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BVerwG - Entscheidung vom 25.11.2020

2 B 15.20

Normen:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1-2
DiszG BE § 3

BVerwG, Beschluss vom 25.11.2020 - Aktenzeichen 2 B 15.20

DRsp Nr. 2021/698

Beweiswürdigung des Gerichts zum Alternativgeschehen i.R.e. Verurteilung eines Beamten wegen gemeinschaftlich begangenen Verwahrungsbruchs an einer ihm als Amtsträger anvertrauten Sache in Tateinheit mit veruntreuender Unterschlagung; Aberkennung des Ruhegehalts

Sind die der Beweiserhebung zugrunde gelegten Hilfstatsachen aus logischen Gründen geeignet, die gefolgerte Haupttatsache zu tragen, kommt ein Verstoß gegen den Grundsatz der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO insoweit nicht in Betracht. Insbesondere kann dann allein mit der Darlegung eines denkbaren alternativen Geschehensablaufs ein etwaiger relevanter Verstoß gegen Denkgesetze nicht begründet werden.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 108 Abs. 1 S. 1-2; DiszG BE § 3;

Gründe

Die allein auf Verfahrensmängel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 3 , 41 DiszG BE gestützte Beschwerde ist unbegründet.

1. Der 1966 geborene und 1991 geschiedene Beklagte, der Vater einer 1998 geborenen Tochter ist, stand seit 1982 als Beamter im Polizeivollzugsdienst des klagenden Landes Berlin, zuletzt seit 2012 im Statusamt eines Polizeioberkommissars. Im März 2010 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Ablauf des Monats April 2018 versetzte der Kläger den Beklagten in den Ruhestand.

Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl verurteilte das Amtsgericht den Beklagten im Jahr 2016 wegen gemeinschaftlich begangenen Verwahrungsbruchs an einer ihm als Amtsträger anvertrauten Sache in Tateinheit mit veruntreuender Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Der Beklagte und sein damaliger Kollege S. hatten nach den Feststellungen dieses Strafbefehls am 16. September 2014 aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatplans mehrere Euro-Geldscheine für sich behalten, die ihnen als diensthabenden Polizisten von der Zeugin O. zuvor als Fundsache übergeben worden waren. Kinder hatten die Tasche mit dem Bargeld zuvor auf einem Spielplatz gefunden, damit gespielt und sodann der Zeugin O., der Mutter eines der Kinder, ausgehändigt.

Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten nach Durchführung einer ergänzenden Beweisaufnahme zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe sich wegen mittäterschaftlich begangenen Verwahrungsbruchs an einer ihm als Amtsträger anvertrauten Sache in Tateinheit mit veruntreuender Unterschlagung strafbar gemacht. Diese innerdienstliche Pflichtverletzung erfordere unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die Feststellungen des Strafbefehls hinreichend substanziiert bestritten habe, sodass die im Strafbefehl getroffenen tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung nicht mehr zugrunde gelegt werden könnten. Nach Auffassung des Berufungsgerichts komme allein ein gemeinschaftlicher Zugriff der beiden Polizeibeamten auf die verschwundenen Geldscheine im Wert von 1 000 € in Betracht. Die Annahme, der mitangeklagte und disziplinarrechtlich ebenfalls verfolgte Kollege S. des Beklagten habe als Alleintäter gehandelt, sei ausgeschlossen. Die Überzeugung hinsichtlich dieses tatsächlichen Geschehensablaufs folge aus einer Fülle von Indizien, die bei der Gesamtbetrachtung keinen anderen Schluss zuließen.

2. Die Rüge der Beschwerde, dass das Berufungsgericht bei der Urteilsfindung den Grundsatz der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO , § 3 DiszG BE verletzt habe, ist nicht begründet.

a) Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist. Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, wenn das Gericht einen allgemeinen Erfahrungssatz, ein Gebot der Logik (Denkgesetz) oder der rationalen Beurteilung nicht beachtet (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2013 - 2 B 35.13 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn. 19 und vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 41 f. m.w.N.).

Dementsprechend verlangt die Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO , dass in den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und die rechtlichen Erwägungen wiedergeben werden, die das Gericht dazu bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet und in welchen konkreten Bezug es ihn zu den angewandten Rechtsnormen gesetzt hat (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1981 - 6 C 159.80 - BVerwGE 61, 365 <368> und Beschluss vom 2. März 2012 - 2 B 8.11 - juris Rn. 19). Die Beweiswürdigung darf sich dabei nicht so weit von der festgestellten Tatsachengrundlage entfernen, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen als reine Vermutung erweisen (stRspr, vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 403/13 - NStZ 2014, 475 ; BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 42).

Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts ist bei alledem vom Revisionsgericht aber nicht darauf zu überprüfen, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Juni 2015 - 6 B 59.14 - Buchholz 442.066 § 55 TKG Nr. 11 Rn. 53 und vom 12. Dezember 2017 - 6 B 30.17 - juris Rn. 5). Ein danach relevanter Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht schon dann vor, wenn das Tatsachengericht einen nach Meinung der Beschwerde unrichtigen oder fernliegenden Schluss gezogen oder eine Würdigung der tatsächlichen Umstände vorgenommen hat, die nicht zwingend ist und gegebenenfalls auch anders hätte ausfallen können (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <273> und Beschluss vom 9. April 2018 - 6 B 36.18 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 92 Rn. 12). Im Hinblick auf den hier streitgegenständlichen Indizienbeweis ist danach ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO anzunehmen, wenn die der Beweiserhebung zugrunde gelegten Hilfstatsachen aus logischen Gründen ungeeignet sind, die gefolgerte Haupttatsache zu tragen (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <273 f.>).

b) An diesem Maßstab orientiert, zeigt das Beschwerdevorbringen des Beklagten keinen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf. Der Beklagte legt nicht dar, dass die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts denklogisch nicht haltbar und damit als Verstoß gegen die Denkgesetze zu qualifizieren ist.

