschaftsschulden einstehen muss, ist jedoch seine Haftung mit der eines Verbrauchers typischerweise nicht vergleichbar.

2. Maßgebend ist danach, ob im konkreten Fall die Vermögensverhältnisse überschaubar sind und keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen, § 304 Abs. 1 Satz 2 InsO .

a) Ein Verbraucherinsolvenzverfahren würde schon dann ausscheiden, wenn der Schuldner mehr als 19 Gläubiger hätte, § 304 Abs. 2 InsO . Dies ist indessen - entgegen der vom Schuldner im Verfahren der sofortigen Beschwerde vertretenen Auffassung - nicht der Fall. Der Antragsteller hat zwar im Gläubiger- und Forderungsverzeichnis 20 Positionen aufgeführt. Maßgebend ist aber nicht die Zahl der Forderungen, sondern die der Gläubiger (HK-InsO/Landfermann, aaO. § 304 Rn. 7). Vom Antragsteller werden nur 19 Gläubiger benannt.

b) Es bestehen aber Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, die ein Verbraucherinsolvenzverfahren ausschließen. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, er werde unter anderem im Wege der Durchgriffshaftung von Krankenversicherungen auf rückständige Sozialversicherungsbeiträge und vom Finanzamt auf rückständige Lohnsteuer in Anspruch genommen. Hierbei handelt es sich bei der gebotenen weiten Auslegung um Forderungen aus Arbeitsverhältnissen im Sinne des § 304 Abs. 1 Satz 2 InsO .

Der Begriff der "Forderung aus Arbeitsverhältnissen" wird unterschiedlich verstanden. Nach einer Auffassung stellen Forderungen der Sozialversicherungsträger und des Finanzamtes, die durch ein Arbeitsverhältnis veranlasst sind, keine Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift dar (HK-InsO/Landfermann, aaO. § 304 Rn. 10; FK-InsO/Kohte, aaO. § 304 Rn. 43; LG Düsseldorf ZInsO 2002, 637 ; LG Köln, NZI 2002, 505 ; LG Dresden ZVI 2004, 19 ).

Nach anderer Auffassung ist der Begriff weit auszulegen, so dass nicht nur zivilrechtliche Forderungen der Arbeitnehmer, sondern auch Forderungen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern erfasst werden (MünchKomm-InsO/Ott, § 304 Rn. 66; Hess/Weis/Wienberg, InsO -Änderungsgesetz 2001, § 304 Rn. 7; Kübler/Prütting/Wenzel, aaO. § 304 Rn. 16; Uhlenbruck/Vallender, aaO. § 304 Rn. 23; BMF-Schreiben vom 11. Januar 2002, ZVI 2002, 138 ; Graf-Schlicker WM 2000, 1984 , 1986; Pape ZVI 2002, 225 , 229; Fuchs NZI 2002, 239 , 241; Schmerbach ZVI 2002, 38 , 40; AG Dresden ZVI 2005, 50 ; LG Halle DZWiR 2003, 86).

Der zuletzt genannten Ansicht ist zu folgen. Sie entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der Regelung.

Die Anwendbarkeit des Verbraucherinsolvenzverfahrens sollte nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des § 304 InsO voraussetzen, dass bestehende Arbeitsverhältnisse vollständig abgewickelt sind und aus ihnen keine Verbindlichkeiten des Schuldners mehr bestehen (BT-Drucks. 14/5680 S. 30 linke Spalte). Dabei sollte der Terminus "Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen" weit verstanden werden, so dass nicht nur Forderungen der Arbeitnehmer selbst, sondern auch solche von Sozialversicherungsträgern und Finanzämtern hierunter fallen (BT-Drucks. 14/5680 S. 14 linke Spalte), beispielsweise auch gemäß § 187 SGB III auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangene Ansprüche (BT-Drucks. 14/5680 S. 30 linke Spalte). Der Bundesrat hatte sich dieser Sicht angeschlossen, aber gebeten, zur Vermeidung von Auslegungsproblemen den Gesetzestext ausdrücklich entsprechend zu ergänzen (Nr. 6 der Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 14/5680 S. 38). Dieser Anregung hatte sich die Bundesregierung angeschlossen (BT-Drucks. 14/5680 S. 41 zu Nr. 6). Dass die vom Bundesrat überarbeitete Formulierung nicht Gesetz geworden ist, beruht allein darauf, dass der Rechtsausschuss des Bundestages in seiner Beschlussempfehlung eine entsprechende Klarstellung nicht für erforderlich hielt, da sie sich bereits aus der Begründung des Regierungsentwurfs ergebe (BT-Drucks. 14/6468 S. 18 Nr. 7). Der Rechtsausschuss führte zwar weiter aus, in dem erweiterten Berichterstattergespräch hätte sich zumindest auch ein Sachverständiger gegen die Ergänzung ausgesprochen. Offen bleibt hier aber, aus welchen Gründen dies geschehen ist.

Alle am Verfahren beteiligten Gesetzgebungsorgane wollten somit den Terminus "Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen" weit verstanden wissen. Dies rechtfertigt es, den Rechtsbegriff in einem umfassenden Sinne auszulegen und auch öffentlich-rechtiche Forderungen einzubeziehen, die aus Arbeitsverhältnissen herrühren.

Unerheblich ist, ob es sich um Primäransprüche des Finanzamtes oder der gesetzlichen Krankenkasse gegen den Arbeitgeber handelt oder um einen Durchgriffsanspruch gegen den geschäftsführenden Alleingesellschafter. Maßgeblicher Grund dafür, solche Fälle aus dem Verbraucherinsolvenzverfahren herauszunehmen war der Umstand, dass sie sich wesentlich von Fällen des typischen Verbrauchers unterscheiden (BT-Drucks. 14/5680 S. 14). Dies ist bei Durchgriffshaftungsfällen nicht anders.

Hinweise:

Anmerkung Harald Heinze DZWIR 2006, 81

Vorinstanz: LG Mainz, vom 27.01.2004
Vorinstanz: AG Worms, vom 10.09.2003
Fundstellen
BB 2005, 2598
BGHReport 2006, 60
DB 2005, 2624
DStR 2005, 1996
DZWIR 2006, 81
GmbHR 2005, 1610
MDR 2006, 291
NJW 2006, 917
NZG 2005, 1005
NZI 2005, 676
Rpfleger 2006, 33
WM 2005, 2191
ZIP 2005, 2070
ZIV 2005, 598
ZInsO 2005, 1163