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BGH - Entscheidung vom 03.08.2005

2 StR 75/05

Normen:
StGB § 212 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ 2006, 36

BGH, Urteil vom 03.08.2005 - Aktenzeichen 2 StR 75/05

DRsp Nr. 2005/13142

Tötungsvorsatz bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen - hier: Verabreichen von überdosierten Medikamenten

Bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen liegt die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes nahe (hier allerdings verneint für die Verabreichung von überdosierten Schmerzmitteln an ein Kleinkind über einen längeren Zeitraum).

Normenkette:

StGB § 212 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist unbegründet.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verabreichte die Angeklagte ihrer am 17. Juli 2001 geborenen Tochter über einen längeren Zeitraum im Herbst 2001 erhebliche, sich steigernde Dosen des opiatähnlichen Schmerzmittels Tramadol, um den Säugling ruhig zu stellen. Sie tat dies, weil sie aufgrund ihrer eigenen massiven Abhängigkeit von dem Medikament, die zu körperlichem Verfall und Verwahrlosung geführt hatte, mit der Versorgung des Kindes überfordert war. Die suchterzeugende, lebensgefährdende Wirkung des Medikaments für den wenige Monate alten Säugling war der Angeklagten bekannt. Ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Mitangeklagten G., offenbarte die Angeklagte Ende Oktober 2001, daß sie einmal zehn Tropfen Tramadol in die von dem Mitangeklagten zubereitete Babynahrung gemischt und das Kind damit gefüttert habe. Auf nachdrückliche Vorwürfe des Mitangeklagten, der sie auf die Gefährlichkeit hinwies und ihr die Warnhinweise des Beipackzettels zeigte, versprach sie, dies nicht zu wiederholen. Tatsächlich verabreichte die Angeklagte dem Säugling auch weiterhin hohe Dosen des Mittels. Das Kind verstarb am 17. November 2001 an einer Atemlähmung aufgrund einer Tramadol-Intoxikation von 61,3 Milligramm pro Liter Blut; die letale Dosis liegt bei 2 bis 9,5 Milligramm pro Liter Blut. Nachdem zunächst ein natürlicher Tod angenommen worden war, wurde die Tat erst ein Jahr später aufgrund einer Selbstanzeige des Mitangeklagten aufgedeckt. Das Landgericht hat einen Verletzungsvorsatz der Angeklagten sowie Fahrlässigkeit hinsichtlich des Todeseintritts bejaht, einen Tötungsvorsatz der Angeklagten, deren Steuerungsfähigkeit aufgrund der Auswirkungen ihrer massiven Abhängigkeit im Tatzeitraum möglicherweise dauerhaft erheblich vermindert war, aber nicht festgestellt.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Verneinung zumindest bedingten Tötungsvorsatzes wendet, ist unbegründet.

a) Das Landgericht hat zutreffend gesehen, daß sich aus der Verabreichung extrem hoher Mengen Tramadol hier Anhaltspunkte für das Vorliegen von Tötungsvorsatz ergeben, weil bei Vornahme besonders gefährlicher Handlungen die Annahme nahe liegt, der Täter habe den als möglich erkannten Todeseintritt jedenfalls billigend in Kauf genommen. Als gegen bedingten Tötungsvorsatz sprechenden Umstand hat das Landgericht - neben dem allgemeinen Gesichtspunkt einer hohen Hemmschwelle - insbesondere gewürdigt, daß die Angeklagte dem Kind über einen längeren Zeitraum regelmäßig hohe Dosen des Medikaments verabreichte, so daß ein Gewöhnungseffekt eingetreten sei und die Angeklagte subjektiv den Eindruck habe gewinnen können, daß die Tramadol-Verabreichung für das Kind nicht tödlich sei (UA S. 22). Hierfür spreche auch, daß bei den kinderärztlichen Untersuchungen des Kindes, zuletzt eine Woche vor dessen Tod, Auffälligkeiten nicht festgestellt wurden. Schließlich hat das Landgericht auch berücksichtigt, daß die Angeklagte, die im Tatzeitraum täglich 1.500 Tropfen Tramadol einnahm, in abgemagertem und körperlich stark verwahrlostem Zustand die meiste Zeit des Tages in einem Dämmerzustand auf dem Bett verbrachte, nach Darlegung des Sachverständigen "die Dinge wie durch einen Nebel wahrnahm", in ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit möglicherweise so beeinträchtigt war, daß sie trotz der erkannten Gefährlichkeit auf einen guten Ausgang vertraute (UA S. 22).

b) Die Einwendungen der Revision gegen diese Beweiswürdigung decken durchgreifende Rechtsfehler nicht auf. Die Schlußfolgerungen, welche der sachverständig beratene Tatrichter gezogen hat, sind möglich und jedenfalls nicht fernliegend; Fehlgewichtungen der Beweisanzeichen oder andere naheliegende Schlußfolgerungen, welche vom Landgericht übersehen wurden, zeigt die Revision nicht auf. Soweit die Revisionsführerin auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Annahme bedingten Tötungsvorsatzes bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen verweist (vgl. dazu Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 212 Rdn. 7 ff. mit zahlreichen Nachw.), hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß nach den auf die toxikologischen Untersuchungen gestützten Feststellungen hier gerade nicht eine einmalige Gewalthandlung vorlag, sondern daß die Angeklagte die Verabreichung des Medikaments - ersichtlich unter Steigerung der Dosis, was zu einem Gewöhnungseffekt und zur Erhöhung der Toleranzgrenze bei dem Kind führte - über einen längeren Zeitraum regelmäßig fortsetzte, ohne daß gravierende Gesundheitsschäden erkennbar wurden. Bei einem solchen Ablauf drängt sich die naheliegende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs nicht im selben Maße auf.

Daß auch ein anderes Ergebnis der Beweiswürdigung möglich gewesen wäre, reicht zur Annahme eines durchgreifenden Rechtsfehlers nicht aus. Die Revision war daher zu verwerfen.

Vorinstanz: LG Hanau, vom 09.09.2004
Fundstellen
NStZ 2006, 36