Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 11.09.2019

B 5 R 2/19 BH

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 11.09.2019 - Aktenzeichen B 5 R 2/19 BH

DRsp Nr. 2019/15501

Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Nicht tragende Ausführungen in einer Revisionsentscheidung Keine höchstrichterliche Klärung

Obiter dicta in einer Revisionsentscheidung zu einer Rechtsfrage führen nicht zu deren höchstrichterlicher Klärung.

Die Anträge des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts NordrheinWestfalen vom 18. Januar 2019 sowie für das Verfahren der Revision gegen das vorgenannte Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen, werden abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der Zeit vom 7.11.2012 bis zum 20.7.2013 als Anrechnungszeit wegen Schulausbildung.

Der im Jahre 1973 geborene Kläger verbüßte ab dem 4.8.2011 eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) S. In der Zeit vom 7.11.2012 bis 20.7.2013 besuchte er die Berufsoberschule Wirtschaft im Bildungszentrum JVA F. und erlangte dort die Fachhochschulreife. Nach Auskunft der JVA S. vom 21.1.2014 lagen während dieser Zeit die Voraussetzungen für die Lockerung des Vollzugs gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 Strafvollzugsgesetz ( StVollzG ) nicht vor.

Mit Bescheid vom 12.11.2013 gewährte die Beklagte dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalls am 31.3.1994 ab dem 1.6.2011 unbefristet Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem monatlichen Zahlbetrag von Euro ab 1.1.2014. Mit Schreiben vom 30.12.2013 beanstandete der Kläger die Nichtberücksichtigung der Zeit vom 7.11.2012 bis zum 20.7.2013 im Rahmen der Berechnung seiner Rente. Mit Bescheid vom 29.4.2014 stellte die Beklagte die Rente des Klägers von Beginn an neu fest. Die streitige Zeit wurde weiterhin nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt, weil die Voraussetzungen für die Lockerung des Strafvollzugs gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 StVollzG im maßgeblichen Zeitraum nicht gegeben gewesen seien. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5.11.2014). Das SG Gelsenkirchen hat die Klage mit Urteil vom 16.4.2018 abgewiesen. Die vom Kläger geltend gemachten Zeiten der Schul- bzw Hochschulausbildung stellten keine Anrechnungszeit iS von § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI dar. Nach dem Urteil des BSG vom 6.5.2010 (B 13 R 118/08 R - Juris) könnten Zeiten, für die aus Rechtsgründen keine wirksamen Pflichtbeitrage entrichtet werden konnten, keine Anrechnungszeiten sein. Dies treffe auf Zeiten der Strafhaft zu. Eine Ausnahme gelte zwar für Freigänger, die bei Abschluss eines freien Arbeitsvertrages Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung entrichten könnten. Für den Kläger habe diese Möglichkeit jedoch nach der Auskunft der JVA S. vom 21.1.2014 nicht bestanden. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 18.1.2019 aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 18.1.2019 - beim BSG eingegangen am selben Tag - hat der Kläger "Gegen das Urteil des LSG NRW vom 18.1.2019 ... Prozesskostenhilfe zur Einlegung der Revision und zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde" beantragt.

II

Die Anträge des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) sind abzulehnen.

Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) iVm § 114 Abs 1 S 1 Zivilprozessordnung kann einem Beteiligten PKH für ein Verfahren vor dem BSG nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier nicht der Fall.

1. Es ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.

a) Eine Zulassung der Revision gegen das angegriffene Urteil könnte nicht auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist. Ferner muss die aufgeworfene Frage klärungsfähig, dh entscheidungserheblich sein (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nach Durchsicht der Akten und der gebotenen summarischen Prüfung nicht zu erkennen.

Der Rechtsstreit wirft die Rechtsfrage auf, ob die Zeit einer Schul- oder Hochschulausbildung, die ein voll erwerbsgeminderter Versicherter während der Strafhaft absolviert hat, eine Anrechnungszeit iS des § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI darstellt.

