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BGH - Entscheidung vom 13.10.2020

1 StR 299/20

Normen:
StPO § 261

Fundstellen:
NStZ-RR 2021, 24

BGH, Urteil vom 13.10.2020 - Aktenzeichen 1 StR 299/20

DRsp Nr. 2020/18219

Erforderlichkeit einer besonders sorgfältigen Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation hinsichtlich der Einverständlichkeit der sexuellen Handlungen

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 24. März 2020 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Am 28. September 2019 besuchte die Nebenklägerin P. den Angeklagten, den sie einen Monat zuvor am gemeinsamen Arbeitsplatz kennen gelernt und sich mit ihm angefreundet hatte, entsprechend vorheriger Verabredung in seiner Wohnung in G. . Nachdem sie sich zunächst rauchend auf dem Balkon unterhalten hatten, setzten sich beide in der Wohnung auf eine Couch. Der Angeklagte rutschte plötzlich zur Nebenklägerin, packte mit beiden Händen ihre Handgelenke und fesselte ihre Hände mit einem schwarzen Rundschal. Auf die Frage der Nebenklägerin, was das solle, äußerte der Angeklagte, dass ihr nichts passieren werde und er „nix“ mache. Die Nebenklägerin forderte ihn auf, sie gehen zu lassen und aufzuhören. Sie versuchte mit ihren Beinen den Angeklagten von sich „wegzubringen“, was ihr aber nicht gelang. Der Angeklagte legte sie sodann auf eine auf dem Boden liegende Matratze, verband ihr mit einem unbekannten Gegenstand die Augen und entkleidete sie, indem er ihr den Pullover und das T-Shirt nach oben über den Kopf schob und ihre Bekleidung vom Unterkörper vollständig entfernte. Der Angeklagte schmierte die Nebenklägerin – zunächst auf dem Rücken und danach auf dem Bauch liegend – am ganzen Körper mit Olivenöl ein, wogegen sich die Nebenklägerin erfolglos zur Wehr setzte. So unterband der Angeklagte den Versuch der Nebenklägerin, ihre Beine zu schließen, indem er mit seinem Körper und seinen Beinen ihre Beine auseinanderhielt. Aufgrund ihres Weinens, ihrer Hilfeschreie und ihrer Aufforderung, aufzuhören, äußerte er mehrmals drohend, dass er beim Militär gewesen sei und wisse, wie man Dinge regele. Die Nebenklägerin verfiel sodann in eine „Art Schockstarre“. Der Angeklagte drang zunächst einige Male mit seinem Finger und anschließend mit einem über den Finger gezogenen Gumminoppenfingerling, den er sich geholt hatte, in den Vaginalbereich der Nebenklägerin ein. Obwohl die Nebenklägerin sich weiterhin verbal und körperlich wehrte, ließ der Angeklagte nicht von ihr ab. Mit seinem Körper verhinderte er, dass die Nebenklägerin ihre Beine schließen konnte. Hierbei erlitt die Nebenklägerin ein vier Zentimeter großes Hämatom an der hinteren linken Unterschenkelinnenseite. Der Angeklagte drang zwei- bis dreimal mit seinem Penis in die Vagina der Nebenklägerin ein, ohne ein Kondom zu verwenden. Sodann drehte er sie auf den Rücken und drang erneut mit dem Finger und dem übergestülpten Noppenfingerling in die Scheide der Nebenklägerin ein. Gegen den Widerstand der sich mit ihren Beinen wehrenden Nebenklägerin führte er seinen Penis in ihre Scheide ein und streichelte mit seinen Händen ihre Brüste. Unmittelbar vor dem Samenerguss zog er seinen Penis aus der Scheide und ejakulierte außerhalb des Körpers der Nebenklägerin. Danach ließ er von ihr ab, zog sich an und löste die Augenbinde und die Handfesseln von der Nebenklägerin.

