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BVerwG - Entscheidung vom 21.01.2020

1 B 65.19

Normen:
EMRK Art. 8
AEUV Art. 20
VwGO § 86 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 21.01.2020 - Aktenzeichen 1 B 65.19

DRsp Nr. 2020/4019

Das Zusammenleben eines Ausländers in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Kind steht für sich genommen seiner Ausweisung nicht entgegen; Kein unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Interessen im Zusammenhang mit der Ausweisung eines Ausländers; Kein Verfahrensfehler durch Ablehnung eines förmlichen Beweisantrags

1. Der Umstand, dass ein Ausländer in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Kind lebt, steht für sich genommen seiner Ausweisung nicht entgegen.2. Auch wenn ein Ausländer tatsächlich für ein Kleinkind sorgt und zwischen dem Ausländer und dem Kind ein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind bei Ausweisung des Elternteils zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe, darf unter außergewöhnlichen Umständen ein Mitgliedstaat eine Ausweisungsverfügung erlassen, sofern sie auf dem persönlichen Verhalten des Drittstaatsangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des Mitgliedstaats berührt, und die verschiedenen einander gegenüberstehenden Interessen berücksichtigt werden.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Normenkette:

EMRK Art. 8 ; AEUV Art. 20 ; VwGO § 86 Abs. 2 ;

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

I. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) zuzulassen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 1 VwGO , wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris und vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 8).

1. Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob

"wenn, wie vorliegend, das Bestehen und Gelebt werden einer familiären Beziehung positiv festgestellt ist -, die vorgenommene Zweiteilung des Gerichts in 1. Feststellung einer Vater-Kind-Beziehung und 2. Kindeswohlgefährdung nicht eine künstliche unsachgerechte Trennung einer nur einheitlich zu beantwortenden, nicht zu trennenden Frage ist"

bzw. "ob das positiv festgestellte Bestehen einer Vater-Kind-Beziehung bei Wegfall des Vaters nicht stets - außer bei Vorliegen gegenteiliger Umstände - mit einer Kindeswohlgefährdung aufgrund der eigenständigen Wichtigkeit des Vaters für das Kind einhergeht",

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.

Soweit die Beschwerde damit (unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung) geklärt wissen möchte, ob die Ausweisung eines Ausländers schon immer dann das Kindeswohl gefährdet, wenn dieser in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Kind lebt, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine - revisionsgerichtlicher Klärung nicht zugängliche - Tatsachen(würdigungs)frage. Sollte die Frage hingegen ergebnisbezogen auf die Klärung der Frage zielen, ob der Umstand, dass ein Ausländer in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Kind lebt, bereits für sich genommen seiner Ausweisung entgegensteht, ist bereits höchstrichterlich geklärt, dass die so verstandene Frage zu verneinen ist.

Bei der Prüfung, ob das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiegt und die Ausweisung verhältnismäßig ist, bedarf es einer einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ( EGMR ) zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08 - BVerwGE 135, 137 Rn. 28 m.w.N.). Zwar genießt das Familienleben auch nach der Grundrechte-Charta besonderen Schutz. In Art. 7 GR-Charta, der Rechte enthält, die den in Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierten Rechten entsprechen, wird das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anerkannt. Diese Vorschrift ist zudem in Verbindung mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GR-Charta und unter Beachtung des in deren Art. 24 Abs. 3 niedergelegten Erfordernisses zu lesen, dass das Kind regelmäßig persönliche Beziehungen zu beiden Eltern unterhält (EuGH, Urteile vom 27. Juni 2006 - C-540/03 [ECLI:EU:C:2006:429] - Rn. 58 und vom 6. Dezember 2012 - C-356/11 [ECLI:EU:C:2012:776] u.a. - Rn. 76). Der Gerichtshof der Europäischen Union (Urteil vom 27. Juni 2006 - C-540/03 - Rn. 59) hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herbeizuführen ist (Rn. 54), aber sich hieraus ein das Ermessen auf Null reduzierender, grundsätzlicher Vorrang des Kindeswohls nicht ergibt (Rn. 59). Inhaltlich entspricht das Recht nach Art. 7 und 24 GR-Charta den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten in ihrer Auslegung durch den EGMR (vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2011 - C-256/11 [ECLI:EU:2011:734], Dereci u.a. - Rn. 70; BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 14 Rn. 23). Art. 7 und 24 GR-Charta ist somit die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen wie Art. 8 Abs. 1 EMRK (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2015 - 1 B 26.15 - AuAS 2015, 194 Rn. 5).

