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BGH - Entscheidung vom 15.07.2020

2 StR 110/20

Normen:
BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2
StPO § 264

Fundstellen:
NStZ-RR 2020, 317
NStZ-RR 2022, 237

BGH, Beschluss vom 15.07.2020 - Aktenzeichen 2 StR 110/20

DRsp Nr. 2020/12150

Darstellen des gleichzeitigen Besitzes verschiedener zum Eigenkonsum bestimmter Betäubungsmittel materiell-rechtlich als eine einheitliche Tat; Anbau und Einfuhr von Betäubungsmitteln

Der gleichzeitige Besitz verschiedener zum Eigenkonsum bestimmter Betäubungsmittel stellt materiell-rechtlich eine einheitliche Tat dar, auch wenn der Täter sie getrennt voneinander aufbewahrt. Für die Beurteilung, ob der Grenzwert zur nicht geringen Menge überschritten ist, sind sämtliche besessene Teilmengen zusammenzufassen, maßgeblich ist also der Gesamtwirkstoff aller Teilmengen.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. Dezember 2019 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass dieser Angeklagte, unter Freisprechung im Übrigen, des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Normenkette:

BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ; BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 ; StPO § 264 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt, Zahlungserleichterungen bewilligt und eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

I.

1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte nach einem Arbeitsunfall im Jahre 2013 täglich zwei Gramm Marihuana-Tabakgemisch zur Schmerzlinderung. Um zur Selbstmedikation ständig Marihuana zur Verfügung zu haben, unterhielt er in seiner Wohnung jedenfalls seit Anfang 2015 eine Indoor-Plantage, in der er Hanfpflanzen anbaute. Einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG bei der zuständigen Behörde hatte der Angeklagte weder gestellt noch Anstrengungen hierzu unternommen.

Bei einer Wohnungsdurchsuchung am 6. November 2015 verfügte er über zwanzig in unterschiedlichen Wachstumsstadien befindliche Hanfpflanzen, aus deren Blättern sich 125,82 Gramm getrocknetes Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 2,65 Gramm THC ergaben.

Darüber hinaus verwahrte er 11,45 Gramm getrocknete Marihuanablätter mit einem Wirkstoff von 0,75 Gramm THC aus einer früheren Ernte. Gesondert hiervon bewahrte er in zwei Plastikdosen insgesamt 44,05 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 5,96 Gramm THC auf. Hierbei handelte es sich um die Reste einer Marihuanamenge, die er – ebenfalls zum Eigenkonsum – zuvor zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt in den Niederlanden erworben und nach Deutschland eingeschleust hatte.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten nur hinsichtlich der selbst erzeugten Teilmenge von insgesamt 137,27 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoff von 3,4 Gramm THC wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln verurteilt. An einer Verurteilung wegen der ebenfalls bei ihm sichergestellten zweiten Teilmenge von 44,05 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 5,96 Gramm THC hat es sich gehindert gesehen. Der unerlaubte Besitz an dieser Teilmenge werde durch die vorangegangene unerlaubte Einfuhr verdrängt. Diese stelle sich indes als eine andere als die hier angeklagte prozessuale Tat dar, weil die unerlaubte Einfuhr zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor der „hier in Rede stehenden Tat vom 6. November 2015“ erfolgt sei.

II.

Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Zwar wurde dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegt, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, indem er am 6. November 2015 in seiner Wohnung die sichergestellten Betäubungsmittel zur gewinnbringenden Veräußerung angebaut bzw. vorrätig gehalten habe. Dass er einen Teil des sichergestellten Marihuanas zu einem früheren Zeitpunkt in den Niederlanden erworben und unerlaubt eingeführt hatte, findet in der Anklage keine Erwähnung. Da er die Betäubungsmittel jedoch bei der Einfuhr im Besitz hatte, stellen die Einfuhr und das – materiell-rechtlich zurücktretende – Dauerdelikt des Besitzes eine einheitliche prozessuale Tat und nicht – wie von der Strafkammer angenommen – zwei verschiedene prozessuale Taten im Sinne von § 264 StPO dar (BGH, Beschluss vom 5. April 2000 – 1 StR 75/00, NStZ-RR 2000, 332 mwN). Da ein Teilakt des Dauerdelikts, nämlich der unerlaubte Besitz der fraglichen Teilmenge am 6. November 2015, von der Anklage umfasst war und der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft innerhalb derselben prozessualen Tat grundsätzlich unteilbar ist, war die gesamte prozessuale Tat einschließlich der unerlaubten Einfuhr Gegenstand der Urteilsfindung (vgl. Kuckein/Ott in: KK- StPO , 8. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).

2. Darüberhinaus stellt der gleichzeitige Besitz verschiedener zum Eigenkonsum bestimmter Betäubungsmittel materiell-rechtlich eine einheitliche Tat dar, auch wenn der Täter sie – wie hier – getrennt voneinander aufbewahrt (Körner/Patzak/Volkmer, BtMG , 9. Aufl., § 29 Teil 13 Rn. 106 mwN). Für die Beurteilung, ob der Grenzwert zur nicht geringen Menge überschritten ist, sind sämtliche besessene Teilmengen zusammenzufassen, maßgeblich ist also der Gesamtwirkstoff aller Teilmengen, der hier bei 9,36 Gramm THC liegt und damit den Grenzwert zur nicht geringen Menge überschreitet. Der nach alledem verwirklichte Verbrechenstatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verdrängt im Wege der Gesetzeskonkurrenz die idealiter verwirklichten Vergehenstatbestände des Anbaus und der Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG (Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29a Rn. 143 mwN).

3. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

4. Der Strafausspruch wird durch die Schuldspruchänderung nicht berührt. Dass die Strafkammer von dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG ausgegangen ist, statt bei zutreffender rechtlicher Würdigung den höheren Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zugrundezulegen, beschwert den Angeklagten nicht.

5. Die von der Revision gerügte Nichtanwendung des § 59 StGB ist aus den zutreffenden Erwägungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts nicht zu beanstanden.

Vorinstanz: LG Aachen, vom 10.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 105 Js 805/15 60 KLs 2/19
Fundstellen
NStZ-RR 2020, 317
NStZ-RR 2022, 237