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BGH - Entscheidung vom 15.12.2020

StB 41/20

Normen:
StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3
StPO § 144 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 15.12.2020 - Aktenzeichen StB 41/20

DRsp Nr. 2021/580

Beiordnung eines Rechtsanwalts als weiterer Pflichtverteidiger

Tenor

1.

Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. Oktober 2020 wird verworfen.

2.

Der Beschuldigte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Normenkette:

StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3 ; StPO § 144 Abs. 1 ;

Gründe

I.

1. Der Beschuldigte wurde am 15. April 2020 festgenommen und befindet sich aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. April 2020 ( 2 BGs 186/20) seit diesem Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Da die vom Beschuldigten im Zuge der Verhaftung benannte Rechtsanwältin H. aus B. weder von der Polizei noch von der Geschäftsstelle des Gerichts erreicht werden konnte, hat der Ermittlungsrichter im Zuge der Haftbefehlseröffnung aus der Liste der in Karlsruhe ansässigen Strafverteidiger Rechtsanwalt L. ausgewählt und dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Auf seine Anregung hin hat der Beschuldigte noch am selben Tag eine Wahlverteidigervollmacht für Rechtsanwalt Be. aus He. unterschrieben. Rechtsanwältin H. hat in der Folge erklärt, den Beschuldigten lediglich in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu vertreten und zur Übernahme einer Strafverteidigung nicht bereit zu sein. Am 28. April 2020 hat Rechtsanwalt Be. namens und in Vollmacht seines Mandanten beantragt, ihn - nach Niederlegung des Wahlmandats - gemäß § 144 Abs. 1 StPO zum weiteren Pflichtverteidiger zu bestellen. Diesem Antrag hat der Ermittlungsrichter am 14. Mai 2020 stattgegeben. Eine Ausfertigung dieses Beschlusses ist dem Beschuldigten am 15. Mai 2020 übersandt worden.

Mit am 3. August 2020 beim Generalbundesanwalt eingegangenem Schreiben hat Rechtsanwältin G. eine vom Beschuldigten unterzeichnete Vollmacht vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 7. August 2020 hat sie die Wiedereinsetzung in die Frist des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO , die Entpflichtung von Rechtsanwalt L. sowie ihre eigene Beiordnung als Pflichtverteidigerin beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass Rechtsanwalt L. bei der Vorführung vor den Ermittlungsrichter bereits vor Ort gewesen sei und - nachdem der Beschuldigte keinen Verteidiger hätte benennen können, so dass ihm die Beauftragung von Rechtsanwalt L. alternativlos erschienen sei - mit seiner Zustimmung die Verteidigung übernommen habe. Gleichzeitig habe er den Beschuldigten gedrängt, eine Wahlverteidigervollmacht für Rechtsanwalt Be. zu unterzeichnen. Über die Frist des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO sei der Beschuldigte nicht belehrt worden. Mittlerweile habe dieser das Wahlmandat von Rechtsanwalt Be. "niedergelegt", so dass er über keinen Wahlverteidiger verfüge, dessen Beauftragung der Beiordnung entgegenstehen könne. Da im Zeitpunkt der Vorführung eine echte Auswahl eines Pflichtverteidigers nicht möglich gewesen sei und der Beschuldigte Rechtsanwalt L. allenfalls vier Stunden vor der Pflichtverteidigerbestellung kennengelernt habe, sei ein Pflichtverteidigerwechsel angezeigt.

Diesem Antrag sind sowohl der Generalbundesanwalt, der den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO wegen mangelnder Glaubhaftmachung für unzulässig gehalten hat, als auch die Rechtsanwälte L. und Be. entgegengetreten, die darauf verwiesen haben, dass auch Rechtsanwalt Be. zwischenzeitlich als Pflichtverteidiger bestellt worden sei. Rechtsanwalt L. hat zudem erklärt, er habe die Vollmacht für Rechtsanwalt Be. von dem Beschuldigten mit dem Vorbehalt entgegengenommen, dass nicht Rechtsanwältin H. das Mandat übernehmen werde, was von dieser aber abgelehnt worden sei. Zur Unterschrift gedrängt habe er den Beschuldigten nicht.

Mit Beschluss vom 14. September 2020 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen und die Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt L. sowie die Bestellung von Rechtsanwältin G. zur Pflichtverteidigerin abgelehnt. Der Wiedereinsetzungsantrag sei bereits unstatthaft. In die Erklärungsfrist des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO finde eine Wiedereinsetzung nicht statt. Das außerordentliche Rechtsmittel der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei den Fällen vorbehalten, in denen die Versäumung der Frist eine Prozesspartei an der Wahrnehmung einer Prozesshandlung hindere, die nicht mehr nachgeholt werden könne. Dies sei hier nicht der Fall, weil weiterhin auf die Auswechselung des Pflichtverteidigers hingewirkt werden könne. Auch aus anderen Gründen scheide eine Auswechselung der Verteidiger aus. Es sei nicht tatsachengestützt vorgetragen, dass die Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO vorlägen.

2. Diesen der Verteidigerin am 16. September 2020 zugestellten Beschluss hat der Beschuldigte nicht mit der sofortigen Beschwerde nach § 46 Abs. 3 , § 143a Abs. 4 StPO angefochten. Vielmehr hat die Verteidigerin - offensichtlich noch in Unkenntnis der Entscheidung - am gleichen Tag die Beiordnung als (weitere) Pflichtverteidigerin beantragt, da sich ihre Kanzlei in NordrheinWestfalen befinde, der Beschuldigte dort inhaftiert sei und vermutlich zum Oberlandesgericht Düsseldorf angeklagt werde. Das Verfahren sei zudem umfangreich und schwierig. Diesen Antrag hat sie am 2. Oktober 2020 unter Vorlage eines Schreibens des Beschuldigten, in dem dieser um die Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwältin G. bittet, wiederholt. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2020 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs diesen Antrag zurückgewiesen. Ein durch den Umfang und die Schwierigkeit der Sache veranlasstes unabweisbares Bedürfnis auf Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers bestehe nicht. Da der Beschuldigte bereits über zwei Pflichtverteidiger verfüge, sei trotz des erheblichen Umfangs des Verfahrens zurzeit ein dritter Verteidiger nicht erforderlich.