Ein unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Interessen ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH zu Unionsbürgerkindern. Ungeachtet dessen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Rechtsprechung schon nicht festgestellt sind (dazu unter I. 2.), lässt danach auch das Unionsrecht die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen, der mit seinem die Unionsbürgerschaft besitzenden und von ihm abhängigen Kind zusammenlebt, zu, wenn sie auf dem persönlichen Verhalten des Drittstaatsangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des Mitgliedstaats berührt, und die verschiedenen einander gegenüberstehenden Interessen berücksichtigt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2016 - C-304/14 [ECLI:EU:C:2016:674], C.S. - Rn. 50).

Die Beschwerde legt keinen weitergehenden oder neuerlichen einzelfallübergreifenden Klärungsbedarf dar und macht der Sache nach allenfalls eine - vermeintlich - fehlerhafte Anwendung der benannten Grundsätze geltend.

2. Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen,

"ob die Rechtsprechung von BVerwG und BVerfG unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH zu Unionsbürgerkindern noch europarechtskonform ist"

bzw. "ob unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH zu Unionsbürgerkindern eine generalpräventive Ausweisung von drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern von Unionsbürgern noch europarechtskonform ist".

Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass sich die - im letztgenannten Sinne konkretisierte - Frage bei Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts entscheidungserheblich stellte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), auf die die Beschwerde verweist, steht Art. 20 AEUV einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der ein wegen einer Straftat verurteilter Drittstaatsangehöriger auch dann in den Drittstaat auszuweisen ist, wenn er tatsächlich für ein Kleinkind sorgt, das die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt, in dem es sich seit seiner Geburt aufgehalten hat, ohne von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht zu haben, und das wegen der Ausweisung des Drittstaatsangehörigen das Unionsgebiet verlassen müsste, so dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbestands seiner Rechte verwehrt würde. Unter außergewöhnlichen Umständen darf ein Mitgliedstaat jedoch eine Ausweisungsverfügung erlassen, sofern sie auf dem persönlichen Verhalten des Drittstaatsangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des Mitgliedstaats berührt, und die verschiedenen einander gegenüberstehenden Interessen berücksichtigt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2016 - C-304/14 - Rn. 50, siehe auch Urteile von 8. März 2011 - C-34/09 [ECLI:EU:C:2011:124], Ruiz Zambrano - und vom 13. September 2016 - C-165/14 [ECLI:EU:C:2016:675], Rendon Marin -). Ob zwischen dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und dem Kind ein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe, wenn dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht verweigert würde, ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls zu beantworten. Zu berücksichtigen sind - neben der Frage, ob der Elternteil, der Unionsbürger ist, wirklich in der Lage und bereit ist, die tägliche und tatsächliche Sorge für das Kind allein wahrzunehmen - insbesondere auch das Alter des Kindes, seine körperliche und emotionale Entwicklung, der Grad seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit, und das Risiko, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Mai 2017 - C-133/15 [ECLI:EU:C:2016:659], Chavez-Vilchez u.a. - Rn. 71).

Den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis besteht, das indes Anwendungsvoraussetzung der dargestellten Rechtsprechung ist. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden, wenn die Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung von einer tatsächlichen Annahme ausgeht, die - wie hier - von der Vorinstanz nicht festgestellt wurde (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2006 - 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 35 Rn. 8).

