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BSG - Entscheidung vom 07.05.2009

B 14 AS 3/09 B

Normen:
SGB II § 22 Abs. 1 S. 1
SGB II § 40 Abs. 1 S. 1
SGB II § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
SGB III § 330 Abs. 1
SGB X § 44
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 07.05.2009 - Aktenzeichen B 14 AS 3/09 B

DRsp Nr. 2009/14978

Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Anwendbarkeit des § 44 SGB X bei der Aufhebung von Bewilligungsbescheiden

§ 44 SGB X ist auch Rechtsgrundlage für die Überprüfung von Bescheiden hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung] _

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Normenkette:

SGB II § 22 Abs. 1 S. 1; SGB II § 40 Abs. 1 S. 1; SGB II § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGB III § 330 Abs. 1 ; SGB X § 44 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Streitig ist, ob die Klägerinnen im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ( SGB X ) höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhalten können.

Die 1967 geborene Klägerin zu 1 und ihre 2000 geborene Tochter, die Klägerin zu 2, bezogen unter anderem vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dabei erkannte die Beklagte eine Kaltmiete in Höhe von 317,84 Euro sowie Heizkosten in Höhe von 69 Euro als angemessen an und zog von diesen Kosten (386,84 Euro) 13 Euro monatlich als Kosten für die Warmwasserbereitung ab. Nach Berücksichtigung von Einkommen bewilligte sie den Klägerinnen monatliche Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 275,82 Euro monatlich (Bewilligungsbescheid vom 26. Juli 2005).

Am 31. Mai 2006 beantragte die Klägerin zu 1 die Überprüfung dieses Bescheides nach § 44 SGB X . Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei es mit dem Grundsatz des Sozialhilferechts nicht vereinbar, bestandskräftige Bescheide rückwirkend für die Vergangenheit zurückzunehmen (Bescheid vom 26. Juli 2006; Widerspruchsbescheid vom 27. März 2007).

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Heilbronn ( SG ) hatten die Klägerinnen Erfolg (Urteil vom 6. November 2007). Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 26. Juli 2005 dem Grunde nach verurteilt, den Klägerinnen höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 zu gewähren. Die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. In seinem Urteil vom 9. Dezember 2008 hat es zur Begründung ausgeführt: Ungeachtet dessen, ob und welche im Sozialhilferecht geltenden Strukturprinzipien auch für das SGB II gültig seien, ergebe sich die Anwendbarkeit des § 44 SGB X unmittelbar aus § 40 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB II. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in einem Urteil vom 19. März 2008 (SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 20) keine Veranlassung gesehen, hierzu weitere Ausführungen zu machen. Auch der für die Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes ( AsylbLG ) zuständige Senat habe es in seinen Entscheidungen als selbstverständlich vorausgesetzt, dass § 44 SGB X für Leistungsbezieher nach dem SGB II über § 40 SGB II Anwendung finde (BSG, Urteil vom 26. August 2008 - B 8 SO 26/07 R - juris RdNr 21). Im Übrigen habe dieser Senat in einer Entscheidung zu § 9 AsylbLG ausgeführt, dass sog Strukturprinzipien nicht dazu genutzt werden könnten, explizite gesetzliche Regelungen (hier § 9 Abs 3 AsylbLG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26. Mai 1997, BGBl I 1130) in ihr Gegenteil zu kehren (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 5/07 R). Im Übrigen sei der erkennende Senat (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 5/07 R und Urteil vom 26. August 2008 - B 8 SO 26/07 R) der Auffassung, dass im Rahmen der Anwendung des § 44 SGB X im Bereich des SGB II - anders als bei der Anwendung des § 44 SGB X in anderen Bereichen - zu beachten sei, dass, selbst wenn frühere Leistungsablehnungen rechtswidrig gewesen sein sollten, eine Rücknahme dieser Bescheide insoweit nicht mehr möglich ist, als aktuell ein Bedarf nicht mehr bestehe. Ein solcher einschränkender Sachverhalt liege hier aber nicht vor. Nach den Maßstäben des § 44 SGB X sei die Beklagte damit verpflichtet, den ursprünglichen Bewilligungsbescheid teilweise zurückzunehmen und den Klägerinnen höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren. Der von ihr vorgenommene Abzug der Warmwasserpauschale habe nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen, zudem sei die Zuordnung des Einkommens der Klägerin zu 1 unzutreffend erfolgt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde und macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Entscheidung des LSG beruhe auf der Rechtsfrage, ob § 44 SGB X auch im Bereich des SGB II, dort hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung, Anwendung finde. Diese Rechtsfrage sei klärungsbedürftig, denn sie sei bislang weder vom BSG noch von den Tatsachengerichten entschieden worden. Mit dem Urteil des BSG vom 26. August 2008 (B 8 SO 26/07 R) sei die Reichweite der Anwendung des § 44 SGB X nicht geklärt. Die Argumentation, mit der das BSG abweichend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) von der Anwendbarkeit des § 44 SGB X auch im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ausgegangen sei, sei auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nicht übertragbar, da im Rahmen des § 22 SGB II nicht Pauschalen gewährt, sondern Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht würden. Bei Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung handele es sich um einen abtrennbaren selbstständigen Anspruch, sodass sich die Frage stelle, ob die Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Bereich des SGB II auf die Regelleistung zu beschränken sei. Die Rechtsfrage habe über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung. Sie sei im vorliegenden Rechtsstreit auch klärungsfähig, weil entscheidungserheblich: Gehe man mit der Beklagten davon aus, dass § 44 SGB X keine Anwendung finde, hätten die Klägerinnen keine weiteren Ansprüche für den streitgegenständlichen Zeitraum.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die von der Beklagten formulierte Rechtsfrage, ob § 44 SGB X auch in Bezug auf die Bewilligung von Leistungen der Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II Anwendung findet, ist nicht klärungsbedürftig im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG .

Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben, wenn die Antwort auf eine Rechtsfrage so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder praktisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4; SozR 4-1500 § 160a Nr 7). Dies ist vorliegend der Fall. Die Anwendbarkeit des § 44 SGB X auf Verfahren wegen Leistungen nach dem SGB II ergibt sich aus § 40 Abs 1 SGB II, wie es das LSG im Einzelnen überzeugend dargelegt hat. Dem Gesetz ist mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen, dass der Gesetzgeber entgegen der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 58, 68 , 69; 60, 236, 238; 68, 285, 289) kein über § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch dem § 44 SGB X generell vorgehendes normatives Strukturprinzip ("keine Leistungen für die Vergangenheit"; Bedarfsdeckungsgrundsatz; Aktualitätsprinzip) anerkennt. Auch soweit die Leistungen nicht als Pauschalen gewährt werden, ist damit die Anwendbarkeit des § 44 SGB X - abgesehen von der Modifikation in § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - nicht ausgeschlossen. Dieser eindeutigen Gesetzeslage entsprechend hat das BSG bereits entschieden, dass § 44 SGB X (auch) Rechtsgrundlage für die Überprüfung von Bescheiden hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung ist (SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 20). Abweichende Auffassungen der Landessozialgerichte, die eine weitergehende Klärung erforderlich machen könnten, sind nicht ersichtlich. Schließlich wird die Ansicht der Beklagten, die Anwendbarkeit des § 44 SGB X scheide für die Überprüfung eines Bescheides aus, soweit er die Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung betrifft, auch in der Literatur nicht vertreten.

Die Beklagte hat sich mit den weiteren Ausführungen des LSG, bei Prüfung des § 44 SGB X seien wie im Sozialhilferecht Besonderheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu berücksichtigen, die vorliegend aber nicht zu einem für die Beklagte günstigen Ergebnis führten, nicht auseinandergesetzt und klärungsbedürftige Rechtsfragen hierzu nicht formuliert.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 09.12.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 13 AS 810/08
Vorinstanz: SG Heilbronn, - Vorinstanzaktenzeichen 7 AS 1589/07