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BGH - Entscheidung vom 15.03.2005

3 StR 5/05

Normen:
StGB § 13 Abs. 1 § 27 Abs. 1 § 212 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 15.03.2005 - Aktenzeichen 3 StR 5/05

DRsp Nr. 2005/6706

Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen

Eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen setzt voraus, dass das Opfer im Zeitpunkt des möglichen Eingreifens noch lebte.

Normenkette:

StGB § 13 Abs. 1 § 27 Abs. 1 § 212 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen des wegen Totschlags verurteilten Haupttäters, des gesondert verfolgten S. und der vier - jeweils wegen Totschlags in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge verurteilten - Mitangeklagten hat der Senat durch Beschluß vom heutigen Tage verworfen.

I. Nach den Feststellungen hatte der Heroinhändler S. Streit mit einem seiner Abnehmer, dem späteren Tatopfer W.. Er kam mit den übrigen Tatbeteiligten überein, diesen an einen geeigneten Ort zu entführen und zu verprügeln. Der Geschädigte wurde gefesselt, an einen Waldteich verbracht und dort geschlagen. Danach entschloß sich S. zur Tötung seines Widersachers. Er warf ihn mit Hilfe eines anderen in den flachen Teich und forderte die Anwesenden auf, W. mit Dachziegeln zu bewerfen. Die meisten von ihnen kamen dem nach, wobei sie dessen Tod billigend in Kauf nahmen. Dieser trat entweder als Folge der Steinigung oder des anschließenden Vergrabens des in regungslosem Zustand aus dem Wasser geholten Opfers ein.

Der Angeklagte St. hat sich nur am ersten Teil des Geschehens (Verschleppen zur Erteilung einer "Lektion"), nicht aber an dem später zum Tod des Opfers führenden Geschehen (ins Wasser werfen, Steinigung und Vergraben) aktiv beteiligt. Er hat sich dahin eingelassen, im nahen Wald beim Austreten gewesen und erst an den Teich zurückgekehrt zu sein, als W. bereits tot im Wasser gelegen habe.

Die Jugendkammer hat ihn gleichwohl neben Freiheitsberaubung mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung auch wegen Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen verurteilt, weil das Austreten nur kurze Zeit gedauert haben könne und er zu einem Zeitpunkt zurückgekehrt sei, als das Opfer sich noch im Wasser bewegt habe; in dieser Situation hätte er ihn aus dem Wasser holen und retten müssen.

II. Der Schuldspruch wegen Beihilfe zum Totschlag hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dabei kann offenbleiben, ob es dem Angeklagten St. in einer solchen Situation möglich und zumutbar gewesen wäre, dem verbrecherischen Tun der übrigen Beteiligten Einhalt zu gebieten und W. zu retten, da jedenfalls die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte St. sei zu einem Zeitpunkt an den Teich zurückgekehrt, als W. sich noch im Wasser bewegte, nicht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht.

Die Jugendkammer hat dazu ausgeführt, daß einerseits das - zeitlich nicht einordenbare - "Austreten" nicht länger als ein bis zwei Minuten gedauert haben könne, aber andererseits der Zeitraum vom Holen des Opfers aus dem PKW, Verprügeln, Heroin verteilen und konsumieren, ins Wasser werfen und dem Bewerfen mit ca. 25 Dachziegeln deutlich mehr als ein bis zwei Minuten beansprucht habe (UA S. 31).

Es ist bereits nicht ausreichend dargelegt, weshalb das "Austreten" beim Aufsuchen eines Waldstücks in 20 bis 30 Meter Entfernung in höchstens zwei Minuten beendet war. Jedenfalls durfte aber das Landgericht nicht aus einem Vergleich dieser Zeitspanne mit der Zeitdauer vom Beginn bis zum Ende des Gesamtgeschehens (Holen aus dem PKW bis zum letzten Ziegelwurf) den Schluß ziehen, der Angeklagte St. habe das Opfer noch rechtzeitig retten können. Denn ein Anlaß zum Eingreifen, um der aus seiner Sicht eingetretenen Eskalation entgegenzutreten, bestand erst ab dem Zeitpunkt, zu dem W. in das Wasser verbracht worden war und das Werfen von Ziegeln begonnen hatte. Weiterhin bestand für ihn allenfalls so lange eine erkennbare Chance, den Geschädigten zu retten, als dieser sich noch bewegte. Dieser maßgebliche Zeitraum wurde indes nicht festgestellt. Nur wenn diese Zeitspanne deutlich länger als die des "Austretens" gewesen wäre, hätte die Jugendkammer davon ausgehen dürfen, daß der Angeklagte zu einem Zeitpunkt am Teich anwesend war, zu dem das sich noch bewegende Tatopfer beworfen worden ist.

Dabei sind auch die weiteren Erwägungen des Landgerichts nicht aussagekräftig:

Soweit es darauf abstellt, das Werfen von 25 Dachziegeln hätte einen "längeren Zeitraum" beansprucht (UA S. 31), läßt es außer Acht, daß auch dann noch geworfen wurde, als das Opfer bereits "regungslos auf dem Wasser trieb" (UA S. 12). Daraus ergibt sich, daß es bereits vor dem Ende des Werfens kein Lebenszeichen mehr von sich gab, was den maßgeblichen Zeitraum weiter verkürzt. Im übrigen ist das Argument auch deswegen wenig ergiebig, da bei insgesamt sieben Beteiligten jeder durchschnittlich weniger als vier Ziegel geworfen hatte.

Soweit die Jugendkammer aus dem Umstand, daß der Mitangeklagte B. ebenfalls zum "Austreten" weggegangen war, aber dann das Werfen der Ziegel beobachtet hat, folgert, daß auch der Angeklagte St. rechtzeitig zurückgewesen sein müsse, ist dies nicht überzeugend. Denn sie konnte nicht feststellen, daß beide im gleichen Zeitraum zum "Austreten" gegangen waren.

III. Diese Mängel der Beweiswürdigung führen zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, da die an sich rechtsfehlerfrei festgestellten Tatbestände der Freiheitsberaubung mit Todesfolge und der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit abgeurteilt worden sind (Kuckein in KK 5. Aufl. § 353 Rdn. 12 m. w. N.). Der Senat kann den Schuldspruch auch nicht auf diese verbleibenden Delikte umstellen, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß in einer neuerlichen Hauptverhandlung andere Feststellungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten St. getroffen werden können.

Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 19.12.2003