Nach alledem kann offenbleiben, ob die aufgeworfene Frage auch deshalb nicht entscheidungserheblich ist, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung gerade nicht nur auf generalpräventive Ausweisungsgründe gestützt hat, sondern auch auf erhebliche spezialpräventive Ausweisungsinteressen (UA S. 11 ff.).

II. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe einen in der Berufungsverhandlung gestellten Beweisantrag des Klägers rechtsfehlerhaft abgelehnt und dadurch die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO ) verletzt.

1. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat der Kläger die Einholung eines psychologischen/sozialpsychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, "dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft besteht, auf deren ununterbrochene Aufrechterhaltung mittels persönlichem Kontakt das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist, und dass die mehrjährige Abwesenheit des Klägers aus dem Bundesgebiet das Kindeswohl nachhaltig schädigt."

Das Berufungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO ) als unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Senat habe weder aus dem bisherigen Verfahren noch aus der heutigen mündlichen Verhandlung tatsächliche Anhaltspunkte für eine (erforderliche) Kindeswohlgefährdung erkennen können.

2. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Berufungsgericht diesen Beweisantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt hätte. Die Ablehnung eines förmlichen (unbedingt gestellten) Beweisantrags ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. August 2017 - 9 B 4.17 - juris Rn. 6). Das Berufungsgericht hat den Antrag aber, wie nach § 86 Abs. 2 VwGO erforderlich, noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und begründet beschieden.

Auch die Begründung ist nicht zu beanstanden. Ein Beweisantrag ist unter anderem dann unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Auch Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden. So liegt es, wenn für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsachen nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, das heißt wenn sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" behauptet worden sind. Welche Anforderungen vom Tatsachengericht an die Substantiierung gestellt werden dürfen, bestimmt sich zum einen danach, ob die zu beweisende Tatsache in den eigenen Erkenntnisbereich des Beteiligten fällt, und zum anderen nach der konkreten prozessualen Situation (BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2014 - 10 B 34.14 - juris Rn. 9 m.w.N.).

3. Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht den Beweisantrag mit der Begründung ablehnen, es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag, weil der Senat weder aus dem bisherigen Verfahren noch aus der mündlichen Verhandlung tatsächliche Anhaltspunkte für eine (erforderliche) Kindeswohlgefährdung habe erkennen können.

a) Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bzw. eine nachhaltige Schädigung des Kindeswohls ergeben sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht schon aus der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellung, dass die Beziehung des Klägers zu seinem Sohn über eine rein formale Ausübung des Sorgerechts hinausgeht, insbesondere habe der Kläger vor der Inhaftierung mit seinem Sohn in familiärer Beziehung gelebt, und die familiäre Lebensgemeinschaft werde, soweit möglich, auch in der Haft aufrecht erhalten. Mit diesen Feststellungen hat das Berufungsgericht gerade anerkannt, dass der Kläger als Vater eigenständige Bedeutung für das Wohl seines Kindes hat, der Kontakt mit ihm mithin dem Kindeswohl dient, so dass ein Abbruch dieser familiären Beziehung die Kindeswohlinteressen berührt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde liegt darin für sich genommen aber noch kein Indiz dafür, dass das Kindeswohl im Falle einer (mehrjährigen) Ausweisung des Vaters nachhaltig geschädigt würde. Bei dieser Annahme wird übersehen, dass der Wegfall von Faktoren, die dem Kindeswohl dienen bzw. am besten entsprechen, nicht schon gleichbedeutend mit einer Kindeswohlgefährdung bzw. -schädigung ist (vgl. zu dieser Differenzierung auch im Familienrecht etwa BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 4. August 2015 - 1 BvR 1388/15 - juris Rn. 5, und vom 19. November 2014 - 1 BvR 1178/14 - juris Rn. 23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. März 2018 - 6 UF 213/17 - juris Rn. 13).

