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BVerwG - Entscheidung vom 10.11.2022

4 CN 1.21

Normen:
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 15, 22, 25
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 15 und Nr. 22 und Nr. 25
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 15 und Nr. 22 und Nr. 25

Fundstellen:
BauR 2023, 896
D_V 2023, 485
NVwZ 2023, 840
ZfBR 2023, 377

BVerwG, Urteil vom 10.11.2022 - Aktenzeichen 4 CN 1.21

DRsp Nr. 2023/2901

Überwiegend fremdnützige Nutzung von Flächen; Private Grünfläche für den gemeinschaftlichen Gebrauch

Flächen, die überwiegend fremdnützig genutzt werden sollen, sind keine privaten Grünflächen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB .

Tenor

Die Revisionen der Antragsgegnerin gegen die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Oktober 2019 werden zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Normenkette:

BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 15 und Nr. 22 und Nr. 25 ;

Gründe

I

Die Antragsteller wenden sich als (Mit-)Eigentümer überplanter Grundstücke gegen den Bebauungsplan Nr. 77 "Christl-Cranz-Straße, Carl-Diem-Straße, Sepp-Manger-Straße".

Der Bebauungsplan überplant auf einer Fläche von ca. 4,5 ha eine in den 1970er Jahren entstandene Wohnanlage, die heute ca. 630 Wohneinheiten mit insgesamt rund 1 550 Bewohnern umfasst. Ziel der Planung ist die Einrichtung, Neuordnung und Sicherung von Flächen für Kinderspielplätze, der Erhalt und die Entwicklung der vorhandenen Grün- und Freiflächen sowie die Sicherung eines durchlässigen Wegenetzes für die Bewohner und die Allgemeinheit. Hierzu weist der Bebauungsplan u. a. drei Spielplätze als Gemeinschaftsanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB aus. Für eine Vielzahl von Flächen trifft er die Festsetzung "private Grünfläche zur gemeinschaftlichen Nutzung, mit Pflanzbindungen und -geboten'' nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 und 25 BauGB . Nach der textlichen Festsetzung Nr. 2.1.2 sind Einfriedungen in den privaten Grünflächen zur gemeinschaftlichen Nutzung nicht zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bebauungsplan für unwirksam erklärt. Zum einen fehle der Festsetzung zur Sicherung der gemeinschaftlichen Spielplätze "erforderlichenfalls" durch Anordnung von Dienstbarkeiten in der textlichen Festsetzung Nr. 1.3.7 eine gesetzliche Rechtsgrundlage. Zum anderen könne die Antragsgegnerin durch die Festsetzung "private Grünfläche zur gemeinschaftlichen Nutzung" ihr wesentliches Planungsziel nicht erreichen. Die angestrebte gemeinschaftliche Nutzung der Fläche zur Sicherung einer Aufenthaltsmöglichkeit im Freien könne nur mit einer Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB erreicht werden. Dann stehe jedoch die Ausweisung der Grünfläche als "privat" entgegen.

Die Revisionen machten geltend, bei der textlichen Festsetzung Nr. 1.3.7 handle es sich um einen informatorischen Hinweis, der nicht der Aufhebung unterliege. Die Grünflächen könnten als private Grünflächen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB zugleich eine Gemeinschaftsanlage nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB darstellen; die Voraussetzungen dafür lägen vor.

Die Antragsteller verteidigen das angefochtene Urteil.

II

Die Revisionen sind nicht begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bebauungsplan im Einklang mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO ) für unwirksam erklärt.

1. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, die Antragsgegnerin könnte ihr wesentliches Planungsziel mit der isolierten Festsetzung von privaten Grünflächen zur gemeinschaftlichen Nutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB nicht erreichen. Das steht mit Bundesrecht in Einklang.

Wesentliches Planungsziel ist es, die Grünflächen allen Bewohnern der Wohnanlage für den Aufenthalt im Freien - in Wohnungsnähe und innerhalb des eigenen Quartiers - zu sichern und eine gemeinschaftliche Nutzung dieser Flächen zu ermöglichen. Dieser Nutzungszweck stellt sich vorliegend als überwiegend fremdnützig dar und lässt die isolierte Festsetzung einer privaten Grünfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB daher nicht zu.

Ob eine Grünfläche als öffentliche oder private festzusetzen ist, beurteilt sich nach dem Nutzungszweck, den sie erfüllen soll. Dabei kann in der Regel auf den vorgesehenen Benutzerkreis abgestellt werden. Soll eine Grünfläche der Öffentlichkeit zugänglich sein, ist sie als öffentliche Grünfläche auszuweisen. Soll die Grünfläche der privaten Nutzung vorbehalten bleiben, ist sie als private festzusetzen (BVerwG, Urteil vom 30. August 2001 - 4 CN 9.00 - BVerwGE 115, 77 <87>). Begriffliche Voraussetzung der Festsetzung einer Grünfläche als privat ist indes auch bei eingeschränktem Benutzerkreis, dass der Nutzungszweck sich nicht als überwiegend oder ausschließlich fremdnützig erweist, sondern die Nutzung der Fläche im Schwerpunkt den Eigentümern zugeordnet bleibt. Für die anzustellende wertende Betrachtung wird es regelmäßig darauf ankommen, wie konkret der Nutzerkreis bestimmt ist, welchen Bezug er zu den Grundstücken aufweist und ob der Nutzerkreis rechtlich organisiert ist (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 30. August 2001 - 4 CN 9.00 - a. a. O.).

