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BGH - Entscheidung vom 20.02.2024

VIa ZR 1117/22

Normen:
BGB § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1
EG-FGV § 27 Abs. 1

BGH, Urteil vom 20.02.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 1117/22

DRsp Nr. 2024/4600

Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 19. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 826 ; EG-FGV § 6 Abs. 1; EG-FGV § 27 Abs. 1;

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin erwarb am 12. April 2017 für 38.649 € ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW 520d xDrive, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe B47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung, mit der die Klägerin im Wesentlichen an ihrem Begehren festgehalten hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge wegen Schadensersatz nebst Zinsen, wegen des Annahmeverzugs und wegen Rechtsverfolgungskosten weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klägerin habe weder die Voraussetzungen eines sittenwidrigen Verhaltens noch eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten im Sinne des § 826 BGB schlüssig dargelegt. So habe die Klägerin eine grundlegende strategische Entscheidung der Beklagten im eigenen Kosten- und Gewinninteresse, die unmittelbar auf eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörde oder der Klägerin als Fahrzeugerwerberin abziele, nicht vorgetragen. Sie zeige auch mit der Berufung ein entsprechendes Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht auf. Insbesondere genüge die Verwendung eines Thermofensters hierfür nicht. Denn darin liege keine prüfstandsbezogene, unzulässige Abschalteinrichtung. Soweit die Klägerin in Bezug auf weitere Abschalteinrichtungen einen Prüfstandsbezug behaupte, sei ihr Vorbringen vor dem Hintergrund des Bestreitens der Beklagten nicht schlüssig. Es sei nicht ersichtlich, dass solche Einrichtungen in dem Bewusstsein verwendet worden seien, hiermit möglicherweise gegen gesetzliche Bestimmungen zu verstoßen. Ebenso fehle es an Vortrag der Klägerin zu einem Schädigungsvorsatz der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten im Sinne des § 31 BGB . Allein aus den vorgetragenen Umständen könne dieser nicht geschlossen werden.

Einen Anspruch könne die Klägerin auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Denn - neben der nicht schlüssigen Darlegung des erforderlichen subjektiven Tatbestands - fehle es schon am Schutzgesetzcharakter der zuletzt genannten Bestimmungen.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826 , 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

3. Ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann - entgegen der im Hinweisbeschluss zum Ausdruck kommenden Auffassung des Berufungsgerichts - auch nicht wegen mangelnder Darlegungen der Klägerin zum Verschulden der Beklagten verneint werden. Bezüglich des Verschuldens greift vielmehr zunächst eine Vermutung zugunsten der Klägerin ein und obliegt dem Fahrzeughersteller die Entlastung. Auch die insofern anzuwendenden Maßstäbe hat der Senat nach Erlass der angefochtenen Berufungsentscheidung geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 ff.; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.).

III.

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im beantragten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 20. Februar 2024

Vorinstanz: LG Augsburg, vom 24.02.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 65 O 3562/21
Vorinstanz: OLG München, vom 19.07.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 27 U 1477/22