b) Die in der Beschwerdebegründung zitierten Expertenstudien über die Bedeutung des Vaters für eine gesunde seelische und soziale Entwicklung von Kindern sind weder im Berufungsverfahren vorgebracht worden noch rechtfertigen sie den Schluss, dass ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls jeder (vorübergehende) "Ausfall" des Vaters zu einer (nachhaltigen) Kindeswohlgefährdung führt.

c) Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger im Berufungsverfahren hinreichende einzelfallbezogene Anhaltspunkte dafür vorgetragen hätte, dass das Kindeswohl des neunjährigen Sohnes des Klägers im Falle von dessen Ausweisung aus dem Bundesgebiet für einen Zeitraum bis zu fünf Jahren in einer Weise beeinträchtigt werden könnte, dass er in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohlbefinden nachhaltig gefährdet würde. Die Mutter des Kindes habe danach zwar angegeben, ihr Sohn C. freue sich immer sehr auf die Besuche bei dem Vater und sehe dessen Rückkehr sehnsuchtsvoll entgegen. Könnte der Kläger nicht nach Haftentlassung zurückkehren, wäre das eine "riesen Enttäuschung" für C., die womöglich zu psychischen Problemen und zum Zerbrechen der Familie führen könnte. Auch der Kläger habe im Rahmen seiner Darstellung der Vater-Kind-Beziehung u.a. die freizeitlichen und schulischen Vorlieben seines Sohnes beschrieben und wie dieser ihn dabei seiner Ansicht nach vermisse; und die Sozialpädagogin habe dem Kläger im Rahmen der von ihr begleiteten Vater-Kind-Treffen einen liebevollen, zugewandten und wertvollen Umgang bescheinigt. Unter den hier vorliegenden Umständen genügten diese - eher pauschalen - Angaben aber nicht, um Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung darzutun.

Zwar dürfen die Anforderungen an den Vortrag der Beteiligten insoweit nicht überspannt und die Beweiswürdigung nicht vorweggenommen werden. Hier hat das Berufungsgericht eine nähere Substantiierung der behaupteten Kindeswohlgefährdung aber zu Recht insbesondere deshalb für erforderlich gehalten, weil die Beklagte dieser Behauptung im Verfahren nachvollziehbar entgegengetreten sei. Sie habe dargelegt, dass sich eine emotionale Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Sohn erst nach der Entlassung aus der dritten Strafhaft habe aufbauen können und diese im Entstehen befindliche Beziehung durch die erneute Inhaftierung abrupt unterbrochen worden sei. Die Abwesenheit des Klägers sei daher für den Sohn C. seit langem "gelebte Praxis". Auch die - informatorisch angehörte - Vertreterin des Jugendamtes hatte bei ihrem Hausbesuch eine besonders enge emotionale Bindung des Sohnes zu seinem Vater nicht wahrgenommen; ihr persönlicher Eindruck sei, dass es für C. keinen Unterschied mache, ob er seinen Vater wie bisher im Gefängnis nur einmal im Monat sehe oder ob sein Vater in die Türkei zurückkehren müsse, da ein familiäres Zusammenleben offenbar bislang nicht thematisiert worden sei. Nachvollziehbar hat das Berufungsgericht schlüssige Darlegungen dazu vermisst, weshalb der Sohn künftig unter der Abwesenheit des Vaters leiden sollte, obwohl er über einen Zeitraum von bald fünf Jahren im täglichen Leben ohne seinen Vater auskommt, diese Situation ohne große Nachfragen oder Proteste hinnimmt und auch keine Verhaltensauffälligkeiten entwickelt hat. Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, eine gewisse Enttäuschung des Kindes über von den Eltern geweckte Erwartungen sowie die im Falle einer Aufenthaltsbeendigung zu erwartende Vergrößerung der Abstände zwischen den möglichen Kontaktaufnahmen (die mittels einer Betretenserlaubnis möglich bleiben) wiesen noch nicht auf eine (mögliche) Kindeswohlgefährdung hin.

Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, eine tiefere emotionale Bindung des Kindes zum Kläger habe sich aufgrund der haftbedingten Trennungen nicht entwickeln können, weshalb es an tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung fehle. Das gilt auch dann, wenn - wie die Beschwerde einwendet - sich die Jugendamtsvertreterin bei ihrem Besuch nur wenig intensiv mit dem Jungen beschäftigt haben sollte, weil in Anbetracht der angeführten weiteren Umstände des Einzelfalls nichts dafür ersichtlich war, dass eine eingehendere Befragung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

d) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist auch aus dem Unionsrecht keine Verpflichtung abzuleiten, dem Beweisantrag nachzukommen. Nach dem von der Beschwerde herangezogenen Urteil des EuGH vom 10. Mai 2017 - C-133/15 - muss der Feststellung, dass zwischen einem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und seinem die Unionsbürgerschaft besitzenden Kind kein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind bei einer Verweigerung des Aufenthaltsrechts bzw. einer Aufenthaltsbeendigung dieses Elternteils gezwungen sähe, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls zugrunde liegen, so insbesondere des Alters des Kindes, seiner körperlichen und emotionalen Entwicklung, des Grades seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre. Auch wenn das Berufungsgericht auf diese Rechtsprechung nicht explizit eingegangen ist, hat es den Sachverhalt hinsichtlich der vorgenannten Aspekte hinreichend aufgeklärt und ist dabei zu Feststellungen gelangt, die auch nicht ansatzweise den Schluss auf ein so geartetes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Sohn rechtfertigen. Anders als der Kläger meint, liegt ein solches Abhängigkeitsverhältnis im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht schon dann automatisch vor, wenn die Anwesenheit des Elternteils mit Drittstaatsangehörigkeit "für das innere Gleichgewicht eines Kindes nicht ohne jede Relevanz" ist.

Art. 20 AEUV verbietet den Mitgliedstaaten nicht, die Darlegungslast hinsichtlich der Tatsachen, die belegen können, dass eine Aufenthaltsversagung gegenüber dem Drittstaatsangehörigen das Kind dazu zwänge, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, zunächst dem Drittstaatsangehörigen aufzuerlegen. Jedoch haben die zuständigen Behörden bzw. Gerichte auf der Grundlage der von dem Drittstaatsangehörigen beigebrachten Informationen die erforderlichen Ermittlungen anzustellen, um im Lichte aller Umstände des Einzelfalls beurteilen zu können, ob eine Entscheidung, mit der das Aufenthaltsrecht versagt wird, solche Folgen hätte (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Mai 2017 - C-133/15 - Rn. 78). Dem ist nicht zu entnehmen, dass die nationalen Instanzen zur Beurteilung der Frage, ob zwischen einem Drittstaatsangehörigen und seinem die Unionsbürgerschaft besitzenden Kind ein solches Abhängigkeitsverhältnis besteht, generell auch ein Sachverständigengutachten einholen müssten. Sie haben vielmehr lediglich die nach Lage des Einzelfalls "erforderlichen" Ermittlungen durchzuführen. Dem hat das Berufungsgericht hier (unter anderem durch die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte umfangreiche Sachverhaltsaufklärung durch Anhörung des Klägers und der Mitarbeiterin des Jugendamtes sowie durch Vernehmung der Kindesmutter als Zeugin) genügt. Unabhängig davon lag der vorbezeichneten Entscheidung des EuGH eine signifikant abweichende Fallkonstellation zugrunde, in welcher der Drittstaatsangehörige als Elternteil des minderjährigen Kindes, das die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates besitzt, für dieses Kind täglich und tatsächlich sorgte und lediglich in Frage stand nachzuweisen, dass der andere Elternteil hierzu nicht in der Lage sei.

III. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VGH Bayern, vom 21.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 10 B 19.55