b) Der Angeklagte hat sich im Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizei und dem Ermittlungsrichter nicht geäußert. Im Rahmen der Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen hat er auf explizite Frage angegeben, dass er mit dem „Noppending“ nicht in die Geschädigte eingedrungen sei, sondern es lediglich als Rolle zum Massieren verwendet habe. In der Hauptverhandlung hat er sich dahin eingelassen, dass er die sexuellen Handlungen im Einverständnis mit der Nebenklägerin vorgenommen habe. Die Initiative sei von ihr ausgegangen. So habe sie ihn aufgefordert, sie zu massieren, und habe sich selbst am Oberkörper ausgezogen. Er habe sie sodann mit Olivenöl eingeölt und massiert. Sie habe verlangt, dass er das „Gummiteil“, das sie im Schrank gesehen habe, zur Massage einsetze. Er habe nicht gewusst, was dieses ihm von einer früheren Freundin als Geschenk überlassene Gummiteil sei und wie man es benutze. Die Nebenklägerin habe dies aber gewusst; sie habe sich den BH und die Unterhose ausgezogen und ihn aufgefordert, dass er den „Finger mit dem Ding aus Gummi reinstecken“ solle, was er auch getan habe. Anschließend habe sie „Sex haben“ wollen; er habe mit ihr dann zwei bis drei Minuten den vaginalen Geschlechtsverkehr ohne Kondom ausgeübt, wobei er seinen Penis vor dem Samenerguss aus ihrer Scheide gezogen habe. Er habe keine Gewalt ausgeübt und die Nebenklägerin weder gefesselt noch die Augen verbunden. Gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen habe er geäußert, dass er mit dem „Noppending“ in die Nebenklägerin eingedrungen sei; insoweit sei seine Äußerung wohl falsch protokolliert worden.

2. Das Landgericht ist der Einlassung des Angeklagten, dass die sexuellen Handlungen einverständlich mit der Nebenklägerin erfolgt seien, nicht gefolgt. Vielmehr hat die Strafkammer die Angaben der Nebenklägerin dem Sachverhalt zugrunde gelegt, die sie als glaubhaft erachtet hat.

II.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen Bedenken.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO ). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. April 2015 – 5 StR 79/15 Rn. 8 mwN).

In Fällen, in denen – wie hier hinsichtlich der Einverständlichkeit der sexuellen Handlungen – „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2014 – 1 StR 700/13 Rn. 3 und vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16 Rn. 16). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden. Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 2 StR 7/20 Rn. 4 mwN).

2. Den danach an die Sachdarstellung und die Beweiswürdigung zu stellenden Anforderungen genügt das Urteil. Insbesondere weist die Beweiswürdigung weder Lücken noch Erörterungsmängel auf.

a) Das Landgericht ist hinsichtlich der Frage der Freiwilligkeit der sexuellen Handlungen zutreffend von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ausgegangen.

aa) Hierbei hat es ohne Rechtsfehler angenommen, dass die verneinende Einlassung des Angeklagten auf die ausdrückliche Frage und Nachfrage des psychiatrischen Sachverständigen, ob er mit dem „Gummiding“ in die Scheide der Nebenklägerin eingedrungen ist, mit seiner Aussage in der Hauptverhandlung, hiermit eingedrungen zu sein, in Widerspruch steht. Weitergehende Schlussfolgerungen hat das Landgericht aus diesem Umstand jedoch nicht gezogen (UA S. 24). Entgegen der Ansicht der Revision bedurfte es im Hinblick auf die auch vom Angeklagten in der Hauptverhandlung eingeräumten sexuellen Handlungen keiner näheren Dokumentation lediglich behaupteter früherer Einlassungen des Angeklagten. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass das Landgericht mit Blick auf die ausdrückliche (Nach-)Frage des Sachverständigen von der Richtigkeit der Wiedergabe der Aussage des Angeklagten ausgeht.

bb) Auch die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin begegnet keinen Bedenken. Die Strafkammer hat zunächst die Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung wiedergegeben und sodann festgestellt, dass sie in den polizeilichen Zeugenvernehmungen „einen im Wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalt mit folgenden Abweichungen“ (UA S. 13) geschildert habe. Die Abweichungen hat das Landgericht sodann im Einzelnen dargestellt und im Rahmen der Beweiswürdigung bewertet. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.

cc) Soweit das Landgericht gewisse Abweichungen in den einzelnen Schilderungen der Nebenklägerin in ihren polizeilichen Vernehmungen zu ihren Angaben in der Hauptverhandlung feststellt, hat sie diese ohne durchgreifenden Rechtsfehler für nicht ausschlaggebend erachtet.