Der von der Beschwerde zentral erhobene Einwand, das Berufungsgericht habe das vom Beklagten ausdrücklich geltend gemachte und plausible Alternativgeschehen, sein damaliger Kollege S. habe die Tat allein begangen, nicht nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" berücksichtigt, greift nicht durch. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum gemeinsamen Tatentschluss des Beklagten und seines damaligen Kollegen S. und zum Aussageverhalten des Beklagten im Hinblick auf den Verwahrungsbruch und die veruntreuende Unterschlagung von Geld sind nachvollziehbar und plausibel. Die daraus vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung, die Straftat und damit zugleich das innerdienstliche Dienstvergehen seien vom Beklagten und seinem damaligen Kollegen S. mittäterschaftlich begangen worden, stützen sich auf Hilfstatsachen; sie sind keine bloßen Vermutungen.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dies zuvörderst aus dem Umstand hergeleitet hat, dass weder der Beklagte noch sein damaliger Kollege S. das ihnen von der Zeugin O. überreichte Fundgeld - obgleich die Zeugin sogar danach fragte - in deren Gegenwart gezählt haben, wie es dem üblichen, den beiden Polizeibeamten bekannten und nach der Weisungslage vorgegebenen Vorgehen bei Fundgeld entsprochen hätte. Dieses Verhalten hat der Beklagte fortgesetzt, indem er in der "Vorläufigen Fundanzeige" vom 16. September 2014 die Fundsache mit den Worten "ockerfarbene Umhängetasche ADIDAS mit div. Bargeld in Scheinen" gerade im Hinblick auf den maßgeblichen Tascheninhalt, die Geldscheine, nur sehr unpräzise beschrieben hat. Das Berufungsgericht sieht darin ein weiteres Indiz für den zwischen dem Beklagten und seinem damaligen Kollegen S. bestehenden gemeinsamen Tatplan, sich einen Teil der Geldscheine zuzueignen. Diese plausible tatrichterliche Würdigung hält den dagegen erhobenen Einwendungen der Beschwerde stand.

Denn mit ihrem Einwand, das Berufungsgericht hätte zugunsten des Beklagten nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" unterstellen können und müssen, dass er sich im Hinblick auf das unterbliebene Geldzählen vor Ort und die oberflächliche Fundbehandlung nur nachlässig verhalten habe und sein damaliger Kollege S. als Alleintäter in Betracht komme, beschreibt die Beschwerde nur einen denkbaren alternativen Geschehensablauf. Eine solche Darlegung belegt aber - wie ausgeführt - keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO . Im Übrigen bleibt der vom Beklagten geltend gemachte alternative Geschehensablauf seinerseits spekulativ. Denn tatsächliche Anknüpfungspunkte, die eine bloß nachlässige Dienstausübung durch den Beklagten und eine Alleintäterschaft des S. nahelegen könnten, benennt die Beschwerde nicht.

Die Beschwerde rügt damit letztlich allein eine aus ihrer Sicht rechtsfehlerhafte Beurteilung des festgestellten Sachverhalts - das Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit dem ihm und seinem damaligen Kollegen S. von der Zeugin O. am 16. September 2014 anvertrauten Fundsache - durch das Berufungsgericht. Sie macht lediglich geltend, das Berufungsgericht würdige denselben Sachverhalt rechtlich anders als sie es für richtig hält. Damit zeigt die Beschwerde kein Defizit richterlicher Überzeugungsbildung auf.

3. Aus den gleichen Gründen greift auch der von der Beschwerde gerügte Gehörsverstoß nicht durch.

Der in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zu äußern und dadurch die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (BVerfG, Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <408 f.>). Dieses Recht ist dann verletzt, wenn ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen des Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist (BVerwG, Beschlüsse vom 26. Mai 1999 - 6 B 65.98 - NVwZ-RR 1999, 745 <746> und vom 2. März 2012 - 2 B 8.11 - juris Rn. 19).

Das Berufungsgericht hat sich mit den vom Beklagten geltend gemachten möglichen alternativen Geschehensabläufen - Alleintäterschaft des damaligen Kollegen S., weiterer Geldscheinverlust vor der Übergabe der Fundsache durch die damit spielenden Kinder, die Möglichkeit, die Zeugin O. könne das bei der späteren Zählung fehlende Geld selbst entnommen haben - bei der Begründung seines Urteils eingehend auseinandergesetzt. Dabei hat es das Vorbringen des Beklagten zur Kenntnis genommen und erwogen. Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO garantieren darüberhinausgehend aber gerade nicht, dass das Gericht den Vortrag eines Beteiligten - hier zur Bewertung eines alternativen Geschehensablaufs - teilt (vgl. z.B. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 13. Dezember 1994 - 2 BvR 894/94 -, NJW 1995, 2839 und vom 2. Juli 2018 - 1 BvR 682/12 - NVwZ 2018, 1561 Rn. 19 m.w.N.).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 DiszG BE, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO . Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtskosten aus dem Gesetz ergibt (§ 41 DiszG BE, § 78 Satz 1 BDG i.V.m. der Anlage zu § 78 BDG ).

Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg, vom 05.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 80 D 1.19