Nach der Konzeption des angegriffenen Bebauungsplans sollen die von den jeweiligen Eigentümern zu unterhaltenden - und nach § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB zu bepflanzenden - Grünflächen sämtlichen Bewohnern und Besuchern des Plangebiets zur Verfügung stehen und von diesen betreten werden dürfen. Angesichts eines Nutzerkreises von über 1 500 Personen, die keinen erkennbaren Bezug zu den einzelnen Grundstücken haben, erweist sich der Nutzungszweck als überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich fremdnützig. Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, wie zumindest die Beschränkung auf diesen sehr großen Nutzerkreis angesichts der Einfriedungsverbote umgesetzt werden soll.

2. Der Verwaltungsgerichtshof geht im Ergebnis zutreffend davon aus, dass sich die Festsetzung nicht als kombinierte Festsetzung privater Grünflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB und einer Gemeinschaftsanlage nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB aufrechterhalten lässt.

Zwar schließt das Baugesetzbuch Kombinationen oder Überlagerungen verschiedener Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB nicht aus, sofern die Festsetzungen miteinander vereinbar sind (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2014 - 4 CN 4.13 - BVerwGE 150, 101 Rn. 11) und die jeweils im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmale vorliegen (BVerwG, Beschluss vom 2. April 2008 - 4 BN 6.08 - BRS 73 Nr. 20 Rn. 3). Ein Bebauungsplan kann dabei auch die Festsetzung einer privaten Grünfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB mit der Festsetzung einer Gemeinschaftsanlage nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB kombinieren. Denn für Gemeinschaftsanlagen ist gerade der Bezug auf bestimmte Grundstücke und damit auf einen überschaubar abgegrenzten Benutzerkreis charakteristisch (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Februar 1989 - 4 B 15.89 - Buchholz 406.11 § 9 BBauG/BauGB Nr. 35 S. 30 f. und vom 2. April 2008 - 4 BN 6.08 - a. a. O.). Sollte der Verwaltungsgerichtshof dahin zu verstehen sein, dass die Festsetzung einer Grünfläche als "privat" der Festsetzung einer Gemeinschaftsanlage von vornherein entgegensteht, wäre dieser Rechtssatz nicht mit Bundesrecht vereinbar.

Ein Verständnis als überlagernde Festsetzung von § 9 Abs. 1 Nr. 15 und 22 BauGB scheidet aber aus, weil die Antragsgegnerin die Festsetzung der Grünflächen als Gemeinschaftsanlage nicht in ihren planerischen Willen aufgenommen hat. In dem Bebauungsplan werden ausdrücklich verschiedene Flächen für Gemeinschaftsanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB festgesetzt, nämlich Spielplätze, Tiefgaragen und Stellplätze. Für die privaten Grünflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB fehlt eine solche Festsetzung. Nur hinsichtlich der festgesetzten Gemeinschaftsanlagen hat die Antragsgegnerin auch festgelegt, welchen Grundstücken sie zu dienen bestimmt sind und wie ihre Herstellung gesichert werden kann. Die mündliche Verhandlung vor dem Senat hat bestätigt, dass Gegenstand der Planung keine von sämtlichen Eigentümern gemeinschaftlich herzustellende und zu unterhaltende Grünfläche war, sondern eine Vielzahl einzelner Grünflächen festgesetzt werden sollten, die in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Eigentümer verbleiben und lediglich zur gemeinschaftlichen Nutzung freigegeben werden sollten.

3. Die Unwirksamkeit der Festsetzung führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Erweisen sich einzelne Festsetzungen als mangelhaft, kann der Bebauungsplan aufrecht erhalten werden, wenn die verbleibenden Regelungen, Maßnahmen oder Festsetzungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2022 - 4 CN 5.20 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 43 Rn. 16 m. w. N.). Die Festsetzung der Grünflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB stellt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs eine zentrale Frage der Gesamtplanung dar und steht mit dem Bebauungsplan in untrennbarem Zusammenhang, so dass nicht anzunehmen sei, dass die Antragsgegnerin eine Satzung eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte. An diese Auslegung des nicht revisiblen Ortsrechts ist der Senat gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO .

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf jeweils 20 000 € vor der Verbindung und auf 40 000 € nach der Verbindung festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 , § 39 Abs. 1 GKG ).

Verkündet am 10. November 2022

Vorinstanz: VGH Bayern, vom 17.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 N 17.1142
Vorinstanz: VGH Bayern, vom 17.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 N 16.2353
Fundstellen
BauR 2023, 896
D_V 2023, 485
NVwZ 2023, 840
ZfBR 2023, 377