(1) Zur Fesselungssituation mit dem Schal hat die Nebenklägerin einerseits bekundet, dass ihre Hände über Kreuz, andererseits nebeneinander, also parallel gebunden worden sind. Auch die Anzahl der Penetration mit Finger, Finger mit Noppenüberzug und Penis jeweils in den unterschiedlichen Stellungen variiert ebenso wie die Anzahl des Aufstehens des Angeklagten, um den Schal zum Verbinden der Augen, das Öl und/oder den Noppenüberzug zu holen. Die Würdigung des Landgerichts, dass es nachvollziehbar sei, dass sie sich nicht an jede einzelne Handlung in welcher Position auch immer und jede zeitliche Einordnung einer Äußerung im Detail erinnern könne, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal das Landgericht dabei auch darauf abstellt, dass die Nebenklägerin aufgrund verbundener Augen während eines großen Teils des Geschehens die konkreten Aktivitäten des Angeklagten nur schwer habe unterscheiden können.

(2) Die Nebenklägerin hat des Weiteren in ihrer ersten polizeilichen Vernehmung bekundet, dass sie „voll entkleidet“ worden sei, in der Hauptverhandlung hingegen angegeben, dass ihr durch den Angeklagten „alles“ nur über den Kopf geschoben worden sei. Die Strafkammer sieht darin keinen „echten“ Widerspruch, weil eine komplette Entkleidung auch dahin verstanden werden könne, dass die Oberbekleidung über den Kopf geschoben werde. Auch gegen diese Wertung ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

dd) Das Landgericht hat – sachverständig beraten – bei der Würdigung der Beweise auch erörtert, dass bei der Nebenklägerin weder Fesselungsspuren an den Handgelenken feststellbar noch biologisches Material der Nebenklägerin an dem in einem Schrank sichergestellten Rundschal konkret nachweisbar waren. Der Schal habe nicht zuordenbare komplexe DNA-Spuren mehrerer Personen aufgewiesen. Nach den Ausführungen der Sachverständigen sei aufgrund der Beschaffenheit des Schals und je nach Festigkeit der Fesselung auch nicht unbedingt zu erwarten gewesen, dass selbst bei Einsatz des Schals DNA-Spuren an diesem feststellbar wären (UA S. 16). Das Landgericht ist diesen Ausführungen revisionsrechtlich unbedenklich mit der Bewertung gefolgt, dass die Spuren der Nebenklägerin nicht zwingend notwendig zu erwarten waren.

ee) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch Falschbelastungsmotive hinreichend verneint. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sie gegen den Angeklagten einen persönlichen Groll gehegt habe. Auch ein genereller Hass auf Männer scheide aus. Sie hält es ohne Rechtsfehler für fernliegend, dass die Nebenklägerin die Freundschaft des Angeklagten bewusst gesucht habe, um ihn in eine Situation zu bringen, in der sie ihn fälschlich belasten könne. Das Vorbringen der Revision, dass das Landgericht es fehlerhaft unterlassen habe, zu prüfen, ob die Nebenklägerin nicht nach gewünschten einvernehmlichen sexuellen Handlungen von diesen enttäuscht gewesen sei und sich aus diesem Grund zur Falschbelastung entschlossen habe, drängte sich als Falschbelastungsmotiv vorliegend nicht als erörterungsbedürftig auf.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Traunstein, vom 24.03.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 370 Js 33230/19
Fundstellen
NStZ-RR 2021, 24