Der 13. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 6.5.2010 (B 13 R 118/08 R - Juris RdNr 25 f) ausgeführt, dass Zeiten, für die aus Rechtsgründen keine wirksamen Pflichtbeiträge entrichtet werden konnten, auch keine Anrechnungszeiten sein könnten. Speziell für Ausbildungszeiten, die vom Versicherten während einer Strafhaft absolviert worden seien, sei in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass die Zeit der Strafhaft selbst rentenrechtlich weiterhin keine Beitragszeit sei (vgl § 190 Nr 13 iVm § 198 Abs 3 StVollzG ). Mithin führten auch Ausbildungen, die während einer Strafhaft in eigener Verantwortung und im eigenen Interesse des Gefangenen anstelle der grundsätzlich bestehenden (beitragsfreien) Arbeitspflicht durchgeführt würden (§ 37 Abs 3 iVm § 41 Abs 1 StVollzG ), nicht zu einem Ausfall an Beiträgen zur Rentenversicherung.

Auf diese Rechtsausführungen hat der 13. Senat seine Entscheidung allerdings ausdrücklich nicht gestützt (vgl Urteil vom 6.5.2010, aaO, RdNr 24). Nicht tragende Ausführungen in einer Revisionsentscheidung (obiter dicta) zu einer Rechtsfrage führen indes nicht zu deren höchstrichterlicher Klärung (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 360; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 65). Zudem bezieht sich die Entscheidung des 13. Senats des BSG (aaO) nicht auf einen voll erwerbsgeminderten Strafgefangenen, bei dem sich die Frage stellt, ob auch für ihn eine Arbeitspflicht iS des § 41 Abs 1 StVollzG besteht (vgl insbesondere § 37 Abs 5 StVollzG ). Eine Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage ist daher zu bejahen.

Sie ist aber nicht klärungsfähig, dh entscheidungserheblich.

Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Frage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen. Dies ist nicht der Fall, wenn der geltend gemachte Anspruch unabhängig vom Ergebnis der angestrebten rechtlichen Klärung am Fehlen einer weiteren, bisher unbeachtet gebliebenen Anspruchsvoraussetzung scheitern müsste (vgl BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3). So verhält es sich hier.

Die vom Kläger geltend gemachten Zeiten können unabhängig von der Frage, ob die während einer Strafhaft absolvierten Ausbildungszeiten eines voll erwerbsgeminderten Versicherten Anrechnungszeiten iS des § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI sind, bei der Berechnung der von ihm bezogenen Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht berücksichtigt werden.

Gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die unter Zugrundelegung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (Nr 1), der Rentenartfaktor (Nr 2) und der aktuelle Rentenwert (Nr 3) mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Grundlage für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte sind gemäß § 66 Abs 2 Nr 1 SGB VI bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Entgeltpunkte des Versicherten. § 75 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB VI bestimmt, dass bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für Beitragszeiten und Anrechnungszeiten, die nach Eintritt der hierfür maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit liegen, Entgeltpunkte nicht ermittelt werden.

Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ist mit dem Leistungsfall am 31.3.1994 eingetreten. Der Leistungsbeginn dieser Rente datiert auf den 1.6.2011. Die Ausbildung in der JVA Schwäbisch Hall hat der Kläger erst in der Zeit vom 7.11.2012 bis 20.7.2013 und damit nach dem Eintritt der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit absolviert. Entgeltpunkte können daher für diese Zeit bei der dem Kläger gewährten Rente wegen Erwerbsminderung nicht berücksichtigt werden. Dass die Ausnahmevoraussetzungen des § 75 Abs 2 S 2, Abs 3 SGB VI vorliegen, ist nach Aktenlage nicht ersichtlich.

Ebenso wenig findet die streitige Zeit im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten nach § 71 SGB VI Berücksichtigung, weil der für die Bewertung maßgebliche belegungsfähige Gesamtzeitraum bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 72 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI nur die Zeit bis zum Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit umfasst.

Inwieweit die streitbefangene Zeit Einfluss auf die Altersrente des Klägers hat, ist im hiesigen Rechtsstreit, in dem es allein um die Höhe der dem Kläger gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung geht, ohne Bedeutung.

b) Anhaltspunkte für den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) liegen nicht vor. Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere durfte das LSG trotz Abwesenheit des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.1.2019 entscheiden, weil der Kläger von dem Termin ordnungsgemäß benachrichtigt und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

2. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Revision erfolgreich zu begründen.

Eine Revision gegen das Urteil des LSG vom 18.1.2019 ist nicht statthaft, weil sie weder vom Berufungsgericht noch durch einen Beschluss des BSG nach einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160a Abs 4 S 1 SGG zugelassen worden ist (§ 160 Abs 1 SGG ).

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 18.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 14 R 394/18
Vorinstanz: SG Gelsenkirchen, vom 16.04.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 51 R 657/15