Gegen diesen der Verteidigerin am 19. Oktober 2020 zugestellten Beschluss hat der Beschuldigte mit am 24. Oktober 2020 eingegangenem Schriftsatz seiner Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt und mit dieser die Entpflichtung der Rechtsanwälte Be. und L. sowie die Beiordnung von Rechtsanwältin G. als (weitere) Pflichtverteidigerin begehrt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass das Vertrauensverhältnis zu seinen Verteidigern L. und Be. unwiederbringlich zerstört sei. Rechtsanwalt L. , der ihn bei der Vorführung vor den Haftrichter zur Unterschrift unter die Verteidigervollmacht für Rechtsanwalt Be. gedrängt habe, habe die Notwendigkeit dessen Bevollmächtigung damit begründet, Rechtsanwalt Be. solle als Wahlverteidiger auftreten. Dass dieser seine Bestellung zum zweiten Pflichtverteidiger beantragt habe, sei ihm nicht bekannt gewesen. Von dieser Verteidigerbeiordnung habe er erst durch den angegriffenen Beschluss erfahren. Damit habe Rechtsanwalt L. ihn getäuscht und Rechtsanwalt Be. habe gegen rechtsanwaltliches Berufsrecht verstoßen, weshalb er zu diesen kein Vertrauen mehr habe. Die Verpflichtung der beiden Verteidiger sei deshalb nach § 143 StPO (gemeint ist offensichtlich § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ) aufzuheben. Dagegen bestehe Vertrauen zu Rechtsanwältin G. , die deshalb als Pflichtverteidigerin beigeordnet werden solle. Diese hat erklärt, auf bislang entstandene Gebühren verzichten zu wollen.

II.

Die nach § 144 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 5 StPO zulässige (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 63. Aufl., § 144 Rn. 11) sofortige Beschwerde des Beschuldigten ist nicht begründet.

1. Das Rechtsmittel richtet sich gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. Oktober 2020, mit dem der Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO zurückgewiesen worden ist. Der im Beschwerdeschriftsatz begehrte Verteidigerwechsel ist hingegen nicht Gegenstand der Überprüfung durch den Senat. Hierzu gilt:

a) Der Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. September 2020, mit dem dieser die Statthaftigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages in die Frist des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO verneint und schon deshalb einen Verteidigerwechsel nach dieser Vorschrift abgelehnt hat, ist mit dem vorliegenden Rechtsmittel nicht angegriffen worden. Vielmehr hat der Beschuldigte gegen diesen Beschluss nicht in der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO die nach § 143a Abs. 4 StPO statthafte sofortige Beschwerde eingelegt, so dass die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist. Der Senat muss somit nicht entscheiden, ob der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs rechtlich zutreffend die mangelnde Statthaftigkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in diese Frist angenommen hat.

b) Soweit der Beschuldigte mit seiner sofortigen Beschwerde die Auswechselung seiner bisherigen Pflichtverteidiger nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO begehrt, da das Vertrauensverhältnis zu diesen endgültig gestört sei, ist dies nicht Gegenstand der Prüfung des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens. Der Beschuldigte hatte mit seinen im angegriffenen Beschluss zurückgewiesenen Anträgen in den Schriftsätzen seiner Verteidigerin vom 16. September und 2. Oktober 2020 lediglich die Beiordnung von Rechtsanwältin G. als weitere Pflichtverteidigerin nach § 144 Abs. 1 StPO begehrt. Nur hierüber hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in seinem angegriffenen Beschluss entschieden. Auch wenn das Beschwerdegericht gemäß § 309 StPO eine eigene Entscheidung in der Sache zu treffen hat, so ist es nicht befugt, über einen anderen Verfahrensgegenstand als den der Erstentscheidung zu befinden (vgl. LR/Matt, StPO , 26. Aufl., § 309 Rn. 8 f.). Dies wäre aber vorliegend der Fall, wenn der Senat statt über die Beiordnung eines zusätzlichen dritten Pflichtverteidigers über die Entpflichtung zweier Verteidiger entschiede. Denn der Ermittlungsrichter war im vorliegenden Verfahren allein mit der Frage befasst, ob zur zügigen Durchführung des Verfahrens nach § 144 Abs. 2 StPO ein dritter Pflichtverteidiger erforderlich ist. Ob das Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu seinen bisherigen Verteidigern gestört ist und diese deshalb ausgewechselt werden müssen, war nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung. Somit hat der Ermittlungsrichter bisher noch keine Sachentscheidung über eine Auswechselung der Pflichtverteidiger nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO getroffen. Soweit er in der Entscheidung vom 14. September 2020 angeführt hat, dass nicht tatsachengestützt vorgetragen sei, dass die Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO vorlägen, hat er sich mit den nunmehr vorgetragenen Tatsachen gerade nicht auseinandergesetzt.

2. Die angegriffene Entscheidung des Ermittlungsrichters vom 9. Oktober 2020 begegnet in der Sache keinen rechtlichen Bedenken. Es ist nicht ersichtlich, dass der Umfang des Verfahrens im jetzigen Verfahrensstadium die Beiordnung eines dritten Pflichtverteidigers erfordern würde.